-->>Leider stellt die BAZ dieses Interview nicht frei.
... aber das Oltner Tagblatt tut es. [img][/img]
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«Nur wenn einer springt, können die anderen überleben»
Jagdish Bhagwati Warum die Globalisierung Arbeitsplätze vernichtet, aber auch neue schafft und sogar für Gleichberechtigung gut ist
Am Sitz des Internationalen Währungsfonds in Washington hat Jagdish Bhagwati vergangene Woche sein neues Buch über die Globalisierung vorgestellt. Die MZ hat sich mit dem US-Ã-konomen über den Inhalt des Buchs und die aktuelle Debatte über die Auslagerung gut bezahlter Jobs in Billiglohnländer unterhalten.
Luzian Caspar, Washington
Was bewegt Sie dazu, die Globalisierung zu «verteidigen»?
Bhagwati: Die Globalisierungsgegner nehmen meist ungefragt an, dass die sozialen und kulturellen Auswirkungen der Globalisierung negativ seien. Sie glauben, dass Kinderarbeit, Unterdrückung der Frauen, Armut etc. von der Globalisierung verschlimmert werden. Analysiert man aber die vorhandenen Studien unvoreingenommen, dann stellt sich heraus, dass diese Annahmen falsch sind. Die jungen Frauen zum Beispiel, die in den Fabriken der Exportzonen arbeiten, gehen nachher nicht einfach in ihre Dörfer zurück, sondern sie werden selbstständige junge Frauen. Selbst für die Gleichberechtigung der Geschlechter ist die Globalisierung also positiv.
Auch die kulturellen Auswirkungen der Globalisierung sind also positiv?
Bhagwati: Die Länder, die am besten gefahren sind, sind jedenfalls jene, die die Globalisierung nicht als Gefahr begreifen, sondern als Chance. Zum Beispiel Präsident Salinas in Mexiko: Anders als seine Vorgänger sah er die Nähe zu den USA nicht als Bedrohung, sondern als Chance.
Haben die Entwicklungsländer heute mehr Selbstbewusstsein?
Bhagwati: Wir erleben, was ich eine «ironische Umkehr» nenne. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren waren es die Entwicklungsländer, die sich gegen die Globalisierung sperrten, und es war der Westen, der Freihandel und Integration puschte. Aber heute sind es die reichen Länder, die sich offenbar vor der Globalisierung fürchten. Die Bevölkerung der armen Länder - das heisst die städtische Bevölkerung; die ländliche zählt nicht - hat keine Angst vor der Globalisierung. Ralph Nader und Professor Stiglitz behaupten, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) sei schlecht für die Mexikaner. Die Mexikaner selbst sind aber ganz zufrieden mit Nafta.
Und jetzt rufen US-Politiker zum Protektionismus auf...
Bhagwati: Es ist schon interessant, dass viele Leute jetzt verunsichert sind. Selbst Anwälte in New York fragen mich, ob diese Stimmen vielleicht Recht haben. Dabei ist es sonnenklar, dass der Freihandel allen nützt. Ob es sich um Güter oder Dienstleistungen handelt, spielt dabei keine Rolle.
Tatsächlich?
Bhagwati: Ohne Zweifel. Ob man billige Spielzeuge aus China importiert oder Dienstleistungsjobs nach Indien auslagert, kommt ökonomisch gesehen genau auf dasselbe heraus. Präsident Bushs Wirtschaftsberater Greg Mankiw hat mit seinen Äusserungen, die vor einer Woche so viel Protest auslösten, völlig Recht. Denn beides erhöht den allgemeinen ökonomischen Nutzen und verbessert die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen. Gegen billige Warenimporte scheint niemand etwas einzuwenden zu haben, aber wenn Firmen billige Dienstleistungen aus Indien importieren, ist es plötzlich etwas anderes.
Der Grund sind vielleicht die Folgen, die das «Offshoring» für die Betroffenen hat...
Bhagwati: Ja, aber die Befürchtungen sind unbegründet oder zumindest übertrieben. Als in den Fünfziger- und Sechzigerjahren die Importe aus Japan anschwollen, da sah man eine «gelbe Gefahr», und als in den Neunzigerjahren die Billigkonkurrenz aus China zum Thema wurde, befürchtete man in den USA, dass bald die ganze Nation zu «Hamburger-Flippern» werde. Aber nichts von dem ist geschehen. Der Grund, weshalb die amerikanischen Arbeiterlöhne seit 20 Jahren stagnieren, ist nicht die Konkurrenz der Billiglohnländer, sondern der technologische Fortschritt, nämlich die Automatisierung.
Aber inzwischen stehen immer mehr Programmierer und andere gut qualifizierte Leute auf der Strasse...
Bhagwati: Das stimmt, aber es gibt keine Alternative. Denn Firmen, die sich weigern mitzuziehen, also Dienstleistungen billiger aus dem Ausland zu importieren, verlieren Marktanteile und gehen am Schluss unter. Die Konkurrenz ist heute messerscharf, wie Sie wissen. Wenn man versucht, das «Offshoring» zu stoppen, macht das die Sache nur schlimmer. Denn ein Unternehmen, das Konkurs gemacht hat, kann gar niemanden mehr beschäftigen. Verzeihen Sie das brutale Beispiel, aber es ist wie in einem Rettungsboot: Nur wenn einer der Insassen ins Wasser springt, können die andern überleben.
