-->Der zugehörige Spiegel-Artikel (hier nicht dokumentiert) ist ein wenig tendenziös. Darum hier das ungekürzte Original.
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Rede des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann zum Nationalfeiertag am 3. Oktober 2004 in Neuhof bei Fulda
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Landsleute!
Lassen Sie uns dieser Feierstunde, wenige Monate vor Beginn des Schillerjahres 2005, an dem wir des 200. Todestages unseres großen deutschen Dichters gedenken, einige Zeilen von Friedrich Schiller voranstellen.
Das ist nicht des Deutschen Größe
obzusiegen mit dem Schwert;
in das Geisterreich zu dringen,
Vorurteile zu besiegen,
männlich mit dem Wahn zu kriegen,
das ist seines Eifers wert.
Höheren Sieg hat er errungen,
der der Wahrheit Blitz geschwungen,
der die Geister selbst befreit.
Freiheit der Vernunft erfechten
heißt für alle Völker rechten,
gilt für alle ewige Zeit.
Stürzte auch in Kriegesflammen
Deutschlands Kaiserreich zusammen,
Deutsche Größe bleibt bestehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
seit 1990 findet hier in Neuhof alljährlich eine kleine Feierstunde aus Anlaß des deutschen Nationalfeiertages statt. Mithin kommen wir heute das 15. Mal zusammen. In einer Zeit des raschen Wechsels und Wandels ist es nicht vermessen, schon von einer Tradition oder zumindest vom Ansatz einer Tradition zu sprechen. Ihr zahlreicher Besuch ist ein starkes Argument für die heutige Fortsetzung dieser guten Übung. Wir wollen uns also austauschen über unser Vaterland, seine Vergangenheit, seine Gegenwart, seine Zukunft; das ist es, was uns wieder zusammenführt. Widmen wir - also wie in 14 Jahren zuvor - diese Stunde unserem Volk, unserem Land.
Sie werden bitte nicht erwarten, von mir ein Klagelied mit dem Titel"Martin Hohmann und die Ungerechtigkeit dieser Welt" zu hören. Leider sind wir Deutsche im Jammern, Klagen und Mäkeln in die Spitzengruppe vorgedrungen. Deutschland einig Jammerland, könnte man sagen. Dieses Jammern will ich nicht vermehren. Außerdem fasziniert mich der Satz von Papst Johannes XXIII:"Nimm dich nicht so wichtig, Giovanni". Also analog:"Nimm dich nicht so wichtig, Martin."
Allerdings möchte ich auf einen befreundeten General eingehen, dem vor knapp einem Jahr Aufsehen zuteil wurde. Zuvor darf ich Ihnen eine Begebenheit aus dem Deutschland des Jahres 1880 erzählen. Franz Uhle-Wettler hat sie in seinem Buch"Höhe- und Wendepunkte deutscher Militärgeschichte" niedergeschrieben:"In diesem Jahr war der Oberleutnant Schmidt von einem Küstriner Infanterieregiment zu einem Sportlehrgang an die Militärturnanstalt in Berlin kommandiert worden. Als Offizier war er in Preußen hoffähig, wie man damals sagte. Als er bei einem Hoffest mit einem voll beladenen Teller vom kalten Büffet weggehen wollte, trat er dem kaiserlich russischen Botschafter unbeabsichtigt, aber stark auf die Zehen. Der Botschafter warf dem jungen Offizier - in aller Ã-ffentlichkeit des kaiserlichen Hofes - einige grobe Beleidigungen an den Kopf. Schon am folgenden Tag wandte sich Oberleutnant Schmidt an seinen Regimentskommandeur und bat um Genehmigung, in einem Ehrenhandel den russischen Botschafter zum Duell fordern zu dürfen. Aber der Kommandeur verwies auf die seit dem Berliner Kongreß bedrohlich verschlechterten Beziehungen zum Zarenreich und verweigerte die Genehmigung. Auch der Brigade- und der Divisionskommandeur werteten die Duellforderung als Politikum und wiesen Schmidt ab. Daraufhin wandte sich Schmidt an seinen kommandierenden General. Dieser fuhr mit ihm zum Botschafter und überbrachte die Forderung. Der Botschafter zeigte sich bestürzt, er bot eine förmliche Entschuldigung an. Schmidt wurde hinzugebeten, der Botschafter entschuldigte sich, Schmidt nahm an - der Vorfall war bereinigt. Aber noch nicht beendet. Denn anschließend fuhr der General zu Wilhelm I., König von Preußen und deutschem Kaiser. Und wenig später erhielten Schmidts Regiments-, Brigade- und Divisionskommandeur den Abschied, weil sie die Ehre eines ihnen Unterstellten, also auch anvertrauten Offiziers, nicht geschützt hatten."
