JoBar
30.05.2004, 21:27 |
"Weshalb man 300 Jahre [Mittelalter-]Geschichte nicht einfach erfinden kann" Thread gesperrt |
-->Einige Anmerkungen dazu gibt es hier http://www.dike.de/pfr-tischner/33-gesch/versch/ht-illig.htm
Weshalb man 300 Jahre Geschichte nicht einfach erfinden kann
Thesen gegen Heribert Illig
von Heinrich Tischner
I. Erfindung eines Zeitalters kaum vorstellbar
Es ist kaum denkbar, dass alle bekannten Schriften aus der Karolingerzeit innerhalb weniger Jahre"erfunden" wurden. Das beträfe ja nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa. Es hätten also auch sämtliche französischen, italienischen, päpstlichen, englischen, dänischen, arabischen, byzantinischen Dokumente gefälscht werden und die entsprechenden Geschichtsdaten, Herrschernamen, Kriege usw. erfunden und auf einander abgestimmt werden müssen, und das ist noch weniger vorstellbar. Man kann sich notfalls ausmalen, dass Otto I. die Macht hatte, deutsche falsche Dokumente ausstellen zu lassen. Aber auch ausländische?
1. Die sprachliche Entwicklung hat Zeit gebraucht
Es gibt eine ganze Menge altdeutscher Literatur aus der Karolingerzeit, die eine Entwicklung der deutschen Sprache seit etwa 800 dokumentiert.
a. Das Spätalthochdeutsche zur Zeit Ottos I. unterscheidet sich doch sehr von den ältesten Aufzeichnungen. Zudem ist die alte Sprache auch noch stark in regionale Dialekte gefächert; man kann genau zwischen fränkischen, alemannischen, bayrischen, niedersächsischen Texten unterscheiden. So etwas kann man nicht erfinden. Es wäre auch sehr viel einfacher gewesen, alles auf lateinisch zu schreiben, wie im 9er Jahrhundert üblich.
b. Die Masse der altdeutschen Literatur enthält nicht historische, sondern religiöse, wissenschaftliche, folkloristische und schöngeistige Texte, deren Sprache sich deutlich von den spärlichen Resten aus der Zeit Ottos I. unterscheidet, in der hauptsächlich lateinisch geschrieben wurde. Weshalb hätten sich die Schreiber dieser Zeit die Mühe machen sollen, alle diese Schriften in einer antiquierten Sprache zu erdichten?
c. Auch in den lateinischen Schriften der Karolingerzeit, z.B. Einhard, Lorscher Codex, stehen althochdeutsche Wörter und eine Menge von Namen, die dem jeweiligen sprachlichen Stand entsprechen, den wir aus den deutschen Werken kennen, z.B. Lauresham, Raureheim in den ältesten Dokumenten neben dem jüngeren Lorse, Roreheim, älteres Hluodwicus neben jüngeren Ludowicus.
Im Lorscher Codex steht an vielen Stellen der Name Heimerich, der zweifellos die Vorform von Heinrich, Henricus ist, wie in den Quellen zur Zeit Ottos I. zu lesen ist.
d. Die ältesten Sprachdenkmäler sowohl der deutschen als auch der französischen Sprache sind die Straßburger Eide von 840 mit lateinischem Begleittext. Der deutsche Text ist gehalten in der damaligen rheinfränkischen bzw. südhessischen Mundart, die nur bei den Karolingern offizielle Amtssprache war. Unter den sächsischen Königen wäre das undenkbar gewesen, wohl aber zu einer Zeit, in der die Könige Franken, vielleicht sogar wie der Staatssekretär Einhard Rheinfranken waren. Wie kommt ein Fälscher darauf, so ein altertümliches Dokument statt auf lateinisch auch noch in einem antiquierten und später unbedeutenden deutschen Dialekt und zusätzlich auf Altfranzösisch wiederzugeben?
e. Die lateinische Sprache der Merowingerzeit war sehr verwildert (z. B. Gregor von Tours). Lateinische Texte zur Zeit Ottos I. sind wieder dem klassischen Latein angepasst. Wie kommt das? Zur Zeit Karls d. Gr. hat man sich sehr um klassische Bildung und ein gepflegtes Latein bemüht und dafür den angelsächsischen Gelehrten Alkuin nach Aachen geholt. Der Kaiser soll Mitglied eines literarischen Zirkels gewesen sein, in dem man Latein sprach und sich mit lateinischen Spitznamen titulierte. In Aachen wurde der Text der lateinischen Bibel revidiert und zum Standard gemacht. Eine besondere Schreibschrift, die"karolingische Minuskel" wurde nach angelsächsischen Vorlagen kreiert. Sie sind Vorbild für unsere heutigen Kleinbuchstaben. Die damalige"karolingische Renaissance" hat das gesamte Mittelalter geprägt. Da muss doch was zwischen den Merowingern und den Ottonen gewesen sein! Verwildern tut eine Kultur von selbst, aber zum Veredeln braucht man Zeit und Energie.
f. Karl d. Gr. hat die"Volkssprachen" Deutsch und Französisch gefördert und z. B. angeordnet, dass die alten volkssprachlichen Lieder gesammelt wurden. Sein Sohn Ludwig der Fromme hat dieses heidnische Zeug wieder vernichten lassen.
Nun sind ja verschwundene Dokumente keine Argumente. Vertreter obskurer Theorien berufen sich mit Vorliebe auf solche Beweisstücke, die es noch 1794 gab, dann aber leider, leider verschwunden sind. Ein Pluspunkt für Illig? Nein, eins der alten Lieder hat die Vernichtung überlebt, das Hildebrandslied in einer Kunstform, die zur Zeit Ottos I. längst außer Mode war: dem Stabreim.
2. Und das Zubehör?
Es ist unmöglich, eine ganze Epoche mit allem Zubehör zu erfinden. Beispiele:
a. Man hätte dann auch die gesamte Lebensgeschichte von Bonifatius (Zeit Karl Martells) samt allen Ausstellungsstücken in Fulda (Kopfreliquie, beschädigtes Buch) erfinden müssen. Das ließe sich vielleicht noch machen. Aber warum sollte der Fälscher auf den Gedanken kommen, in den lateinischen Bonifatiusbriefen deutsche Namen"englisch" zu schreiben (z. B. Raedbodus statt Radbodus, wie sonst üblich)?
b. Wäre es denkbar, dass im Auftrag des sächsischen Kaisers Otto I. eine fingierte Geschichte von dem Sachsenkrieg und der Zwangsbekehrung dieses Volkes geschrieben worden wäre?
