--> 16. März 2004, 02:21, Neue Zürcher Zeitung
Die deutschen Staatsfinanzen in der Krise
Die Bundesbank warnt vor einer Explosion der Schulden
In ihrem Monatsbericht schreibt die Deutsche Bundesbank, dass die Staatsverschuldung und das laufende Defizit der öffentlichen Haushalte 2003 historische Höchststände erreicht haben. Sie beziffert ausserdem die Grenzbelastung eines Normalverdieners mit staatlichen Abgaben auf 71% seines Bruttolohns und warnt vor einem Anstieg der öffentlichen Verschuldung, falls die Sozialreformen verschleppt werden.
pmr. Frankfurt, 15. März
In Deutschland haben Staatsverschuldung und laufendes Defizit der öffentlichen Haushalte 2003 historische Höchststände erreicht. Das gesamte öffentliche Defizit kletterte im vergangenen Jahr auf 82 Mrd. Euro oder 3,9% des Bruttoinlandprodukts (BIP). Die Staatsverschuldung von 1,37 Bio. Euro entsprach 64,2% des BIP. Seit Bestehen der Bundesrepublik, so unterstreicht die Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht, habe die Defizitquote nur 1975 und 1981 höher gelegen als 2003. Die Notenbank macht für die «Krise der öffentlichen Finanzen» nicht nur die seit drei Jahren stagnierende Wirtschaft verantwortlich. Sie verweist vor allem auf die strukturellen Ursachen: das wachstumshemmende Steuer- und Sozialsystem, die föderale Finanzverfassung, die keine klare Trennung der Verantwortlichkeiten kennt, sowie die Regulierungsdichte und die Alterung der Bevölkerung. Ohne eine energische Fortsetzung der wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen seien eine nachhaltige Belebung des Wachstums und eine Konsolidierung der Staatsfinanzen nicht zu realisieren. Die Beibehaltung des heutigen Defizits würde, kombiniert mit einem nominalen Wachstum von 3%, zu einer «Explosion der Schuldenquote» führen. Das Wirtschaftsprogramm der Regierung geht für das laufende Jahr von einem Nominalwachstum des BIP um 2,5% und im nächsten Jahr um 3,25% aus. Eine Erhöhung der Zinsen würde die Situation noch dramatisch verschlimmern. Zum Zinsniveau, das Anfang der neunziger Jahre herrschte, so wird im Monatsbericht vorgerechnet, wäre das öffentliche Defizit schon im vergangenen Jahr um 40 Mrd. Euro bzw. 2% des BIP höher ausgefallen.
Exorbitante Sozialabgaben
Zur Konsolidierung des Haushalts hält die Bank eine Senkung der Staatsquote von zurzeit 49% und auf mittlere Sicht eine Reduzierung der Abgaben für unumgänglich. Zur Illustration der Leistungs- und Wachstumshemmnisse, die vom deutschen Steuer- und Abgabensystem ausgehen, führt sie die Grenzbelastung der Normalverdiener an. Schon bei einem Jahreseinkommen von knapp 30 000 Euro wandern von jedem Euro, den ein lediger Durchschnittsverdiener zusätzlich verdient, 64 Cent in Form von Sozialbeiträgen und Steuern an den Staat. Bei einem Jahreseinkommen von 41 400 Euro erreicht diese Grenzbelastung mit 71% ihren Höhepunkt. Bei höheren Einkommen sinkt die Grenzbelastung wieder, da die zusätzlichen Einkommensteile nicht mehr den staatlichen Zwangsversicherungen für Krankenkosten, Altersrente und Arbeitslosigkeit unterliegen. Die Abgabenquote für diese Sozialversicherungen lag 2003 bei 42% der Bruttolöhne, wobei die Hälfte direkt von den Arbeitgebern getragen wird. Die enorme Grenzbelastung, die seit 1990 für die beiden betrachteten Einkommenskategorien um 11 bzw. 14 Prozentpunkte gestiegen ist, schlägt sich zu einem grossen Teil also direkt in den Arbeitskosten nieder und behindert auf diese Weise die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Bei den deutschen Spitzenverdienern, die, sofern sie abhängig beschäftigt sind, nur für den unteren Teil ihrer Einkünfte Sozialabgaben zahlen müssen, hat sich die Grenzbelastung aufgrund der Steuersenkungen seit 1990 auf rund 51% leicht verringert. Die deutschen Kapitalgesellschaften mussten 2003 rund 40% ihres Gewinns statt 58% im Jahre 1990 an den Fiskus abführen. Da viele EU-Länder und insbesondere die im Mai beitretenden Osteuropäer viel geringere Körperschaftssteuersätze aufweisen, sieht die Bundesbank aber auch hier dringenden Handlungsbedarf. In der tariflichen Grenzbelastung der Unternehmensgewinne belege Deutschland nach Japan selbst nach der jüngsten Steuerreform noch stets einen Spitzenplatz.
Effizienz vor Umverteilung
Um die deutschen Staatsfinanzen nicht noch weiter aus dem Ruder laufen zu lassen, besteht nach Berechnungen der Bundesbank ein Konsolidierungsbedarf im öffentlichen Haushalt von 6% des BIP. Durch die Reformen am Arbeitsmarkt, in der Altersrentenversicherung und bei den gesetzlichen Krankenkassen, die bereits beschossen wurden, sieht die Bank diesen Konsolidierungsbedarf bereits um 2,5 Prozentpunkte auf 3,5% des BIP verringert. Weitere Reformen sollten ihrer Meinung nach vor allem die Finanzierung des Sozialsystems von den Löhnen abkoppeln. Besonders einkommensunabhängige Krankenkassenbeiträge finden ihr Gefallen. Bei den zahlreichen Steuerreformplänen, die in Berlin diskutiert werden, rät die Bank, gesamtwirtschaftliche Effizienz gegenüber Umverteilungsaspekten stärker zu gewichten. Gegen die aus Gründen der Steuervereinfachung oft gepriesenen Abgeltungssteuern im Quellenabzug führt sie aber doch zweifelnd an, dass dabei verteilungspolitische Gesichtspunkte möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt wären. Ein besonderes Augenmerk gilt der föderalen Finanzverfassung. Wenn schon kein Trennsystem zwischen Bundes- und Landessteuern realistisch erscheine, so werden doch ein Zu- und Abschlagsrecht der Länder zur Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie eine Lockerung des Finanzausgleichs empfohlen.
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