-->DIE ZEIT
17/2004
Gefährliche Geldmaschinen
Fannie Mae und Freddie Mac sind die größten Hypothekenbanken der Welt. Jetzt kommen erste Zweifel an ihrer Seriosität auf
Von Heike Buchter
Wie Ginger Rogers und Fred Astaire werden die beiden fast immer in einem Atemzug genannt: Fannie Mae und Freddie Mac. Dahinter verbirgt sich jedoch nicht leichte Muse, sondern komplexe Finanzakrobatik. Fannie Mae und Freddie Mac sind die größten Hypothekenbanken der Welt. Sie halten oder garantieren rund 42 Prozent aller Hypothekendarlehen der Vereinigten Staaten und 75 Prozent aller Darlehen auf Einfamilienhäuser - zusammen rund vier Billionen Dollar. Die beiden Institute haben Anleihen und Schuldverschreibungen in Höhe von 2,4 Billionen Dollar ausgereicht. Das entspricht einem Viertel des Bruttoinlandsproduktes der USA, der größten Volkswirtschaft der Welt. Nur ein Schuldner hat sich weltweit mehr Kapital geborgt: der US-Schatzmeister selbst. 3,6 Billionen Dollar in Staatsanleihen haben die Staaten ausstehen.Wohnsiedlung in Pleasant Valley in ArizonaFoto: Alex S. MacLean/Das Fotoarchiv
Kein Wunder, dass in Washington die Alarmglocken schrillten, als sich herausstellte, dass bei beiden Giganten die Buchhaltung nicht ganz zuverlässlich zu sein scheint. So musste Freddie Mac im vergangenen Jahr einräumen, fünf Milliarden Dollar mehr Gewinn gemacht zu haben als ursprünglich ausgewiesen. Ein Gewinn, über den sich deshalb niemand so recht freuen mochte. Die Chefetage musste daraufhin gehen. Jetzt berichtet die Aufsichtsbehörde, dass Schwester Fannie Mae möglicherweise zwischen 2000 und 2003 rund sieben Milliarden Dollar Verlust eingefahren hat - von dem offenbar bislang niemand etwas gewusst haben will.
Zwar sind sich die Experten uneins, ob es sich tatsächlich um unzulässige Buchungen handelt und wie schwerwiegend die Angelegenheit ist. Doch John Snow ging schon einmal auf Distanz. George Bushs Finanzminister sagte bei einer Versammlung amerikanischer Kommunalbanker, die beiden Riesen seien keineswegs „too big to fail“ - nicht zu groß, um zusammenzubrechen. Der Runde blieb daraufhin erst einmal der Bissen im Hals stecken. Denn eigentlich gehen die Marktteilnehmer weltweit davon aus, dass Uncle Sam hinter Fannie und Freddie steht. Im Klartext: Die Finanzmärkte sind überzeugt, dass - sollte eines der Institute zusammenbrechen - die US-Steuerzahler einspringen.
Snows Mahnungen kamen keine zwei Wochen nachdem Alan Greenspan höchstpersönlich gewarnt hatte. Der US-Notenbankchef, der für seinen orakelhaften Stil bekannt ist, wurde überraschend deutlich. „Die Notenbank ist besorgt über das Wachstum und das Ausmaß der Hypothekenportfolios bei den öffentlich-rechtlichen Instituten“, sagte er. Besonders die wachsende Rolle der beiden auf den Derivatemärkten beunruhigt ihn. Greenspans Angst: Wackeln die beiden Riesen, löst das ein weltweites Beben in den Finanzmärkten aus.