Der Sachsenherzog Widukind war in den Augen Einhards ein Bösewicht - die Niedersachsen sind heute noch stolz auf ihn. Was hätte man 200 Jahre später unter einem sächsischen Kaiser für einen Grund gehabt, Widukind zu erfinden und zum Bösewicht zu stempeln?
c. Laut Einhard wohnten damals zwischen Theiß und Donau die Awaren (Nachfolger der Hunnen). Otto I. hatte es aber 955 mit den Ungarn zu tun, die inzwischen dort eingefallen waren. Wie kommt der Geschichtsfälscher auf die Awaren mit ihrem türkischen Königstitel Caganus = türkisch hakan? Er hätte die Awaren ja erfinden können; aber woher konnte er türkisch?
d. Der Sieg Karl Martells über die Araber (732, und wenn's auch nur eine arabische Streifschar war), passt gut in die Geschichte der arabischen Expansion: 632 Mohammeds Tod, Expansion nach Osten, 705 Beginn der Expansion nach Westen, 711 Eroberung der iberischen Halbinsel. Wurde die arabische Geschichte auch frisiert?
e. Karl der Große musste sich mit dänischen Wikingern (König Gottfried) auseinandersetzen. Otto I. und seine Vorgänger hatten andere Sorgen (Slawen, Ungarn). Die Wikinger treten erstmals 793 mit dem Überfall auf das Kloster Lindisfarne in England in Erscheinung (= Zeit Karls d. Gr.) Ist die englische Geschichte auch gefälscht?
3. karolingische Bauwerke
Ich bezweifle, dass es in Westeuropa so wenige karolingische Bauwerke gibt. Ich verstehe nicht viel davon, kenne aber mindestens außer dem Aachener Dom: die Reste der Ingelheimer Pfalz, den Zullestein und die Einhardsbasilika in Steinbach. Die Seligenstädter Abtei wurde von Einhard gegründet, dann aber durch Umbauten völlig verändert, so dass von der ursprünglichen Anlage kaum noch etwas zu erkennen ist - das trifft wohl für viele alte Gebäude zu. In der Klosterkirche Corvey gibt es Reste einer karolingischen Wandmalerei. Das Kloster Lorsch selbst wurde von Pippin gestiftet, auch wenn davon nichts mehr erhalten ist. Die Lorscher Torhalle soll ein Versuch sein, die italienische Baukunst in die deutsche Formensprache zu übersetzen (imitiertes Fachwerk aus Stein).
In der Kirche in Fränkisch-Crumbach (Odenwald) steht ein exotisches Tischchen, im Volksmund"Türkentrommel" genannt, in perfekter Schreinerarbeit ohne erkennbaren Vorlagen, aber auch ohne dass die Volkskunst eine Nachahmung versucht hätte. Kein Wunder, die"Türkentrommel" ist Kriegsbeute aus den Türkenkriegen! - Wenn der Aachener Dom von ausländischen (z. B. byzantinischen) Spezialisten gebaut worden wäre, bräuchte man sich nicht zu wundern, wenn es nichts Vergleichbares gäbe. Aber dazu weiß ich zu wenig.
Nach Meinung von Fachleuten hat sich die romanische Baukunst aus der karolingischen entwickelt, wie an der Steinbacher Einhardsbasilika deutlich zu erkennen ist.
4. karolingische Münzen
Illig behauptet, es hätten sich kaum karolingische Münzen erhalten, und bezweifelt, dass man ein so großes Reich mit so wenig Geld regieren konnte. Von Münzen verstehe ich nicht viel.
a. Dahinter steht ein wissenschaftliches Grundsatzproblem: Mein Urteilsvermögen, das was ich für möglich oder unmöglich halte, ist überhaupt nicht maßgeblich. Ich kann nicht ahnen, wozu Menschen früherer Zeiten fähig waren oder nicht. Ich kann z. B. aus Münzfunden schließen, dass Herrscher A Geld hatte, nicht aber aus fehlenden Funden, dass Herrscher B keins hatte. Vielleicht hat man nur noch nichts gefunden; vielleicht gab es unter C Mangel an Edelmetallen, so dass er die Münzen seines Vorgängers einschmelzen oder umprägen musste. Spätere Archäologen werden auch kaum beweisen können, dass es die D-Mark gab.
Die Zeugen Jehovas behaupten, das Kreuz Jesu habe keinen Querbalken gehabt. Beweis: Es sei doch viel einfacher und billiger gewesen, nur einen einfachen Pfahl zu benutzen. Warum haben sich die Römer überhaupt die Mühe gemacht, Verbrecher zu kreuzigen? Enthaupten oder Erstechen wäre viel billiger gewesen.
Kirchliche Forscher behaupten, der in ausgezeichnetem Griechisch verfasste Jakobusbrief der Bibel könne nicht von dem Bruder Jesu stammen, weil der wohl nicht so gut griechisch konnte. Wer maßt sich da an, die sprachlichen Fähigkeiten des Jakobus zu beurteilen? Dann kann man auch bezweifeln, dass Faust II von Goethe ist. Denn die Frankfurter sprechen anders - schon vor 200 Jahren.
Woher will man das alles wissen? Ich bin solchen Argumenten gegenüber sehr skeptisch.
b. Die Wirtschaft des frühen Mittelalters war hauptsächlich Naturalwirtschaft. Beamte bekamen als Besoldung einen Gutshof zugewiesen. Die Steuern wurden hauptsächlich in Naturalien abgeliefert. Da brauchte man wohl nicht so viel Bargeld, wie man heute meint.
5. Fälschungen?
Fälschungen waren im Altertum und Mittelalter gar nicht selten und es hat nicht erst die Kunst moderner Forscher bedurft, um den Betrug zu entlarven.
a. Es gibt z.B. viel mehr Evangelien und Apostelbriefe, als in der Bibel stehen. Sie kamen nicht in die Bibel, weil die Gelehrten schon in der Frühzeit der Kirche erkannten, dass es sich um Fälschungen handelte.
b. Was anderes ist es wohl mit Urkunden, die irgendwelche Rechte beweisen sollen. Da hatten die Fälscher eine starke Lobby mit handfesten Interessen im Rückhalt, so dass etwaige kritische Stimmen kein Gehör fanden.
