-->Teil 1-3 am 27.8.04 eingestellt, s. Archiv
Das Creutz-Syndrom, Teil 4: Der Führer
Ich bin nicht der Erste, der über die gefährlichen Versatzstücke des großen Meisters aufzuklären versucht. Doch alle meine Vorgänger, beispielsweise der Professor für Volkswirtschaft Gerhard Niederegger mit seinem Buch „Das Freigeldsyndrom“, hatten beim Publikum keinen Erfolg. Die 40-Prozent-Zinsnummer wurde wieder und wieder aufgeführt. Dabei kann man doch nicht mal einer Hausfrau weismachen, dass ALLE Zinsen in den Konsumentenpreisen stecken, denn wieso muss sie dann noch extra Zinsen für die neue Küche und das Bauspardarlehen zahlen? Warum läuten da bei Professoren und Doktoren nicht die Alarmglocken? Warum lassen die Parteifreunde des Meisters, die sich auf demokratischer Grundlage wähnen, plumpen Populismus zu? Warum darf er in ihrem Organ das legale Geldsystem als „großes Unrechtstum“ (illegal) verteufeln? Wieso beschwören auch seine Jünger die Gefährlichkeit der Liquiditätsfalle, wo hier doch Falschbehauptung (Zins von 5 % kann immer erpresst werden) und Wahrheit (Zinsen auf Giralgeld 0 %) deutlich sichtbar nebeneinander liegen? Mehr noch, am 2.9.04 erschien im Investors Daily ein Leserbrief: „Ich habe drei Kreditkarten, mit denen ich insgesamt 50.000 Dollar überziehen kann, zu 0 % Zinsen bis Juni und Juli 2005....“ Also nicht mal alle Kreditnehmer müssen heute Zinsen zahlen! Und wie kommt es schließlich dazu, dass zwei gesellschaftlich angesehene Freiwirte ihren Meister tatsächlich für den alternativen Nobelpreis vorschlagen?
Im sachlichen Bereich sind keine Gründe für diesen erschreckenden inneren Zustand der Bewegung, der an dunkle Zeiten in der deutschen Geschichte erinnert, zu finden. Wohl aber liefert die Psychologie alle Antworten. Die Freiwirte bilden demnach mit absoluter Sicherheit eine „organisierte Masse“, wie sie der Arzt und Soziologe Le Bon in seinem berühmten Buch „Psychologie der Massen“ beschreibt (15. Aufl., S. 10, 11). Blättern wir ein wenig!
Passend zum 40-prozentigen Zinsanteil:
„Die Führer neigen alle dazu, in die unwahrscheinlichsten Übertreibungen zu verfallen.“ (S. 142)
„Nichts erscheint ihr (der Masse) unwahrscheinlich, und das darf man nicht vergessen, wenn man begreifen will, wie leicht die unwahrscheinlichsten Legenden und Berichte zustande kommen und sich verbreiten“ (S. 22)
Passend zu dem Einwand, ob denn Viele irren können
„Die Kollektivbeobachtungen sind die verfehltesten von allen und meist nur die einfache Täuschung eines Einzelnen, die durch Übertragung alle Anderen beeinflusst hat.“ (leicht umgestellt, S. 28)
Hinweis: Frau Professor Kennedy hat nach Aussage unseres Meisters seine Zinsformel einfach so übernommen, und auch Professor Senf stützt sich ohne nähere Prüfung darauf.
Passend zum großen Engagement vieler Freiwirte:
„Wenn die Massen geschickt beeinflusst werden, können sie heldenhaft und operwillig sein. Sie sind es sogar in viel höherem Maße als der Einzelne.“ (S. 31)
„Der Überschwang der Massen erstreckt sich nur auf die Gefühle und in keiner Weise auf den Verstand.“ (leicht umgestellt, S. 32)
Hinweis: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass alle Freiwirte und Humanwirtschaftler in bester Absicht handeln. Doch hier ist es wieder einmal die gute Kraft, die Böses schafft.
Passend zum Einwand, jeder Freiwirt habe doch einen eigenen Kopf zum Denken:
„Es ist überflüssig, zu bemerken, dass die Unfähigkeit der Massen, richtig zu urteilen, ihnen jede Möglichkeit kritischen Geistes raubt, das heißt, die Fähigkeit, Wahrheit und Irrtum voneinander zu unterscheiden und ein scharfes Urteil abzugeben.“ (S. 43)
Hinweis: Wer das ganze Bild beurteilen will, muss aus dem Rahmen treten. Die Freiwirtschaftsbewegung kann über sich selbst somit kaum objektiv urteilen.