Und was sagen Sie dem Angestellten, der ins «Wasser» springen muss?
Bhagwati: Dass er keine Wahl hat. Wenn sein Job nicht ausgelagert wird, dann gibt es am Schluss gar keine Stellen mehr. Der Betroffene muss in die Schule zurück. Natürlich ist das nicht angenehm. Aber das Leben bringt einem nicht immer das, was man sich vorgestellt hat. Wenn Programmierer-Jobs verschwinden, dann müssen sich diese eben umstellen. In den USA heisst dies vermutlich, dass er vorübergehend im Supermarkt arbeiten muss. Deshalb müsste man mehr für die Weiterbildung tun. Professor Litan von der Brookings Institution hat vorgeschlagen, jedem Industrie-Arbeiter, der seinen Job wegen eines Freihandelsabkommens verliert, drei Jahre lang einen Teil seines Lohns zu zahlen, für Weiterbildung.
Für welche Stellen soll sich ein solcher Programmierer denn ausbilden lassen?
Bhagwati: Niemand kann Ihnen sagen, was für Stellen es in Zukunft geben wird. Aber neue Stellen werden geschaffen, das hat die Vergangenheit immer gezeigt. Ich habe soeben gelesen, dass es jetzt eine riesige Nachfrage nach Software-Spezialisten für den Kampf gegen die Internet-Piraterie gibt. Der Computer vernichtet zwar Arbeitsplätze, aber gleichzeitig schafft er neue. An meiner Universität zum Beispiel haben wie eine ganze Abteilung, die sich nur mit der IT-Ausrüstung befasst. Vor zwanzig Jahren hätte man sich das nicht vorstellen können. Wir werden immer abhängiger von der Technologie, und dies wird zu einer nicht abreissenden Flut hoch bezahlter Stellen führen.
Aber ist es nicht so, dass dank der Digitalisierung in Zukunft praktisch alle Routinearbeiten automatisiert werden können?
Bhagwati: Das Problem ist tatsächlich die Automatisierung, nicht die Billigkonkurrenz. Der Fortschritt zerstört laufend Arbeitsplätze, die Anforderungen steigen. Um gut qualifizierte Leute mache ich mir keine Sorgen, aber um die untersten 30 Prozent schon. Für diese Leute wird es schwierig werden, selbst wenn es nicht zur Massenimmigration aus armen Ländern kommen sollte. Denn die Nachfrage nach weniger qualifizierten Arbeitskräften nimmt laufend ab. Da wird am Schluss wohl der Staat einspringen müssen, vor allem in den USA, wo es heute praktisch keine Sozialleistungen gibt. Das wird wohl nicht ohne eine neue Umverteilung abgehen.
<ul> ~ Nur wenn einer springt, können die anderen überleben</ul>
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-->Guten Morgen
Wenn der Glaube in den reinen Freihandel, in den Glauben, dass es halt Abgesoffene geben muss, den sonst schon kümmerlichen Blick in die Welt noch weiter verdüstert, dann reden wir wie Bhagwati.
Und dann reden wir nicht einmal mehr von Alltagszuständen in Indien, denn wir haben die indische Dickhaut, die ausgeprägte Kaltschneutzigkeit, die wir dann mit dem Kastendenken religiös fundamentieren.
Die rein ökonomische Betrachtung -der ökon. Nutzen- aller Handlungen der Menschen ist ein Irrweg. Ein Exempel führt Bhagwati vor.
Wer bestreitet, dass es auch Gewinner gibt?
Die Verlierer kommen nicht recht vor: Hungerstudien der UNO, zunehmende Armut in US, Europa,....
Natürlich können die westlichen Ug's, nachdem sie sich auf Kosten der Staaten saniert haben, eine blühende Zukunft haben. Die 30% in die Armut Abgesoffenen in ihren alten Absatzgebieten, werden ja um ein Vielfaches aufgefangen durch die Aufsteiger in den neuen, weiltweit zunehmend entstehenden Absatzländern.
Wo entstehen neue Arbeitsplätze?
'Die Geschichte zeigt,... ; bei Antipiratensoftware- etc. Spezialisten.
Aber auch diese Arbeitsplätze sind günstiger in Indien!
So bleiben an Stelle von Analysen nur Hoffnungen, woraus dann die Abgesoffenen gefälligst Trost zu ziehen haben.
Mir scheint, dass Bhagwati das G A N Z E besser (noch)einmal durchdenken sollte. Die Lösung vieler Probleme -die ihm z.T. scheinbar unbekannt sind- in einfachem Vertrauen auf den 'freien' Handel und eine simplifizierte Geschichtsbetrachtung aufgehenzulassen, reicht nicht aus.
Bhagwati muss wohl Bush's Wirtschaftsprogramm etwas professoralen Aufputz verleihen.
Gruss
zani
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