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Geklautes Erbe der Menschheit
Bei weitem nicht alle wertvollen archäologischen Stätten sind so gut bewacht: Italienische Soldaten vor dem irakischen Nationalmuseum in Bagdad, Diebesgut
»Grabräuber im Irak plündern zu Tausenden archäologische Stätten der Hochkulturen Mesopotamiens
VON URS WILLMANN
Jedes einzelne Stück war in Papier gehüllt und mit Klebeband umwickelt. Fast 3000 Pakete waren in Kisten verpackt. Per Schiff hätten sie ausser Landes gebracht werden sollen. Doch am 9. Juni schlug die irakische Polizei in Bagdad zu. Sie verhaftete vier Männer, Mitglieder eines grossen Schmugglerrings. Die heisse Ware, die sie bei sich hatten, wird wohl bald ihren Weg in die Museen finden. Denn beim Auspacken bargen die Polizisten wertvolle Kleinode: Filigrane Tierskulpturen, Tontafeln mit Keilschrifttexten, fratzenhafte Fabelwesen, Trinkgefässe, Vasen aus antikem Glas und pornografische Darstellungen vor Jahrtausenden in Ton gebrannt.
Endlich konnten die Ordnungshüter ihren ersten grossen Erfolg gegen jene Verbrecher feiern, die derzeit dabei sind, das kulturelle Erbe des Landes zu zerstören. Tausende Raubgräber nutzen die Gunst der Stunde, die ihnen die Anarchie der Nachkriegszeit beschert. Der heutige Irak ist ihr Eldorado. Bis zu 100 000 archäologisch interessante Orte, schätzen Forscher, gibt es im Land. In Horden rücken die Plünderer aus und machen sich über die Siedlungshügel aus der Zeit der Sumerer und Babylonier her.
Meist verlässt die Beute das Land unbemerkt. Nie zuvor seit dem Krieg gelang es der Polizei, einen grösseren Transport zu verhindern. Die 3000 Objekte, die ihr nun auf einen Schlag in die Hände fielen, stammen von archäologischen Plätzen im Süden des Landes. Dort wüten die Hor- den am schlimmsten. Tell Laham, Umm al-Aqarib, Umm al-Hafriyat oder Zabalam heissen die bis zu mehrere Quadratkilometer grossen einstigen Städte im heutigen Niemandsland.
Vor kurzem noch lagen sie mehr oder weniger wohlbehütet unter dem Wüstensand verborgen. Nur ab und zu waren archäologische Forschertrupps vorbeigekommen und hatten mit Spachtel und Pinsel die Wüstenpatina weggeputzt in der Hoffnung, anhand von Mauern, Küchenresten und Erzeugnissen sumerischen Kunsthandwerks mehr über die Anfänge der Zivilisation zu erfahren.
Und natürlich gab es immer auch Raubgräber, die die Ruhe störten und versuchten, ein paar wertvolle Stücke der Hinterlassenschaften zu stibitzen. Denn schon Saddam Hussein hatte einen blinden Fleck, wenn es darum ging, gegen Plünderer vorzugehen. «Indem er ihnen das lukrative Geschäft überliess, sicherte er sich die Unterstützung der Stammesführer», berichtet der US-Dokumentarfilmer Micah Garen in der jüngsten Ausgabe des Magazins «Archaeology».
Was sich aber jetzt im Süden des Irak ereignet, ist beispiellos: «Rund 130 Städte werden im Moment durchwühlt», sagt Margarete van Ess, wissenschaftliche Direktorin des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). Die Leiterin der Orientabteilung ist entsetzt über das Vorgehen der Plünderer: «Als würden sie einen Gar - ten umgraben. Alles wird zerstört.»
Dutzende alter Städte sind praktisch vom Erdboden verschwunden
John Russell, Professor der Kunstgeschichte und Archäologie am Massachusetts College of Art in Boston, verbrachte neun Monate im Irak als Kulturberater der provisorischen Koalitionsregierung. Nun ist er erschöpft nach Hause zurückgekehrt, nachdem er Zeuge von «einem der grössten Verluste menschlicher Identität in der Geschichte» geworden ist.
Das Entsetzen unter Wissenschaftlern ist gross. «Aus Isin ist eine Mondlandschaft geworden», berichtet Walter Sommerfeld, Professor für Altorientalistik an der Universität Marburg. Dutzende alter Städte seien praktisch vom Erdboden verschwunden. Eine «Kulturzerstörung von der Kategorie des Mon golensturms» hat Sommerfeld ausgemacht. Unter den Augen der Besatzungsmächte gehe die Ausplünderung des altorientali schen Weltkulturerbes unvermindert wei ter: «Die Raubgrabungen sind schlimmer als je zuvor und haben in den letzten Monaten grössere Zerstörungen verursacht als in den vergangenen 150 Jahren zusammengenommen.»