Vergleicht man diesen Vorfall und seine Konsequenzen mit der Behandlung von General Reinhard Günzel durch Verteidigungsminister Dr. Peter Struck und setzt man anstatt des damals gebräuchlichen Wortes Ehre den heutigen Annäherungsbegriff Menschenwürde ein, so kann das Ergebnis nicht bestürzender sein. Damals wurden drei hohe Kommandeure verabschiedet, weil sie einen jungen, in seiner Ehre verletzten Oberleutnant"im Regen stehen ließen". Heute stellt sich der Verteidigungsminister nicht etwa vor die Ehre eines Generals, der 40 Jahre seinem Land - bedenkt man seinen Afghanistan-Einsatz als Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte auch unter Lebensgefahr - gedient hat, nein, er bescheinigt ihm auch noch Psychiatrie-Bedarf. Struck nennt Günzel einen"verwirrten General", nur weil dieser brieflich seine Meinung äußerte und diese Meinung mit der des Ministers nicht übereinstimmte. Meinungsfreiheit in der Bundeswehr? Das wäre ja noch schöner. Wo kämen wir denn dann hin? Es reicht doch, wenn alle Bundeswehrsoldaten eine Meinung haben. Die des Ministers. Dazu fügt sich folgendes: Wegen ihres Protestes gegen die Behandlung von General Günzel hat das Verteidigungsministerium auch vier Soldaten der Reserve - jedenfalls bis auf weiteres - die Teilnahme an Reserveübungen untersagt. Auf meine wiederholte Parlamentarische Anfrage teilte mir das Verteidigungsministerium mit, daß diese vier Soldaten der Reserve zu Wehrübungen nicht mehr eingezogen werden. Auf die erste Anfrage hatte das Ministerium noch jegliche Nachteile für Reservisten wegen ihres Eintretens für General Günzel bestritten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht, daß ich dem Herrn Minister sein selbstverständliches Recht aus § 50 Soldatengesetz bestreiten möchte, dem Bundespräsidenten vorzuschlagen, einen General ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Nur, sehr verehrter Herr Minister, dann halten Sie sich auch an das Gesetz. Das Gesetz sagt ausdrücklich"ohne Angaben von Gründen". Herr Minister, Sie handelten gesetzeswidrig. Sie haben die Entlassung mit verbalen Fußtritten garniert. Sie sprachen von einem"verwirrten General" und"unehrenhafter Entlassung". Verehrter Herr Minister, auch wenn es Ihnen schwer fällt, Sie sollten dem Vorbild des damaligen russischen Botschafters folgen. Entschuldigen Sie sich öffentlich und in aller Form bei General Günzel. Rehabilitieren Sie General Günzel!
Vielleicht konnte Minister Struck aber gar nicht anders handeln. Vielleicht stand er unter großem Druck. Mußte Struck gar um seinen eigenen Job fürchten, wenn er Günzel nicht entlassen hätte? Das würde ein übles Schlaglicht auf das politische Umfeld und die Abhängigkeiten von Minister Struck werfen. Entschuldigen könnte ihn das nicht. Denn eines haben wir doch aus unzähligen Sonntagsreden der letzten Jahrzehnte noch behalten: Dem eigenen Gewissen folgen, Gesicht und Zivilcourage zeigen. Das sind die verkündeten Parolen. Herr Verteidigungsminister, wo war Ihre Zivilcourage? Wenn schon der Bundesminister der Verteidigung einer der hervorgehobenen Repräsentanten unseres Staates, kein Lob für sein Verhalten gegenüber General Günzel verdient hat, so ragt doch in der Causa Günzel ein Mensch am anderen Ende der sozialen Skala hervor. Als man am Tage seiner Entlassung General Günzel im Ministerium einige demütigende Stunden warten ließ, harrte sein Fahrer im Dienstwagen treu aus. Dem sagte ein hoher Offizier, er möge schon zum Standort zurückfahren, Günzel sei entlassen, er habe keinen Anspruch mehr auf den Dienstwagen. Was soll ich sagen? Selbstverständlich brachte der Fahrer seinen General im Wagen zurück. War es Mut, war es Treue, war es Zivilcourage oder war es einfach nur Anstand? Dieser Fahrer, der mir unbekannte Soldat, hat für seine Courage eine Auszeichnung verdient.