Wer sollte aber von einer so umfassenden Geschichtsfälschung wie der Erfindung der Karolinger Nutzen gezogen haben? Es ist ja auch viel einfacher, ein einzelnes Dokument zu erfinden, aus dem hervorgeht, dass ich von einem Prominenten der Vergangenheit mit einem Besitztum und bestimmten Rechten ausgestattet wurde.
c. Schon die alten Ägypter haben Geschichtsdokumente gefälscht, um z. B. die Erinnerungen an peinliche Zeiten wie die Fremdherrschaft der Hyksos oder unliebsame Pharaonen wie Hatschepsut und Echnaton zu tilgen. Das lässt sich verstehen. Aber was sollte es für einen Grund geben, eine glorreiche Vergangenheit zu erfinden? Die Zeit Ottos d. Gr. war doch glorreich genug. Wenn Otto sein Reich aus dem Nichts aufgebaut hätte, hätte das doch nur seinen Ruhm vermehrt. Was hätte es ihm gebracht, zu behaupten, er sei nur ein Epigone, der Nachfolger eines Herrschers, der sein Volk unterjocht hatte?
d. Das Thema Geschichtsfälschung ist heute noch aktuell, wenn es z.B. um das 3. Reich geht. Die Generation meiner Eltern hatte erst gelernt, das dritte Reich sei gut. Dann hat man ihnen gesagt, es sei böse gewesen. Ich befürchte, dass unser heutiges Geschichtsbild ein bisschen schief ist, weil kaum jemand unvoreingenommen über diese Zeit schreiben kann. Aber es hat niemand Hitler erfunden und keiner versucht, ihn wegzuretuschieren. Es ging allein um die Frage, wie er und seine Politik zu bewerten sind.
Andererseits geht heute das Gerücht von der"Auschwitzlüge" um. Es gibt Leute, die können das immer noch nicht glauben und meinen, man habe dem geliebten Führer da was angehängt, um ihn unmöglich zu machen.
Auch dieses Motiv kann ich verstehen, siehe alte Ägypter. Ich sehe aber immer noch keinen Sinn darin, mit großem Aufwand eine ganze Geschichtsepoche mit zugehörigen Hinterlassenschaften zu erfinden.
II. Methodische Bedenken
1. Fälschungen?
Es ist ein sehr bedenkliches Argument: Alles, was mir nicht passt, ist eine Fälschung. Ob ein Dokument gefälscht ist, muss von Fall zu Fall geprüft werden. Das dürfte schwierig sein.
2. Illig sucht Beweise für eine fixe Idee
Illig geht von einer Hypothese auf: Das"dunkle Zeitalter" der Karolinger hat es nicht gegeben, sondern wurde erfunden. Diese Hypothese versucht er in seinem Buch mit eine Fülle von Argumenten zu beweisen, denen wohl auch ein Fachmann kaum folgen kann.
Das ist keine wissenschaftliche Methode, denn in der Wissenschaft steht nicht die Hypothese am Anfang, sondern die Untersuchung. Dabei muss der Forscher freilich von zunächst unbewiesenen Vermutungen ausgehen. Aber er wird nicht alles dran setzen, für eine einmal gefasste Meinung immer wieder neue Beweise zu suchen, sondern er wird seine vorläufige Arbeitshypothese im Laufe seiner Arbeit entweder bestätigt finden, modifizieren oder wieder aufgeben. Die am Ende gefundene Hypothese versucht die Untersuchungsergebnisse zu erklären. Andere Forscher deuten die Ergebnisse anders; man disputiert darüber und gelangt schließlich zu einer Erklärung, die alle bisherigen Fragen beantwortet.
Beispiel: das heliozentrische Weltbild: Die alte geozentrische Hypothese konnte die Bewegung der Planeten nur unvollkommen berechnen. Bessere Ergebnisse brachte die Hypothese, dass sich die Planeten in einer Kreisbahn um die Sonne bewegten. Aber erst, als man von elliptischen Bahnen ausging, war eine fehlerlose Berechnung möglich.
Eine neue Hypothese wie die"Erfindung der Karolinger" kann also nur das Ergebnis sorgfältiger Recherchen und nicht die Grundlage für eine Beweissuche sein, wie es Illig macht. Eine neue Hypothese muss außerdem alle bisher bekannten Fakten schlüssig erklären. Illig tut das aber nicht, sondern er führt ein Sammelsurium von Beweisen für seine Meinung auf, ohne den Leser erkennen zu lassen, dass es ja vielleicht auch andere Fakten gibt, die Illig entweder verschweigt, nicht kennt oder nicht wahrhaben will. So versucht er seine Behauptung zu stützen, aus der Karolingerzeit seien keine historischen Quellen bekannt, indem er diejenigen, die er kennt, kurzerhand für unecht erklärt (z.B. Einhard). Die gesamte andere Literatur dieser Zeit dagegen ignoriert er.
3. Illig sagt nicht, wie die Geschichte wirklich abgelaufen ist
Illig stellt das bisherige Geschichtsbild in Frage, bleibt aber dem Leser die Antwort schuldig, wie denn seiner Meinung nach die Geschichte ohne die Karolinger abgelaufen sein müsste: Waren die sächsischen Kaiser unmittelbare Nachfolger der Merowinger? Wie müsste dann eine Zeittafel aussehen? Haben Jesus und Augustus 300 Jahre"n. Chr." gelebt? Wie verhält sich die deutsche Geschichte zur allgemeinen Weltgeschichte?
Beispiel: Einhard nennt in seiner Biographie Karls d. Gr. ausländische Herrscher aus Byzanz (Nikephoros I, Michael I., Leo), Bagdad (Harun ar-Raschid), England (ohne Namen), Dänemark (Gottfried) und Spanien (Alfons II.), mit denen Karl korrespondiert habe. Die müssten doch wenigstens zum Teil auch in den ausländischen Quellen auftauchen.
4. Wie zuverlässig sind die Quellen?
a. Illig überschätzt die historische Zuverlässigkeit von Quellen überhaupt. Es stimmen ja auch moderne Dokumente nicht immer (z.B. Berichte von Veranstaltungen in der Zeitung).
b. Er überschätzt die historische Zuverlässigkeit von Augenzeugen, z.B. Einhard. Augenzeugen berichten aus der Erinnerung und haben das Recht sich zu irren. Ein Historiker recherchiert aus Quellen und wehe, wenn er sich irrt oder etwas übersieht!
Aktuell: 28.02.2004
--------------------------------------------
Wollen wir mal hoffen, daß das kein Gründe zum gekränkt sein abgibt [img][/img]
J.
|
nereus
31.05.2004, 10:31
@ JoBar
|
Re:"Weshalb man 300 Jahre.. Geschichte nicht einfach erfinden kann" - JoBar |
-->Hallo JoBar!
Das ist ein sehr interessanter Artikel. Dieses Thema wurde hier ausgiebig zwischen dottore und dimi diskutiert, ohne, wenn ich mich recht erinnere, zu einem abschließenden Resultat zu gelangen.
Dottore tendierte zur Fälschungstheorie und dimi hatte ein paar Probleme mit Illigs Thesen.
Zum Thema selbst kann ich nur wenig beitragen.
Beachtenswert fand ich u.a. einige Textstellen.
