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Spare in der Not, dann bist du tot
Reformen, Anpassungen, sparen, sparen, sparen... Schön langsam kann das keiner mehr hören und immer mehr ahnen, dass sich eine Gesellschaft auch zu Tode sparen kann. Zwei Interviews mit Sparkurs-Kritikern. Von Klaus Buttinger
Volkswirtschafter Heiner Flassbeck, Chef der Abteilung für Makroökonomie und Entwicklungspolitik der UN-Organisation UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) in Genf, sieht ein Ende des Sparens erst nach einer Krise.
OÃ-N: Was passiert, wenn alle sparen?
Flassbeck: Wenn alle sparen, gibt es eine Katastrophe. Dann bricht die Wirtschaft zusammen. Jemand muss sich verschulden, sonst sinkt das Einkommen aller Beteiligten, die Folge ist eine Abwärtsspirale.
OÃ-N: Aber fast alle stimmen in das Spar-Credo des Neoliberalismus ein. Warum?
Flassbeck: Neoliberalismus ist eine einfache Lehre. Wenn es schlecht geht, muss man sparen - vom einfachen Haushalt angefangen bis zum Staat. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen der Einzel- und der Gesamtwirtschaft: In der Gesamtwirtschaft sind die Einnahmen des einen immer die Ausgaben des anderen, einzelwirtschaftlich gilt das nicht. Das neoliberale Modell unterstellt zum Beispiel, dass bei sinkenden Löhnen die Beschäftigung steigt. Das funktioniert aber nicht. In Deutschland hinken die Reallöhne seit Jahren hinter dem Produktivitätszuwachs hinterher, die Beschäftigung aber sinkt und folglich sinkt die Binnennachfrage. Nur mit der Produktivität steigende Löhne stabilisieren - wie in den USA - Konjunktur und Beschäftigung.
OÃ-N: Gegenmodell wäre der Keynesianismus, massive öffentliche Investitionen des Staates?
Flassbeck: Der Keynesianismus hat sich in Europa leider nicht gegen das simple Denken durchgesetzt. Es ist unglaublich schwer, sich als Ã-konom und Politiker gegen das unternehmerische Denken durchzusetzen. Niemand schafft es, auf einem Cocktailempfang einem Unternehmer oder Vorstandsvorsitzenden zu sagen, dass er von Volkswirtschaft nichts versteht. Dabei ist die Lehre uralt. Die neoliberale Wirtschaftslehre hatte ihre Blüte in den 20er-Jahren und hat damals in eine Weltkatastrophe - die Weltwirtschaftskrise - geführt, aus der der Keynesianismus entstand. Da stellt sich die Frage, was modern ist.
OÃ-N: Umdenken ist nicht in Sicht?
Flassbeck: Das Umdenken kommt erst nach der großen Krise. Weil es auch 2004 keinen wirklichen Aufschwung geben wird, sind wir allerdings vom Umdenken gar nicht so weit entfernt. Alle hoffen derzeit auf Rettung vom Ausland, namentlich aus den USA. Aber jetzt machen uns der fallende Dollar und der steigende Euro einen Strich durch die Rechnung, während die Inlandsnachfrage, der private Verbrauch vor allem, bestenfalls stagniert. Im Japan der 90er-Jahre hatte die Krise auch mit einer starken Aufwertung des Yen begonnen.
OÃ-N: Kommen wir aus der Krise wieder heraus?
Flassbeck: Wenn man einmal in dieser Abwärtsspirale ist, kommt man nur sehr schwer wieder heraus. Sinkende Löhne und in deren Folge Deflation haben auch 1929/30 in die Weltwirtschaftskrise geführt. Leider haben die meisten Ã-konomen diese Lehre nicht verstanden. Deswegen müssen wir in Europa schon so lange leiden. Es wird so kommen wie in Japan - eine halb-deflationäre Situation, aus der man auch mit null Zinsen nicht herauskommt. Man müsste staatlicherseits die Konjunktur anwerfen, einen massiven Anstoß geben. Aber das geht nicht, weil die Defizite schon so hoch sind. Man wartet folglich auf Godot, auf ein Wunder aus dem Ausland; aber das wird nicht kommen.