Zusammen genommen offenbart dieses Vorgehen alles andere als Souveränität im Umgang mit dem politisch Andersdenkenden. Was prägt sich den Soldaten als Lehre aus dem Fall Günzel ein?"Wer die politische Meinung des Ministers nicht teilt, kriegt Ärger. Ein falsches Wort, und du fliegst raus!" Das viel beschworene Leitbild des Staatsbürgers in Uniform ist offensichtlich zur Phrase für Gelöbnisfeierlichkeiten verkommen. Der heute gewünschte Typus des Soldaten gleicht eher dem Hofschranzen und Duckmäuser. Was mir zusätzlich Sorge macht: Das wertvollste geistige Erbe deutschen Soldatentums, die Auftragstaktik, geht damit vor die Hunde. Sie verlangt nämlich einen geistig beweglichen, nicht eingeschüchterten Soldaten, der in jeder Lage eigenverantwortlich, aber im Sinn der vorgegebenen Zielsetzung seine Kräfte flexibel einsetzt.
Was lehrt der"Fall Günzel"? Er ist typisch für den inzwischen erreichten Stand der Meinungsfreiheit in Deutschland, ein deutscher Fall von Meinungsunfreiheit, ein tiefer Fall. Der Fall Günzel offenbart zweierlei: 1. Zwischen der politischen Beurteilung durch die Normalbürger und der Beurteilung durch Politiker besteht ein riesiger Unterschied. Warum? Es wäre nämlich kein Normalbürger auf den Gedanken gekommen, einen bewährten und verdienten General wegen des Briefes an einen Abgeordneten zu feuern. 2. Die politische Klasse vergeht fast vor Furcht vor den Gralshütern der politischen Korrektheit. Die Aktion des Verteidigungsministers, Deutschlands"härtesten General" so die Bild-Zeitung - ohne Anhörung zu feuern, kann nur als vorauseilender Gehorsam gegenüber diesen selbst ernannten Tugendwächtern verstanden werden.
Ein weiteres Beispiel mag den tiefen Riß in der Beurteilung durch die Masse der Bürger einerseits, und die politischen Entscheidungsträger andererseits belegen. Ich meine den Ausländerzuzug, einschließlich des Asylmißbrauchs. Um Unterstellungen vorzubeugen: Deutschland als ein Land der Mitte war immer Ziel oder auch Durchgangsstation von Wanderungsbewegungen. Wir können und wollen uns nicht abschotten. Wie erklären aber die Entscheidungsträger unseres Staates, daß im Jahr 1974 im früheren Bundesgebiet vier Millionen Ausländer lebten, von denen 2,1 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Im Jahr 2003 ist die Zahl der Ausländer in Deutschland auf 7,3 Millionen gestiegen, von denen nur noch 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sind. Trotz der Verdoppelung von ausländischen Sozialhilfeempfängern sprechen unsere Politiker von"Bereicherung Deutschlands durch Zuwanderung".
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die meisten Normalbürger sehen hier eine Entreicherung und ein ausgesprochenes Politikversagen. Jahrelang wurde jeder, der diesen Mißstand anzusprechen wagte, als Ausländerfeind gebrandmarkt oder als übler Rechtsradikaler und Nazi abgestempelt. Das war eine Folge der Ideologie der politischen Korrektheit. Sollen wir nicht langsam fragen, wer diese Tugendwächter sind, und wohin uns ihre Agitation gebracht hat? Wie lange können wir es uns noch leisten, uns ihrem Diktat und den horrenden Folgekosten zu unterwerfen?