Dabei müsste Greenspan eigentlich ein starker Befürworter von Fannie und Freddie sein. Denn ihnen verdankt er ein Gutteil seines Erfolges. Greenspan setzte in den Krisenjahren auf die US-Verbraucher, um die US-Wirtschaft vor dem Abrutschen in eine handfeste Depression zu bewahren. „Greenspan beißt die Hand, die ihn füttert“, bemerkte bissig ein Lobbyist der amerikanischen Hausbaubranche. 80 Prozent der amerikanischen Wirtschaft werden vom Konsum getrieben. Greenspan senkte die Leitzinsen auf ein historisch niedriges Niveau. Das macht Hypotheken spottbillig. Viele Hausbesitzer nutzen die Gelegenheit, lösen ihre ursprüngliche Hypothek ab und nehmen eine neue, häufig höhere auf. So münzen sie ihr Eigenheim in Bares um und gehen auf Shopping-Tour: ein neues Bad, eine Yacht oder 14 Tage Karibik. Hypothekendarlehen in Rekordhöhe von 3,8 Billionen Dollar reichten Banken und Finanzdienstleister allein im vergangenen Jahr aus. Rund 66 Prozent davon dienten der Refinanzierung. Der stete Geldstrom verhinderte, dass die USA im Gegensatz zu Deutschland nach dem Platzen der Spekulationsblase in eine Rezession sanken. Und er lies die Geldmaschinen Fannie und Freddie auf Hochtouren laufen.
Doch nicht nur Alan Greenspan fürchtet nun, dass die beiden Institute Opfer ihres eigenen Erfolges werden könnten. Das liegt an ihrem Geschäftsmodell. Weder Fannie noch Freddie vergeben Kredite direkt an Hausbesitzer. Ihre vom Kongress gegebene Aufgabe ist es, den privaten Banken die Hypotheken abzunehmen - einen zweiten Markt für die Darlehen zu schaffen. Das Geld für ihre Operation besorgen sich Fannie und Freddie am Kapitalmarkt. Der Trick dabei ist, dass dank der von den Marktteilnehmern angenommenen staatlichen Garantie die Kosten der Geldbeschaffung für Fannie und Freddie geringer sind als für private Wettbewerber. Der Unterschied beträgt je nach Schätzung 0,30 bis 0,40 Prozentpunkte.
Doch die beiden haben auch ein gewaltiges Risiko. Sie reichen langfristige Kredite aus und finanzieren sich selbst günstiger über kürzere Laufzeiten. Solange die Zinsen sinken, ist das kein Problem - anders bei steigenden Zinsen. Um sich gegen dieses Risiko abzusichern, setzen Fannie und Freddie Zins-Derivate ein. Bei Fannie etwa wuchs der Nominalwert für Derivate allein im vergangenen Jahr um 384 Milliarden Dollar auf 1041 Milliarden Dollar - nach Schätzungen rund 5 Prozent des Gesamtmarktes.
Fannie und Freddie zählen inzwischen zu den größten Akteuren im Derivatemarkt. Derivate - gemeint sind hier Futures und Optionen - sind Finanzinstrumente, mit denen sich Marktteilnehmer gegen Risiken absichern. Für die Kontrakte muss es immer auch einen Vertragspartner geben. Gegenparts von Fannie Mae und Freddie Mac sind internationale Großbanken: JP Morgan, Bank of America und Citigroup. Auch die Deutsche Bank gehört zu den großen Playern. „Weil sie bei den beiden öffentlich-rechtlichen Instituten von einer Staatsgarantie ausgehen, stellen die Banken keine Sicherheiten bei diesen Kontrakten, wie sie es bei privaten Gegenparts tun würden“, sagt Bert Ely, ein langjähriger Kritiker von Fannie und Freddie. Ely - der für sich in Anspruch nimmt, die amerikanische Sparkassenkrise von 1980 vorhergesagt zu haben, die den US-Steuerzahler rund 175 Milliarden Dollar kostete - hält das System grundsätzlich für fehlerhaft.
Mit Sorge beobachten Experten auch die Konzentration auf eine Hand voll Mitspielern. Patrick Parkinson, stellvertretender Direktor der Abteilung Analyse und Statistik der US-Notenbank, zeigte sich auf einer Branchenkonferenz in Chicago Ende März besorgt über das wachsende Risiko, das die Großbanken akzeptieren. Er fragte sich öffentlich, wie der Markt reagieren würde, sollte einer der Beteiligten in Schwierigkeiten geraten. Freddie-Mac-Sprecher Douglas Robinson wiegelt ab. „Wir haben unsere Derivate-Gegenparts ständig auf dem Kontrollmonitor“, sagte er. Die Skeptiker bezweifeln, dass das wirklich ausreicht. „Alles hängt davon ab, dass die Risikomanager bei Fannie und Freddie immer richtig liegen“, warnt Alan Greenspan. Er fordert deshalb, die Kapitalmindesteinlage bei Fannie und Freddie hochzusetzen und so deren Wachstum zu bremsen.