OÃ-N: Also kein positiver Ausblick?
Flassbeck: Erst nach der Krise kann es besser werden.
Für den Wiener Wirtschaftswissenschafter Stephan Schulmeister vom Ã-sterreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) führen die Sparpolitik der Regierungen in der EU sowie der Glaube an den Neoliberalismus unweigerlich in die Krise.
OÃ-N: Wer schafft dem Staat, derart zu sparen?
Schulmeister: Niemand. Seit 15 Jahren wird in Europa zunehmend die Philosophie des Neoliberalismus propagiert und das heißt:"Verschlankung des Staates", denn die Märkte lösen alle wirtschaftlichen Probleme ja am besten. Das ist die allgemeine Glaubensvorstellung. Im Konkreten wird sie eingesetzt, um die Aktivitäten des Staates in jenen Bereichen zurückzuschrauben, die in Europa sozialstaatlich organisiert sind: Gesundheitswesen, Arbeitslosenversicherung, Bildungswesen und Krankenversicherung.
OÃ-N: Wenn das alle machen - was ist falsch daran?
Schulmeister: Es ist zu unterscheiden zwischen Rhetorik und Praxis. In den USA dominiert auf der Ebene der Rhetorik die neoliberale Ideologie, die wirtschaftspolitische Praxis hat sich aber in den letzten 15 Jahren von den neoliberalen Rezepten abgewendet. So hat etwa seit Beginn der Wachstumskrise im Jahr 2000 kein Industrieland die öffentliche Nachfrage nach Investitionen, Beschäftigten und Konsumgütern so sehr ausgeweitet wie die USA. Gleichzeitig wurden die Sozialleistungen entgegen der neoliberalen Mode massiv erhöht. Die Transferzahlungen des Staates sind zwischen 2000 und 2003 in den USA um 28 Prozent gestiegen; unter anderem wurden die Unterstützungszahlungen für Arbeitslose ausgeweitet. Nicht weil man so sozial wäre, sondern aufgrund ökonomischen Hausverstandes: Da die Arbeitslosigkeit stark gestiegen ist, hat die Regierung befürchtet, dass hunderttausende Menschen aus der Unterstützung herausfallen; das würde die Konsumnachfrage dämpfen, also bekamen die Arbeitslosen drei Monate länger Unterstützungszahlungen. Demgegenüber Deutschland: Seit Jahren hat kein Land so sehr versucht, den Staat zurückzudrängen wie Deutschland. Die öffentlichen Investitionen, z. B. in den Straßenbau oder den öffentlichen Verkehr, sind seit 1991 um 20 Prozent zurückgeschraubt worden. In den USA stiegen sie im gleichen Zeitraum um 42 Prozent. Die Zahl der öffentlich Beschäftigten wurde in Deutschland seit 1991 um 18 % reduziert, in den USA hingegen um 16 % ausgeweitet. Ihr Anteil an den Beschäftigten ist mittlerweile in den USA mit 16 % deutlich höher als in Deutschland (12,5 %).
OÃ-N: Andererseits: ein schlanker Staat - siehe Steuerreform in Ã-sterreich - bedeutet das nicht eine Ankurbelung der Unternehmensinvestitionen?
Schulmeister: 2001 hat man die Körperschaftssteuer in Deutschland auf 25 Prozent gesenkt, wovon in erster Linie die großen Unternehmen profitiert haben. Der erhoffte Investitionsschub trat nicht ein, vielmehr sind die Investitionen der Unternehmen in Deutschland noch stärker gesunken als in den anderen Euro-Ländern. Ein Grund dafür: Die KÃ-St-Senkung schmälerte die Einnahmen von Ländern und Gemeinden, sie konnten weniger ausgeben, die Klein- und Mittelbetriebe bekamen daher weniger Aufträge und das dämpfte wiederum ihre Investitionsbereitschaft. Die großen Konzerne verwendeten die zusätzlichen Mittel für andere Zwecke wie Finanzveranlagung oder Schuldtilgung.