Harsche Kritik an der deutschen Immigrationspolitik kommt interessanterweise gerade auch von Menschen ausländischer Herkunft. So charakterisiert Professor Bassam Tibi Zuwanderung, so wie sie nach Deutschland stattfindet, als einen"chaotisch verlaufenden Vorgang". Er stellt ihr die Praxis in den USA gegenüber. Diese bezeichnet er als Einwanderung, als einen rechtlich und institutionell geregelten Prozeß. Noch schlimmer wird der Dauerskandal unserer Ausländerpolitik, wenn dann nach langen Aufenthaltsjahren die Gerichte endlich einen Schlußstrich gezogen haben. Rund 500.000 Ausländer sind derzeit sofort ausreisepflichtig. 250.000 von ihnen werden aus humanitären Gründen in Deutschland geduldet. Die übrigen 250.000 spielen mit unseren Behörden Katz und Maus. Trotzdem ist ihnen eines sicher: laufende Bezüge aus deutschen Sozialkassen. Man kann diesen Menschen nicht vorwerfen, daß sie das warme Nest Deutschland nicht verlassen. Für sie ist es schier unverständlich, einerseits ein Papier in der Hand zu haben, das sie zum sofortigen Verlassen unseres Landes auffordert, andererseits aber trotz ihrer"papierenen" Ausreisepflichtigkeit den monatlichen Scheck zu erhalten. Der Vorwurf muß sich gegen die deutsche Politik richten. Sie bringt nicht den Mut auf, klare Trennungsstriche zu ziehen. Und wo ein Behördenchef dann eine Abschiebung vollziehen läßt, kann er des medienverstärkten Protestes von"Gutmenschen" sicher sein. Hier soll aber nicht eine allgemeine Politikerschelte betrieben werden, Ross und Reiter sind zu nennen. Es ist in erster Linie die Partei der Grünen, die immer wieder bremst, wenn sich aus den Gesprächen der großen Parteien eine vernünftige Regelung zugunsten deutscher Interessen abzeichnet.
Wenn unsere verantwortlichen Politikerinnen und Politiker nach weiteren Ursachen von Politik- und Politikerverdrossenheit fragen, dann sollten sie das Grundverhältnis zwischen Wählern und Gewählten nicht außer Acht lassen. Wir nennen es mittelbare oder indirekte Demokratie. Es heißt, dieses Modell habe sich in 50 Jahren bewährt. Hingegen sei einer der Gründe für das Scheitern der Weimarer Republik die stärker plebiszitäre Ausrichtung der Weimarer Reichsverfassung gewesen. Letzteres ist schlicht unzutreffend. Zugleich beinhaltet dieses Argument einen deutlich ausgesprochenen Verdacht gegen das eigene Volk. Die Weimarer Republik ging vor allem an den unmäßigen Forderungen der Sieger zugrunde, insbesondere Frankreichs. Diese maßlosen Reparationsforderungen schlossen einen wirtschaftlichen Erfolg aus, wie ihn die Bundesrepublik mit dem Wirtschaftswunder erlebte. Das Ausbleiben des wirtschaftlichen Erfolges machte es den Extremisten von links und rechts leicht, ihre ideologischen Rezepte für eine bessere Zukunft anzupreisen. Die Revolutionsversuche der Kommunisten, ihren blutigen Kampf mit den Nationalsozialisten in Saal- und Straßenschlachten nahmen die damaligen Deutschen als Chaos, als große Unordnung wahr, und es verwundert nicht, daß sich so mancher nach der geordneten, heilen Welt der Kaiserzeit zurücksehnte. Die Weimarer Republik ging daran zugrunde, daß sie keine Fünfprozent-Hürde und kein konstruktives Mißtrauensvotum kannte. Die Weimarer Republik ging daran zugrunde, daß eine Regierung ohne Legitimation durch das Volk möglich war, nur durch das Vertrauen des Reichspräsidenten getragen. Im übrigen sollten wir nicht zu selbstgerecht sein. Als man sich um 0,5 Prozentpunkte bei der Sozialversicherung stritt und darüber die letzte sozialdemokratisch dominierte Regierung zerbrach, konnte sich niemand, aber auch niemand vorstellen, daß hiermit ein Schritt in die große Katastrophe unseres Volkes getan wurde. Aus dem Scheitern von Weimar, Argumente gegen mehr direkte Demokratie zu schmieden, ist also unhistorisch und falsch.