Mein Urteilsvermögen, das was ich für möglich oder unmöglich halte, ist überhaupt nicht maßgeblich. Ich kann nicht ahnen, wozu Menschen früherer Zeiten fähig waren oder nicht. Ich kann z. B. aus Münzfunden schließen, dass Herrscher A Geld hatte, nicht aber aus fehlenden Funden, dass Herrscher B keins hatte. Vielleicht hat man nur noch nichts gefunden; vielleicht gab es unter C Mangel an Edelmetallen, so dass er die Münzen seines Vorgängers einschmelzen oder umprägen musste. Spätere Archäologen werden auch kaum beweisen können, dass es die D-Mark gab.
oder
Kirchliche Forscher behaupten, der in ausgezeichnetem Griechisch verfasste Jakobusbrief der Bibel könne nicht von dem Bruder Jesu stammen, weil der wohl nicht so gut griechisch konnte. Wer maßt sich da an, die sprachlichen Fähigkeiten des Jakobus zu beurteilen?
oder
Das Thema Geschichtsfälschung ist heute noch aktuell, wenn es z.B. um das 3. Reich geht. Die Generation meiner Eltern hatte erst gelernt, das dritte Reich sei gut. Dann hat man ihnen gesagt, es sei böse gewesen. Ich befürchte, dass unser heutiges Geschichtsbild ein bisschen schief ist, weil kaum jemand unvoreingenommen über diese Zeit schreiben kann. Aber es hat niemand Hitler erfunden und keiner versucht, ihn wegzuretuschieren. Es ging allein um die Frage, wie er und seine Politik zu bewerten sind.
Schade, daß Herr Tischner dies nur behauptet und nicht zu beweisen versucht. Das wäre doch wirklich mal eine Untersuchung wert.
Warum kann z.B. niemand unvoreingenommen über diese Zeit schreiben?
Andererseits geht heute das Gerücht von der"Auschwitzlüge" um. Es gibt Leute, die können das immer noch nicht glauben und meinen, man habe dem geliebten Führer da was angehängt, um ihn unmöglich zu machen.
Was heißt hier Auschwitzlüge? Behauptet etwa jemand allen Ernstes das Konzentrationslager Auschwitz hätte es nicht gegeben? Wer sagt den so etwas?
Oder versucht hier jemand die Dinge bewußt falsch zu interpretieren, um berechtigte Kritik an der sagenumwobenen Zahlenakrobatik in Millionenhöhe in die Idiotenecke zu manövrieren.
Wenn die Totenzahlen schon dramatisch nach unten korrigiert werden, was eigentlich Anlaß zur Freude sein müßte, dann hat gefälligst eine Erklärung zu erfolgen, warum man sich zu dieser Korrektur veranlaßt sieht.
Und wenn man sich des Verdachtes der politischen Willfährigkeit entledigen will, hat dies selbstredend unter streng wissenschaftlich anerkannten Kriterien zu erfolgen.
Was für die Karolinger vor 1.200 Jahren recht scheint, kann für Ereignisse vor einem guten halben Jahrhundert ganz sicher nur billig sein.
Andernfalls könnte man glatt auf die Idee kommen, daß Dokumentenfälschung noch immer ein beliebtes Instrument der Mächtigen sei.
Das wollen wir doch nicht wirklich glauben - wir, die Bürger im freiesten und demokratischsten Deutschland aller Zeiten.
Fälschungen sind nur Willkürakte von Diktatoren und Potentaten. [img][/img]
mfG
nereus
|
JoBar
31.05.2004, 14:36
@ JoBar
|
Überblick über"Das erfundene Mittelalter" -und gnadenlose Verrisse in Wikipädia |
-->Einfach hier klicken http://de.wikipedia.org/wiki/Erfundenes_Mittelalter
Die unten aufgeführten Weblinks sind interessant
J.
PS Arabische Märchen? [img][/img]
aus http://www.stern.de/politik/historie/?id=504041&p=2&nv=ct_cb&eid=503823
...
Wahrscheinlich im Jahr 800 schickt Harun al-Raschid zwei Gesandte zu Karl dem Großen. Sie sollen ausloten, wie weit das Reich der Franken als Verbündeter gegen die Byzantiner in Konstantinopel zu gebrauchen ist. Die konkreten Ergebnisse sind mager. Doch der Elefant Abu l?Abbas, den Harun al-Raschid Kaiser Karl nach Aachen schickt, beeindruckt die Franken zutiefst. Der Dickhäuter überlebt im nasskalten Norden immerhin bis 810.
...
PPS Und noch ein bißchen Bezug zur Gegenwart, ebenda:
...
Luxus und Verschwendung am Hofe zu Bagdad haben ihren Preis. Die Kalifen müssen immer höhere Steuern einfordern. Obwohl ihr Kernland Mesopotamien fruchtbar und wohlhabend ist, verarmt der Mittelstand. Unruhen und Aufstände vor allem in den Randprovinzen sind die Folge. Die Armeen Haruns, die mehr und mehr aus persischen oder türkischen Söldnern bestehen, schlagen zwar alle Revolten nieder. Doch der Einfluss des Militärs auf die Staatsgeschäfte steigt schon zu Lebzeiten Haruns bedenklich.
...
Fünfzig Jahre später sind die Kalifen von den Militärs faktisch entmachtet. Fortan haben die starken Männer aus persischen oder türkischen Geschlechtern, die sich auf ein treu ergebenes Heer stützen können, das Sagen. Der Kalif ist nur noch religiöse Autorität - nützliche Galionsfigur für die Einheit der muslimischen Welt. Im 10. Jahrhundert übernimmt eine schiitische Generals-Clique die Macht, doch auch sie behält das sunnitische Kalifat als Aushängeschild bei.
...
|
JoBar
31.05.2004, 14:47
@ nereus
|
Re: Geschichte nicht einfach erfinden kann" - nereus: Habe noch nachgefaßt |
-->>Das ist ein sehr interessanter Artikel. Dieses Thema wurde hier ausgiebig zwischen dottore und dimi diskutiert, ohne, wenn ich mich recht erinnere, zu einem abschließenden Resultat zu gelangen.
>Dottore tendierte zur Fälschungstheorie und dimi hatte ein paar Probleme mit Illigs Thesen.
Der Zeitsprüngler Kuchen ist gegessen [img][/img]
Wenn es Dich interessiert, dann folge dem Link zu Wikipädia
> Das Thema Geschichtsfälschung ist heute noch aktuell, wenn es z.B. um das 3. Reich geht. Die Generation meiner Eltern hatte erst gelernt, das dritte Reich sei gut. Dann hat man ihnen gesagt, es sei böse gewesen. Ich befürchte, dass unser heutiges Geschichtsbild ein bisschen schief ist, weil kaum jemand unvoreingenommen über diese Zeit schreiben kann. Aber es hat niemand Hitler erfunden und keiner versucht, ihn wegzuretuschieren. Es ging allein um die Frage, wie er und seine Politik zu bewerten sind.
...
>Warum kann z.B. niemand unvoreingenommen über diese Zeit schreiben?
...
>Was für die Karolinger vor 1.200 Jahren recht scheint, kann für Ereignisse vor einem guten halben Jahrhundert ganz sicher nur billig sein.
