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23.04.2004
Titel
Winfried Wolf
Kapitaler Schrott
Desaster für Hersteller Siemens und Käufer: Weltweit meistverkaufte Straßenbahn Combino vor dem Aus
Bis zum kommenden Freitag findet in Dresden die 7. Stadtbahnkonferenz statt. Das Programm handelt zwar fast ausschließlich von »modernen Straßenbahnsystemen«, doch der Weltmarktführer auf diesem Gebiet, die Siemens-Niederflurstraßenbahn Combino, bleibt - dank kurzfristiger Programmänderungen - komplett unerwähnt. Im Programm werden auch mehr als ein Dutzend Beispielstädte mit »modernen Stadtbahnsystemen« genannt und mit »workshops« bedacht. Doch in Polen wird nicht Poznan, sondern Lodz, in der Schweiz wird nicht Basel, sondern Zürich, in den Niederlanden wird nicht Amsterdam, sondern Den Haag, in der BRD werden nicht Nordhausen, Potsdam, Erfurt, Freiburg, Düsseldorf, Ulm, Augsburg oder Potsdam, sondern Dresden, Stuttgart und Köln als vorzeigbar angeführt. Die genannten anderen Städte, allesamt Combino-Nutzer, bleiben verschämt ausgespart.
Tatsächlich scheint sich zu bestätigen, was in dieser Zeitung seit Wochen als wahrscheinlich bezeichnet wurde: Das weltweit am meisten verkaufte Niederflur-Straßenbahnmodell der letzten acht Jahre, die Siemens-Tram Combino, wird nicht weiter produziert. Die bereits ausgelieferten rund 550 Combino-Bahnen werden voraussichtlich in den nächsten Monaten vom Markt genommen. Aus Siemens-Kreisen wurde bekannt, daß die Straßenbahn-Fertigung in Krefeld eingestellt und die Reparatur vom Combinos, soweit es dazu noch kommt, nach Prag verlegt wird. Dadurch sind in Krefeld kurzfristig 500 Arbeitsplätze bedroht. Weiter sickerte durch, daß Siemens 1 200 zusätzliche Arbeitsplätze im Schienenfahrzeugbau-Bereich abbaut. Offiziell wird hierfür die Sparpolitik der Bundesregierung bzw. der Deutschen Bahn AG verantwortlich gemacht. Tatsächlich sind dies auch Fernwirkungen der Siemens-Desaster beim Combino und beim neuen Diesel-ICE, der im Dezember 2003 vom Markt genommen werden mußte.
Auch fünf Wochen nach dem Rückruf aller Combino mit Laufleistungen ab 120 000 Kilometer, kann Siemens den betroffenen Stadtwerken keine überzeugende Lösung dafür anbieten, wie die instabilen Wagenkasten so umgerüstet werden, daß eine ausreichende Sicherheit im Alltagsbetrieb gewährleistet ist. Der der Combino-Bruchlandung angerichtete Schaden dürfte sich allein beim Siemens-Konzern auf mehr als eine Milliarde Euro beziffern. Die Schäden, die den Stadtwerken u.a. durch Tram-Ausfälle und neuen Kosten für Ersatzlösungen entstehen, könnten sich in vergleichbarer Höhe bewegen. Der Image-Schaden, den der öffentliche Verkehr erleidet, ist in Euro-Beträgen nicht bezifferbar.
Besucht man die Siemens-Homepage zum Thema Combino, dann findet sich dort unter dem Stichwort »Wirtschaftlichkeit« eine Teilerklärung für das Desaster: »Wo immer möglich haben wir das Gewicht radikal verringert, denn jedes Kilogramm weniger senkt den Energieverbrauch«. Tatsachen sind: Die Festigkeit der geschraubten Aluminiumkonstruktion ist unzureichend. Diese wurde von vornherein nach einer »falschen Norm« berechnet und der Combino auf dieser Basis zugelassen.
Somit werden uns in dreifacher Weise traurige Lehren erteilt: Die konsequente Ausrichtung der Produktion nach dem maximalen Profit in kürzestmöglicher Zeit, auch: shareholder-value-Kapitalismus genannt, führt in besonderem Maße zu Fehlkonstruktionen. Globalisierung, Fertigung durch »global players« und die extreme Kapitalkonzentration - nur noch drei Tram-Anbieter weltweit - bedeuten auch, daß die Folgen solcher Alu-Schrott-Produktion weltweit spürbar sind.
Auch die Forderungen nach einem schlanken Staat und das finanzielle Aushungern der Kommunen sind maßgeblich dafür verantwortlich, daß die Aufsichtsbehörden einen völlig unausgereiften Tram-Prototypen zugelassen haben. Sie sind auch verantwortlich dafür, daß Vertreter von Stadtwerken aus Unerfahrenheit oder Beeinflußbarkeit dazu gebracht wurden, ein im Alltagsbetrieb nicht erprobtes Schienenfahrzeug in erheblichen Größenordnungen einzukaufen.
Schließlich lehrt das Beispiel, wie in einer von Ã-l, Auto und Flugzeug dominierten Wirtschaftswelt eine alternative, die Umwelt weniger belastende Verkehrsbranche wie der öffentliche Nahverkehr, in einem Maß in Verruf gebracht werden kann, wie es bei den dominierenden Verkehrsträgern kaum vorstellbar ist. Siemens und einzelne Verkehrsbetriebe wußten seit Jahren von erheblichen Mängeln des Combino. Während bei vergleichbaren Fällen im Bereich von Automobilwirtschaft und Flugzeugbau meist kurzfristig mit Rückrufaktionen reagiert wird, oder Produkte vom Mark genommen werden, wurde bei der Combino-Tram der Ã-ffentlichkeit acht Jahre lang ein X für ein U vorgemacht. So kam auch am Donnerstag von der Siemens-Pressestelle die Mitteilung, es werde demnächst ein umfassendes Programm zur Neukonstruktion der Combino präsentiert. Kurz: Es wird gelogen, daß sich das Aluminium biegt.
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