Nach 50 Jahren erfolgreicher Demokratie in Deutschland ist kein Mißtrauen mehr gegen das Volk angebracht. Wir alle wissen, was Demokratie ist, und wir schätzen ihren Wert hoch. Wir sind inzwischen erwachsene Demokraten. Dann wollen die Menschen, dann will das Volk aber auch als erwachsen behandelt werden. Es stößt auf Abneigung, wenn Politiker sich als Gouvernanten aufspielen. Zu behaupten, die Politik sei halt so schwierig und kompliziert, sie werde nur von Politikerinnen und Politikern verstanden, ist schlicht eine Anmaßung. Das Volk ist nicht der große Lümmel, der eine harte politische Führungshand braucht. Was sich auf unteren politischen Ebenen bewährt hat, zum Beispiel Volksentscheide in den Bundesländern und die Direktwahl von Kommunalbeamten, kann vom Prinzip her auf der Bundesebene nicht falsch sein. Insofern geht der rotgrüne Gesetzentwurf in die richtige Richtung. Ich rufe meinen Kolleginnen und Kollegen zu:"Fürchten Sie sich nicht vor dem Volk, vertrauen Sie dem Volk." Zusammenfassend gesagt: Wir brauchen ein Stück Machtwechsel von der politischen Klasse hin zum Volk. Dazu könnten wir auch den Blick über den Ärmelkanal werfen. Die Direktwahl der britischen Abgeordneten ist ein hervorragendes Mittel, den gewählten Abgeordneten klar zu machen, wer ihr Auftraggeber ist, nämlich das Volk. Kein britischer Politiker besteigt einen Ministersessel, ohne zuvor den Test der Volkswahl in seinem Wahlkreis bestanden zu haben. In Großbritannien reicht es nicht, einen guten Listenplatz zu ergattern und bei der Parteispitze gut angesehen zu sein. Mit der Einführung der Direktwahl von Abgeordneten würden die Parteien ein Stück Macht aus der Hand geben und dem Vorwurf des früheren Bundespräsidenten von Weizsäcker begegnen, die Parteien hätten sich den Staat"zur Beute" gemacht.
Die Deutschen sehen sich natürlich auch in Europa um. Fast alle anderen Länder haben über den Beitritt zur europäischen Union und über die Einführung des Euro in Volksabstimmungen entschieden. Nur die Deutschen nicht. Die wahlberechtigten Franzosen werden in Kürze sowohl über den europäischen Verfassungsvertrag als auch über den Beitritt der Türkei abstimmen. Den Deutschen wird nach gegenwärtigen Berechnungen der Beitritt der Türkei zur europäischen Union jährlich eine Milliardensumme abfordern. Deswegen und wegen einer neuen Kultur des Vertrauens in das Volk kann die deutsche Wählerschaft zu Recht fordern:"Laßt auch uns Deutsche über den Türkei-Beitritt abstimmen." Die entsprechende Forderung der CSU findet meine volle Unterstützung. Ebenso unterstütze ich nachdrücklich weiter die Forderung, den Gottesbezug in den Europäischen Verfassungsvertrag aufzunehmen: Ohne Gott geht Europa zum Teufel.