>Andernfalls könnte man glatt auf die Idee kommen, daß Dokumentenfälschung noch immer ein beliebtes Instrument der Mächtigen sei.
...
>Fälschungen sind nur Willkürakte von Diktatoren und Potentaten.
Das ist aber eine ganz andere Hochzeit! Noch zudem ganz hautnah. Und es werden vitale Interessen der heute Herrschenden berührt. Also Obacht!
Und Du weißt doch: Sieger schreiben"die" Geschichte.
Vorsichtige Grüße
J.
|
Euklid
31.05.2004, 15:03
@ JoBar
|
Offener Brief an Illig |
-->daß seine Annahmen hochwahrscheinlich falsch sind.
http://www.aryabhata.de/illig/obrief.html
Gruß EUKLID
|
LeCoquinus
31.05.2004, 17:10
@ Euklid
|
Boah! Der Gegenbeweis dürfte Illigs These das Genick brechen... (o.Text) |
-->
|
MattB
31.05.2004, 17:16
@ Euklid
|
Re: und Gegenrede Illigs... |
-->Es geht wohl um den Versuch, Illig mit astonomischen Ereignissen zu wiederlegen.
"Gegenrede" von Illig dazu:
http://www.lelarge.de/astromania.html
und hier:
http://www.lelarge.de/skeptiker.html
Ich glaube ich hatte neulich noch etwas gelesen, wonach Illig
mit Archäoastronomie nicht"beizukommen" ist; finde es aber gerade
nicht (mehr).
Bye
MattB
|
Euklid
31.05.2004, 17:46
@ LeCoquinus
|
Da gibts noch mehr aufzuarbeiten |
-->http://www.aryabhata.de/illig/nachtrag.html
Gruß EUKLID
|
Dimi
31.05.2004, 18:13
@ nereus
|
Re:"Weshalb man 300 Jahre.. Geschichte nicht einfach erfinden kann" - Nereus |
-->>Das ist ein sehr interessanter Artikel. Dieses Thema wurde hier ausgiebig zwischen dottore und dimi diskutiert, ohne, wenn ich mich recht erinnere, zu einem abschließenden Resultat zu gelangen.
>Dottore tendierte zur Fälschungstheorie und dimi hatte ein paar Probleme mit Illigs Thesen.
An was Du Dich erinnern kannst: Der Thread war 2001 (s.u.). Es ging übrigens nur um einen Einzelaspekt, ich hatte mich weder zustimmend noch ablehnend zur These Illigs geäußert.
Interessant ist sie allemal. Das Feld ist freilich umfangreich, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Aber bisher hat Illig recht gut argumentiert.
Gruß, Dimi
<ul> ~ http://f17.parsimony.net/forum30434/messages/87444.htm</ul>
|
bernor
31.05.2004, 19:11
@ JoBar
|
Re:"Weshalb man 300 Jahre [Mittelalter-]Geschichte nicht einfach erfinden kann" |
-->Hi,
Weshalb man 300 Jahre Geschichte nicht einfach erfinden kann
Thesen gegen Heribert Illig
von Heinrich Tischner
I. Erfindung eines Zeitalters kaum vorstellbar
Es ist kaum denkbar, dass alle bekannten Schriften aus der Karolingerzeit innerhalb weniger Jahre"erfunden" wurden. Das beträfe ja nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa. Es hätten also auch sämtliche französischen, italienischen, päpstlichen, englischen, dänischen, arabischen, byzantinischen Dokumente gefälscht werden und die entsprechenden Geschichtsdaten, Herrschernamen, Kriege usw. erfunden und auf einander abgestimmt werden müssen, und das ist noch weniger vorstellbar. Man kann sich notfalls ausmalen, dass Otto I. die Macht hatte, deutsche falsche Dokumente ausstellen zu lassen. Aber auch ausländische?
Die „Vielfalt“ der zu fälschenden Dokumente und der zu Beteiligenden relativiert sich, wenn man weiß, daß für die Austellung von Dokumenten damals ausschließlich Klöster „zuständig“ waren, weil nur dort das Lesen und Schreiben und damit ein Monopol beherrscht wurde.
Bauern und andere „Erwerbstätige“ hatten keine Zeit, sich so nebenbei mit im Vergleich zu heute mühseligen Schreibarbeiten zu beschäftigen. Das konnte jemand nur „hauptberuflich“ machen, d. h., wenn er von anderen Arbeiten freigestellt war - wie die Mönche eben (siehe auch die Mitwirkung von klösterlichen Notaren bei der Abfasung von Privatverträgen, z. B. in St. Gallen)
Damit wird auch klar, daß 1) ohne Mitwirkung der Kirche keine Fälschung möglich war und 2) nur durch die Mitwirkung der Kirche die notwendige „Diskretion“ gewährleistet werden konnte.
Damit reduzieren sich sich die für eine Fälschung notwendigen Initiatoren / Hauptbeteiligten auf wenige Institutionen und Personen (Kirche und Kaiser / Könige).
Im übrigen ging es bei der Fälschung zunächst und in erster Linie um die Schaffung eines zusätzlichen Zeitraums, in dem anschließend - individuell und damit gar nicht mehr koordinationsbedürftig - beliebig viele „Schenkungs“-Urkunden von „Karl dem Großen“ u. a. untergebracht (und echte Urkunden „breiter gestreut“) werden konnten. Eine Koordinierung"historischer" Abläufe der fiktiven Zeit hingegen hat gar nicht stattgefunden, wie an folgenden Beispielen ersichtlich ist:
1) Wo findet man in spanischen Quellen etwas über den angeblichen Feldzug „Karls des Großen“ nach Spanien?
2) Warum kennt die byzantinische Geschichte für die fragliche Zeit nur zwei fränkische Herrscher „Pippin“ und „Karl“? Sind damit vielleicht nur fränkische (machthabende) Hausmeier wie Pippin und Karl Martell gemeint? Oder sind diese Fiktion?
3) Wo oder wer ist in der arabische Geschichtsschreibung „Harun al-Raschid“?
Kurz gesagt: die jeweilige historische Entwicklung jener Zeit verlief, ganz im Gegensatz zu späteren Zeiten, solitär - ohne bi-/multilateral nachweisbare Beziehungen.
