-->Revolution in deutschen Amtsstuben?
Rot-Grün arbeitet an einem Gesetz über den Zugang zu Verwaltungsakten / Von Stefan Tomik
FRANKFURT, 13. August. Als Ende April Fotos von den Särgen im Irak gefallener Soldaten auf den Titelseiten der amerikanischen Presse erschienen, war das nicht im Sinne des Pentagons. Dabei waren die Bilder im Auftrag des Verteidigungsministeriums aufgenommen worden - sie sollten allerdings nicht an die Ã-ffentlichkeit gelangen. Das ging so lange gut, wie kaum jemand wußte, daß die Fotos existierten. Doch der Amerikaner Russ Kick, der eine Internetseite betreibt und sich selbst als"Informations-Archäologe" bezeichnet, kam den Fotos auf die Spur und verlangte ihre Herausgabe. Er berief sich auf den Freedom of Information Act, ein Gesetz, das Bürgern Zugang zu Informationen der Behörden gewährt. Nach anfänglicher Ablehnung gab die zuständige militärische Stelle dem Begehren statt.
Die rot-grüne Bundesregierung will nun eine deutsche Version des Freedom of Information Act erlassen: Ein Gesetzentwurf ist in Arbeit und soll schon bald nach der Sommerpause in den Bundestag eingebracht werden.
Hinter dem sperrigen Titel"Informationsfreiheitsgesetz" (IFG) verbirgt sich eine kleine Revolution. Bislang muß jeder, der Akten wie etwa das Grundbuch einsehen will, ein besonderes Anliegen nachweisen. Aktenzugang ist nur ausnahmsweise vorgesehen und in vielen Spezialgesetzen geregelt, zu denen etwa auch das Stasi-Unterlagen-Gesetz gehört. Das von Rot-Grün geplante Gesetz würde die Verhältnisse umkehren: Jeder könnte bei allen Stellen des Bundes Auskunft begehren - und das ohne jede Begründung. Unterlagen wären grundsätzlich freigegeben, wenn nicht gewichtige Gründe dagegen sprechen. Ausnahmen gälten etwa für die Arbeit des Parlaments, die Gerichte und die Nachrichtendienste sowie für die Außen- und Verteidigungspolitik.
Der Vertrag der Bundesregierung mit dem Mautkonsortium Toll Collect, den bislang nicht einmal der Bundestag einsehen darf, wäre dann genauso zugänglich wie die Beraterverträge der Bundesagentur für Arbeit. Deswegen sieht der Bundesverband der Deutschen Industrie in dem geplanten Gesetz eine Gefahr für die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse betroffener Unternehmen. Denn die müßten sich auf eine vertrauliche Behandlung ihrer Angaben in Genehmigungs- oder Ausschreibungsverfahren verlassen können, auch wenn ihr Vertragspartner die öffentliche Hand sei. Selbst wenn eine Schutzklausel, wie sie der Gesetzentwurf vorsieht, die Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen verhindern sollte, bliebe die Beweislast, daß es sich um ein solches Geschäftsgeheimnis handelt, bei den Unternehmen.
Zu den Befürwortern des IFG gehört dagegen die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International. Je transparenter die Verwaltung, so ihre Hoffnung, desto eher wird korruptes Verhalten abgeschreckt. Die Bertelsmann-Stiftung verweist darauf, daß alle EU-Staaten außer Deutschland, Malta, Zypern und Luxemburg Gesetze zur Informationsfreiheit erlassen haben. Nirgendwo sei die Verwaltung wegen Überlastung zusammengebrochen.
Nur in einzelnen Bundesländern sind Gesetze zur Informationsfreiheit auch in Deutschland schon Realität: in Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Die Datenschutzbeauftragten dieser Länder berichten von guten Erfahrungen; Statistiken über die Nutzung des Gesetzes existieren jedoch kaum. Aus einer Studie über Schleswig-Holstein weiß man, daß die meisten Anfragen der Bürger konkrete Bau- und Planungsvorhaben in den Gemeinden betrafen. Es ging aber auch um die Vergabe von Kindergartenplätzen, die Wirtschaftlichkeit der Kurverwaltung oder die Arbeitsbelastung der Richter am Oberlandesgericht. Zu einer Flut von Informationsbegehren sei es auch dort nicht gekommen. Allerdings wissen wohl auch nur wenige Bürger überhaupt, daß ihnen solche Auskunftsrechte zustehen.
Wie sich die Opposition zum Informationsfreiheitsgesetz stellen wird, ist noch offen. In Nordrhein-Westfalen gehörte die CDU zu den größten Befürwortern eines solchen Gesetzes. Wo die Union aber mitregiert, hat sie entsprechende Vorhaben weniger gutgeheißen. In Bremen, Niedersachsen und Hessen scheiterten Initiativen der Grünen. Die Parlamente von Thüringen und Sachsen lehnten SPD-Anträge ab. In Bayern wurden zwei Entwürfe der SPD und der Grünen in den entsprechenden Ausschüssen von der CSU verworfen. Wohl auch deshalb soll das IFG im Bund als Einspruchsgesetz erlassen werden, um ein Veto des Bundesrates zu verhindern. Daran scheiterte schließlich schon das wesensverwandte Verbraucherinformationsgesetz im Sommer 2002.
Das mehrfach versprochene - und mehrfach vertagte - IFG ist vor allem ein Herzensanliegen der Grünen; in der SPD dagegen weiß nicht jeder etwas mit dem Kürzel anzufangen. Außerdem hat"bei dem einen oder anderen in der Regierung" das Projekt"nicht einen besonders guten Ruf", wie der innenpolitische Sprecher der SPD, Wiefelspütz gesteht. Noch in dieser Legislaturperiode soll das Gesetz Wirklichkeit werden, verspricht auch die medienpolitische Sprecherin der Grünen, Bettin. Gelänge das nicht, sagt Bettin, wäre das ein"Armutszeugnis" für Rot-Grün.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.08.2004, Nr. 188 / Seite 4
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