Vor einem Jahr schon war das Entsetzen gross gewesen, als das Nationalmuseum in Bagdad tagelang von Dieben durchstreift wurde und davon die Rede war, 170 000 Stücke seien aus Vitrinen, Schränken und Kellerregalen gestohlen worden. Heute weiss man, dass von der halben Million Objekte des Museums «nur» 15 000 verschwunden sind. Die ersten Schätzungen waren viel zu hoch, einige tausend Preziosen sind konfisziert oder zurückgebracht worden. Mit internationaler Hilfe wird das Museum nun restauriert und der Bestand inventarisiert. Gleichzeitig wurde der Ort in eine Hochsicherheitszone verwandelt.
Während sich der Schaden im Nationalmuseum noch halbwegs in Grenzen hält, findet die weitaus grössere Katastrophe dort statt, wo die Besatzungsmächte längst die Kontrolle verloren haben und die lokalen Stämme wieder über ihre Territorien herrschen. Der Schwarzhandel mit antiken Skulpturen und Keilschriften ist nicht nur ihre Lebensader geworden, die Einnahmen fliessen auch umgehend in die Bewaffnung. Die Grabungshorden hantieren sowohl mit dem Spaten wie auch mit Kalaschnikows.
Von Umma, einer einst wichtigen sumerischen Verwaltungsstadt, die schon in den Neunzigerjahren oft geplündert wurde, ist kaum etwas übrig. Genauso sind Tell Schmid, Umm al-Hafriyat, Mashkan-shapir oder Fara heute Orte kompletter Zerstörung. Dabei ist nicht nur der Verlust 5000 Jahre alter Manufaktur zu beklagen. Ins Gewicht fällt insbesondere der wissenschaftliche Verlust, der mit der Zerstückelung der «archäologischen Horizonte» einhergeht: Nur im Kontext verrät eine Vase letztlich ihre Geschichte. Wird ein Kleinod aus dem Zusammenhang gerissen, also ohne exakte Angabe des Fundorts und der Tiefe, in der es einst in der Erde gelegen hat, verpackt, verschifft und verkauft, verliert es umgehend den grössten Teil seines wissenschaftlichen Werts.
Einen Überblick über den tatsächlichen Schaden hat niemand. Auch Zainab Bah- rani nicht, Archäologin der Columbia University in New York und Russells Nachfolgerin in Bagdad. Derzeit ver- handelt sie mit dem Innenministerium über möglichst viele Mittel für den Antikenschutz.
An der Wiege der Zivilisation wacht seit 51 Jahren ein Beduine mit Vorderlader
Derweil geht die Zerstörung weiter. Überraschenderweise sind aber einige Orte lange verschont geblieben. In der Zone um Nasirija haben sich die italienischen Carabinieri stark engagiert, Wächter ausgebildet und die Situation den Umständen entsprechend «bemerkenswert stabilisiert», sagt Sommerfeld. Das hat sich nun aber leider geändert. «Die Italiener sind aus Nasirija abgezogen worden», sagt Bahrani. Und sie weiss nicht einmal wieso. «Alles ändert sich ständig im Irak, oft von einem Tag auf den andern. Es ist das totale Chaos.»
Einen Erfolg aber konnten Bahrani und ihr Vorgänger Russell verbuchen allerdings nicht bei den Räubern, sondern bei den multinationalen Truppen. Sie räumen nun einen Ort, wo sie in der Absicht zu schützen selbst eine Spur der Zerstörung hinterliessen. «Sie haben eingewilligt, sich in den nächsten drei bis sechs Monaten aus dem antiken Bezirk von Babylon zurückzuziehen.» Dort, im ehemaligen Domizil König Nebukadnezars, dem Standort des Turms von Babel und der Hängenden Gärten, haben die Schutztruppen laut Russell mit Bulldozern inmitten der Ruinen drei Hubschrauber-Landeplätze gebaut.
Margarete van Ess kann halbwegs zufrieden sein. Sie weiss seit ein paar Monaten noch genauer, was sie an Muhhar hat. Seit nunmehr 51 Jahren bewacht der Beduine den Siedlungshügel östlich des Euphrats. Will ein Unbefugter den Hügel betreten, stellt er sich ihm mit seinem Vorderlader grimmig in den Weg. Tag für Tag hält er Wache an dem Ort, der als Wiege der Zivilisation gilt: Uruk, die erste Grossstadt der Menschheit und Schauplatz des Gilgamesch-Epos, des ältesten Werks der Weltliteratur.
«Muhhar ist noch immer da. Uruk geht es gut», sagt Van Ess, die dort die Grabungen leitet. Denn die Stämme rund um Uruk sind noch immer mit ihrer Situation zufrieden. «Die Japaner liefern regelmässig Wasser in die Wüste, und auch auf die Niederländer können sich die Einwohner bislang verlassen.» So lassen die Menschen der Gegend den Hügel von Uruk in Frieden und das, was darunter liegt: Gräber, riesige Villen und den Neujahrstempel der Göttin Ischtar. Auch wenn er unbekannte Besucher grimmig zu empfangen pflegt, hat Muhhar Freude am Job. Und bis jetzt wenig zu tun.
(ich schrieb vor vielen Monaten: Christies und Sotheby freuen sich auf jedes
Angebot).
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