1. Die sprachliche Entwicklung hat Zeit gebraucht
Es gibt eine ganze Menge altdeutscher Literatur aus der Karolingerzeit, die eine Entwicklung der deutschen Sprache seit etwa 800 dokumentiert.
a. Das Spätalthochdeutsche zur Zeit Ottos I. unterscheidet sich doch sehr von den ältesten Aufzeichnungen. Zudem ist die alte Sprache auch noch stark in regionale Dialekte gefächert; man kann genau zwischen fränkischen, alemannischen, bayrischen, niedersächsischen Texten unterscheiden. So etwas kann man nicht erfinden. Es wäre auch sehr viel einfacher gewesen, alles auf lateinisch zu schreiben, wie im 9er Jahrhundert üblich.
b. Die Masse der altdeutschen Literatur enthält nicht historische, sondern religiöse, wissenschaftliche, folkloristische und schöngeistige Texte, deren Sprache sich deutlich von den spärlichen Resten aus der Zeit Ottos I. unterscheidet, in der hauptsächlich lateinisch geschrieben wurde. Weshalb hätten sich die Schreiber dieser Zeit die Mühe machen sollen, alle diese Schriften in einer antiquierten Sprache zu erdichten?
Hier liegt wohl ein Mißverständnis vor: Illig hat seine Fälschungsthese stets auf lateinisch geschriebene Urkunden bezogen. Die anderssprachigen Urkunden sind tatsächlich echt; hier stellt sich „nur“ die Frage der richtigen Datierung - da die heutige Anno-Domini-Jahreszählung erst ab dem Jahr 1000 regelmäßig aufkam, steht und fällt eine zuverlässige chronologische Einordnung der Urkundenregister mit der Echtheit von Bezugspersonen (z. B. Ludwig der Fromme) und deren zeitlichen Fixierung.
Zum Argument „Die sprachliche Entwicklung hat Zeit gebraucht“ nur dies:
Die Reinschriften der oben erwähnten St. Galler Urkunden über private Rechtsgeschäfte sind im Althdt. des 8./9. Jh., die sog. Vorakten (mit Anmerkungen zum Inhalt des jeweiligen Rechtsgeschäfts) dagegen in der ahdt. Sprache des 10./11. Jh. abgefaßt.
Daß die Vorakte, weil vermutlich umgangssprachlich abgefaßt, jünger erscheint als die eher im „antiquierten Stil“ verfaßte eigentliche Urkunde, ist nicht überraschend - eher schon, daß sie permanent rund 200 Jahre Sprachentwicklung vorwegnimmt...
Fazit: die Sprachentwicklung innerhalb des Althochdeutschen hat nur wenige Generationen lang gedauert - wie angesichts der „Dynamik“ infolge der Akzentverlagerung im vorangegangen Germanisch auch zu erwarten ist (Umlautung, Abschwächung von Vokalen in unbetonten Silben)
c. Auch in den lateinischen Schriften der Karolingerzeit, z.B. Einhard, Lorscher Codex, stehen althochdeutsche Wörter und eine Menge von Namen, die dem jeweiligen sprachlichen Stand entsprechen, den wir aus den deutschen Werken kennen, z.B. Lauresham, Raureheim in den ältesten Dokumenten neben dem jüngeren Lorse, Roreheim, älteres Hluodwicus neben jüngeren Ludowicus.
Im Lorscher Codex steht an vielen Stellen der Name Heimerich, der zweifellos die Vorform von Heinrich, Henricus ist, wie in den Quellen zur Zeit Ottos I. zu lesen ist.
In den zitierten ahd. Wörten steht in den unbetonten Silben fast durchweg ein „e“. Dies ist das Ergebnis der Abschwächung von ursprünglichen Vokalen des Germanischen / Althochdeutschen in der Entwicklung zum Mittelhochdeutschen,
z. B. (ahd.) wituwo > (mhd.) witewe = Witwe.
Somit gehören diese Urkunden offenbar ins 10. oder 11.Jh. - und damit in die Realzeit.
d. Die ältesten Sprachdenkmäler sowohl der deutschen als auch der französischen Sprache sind die Straßburger Eide von 840 mit lateinischem Begleittext. Der deutsche Text ist gehalten in der damaligen rheinfränkischen bzw. südhessischen Mundart, die nur bei den Karolingern offizielle Amtssprache war. Unter den sächsischen Königen wäre das undenkbar gewesen, wohl aber zu einer Zeit, in der die Könige Franken, vielleicht sogar wie der Staatssekretär Einhard Rheinfranken waren. Wie kommt ein Fälscher darauf, so ein altertümliches Dokument statt auf lateinisch auch noch in einem antiquierten und später unbedeutenden deutschen Dialekt und zusätzlich auf Altfranzösisch wiederzugeben?
Der „antiquierte und später unbedeutende deutsche Dialekt“ und das „Altfranzösische“ waren die Muttersprachen der beeidenden Parteien, siehe dazu http://f17.parsimony.net/forum30434/messages/275677.htm
Angemerkt sei dazu noch, daß es damals „offizielle Amtssprachen“ nicht gab, und später allenfalls „Ausgleichssprachen“, siehe die Kaufleute und die umherziehenden Minnesänger, die in einem möglichst weitläufigen Gebiet verstanden werden wollten.
(Überhaupt die Ausdrucksweise... wie auch beim „Staatssekretär“ Einhard - fehlt nur noch dessen „Besoldungsgruppe“...)
e. Die lateinische Sprache der Merowingerzeit war sehr verwildert (z. B. Gregor von Tours). Lateinische Texte zur Zeit Ottos I. sind wieder dem klassischen Latein angepasst. Wie kommt das? Zur Zeit Karls d. Gr. hat man sich sehr um klassische Bildung und ein gepflegtes Latein bemüht und dafür den angelsächsischen Gelehrten Alkuin nach Aachen geholt. Der Kaiser soll Mitglied eines literarischen Zirkels gewesen sein, in dem man Latein sprach und sich mit lateinischen Spitznamen titulierte. In Aachen wurde der Text der lateinischen Bibel revidiert und zum Standard gemacht. Eine besondere Schreibschrift, die"karolingische Minuskel" wurde nach angelsächsischen Vorlagen kreiert. Sie sind Vorbild für unsere heutigen Kleinbuchstaben. Die damalige"karolingische Renaissance" hat das gesamte Mittelalter geprägt. Da muss doch was zwischen den Merowingern und den Ottonen gewesen sein! Verwildern tut eine Kultur von selbst, aber zum Veredeln braucht man Zeit und Energie.
Die hatte man in den Klöstern reichlich, siehe oben.
f. Karl d. Gr. hat die"Volkssprachen" Deutsch und Französisch gefördert und z. B. angeordnet, dass die alten volkssprachlichen Lieder gesammelt wurden. Sein Sohn Ludwig der Fromme hat dieses heidnische Zeug wieder vernichten lassen.
Nun sind ja verschwundene Dokumente keine Argumente.
Goldrichtig. Also ist Punkt f. argumentativ Müll.
Vertreter obskurer Theorien berufen sich mit Vorliebe auf solche Beweisstücke, die es noch 1794 gab, dann aber leider, leider verschwunden sind. Ein Pluspunkt für Illig?
Was für „obskure Theorien“? Was hat Illig damit zu tun?