OÃ-N: Und der Private denkt folgerichtig: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Oder?
Schulmeister: Ein Grund, warum die Haushalte in Deutschland so sehr sparen, besteht in der Sparpolitik und der damit verbundenen Schwächung des Sozialstaats, die verursacht ein Vorsorgesparen und weniger Konsum. Ein weiterer Grund liegt in der steigenden Arbeitslosigkeit. Überdies wird das Arbeitslosengeld nach 12 Monaten auf 350 Euro gekürzt, was 1,5 Millionen Deutsche betrifft und ihre Kaufkraft enorm schwächt. Wobei diese Menschen durchaus arbeiten wollen, bloß generiert die Wirtschaft keine Arbeitsplätze.
OÃ-N: Wenn sparen also kontraproduktiv ist, warum predigen es fast alle?
Schulmeister: Dahinter steht letztlich ein Nichtverstehen der volkswirtschaftlichen Zusammenhänge. Salopp gesagt: Man muss sich etwas leisten können, damit die Wirtschaft etwas leisten kann. Die Wirtschaftspolitik muss danach trachten, die Einkommen zu jenen umzuverteilen, welche diese für Investitionen oder den Konsum ausgeben. Es ist deshalb klug, eine Senkung der Unternehmenssteuern an zusätzliche Investitionen zu knüpfen wie etwa im Fall der Investitionszuwachsprämie in Ã-sterreich oder der Steuerreform 2003 in den USA. Eine generelle Senkung der Körperschaftssteuer wie in Deutschland 2001 oder in Ã-sterreich im nächsten Jahr muss hingegen nicht zu einer Investitionsbelebung führen.
OÃ-N: Nun ist aber das US-amerikanische Sozialsystem alles andere als eine soziale Hängematte...
Schulmeister: Noch immer ist das europäische System stärker sozialstaatlich organisiert, aber es wurde in den vergangenen 15 Jahren deutlich geschwächt; manche europäische Politiker sagen hinter vorgehaltener Hand, der Sozialstaat sei ein Auslaufmodell.
OÃ-N: Was passiert, wenn nahezu weltweit weiterhin gespart wird?
Schulmeister: Wird global gespart, so ergäben sich Ähnlichkeiten mit der Weltwirtschaftskrise 1930, weil dann jedes Land versucht, auf Kosten der anderen zu sparen. Ein Hinweis auf diese Problematik ist das Herunterreden des Dollarkurses durch die USA gegenüber dem Euro und dem Yen. Während die USA seit 15 Jahren über ihre Verhältnisse leben, gilt für die EU eher das Gegenteil. Insbesondere durch den Stabilitätspakt und das Statut der Europäischen Zentralbank hat sich die Wirtschaftspolitik in der EU selbst"gefesselt". Diese Fessel wird sich realpolitisch nicht innerhalb einiger Monate lösen lassen, aber die Macht des Faktischen wird es mit der Zeit tun.
OÃ-N: Gibt es Wege, die Krise zu umschiffen?
Schulmeister: Die skandinavischen Länder sind ein gutes Beispiel: Sie haben in den vergangenen 10 Jahren besser abgeschnitten, weil sie das Vertrauen der Leute in das Wohlfahrtsmodell trotz mancher Kürzungen nicht erschüttert haben. Den Unternehmen wurden zudem mehr öffentliche Aufträge gegeben. Also: Kaufkraft stärken, schwächer Verdienende sollen mehr Geld bekommen, da sie es fast zur Gänze wieder ausgeben. Gleichzeitig soll man die"Reichen" stärker an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligen - dies gilt insbesondere für Ã-sterreich, wo Reiche infolge der Privatstiftungen fast keine Steuern mehr zahlen. Höhere Steuereinnahmen würden höhere Investitionen von Bund, Ländern und Gemeinden ermöglichen, dies würde mehr Aufträge für die Wirtschaft schaffen und Arbeitslosigkeit vermindern.
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