Nach diesem bundespolitischen Einstieg scheint es mir doch nötig, den einen oder anderen Aspekt der Ereignisse des letzten Jahres hier in der Region zu beleuchten. Einen solchen Ansturm von Zeitungs-, Rundfunk- und Fernsehjournalisten hat es hier noch nicht gegeben. Im Nachbarort Rommerz wurde die Kirmes bis zum Zeltabbau von Fernsehjournalisten genauestens verfolgt. In Neuhof war man an gewissen Tagen vor Journalisten nirgends sicher. Was wollten sie? Das, was Journalisten halt suchen. Eine gute Story. In Berlin hatte man den Hohmann als"Antisemiten","Hetzer" und"Brunnenvergifter" geoutet. Jetzt mußte nur noch bewiesen werden - da er ja immerhin 54 Prozent der Erststimmen erhalten hatte -, daß im Wahlkreis Fulda der Rechtsradikalismus"fröhliche Urständ'" feiert. Um es sinngemäß mit Berthold Brecht zu sagen:"Der braune Schoß ist fruchtbar noch, aus dem Hohmann kroch." So also mußte die Story werden. Eine Story, die sich verkauft, die den Leuten in den großen Städten erklärt, wie die Menschen im Fuldaer Land so ticken. Was illustriert die"braune Gefahr" in Neuhof besser als die Spiegel- Online-Behauptung, -"... die NPD (holt) hier mehr Stimmen als die SPD - und Hohmann die absolute Mehrheit." Was der Reporter damit sagen will, ist ganz klar. Die Hohmann-Jünger und die NPD, die haben das große Sagen in Neuhof. Der Haken an der Geschichte, die Meldung ist falsch, wie so vieles in diesen Tagen. Die vorgefaßte Journalistenmeinung und die Realität paßten nicht zusammen. Tatsache ist, seit Kriegsende hat es nicht einen einzigen rechtsradikalen Mandatsträger in Neuhof gegeben. Die SPD errang in der Regel um die 30 Prozent der Mandate, die CDU 50 bis 70 Prozent, den Rest teilten sich die Grünen und eine regionale Wählergemeinschaft.
Die CDU-Hochburg Region und Stadt Fulda unter NS-Verdacht zu stellen, das war das Ziel. So mancher Journalist war mit dieser festen Überzeugung angereist. Die Kunst des investigativen Journalismus würde schnell zu den braunen Kernzonen unter der weißen beziehungsweise schwarzen Weste dieser CDU-Hochburg vordringen. Stundenlang, tagelang wurde gebohrt. Mit Mikrophon und Kamera oder auch im Zwiegespräch ohne Mikrophon. Ergebnis: Niederschmetternd! Die Leute sind fleißig und anständig. Sie haben eine klare, demokratische Grundüberzeugung und sie lassen sich nicht in irgendeine Ecke stellen. Viele aber waren zurückhaltend. Sie mauerten aus Angst, auch ihnen könne das Wort im Mund herumgedreht werden. Das hatten sie gerade bei Hohmanns Rede erlebt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle mich ausdrücklich vor die Menschen dieser Region und lasse es nicht zu, sie als ewig Gestrige und politisch Zurückgebliebene zu diffamieren. Der Versuch, das schwarze Fulda braun zu machen, ist gründlich mißlungen. Allerdings, man ließ auch nichts unversucht. So wurde einem heimischen Journalisten eine fünfstellige Euro- Summe geboten, wenn er eine"Enthüllungsstory" über Hohmann und seine Frau schreiben würde.
Und daß plumpe Stereotypen wie das"Kugelbäuchlein" eines Kneipenbesuchers und"dampfende Misthaufen" herhalten mußten, zeigt eher die Vorurteile und die Erklärungsnot mancher Journalisten. Warum mußte der Versuch unsere Region zu"versebnitzen" mißlingen? Dafür gibt es eine nahe liegende Erklärung. Wo die NSDAP in der Weimarer- und der NS-Zeit miserabel schlechte Wahlergebnisse einfuhr, da gab es auch in der Nachkriegszeit keine Ansatzpunkte für rechtsextremes Wahlverhalten. Die weit überwiegend katholische Bevölkerung des Fuldaer Landes sah in der Zentrumspartei ihre legitime politische Vertretung. Die Attacken des bismarckschen Kulturkampfes hatten die Menschen hier verletzt und ausgegrenzt. Das hat die Versuchungen, sich nationaler Euphorie und staatsfrommem Gottesgnadentum hinzugeben, sehr klein gehalten. Gewiß ist der demütigende Versailler Diktatfrieden auch in unserer Region besonders wegen seiner Alleinschuldzuschreibung an Deutschland als ungerecht empfunden worden. Das führte allerdings nicht dazu, daß namhafte Teile der Wählerschaft ihre Loyalität zur Zentrumspartei aufgegeben hätten. Der anfangs verdeckte, aber später immer rabiatere Kirchenkampf der NS-Machthaber war geeignet, anfängliche Sympathien im christlich-konservativen Lager schnell verfliegen zu lassen. Und so war nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und mit Gründung der überkonfessionellen CDU diese Partei die legitime Nachfolgerin des Zentrums. Wie dieses vor dem Krieg, so fuhr die CDU nach dem Krieg in der Stadt Fulda Ergebnisse von gut 60-, in den Dörfern der Region 70-, und 80- prozentige Wahlergebnisse ein. Das christliche Milieu in der katholischen Ausprägung hat die Region Fulda bis heute vor politischem Extremismus bewahrt. Das sollte langsam Allgemeingut werden. Ich wehre mich also vehement gegen die dümmliche und unhistorische Unterstellung, im Fuldaer Land gab es früher oder gäbe es heute zahlenmäßig bedeutsame"braune Tendenzen". Das Gegenteil ist der Fall.