Nein, eins der alten Lieder hat die Vernichtung überlebt, das Hildebrandslied in einer Kunstform, die zur Zeit Ottos I. längst außer Mode war: dem Stabreim.
Dieses eine Lied soll wohl 300 Jahre retten...
2. Und das Zubehör?
Es ist unmöglich, eine ganze Epoche mit allem Zubehör zu erfinden. Beispiele:
a. Man hätte dann auch die gesamte Lebensgeschichte von Bonifatius (Zeit Karl Martells) samt allen Ausstellungsstücken in Fulda (Kopfreliquie, beschädigtes Buch) erfinden müssen. Das ließe sich vielleicht noch machen. Aber warum sollte der Fälscher auf den Gedanken kommen, in den lateinischen Bonifatiusbriefen deutsche Namen"englisch" zu schreiben (z. B. Raedbodus statt Radbodus, wie sonst üblich)?
Vielleicht kam der Schreiber, wie so manche Mönche damals, aus England?
b. Wäre es denkbar, dass im Auftrag des sächsischen Kaisers Otto I. eine fingierte Geschichte von dem Sachsenkrieg und der Zwangsbekehrung dieses Volkes geschrieben worden wäre?
Der Sachsenherzog Widukind war in den Augen Einhards ein Bösewicht - die Niedersachsen sind heute noch stolz auf ihn. Was hätte man 200 Jahre später unter einem sächsischen Kaiser für einen Grund gehabt, Widukind zu erfinden und zum Bösewicht zu stempeln? (...)
Tischner folgt hier der Illigschen Fixierung der Phantomzeit auf die 297 bzw. 300 Jahre, obwohl einiges auch für eine längere Dauer spricht. Dann wären die o. a. Argumente gegenstandslos.
Die „Sachsenkriege Karls des Großen“ mit den andauernden Aufständen und Schlächtereien und Umsiedlungen ernstzunehmen, ist Schwachsinn - woher kommt dann im 10.Jh. - in denselben Grenzen! - das intakte Stammesherzogtum Sachsen?
Hätte „Karl der Große“ die Sachsen wirklich besiegt, wäre das Land anschließend, erst recht nach den Aufständen, aufgeteilt worden (so wie es Ende des 12. Jh. tatsächlich geschah, nach der Verbannung des abtrünnigen Herzogs Heinrich des Löwen).
Und „Widukind“: anstelle für seinen „Verrat“ hingerichtet zu werden, blieb er weiterhin, nach Unterwerfung und Taufe (Pate: „Karl d.G.“), Herzog. Diese Sonderbehandlung läßt darauf schließen, daß im echten Verlauf der Geschichte der Sachsenherzog, sich nach anfänglichen Scharmützeln mit den Franken verständigend, eine einem Frankenkönig Karl Wieauchimmergeheißen fast ebenbürtige, sprich mächtige Stellung innehatte - siehe die dänischen Verwandten „Widukinds“ und die Dänen in der Normandie.
3. karolingische Bauwerke
Ich bezweifle, dass es in Westeuropa so wenige karolingische Bauwerke gibt. Ich verstehe nicht viel davon, (...)
...o.k., das lassen wir dann mal... obwohl eine Prüfung auf Plausibilität gehirnschmalzmäßig möglich sein sollte, erst recht für die „Experten“ - wo bleibt er denn nur, der „Anti-Illig“ (in Buchform bitte, nicht bloß in"offenen Briefen" und sonstigen Schmähartikeln)?
4. karolingische Münzen
Illig behauptet, es hätten sich kaum karolingische Münzen erhalten, und bezweifelt, dass man ein so großes Reich mit so wenig Geld regieren konnte. Von Münzen verstehe ich nicht viel. (...)
Andere, wie dottore, umso mehr.
5. Fälschungen?
Fälschungen waren im Altertum und Mittelalter gar nicht selten und es hat nicht erst die Kunst moderner Forscher bedurft, um den Betrug zu entlarven.
Ja, ganz richtig...wenn man daraus nur die richtigen Schlüsse ziehen könnte...
a. Es gibt z.B. viel mehr Evangelien und Apostelbriefe, als in der Bibel stehen. Sie kamen nicht in die Bibel, weil die Gelehrten schon in der Frühzeit der Kirche erkannten, dass es sich um Fälschungen handelte.
Nicht ganz. Damals galt: Was nicht zum Kanon gehört, ist falsch.
b. Was anderes ist es wohl mit Urkunden, die irgendwelche Rechte beweisen sollen. Da hatten die Fälscher eine starke Lobby mit handfesten Interessen im Rückhalt, so dass etwaige kritische Stimmen kein Gehör fanden.
Yep.
Wer sollte aber von einer so umfassenden Geschichtsfälschung wie der Erfindung der Karolinger Nutzen gezogen haben? Es ist ja auch viel einfacher, ein einzelnes Dokument zu erfinden, aus dem hervorgeht, dass ich von einem Prominenten der Vergangenheit mit einem Besitztum und bestimmten Rechten ausgestattet wurde. (...)
Es ging, bereits zu Beginn der Feudalzeit, nicht um eine, sondern um viele Urkunden... und welchem, möglichst edlen, „Prominenten der Vergangenheit“ sollte man diese eigentlich sonst unterjubeln - Kaiser Romulus Augustulus?
d. Das Thema Geschichtsfälschung ist heute noch aktuell, wenn es z.B. um das 3. Reich geht. Die Generation meiner Eltern hatte erst gelernt, das dritte Reich sei gut. Dann hat man ihnen gesagt, es sei böse gewesen. Ich befürchte, dass unser heutiges Geschichtsbild ein bisschen schief ist, weil kaum jemand unvoreingenommen über diese Zeit schreiben kann. Aber es hat niemand Hitler erfunden und keiner versucht, ihn wegzuretuschieren. Es ging allein um die Frage, wie er und seine Politik zu bewerten sind.
Andererseits geht heute das Gerücht von der"Auschwitzlüge" um. Es gibt Leute, die können das immer noch nicht glauben und meinen, man habe dem geliebten Führer da was angehängt, um ihn unmöglich zu machen. (...)
Ach, Herr Tischner kann’s auch nicht ganz lassen... diese Quasi-Gleichsetzung von Geschichtsrevisionisten mit den anderen... yet there is method in it...
Alles weitere dazu siehe das Posting von nereus.
II. Methodische Bedenken
1. Fälschungen?
Es ist ein sehr bedenkliches Argument: Alles, was mir nicht passt, ist eine Fälschung. Ob ein Dokument gefälscht ist, muss von Fall zu Fall geprüft werden. Das dürfte schwierig sein.
Wozu gibt’s Experten, z. B. für Urkunden Diplomatiker?