Denn fällt nur ein Stein in dem hoch komplexen Zusammenspiel, könnte das einen Dominoeffekt auslösen, der das internationale Finanzsystem nachhaltig erschüttert. Die Bonds öffentlich-rechtlicher US-Institute - von denen Freddie und Fannie den größten Teil darstellen - sind bei Zentralbanken und privaten Kreditinstituten weltweit beliebt und werden wie Staatspapiere behandelt. Im Januar floss von den 100 Milliarden Dollar an ausländischem Kapital, das in den USA investiert wurde, rund ein Viertel in die öffentlich-rechtlichen Anleihen. Wie groß das deutsche Engagement insgesamt ist, lässt sich mangels statistischer Erfassung und wegen der Geheimhaltungspflicht der Zentralbanken kaum erfassen. Freddie Mac reichte nach eigenen Angaben allein im Jahr 2000 von Bonds in Höhe von 45 Milliarden Euro rund 7 Prozent an deutsche Investoren aus. Rund 9 Prozent der 35 Milliarden Dollarbonds desselben Jahres gingen ebenfalls nach Deutschland. Seither hat sich der Schuldenberg der beiden Institute rasant vermehrt.
In unguter Erinnerung ist die Krise, die der Zusammenbruch des als absolut krisensicher geltenden Hedgefonds Long-Term Capital Management 1998 auslöste. LTC hatte sich auf dem Derivatemarkt verspekuliert. Über Nacht mussten Zentralbanken und private Kreditinstitute Milliarden in das Finanzsystem pumpen, um dessen Kollaps zu vermeiden. Marktteilnehmer betonen zwar, dass sich die Verhältnisse seither verändert hätten. Die Beteiligten am Derivatemarkt hätten viel mehr Erfahrungen und Kenntnisse. Auch die komplexen Vorgänge bei Freddie und Fannie schrecken sie nicht mehr. „Negative Schlagzeilen lösen zwar weiterhin eine Zinsreaktion aus, aber der Markt ist viel stabiler geworden, weil die Teilnehmer mehr über die beiden Institute wissen als noch ein oder zwei Jahre zuvor“, sagt James Rhodes, der zuständige Anleihe-Analyst bei ABN Amro. Auch die Rating-Agenturen sehen keinerlei Grund zur Beunruhigung. „Die Institute verfügen über ein exzellentes Geschäftsmodell“, lobt John Kriz, Analyst bei Moody’s. Die Agentur hat ein „triple A“ an die beiden vergeben, die beste Bonitätsbewertung für Banken. Zwar geht auch Kriz davon aus, dass im Zweifel der amerikanische Staat einspringen würde. Aber er ist auch so überzeugt, dass Fannie und Freddie „sound and safe“ - sicher und stabil - und gut gemanaged sind. Freddie-Sprecher Robinson beruhigt, sein Institut sei ausgelegt, eine zehnjährige Depression überstehen zu können.
Doch obwohl Wirtschaftsfachleute wie Notenbankchef Alan Greenspan für mehr Kontrolle von Fannie und Freddy plädieren, wird sich wohl auf absehbare Zeit nicht viel ändern. „Alle sechs Sekunden übernehmen wir eine Hypothek“, prahlt Freddie Mac auf der Internet-Seite. Ihnen sei es zu verdanken, dass 58 Millionen Amerikaner ein eigenes Heim hätten, behauptet Fannie Mae. Die Botschaft verbreiten sie in rührenden TV-Spots. Für Politiker ist es ein glattes Parkett. Wer will sich schon dafür stark machen, dass Hypotheken eigentlich teurer sein sollten? In einem Wahljahr ist das so wahrscheinlich wie ein Plädoyer für höhere Benzinpreise. Erik Eisenstein, Analyst bei der Rating-Agentur Standard and Poor’s, geht deshalb auch nicht von grundlegenden Änderungen aus. „Letztlich würden sie gegen den amerikanischem Traum stimmen“, sagt er. „Und wer will das schon?“
|