Wenn auch die politischen Mehrheitsverhältnisse in Fulda und im Fuldaer Land eine starke Stabilität signalisieren, so sind diese Mehrheiten nicht in den Schoß gefallen, nicht"gottgegeben". Sie sind vielmehr erkämpft. Sie sind erkämpft von hervorragendem politischem Personal. Natürlich soll eine Tendenz zu christlichen Parteien durch das zwar schwächer gewordene, aber immer noch bestehende christliche Milieu nicht verkannt werden. Dieses Milieu bringt bestimmte Führungspersönlichkeiten hervor, dieses Milieu sucht sich bestimmte Führungspersönlichkeiten. Wenn ich jetzt über einige dieser prägenden Menschen sprechen will, dann nicht, um sie persönlich herauszuheben. Das haben sie nicht nötig. Ihre Leistungen sprechen für sich. Sie sind ihren Lebensversprechen treu geblieben und haben jahrzehntelang ehrenhaft gearbeitet. Eher schon möchte ich diese Menschen dem Typus mancher regierenden Hauptstadtpolitiker entgegenstellen.
Da ist ein Landrat, der als Kämmerer die Finanzen des Kreises mit der gleichen Verantwortung wie seine privaten Finanzen geführt hat. In guten Zeiten wurden Rückstellungen gemacht. Damit konnten die exorbitant gestiegenen Sozialausgaben lange abgefedert werden. Auch heute noch hat der Landkreis Fulda hessenweit die geringste Pro-Kopf-Verschuldung und zugleich die niedrigste Kreisumlage. Das heißt, er beläßt trotz seiner niedrigen Schulden den Gemeinden mehr Geld als jeder andere hessische Landkreis. Dieser Landrat hat gehandelt wie ein kluger Hausvater. Nebenbei gesagt, in meinen 15 Bürgermeisterjahren habe ich die Schulden meiner Gemeinde deutlich reduziert. Welcher Kontrast zu den Ministern in den Ländern und im Bund. Von ihnen hören wir oft:"Wir haben über unsre Verhältnisse gelebt". Das ist die schlichte Unwahrheit. Wenn wir, Sie und ich, über unsere Verhältnisse leben, dann ist schnell der Gerichtsvollzieher da. Die meisten politisch Verantwortlichen haben jedes Jahr aus angeblich guten, unabweisbaren Gründen neue Schulden gemacht. Im Grunde handeln sie seit Jahren wie Glücksspieler in der Spielbank. So wie der Spieler seine letzten Reserven setzt und auf den ganz großen Gewinn hofft, so hoffen Finanzminister bei ständig steigender Neuverschuldung sehnsüchtig auf das Wirtschaftswachstum. Dieses Wundermittel soll es dann richten. Das Wirtschaftswachstum soll die Steuerquellen wieder sprudeln lassen. Anders gesagt, das erhoffte Wirtschaftswachstum ist die Wunderwaffe des Hans Eichel. Wie lange soll das noch weitergehen? Wie lange werden die öffentlichen Hände in Deutschland auf hohe Schuldenberge neue Schulden aufhäufen? Allein im Bund nächstes Jahr 43 Milliarden! Wie lange lassen sich die Verantwortlichen von dem Satz leiten:"Für mein Leben wird es noch reichen?" Wird es so kommen, wie Joachim Fest schreibt:"daß die Sorge vor den immerhin lösbaren Krisen des Tages dauernd verdrängt und die große und möglicherweise unlösbare Krise unvermeidlich wird, wenn die Bücher doch endlich aufgedeckt werden müssen"?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, jeder spürt es, man kann fast sagen, jeder weiß es, die sieben fetten Jahre sind vorbei. 