2. Illig sucht Beweise für eine fixe Idee
Illig geht von einer Hypothese auf: Das"dunkle Zeitalter" der Karolinger hat es nicht gegeben, sondern wurde erfunden. Diese Hypothese versucht er in seinem Buch mit eine Fülle von Argumenten zu beweisen, denen wohl auch ein Fachmann kaum folgen kann.
Was der erklärte Nichtfachmann Tischner so alles von sich gibt...
Das ist keine wissenschaftliche Methode, denn in der Wissenschaft steht nicht die Hypothese am Anfang, sondern die Untersuchung. Dabei muss der Forscher freilich von zunächst unbewiesenen Vermutungen ausgehen. Aber er wird nicht alles dran setzen, für eine einmal gefasste Meinung immer wieder neue Beweise zu suchen, sondern er wird seine vorläufige Arbeitshypothese im Laufe seiner Arbeit entweder bestätigt finden, modifizieren oder wieder aufgeben. Die am Ende gefundene Hypothese versucht die Untersuchungsergebnisse zu erklären. Andere Forscher deuten die Ergebnisse anders; man disputiert darüber und gelangt schließlich zu einer Erklärung, die alle bisherigen Fragen beantwortet. (...)
Hehre Grundsätze in der Tat - wie wär’s, wenn sich die etablierte Wissenschaft auch mal daran halten würde?
Zur Motivlage, sich als Etablierter „wissenschaftlich“ zu äußern:
Eine „wertfreie“ und nur der Sache verpflichtete wissenschaftliche Arbeit ist Illusion - in Deutschland und vielen anderen Ländern sind die Wissenschäftler Angehörige eines zumeist öffentlich-rechtlich strukturierten „Systems“, die sich zumindest in jungen Jahren sehr wohl überlegen (müssen), was sie, z. B. zu Illig, sagen, - sonst keine Fördergelder für Projekte, Karriere im Eimer usw.
3. Illig sagt nicht, wie die Geschichte wirklich abgelaufen ist
Illig stellt das bisherige Geschichtsbild in Frage, bleibt aber dem Leser die Antwort schuldig, wie denn seiner Meinung nach die Geschichte ohne die Karolinger abgelaufen sein müsste: Waren die sächsischen Kaiser unmittelbare Nachfolger der Merowinger? Wie müsste dann eine Zeittafel aussehen? Haben Jesus und Augustus 300 Jahre"n. Chr." gelebt? Wie verhält sich die deutsche Geschichte zur allgemeinen Weltgeschichte?
Das ist ein Punkt, den man Illig, neben seiner wenig leserfreundlichen Schreibe, nach fast 15 Jahren Mittelalter-Forschung durchaus ankreiden könnte - was auch damit zu tun hat, daß der „endgültige“ Zeitrahmen für die Kürzung immer noch nicht abgesteckt ist (Kalenderrechnung scheint auch nicht Illigs „Steckenpferd“ zu sein, obwohl man hier, auch im Hinblick auf die Auswirkung einer Zeitkürzung auf die Osterfestberechnung, ebenfalls eine Antwort finden muß - und kann).
Beispiel: Einhard nennt in seiner Biographie Karls d. Gr. ausländische Herrscher aus Byzanz (Nikephoros I, Michael I., Leo), Bagdad (Harun ar-Raschid), England (ohne Namen), Dänemark (Gottfried) und Spanien (Alfons II.), mit denen Karl korrespondiert habe. Die müssten doch wenigstens zum Teil auch in den ausländischen Quellen auftauchen.
Ja, wo sind sie denn, die „ausländischen Quellen“.... (s. o.)?
4. Wie zuverlässig sind die Quellen?
a. Illig überschätzt die historische Zuverlässigkeit von Quellen überhaupt. Es stimmen ja auch moderne Dokumente nicht immer (z.B. Berichte von Veranstaltungen in der Zeitung).
b. Er überschätzt die historische Zuverlässigkeit von Augenzeugen, z.B. Einhard. Augenzeugen berichten aus der Erinnerung und haben das Recht sich zu irren. Ein Historiker recherchiert aus Quellen und wehe, wenn er sich irrt oder etwas übersieht!
Worauf beruht dann eigentlich die herkömmliche Geschichtsschreibung - nichts Geschriebenes, keine Zeugenaussagen.. bleibt dann wohl nur noch die göttliche Eingebung...
Halleluja! Verbrennt die Ketzer!
Aktuell: 28.02.2004
--------------------------------------------
Wollen wir mal hoffen, daß das kein Gründe zum gekränkt sein abgibt
Gruß bernor
|
JoBar
01.06.2004, 20:34
@ bernor
|
Mir scheint hier verteidigt ein Gläubiger voller Inbrunst seinen Glauben. |
-->Nun denn, wenn Du es für Dein Seelenheil brauchst, so werde glücklich mit Illigs Zeitsprüngen. Es bringt mich nicht um den Schlaf, deshalb brauch ich Dir auch nicht das Gegenteil beweisen
J.
|
bernor
02.06.2004, 01:21
@ JoBar
|
Leider falsch - bin schon lange kein"inbrünstig Glaubender" mehr... |
-->Hi JoBar,
meine Abkehr vom"Glauben" begann übrigens vor genau 20 Jahren, als ich die ersten Bücher von dottore las... Du versteht sicher, daß ich daher Deiner Etikettierung meiner Person nicht folgen kann.
Und ich sehe seither keinen Grund, in den Schoß der Heiligkeit der lehrmeinenden Politik, Wissenschaft usw. zurückzukehren...
Rührend, daß Du um mein Seelenheil so besorgt bist...
Falls ich Dich mißverstanden haben sollte, dann können wir ja einige der in den Raum gestellten Behauptungen ( beider Seiten! ) mal genauer überprüfen.
Du meinst wahrscheinlich den Schlagabtausch zwischen Krojer und Illig, den möchte ich hier allerdings nicht weiterführen - dazu nur dies:
Krojers auf der Präzession beruhender Einwand ist zunächst einmal nicht von der Hand zu weisen. Aber, abgesehen von der Frage nach der Zuverlässigkeit antiker Überlieferungen, ist für die Annahme einer gleichmäßigen Bewegung der Erdachse Voraussetzung, daß die Umlaufbahn der Erde in der Frühzeit keinesfalls durch kosmischen Katastrophen, sei es auch nur geringfügig, tangiert worden ist - was Illig und Heinsohn (auf Basis von archäologischen Fakten und antiken Überlieferungen, nicht von"Glaubenssätzen") bestreiten. Dieser Punkt kann also nur im Kontext mit Heinsohn/Illigs Thesen zur Frühgeschichte geklärt werden (was wir uns und den anderen hier, da dann allzu OT, besser nicht zumuten wollen... ).
Herzliche"Es gab keinen Zeitsprung!"-Grüße
bernor (auch hier ohne Zusatz,"der Ketzer" bleibt exklusiv für Baldur)
|