Passend zur Frage nach der Verantwortlichkeit des Meisters für seine miesen Tricks:
„Der Irrtum der Massen wurde... von den Führern geteilt.“ (S. 79)
„Sehr oft war der Führer zuerst ein Geführter, der selbst von der Idee hypnotisiert war, deren Apostel er später wurde.“ (S. 83)
Hinweis: Der Meister ist nach Le Bon von der IDEE des Freigelds HYPNOTISIERT. Auch er wird somit geführt, nämlich aus dem Jenseits von Silvio Gesell. Merke: „Den größte Nimbus haben die Toten...“ (S. 93).
Hinweis: Nimbus = „Wolke“, Strahlenkranz, Heiligenschein, Ruhmesglanz
Passend zum Erfolg der Bierdeckelaktion „30 % Zins im Bierpreis“:
„Im Wirtshaus befestigen sich durch Behauptung, Wiederholung und Übertragung die heutigen Begriffe der Arbeiter, und der Glaube der Masse ist zu allen Zeiten ebenso geschaffen worden.“ (S. 91)
Hinweis: Ich habe einige Bände der Gesammelten Werke von Gesell für die Gesamtausgabe auf CD-ROM lektoriert und dadurch Gesell näher kennen gelernt. Gesell hat den „Bierdunst“ gehasst, weil der den Geist vernebelt. Mir ist nicht bekannt, dass Gesell jemals Zinsen in den Preisen problematisiert hat.
Passend zum bislang großen Erfolg des Zaubermeisters:
„Eine große Macht verleiht den Ideen, die durch Behauptung, Wiederholung und Übertragung verbreitet wurden, zuletzt jene geheimnisvolle Gewalt, die Nimbus heißt. (S. 92)
„Der Nimbus ist in Wahrheit eine Art Zauber, den eine Persönlichkeit, ein Werk oder eine Idee auf uns ausübt. Diese Bezauberung lähmt alle unsere kritischen Fähigkeiten und erfüllt unsere Seelen mit Staunen und Erfurcht.“ (S. 93)
„Die Massen verlangen stets... nach fertigen Anschauungen. Der Erfolg dieser Anschauungen ist unabhängig von der Wahrheit oder dem Irrtum, den sie enthalten, er beruht einzig und allein auf dem Nimbus.“ (S. 94)
Hinweis: Das regt zum Vergleich der heutigen Freigeldbewegung mit einer religiösen Glaubensbewegung an. Tatsächlich: Creutz nutzt zur Verbreitung seiner Ansichten auch kirchliche Einrichtungen. Das würde Gesell kaum gefallen - er war ein ausgemachter Atheist.
Die Freiwirte meinen, besonders fortschrittlich zu sein, doch sind sie längst eine Sekte nach Le Bon (S. 116) bzw. „geschlossene Gesellschaft“ im Sinne des Philosophen Karl Popper. Eine solche hat nur zwei Ziele: Selbsterhalt und Expansion - Wahrheitsfindung gehört nicht dazu. Damit widerfährt Gesell das Gleiche wie Marx: Auch er wird zur Kultfigur stilisiert, seine interessanten, aber auch die naturgemäß noch nicht ausgereiften Ideen werden zementiert statt in der Praxis überprüft und neuen Entwicklungen angepasst.
Wie die Kommunisten erscheinen die Freiwirte heute mehr als blinde Glaubensgemeinschaft denn als offene, flexible und lernfähige Bewegung. Nur diejenigen Fakten werden benutzt, welche sich eignen, das Vorurteil zu nähren. Sowohl die oft strapazierten 382 Mrd. Sollzinsen als auch die völlig ignorierten Nettozinszahlungen der Unternehmen von nur einem Zwölftel davon (31,5 Mr.) stammen aus der selben Quelle. Kritik jeder Art, auch wohlgemeinte, wird abgewiesen oder mit billigsten Tricks und Verdrehungen scheinbar widerlegt. Zur vollständigen Beruhigung genügt die Tatsache, dass der Meister einer Kritik entgegnet, eine EIGENE PRÜFUNG findet nicht statt.
So spinnt man sich eine eigene Welt zusammen und gibt sich Phantasien hin. Die größte davon ist die Umlaufsicherung.
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