72 Prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger gehen davon aus, daß das Rentensystem in Kürze unfinanzierbar wird. Was wir uns derzeit leisten, ist geborgter Reichtum, geborgt bei unseren Kindern und Kindeskindern. Dabei wissen wir, wir werden das Geborgte nicht zurückgeben können. Im Gegenteil, über den finanztechnischen Weg des Kredits borgen wir immer mehr und unseren Nachkommen wird eine Schuldenlawine hinterlassen, die alles in den Abgrund reißen wird. Unsere Nachkommen werden fassungslos vor dem Egoismus der heute handelnden Generation stehen. Sie werden fragen: Wie konntet ihr derart ungehemmt Konsum auf unsere Kosten betreiben?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Dilemma für die jetzige Politikergeneration ist riesig. Sie war gewöhnt, Wohltaten zu verteilen und damit Wohlverhalten zu erkaufen. Die Zeit der Zuwächse ist aber längst vorbei, besonders auch durch die dramatische Bevölkerungsabnahme. Wer darauf vor fünf Jahren hinwies, wurde der Deutschtümelei geziehen und gefragt, ob er die Hitler'schen Mutterkreuze wieder einführen wolle. Heute nennt man diesen dramatischen Rückgang der deutschen Bevölkerung Demographie. Aber es besteht wenig Bereitschaft, den Menschen die dramatischen unausweichlichen Veränderungen klar zu machen. Mein Vorschlag: Die Politikerinnen und Politiker sollten ein Zeichen setzen. Bereits im letzten Wahlkampf habe ich in jeder Wahlrede das Beispiel einer japanischen Firma gebracht. Wenn dort die Erträge einbrechen, wird in der Konzernspitze um 16 Prozent gekürzt, bei dem mittleren Management um acht Prozent, bei den Arbeitern an der Werkband um vier Prozent. Das wird beibehalten, bis die Firma wieder schwarze Zahlen schreibt. Ich füge hinzu, daß ich mich bei den acht Prozent einordne. Ein solches Zeichen wäre ein Signal. Ein Signal dafür, daß wir uns nicht als Großgruppe von Konsumenten verstehen, sondern als Schicksalsgemeinschaft. Als Nation eben. Unsere Eltern haben das Elend des Krieges und den mühevollen Aufstieg danach gemeistert. Durch günstige Umstände konnten wir einen ungeahnten Massenwohlstand geniessen, den es nie zuvor in Deutschland gegeben hat. Jetzt aber ist die Aufgabe, den Menschen reinen Wein einzuschenken und an die Opferbereitschaft und die Kraft zum Verzicht zu appellieren. Das aber geht nur, wenn die Verantwortlichen selbst zum Verzicht bereit sind. Wir werden diese Krise aus eigener Kraft meistern müssen. Brüssel oder die UNO werden nicht helfen.
Können wir uns überhaupt ein Leben vorstellen, bei dem das Radio nicht jede Stunde und das Fernsehen in einem Lauftext die Kurse der wichtigsten Aktien und die Stände der großen Börsen durchgibt. Können wir uns vorstellen, auf Mobilität, ein eigenes Auto zu verzichten? Können wir uns ein Leben wie in den fünfziger Jahren vorstellen? Viel bescheidener, viel einfacher als jetzt. Bitte erschrecken Sie nicht über solche Gedanken. Für mich sind das keine Horrorvorstellungen, sondern unausweichlich nahe Realität.
Es wird darauf ankommen, unser Leben neu auszurichten. Neben die abnehmenden materiellen Werte werden um so stärkere ideelle Werte treten müssen. Wo sollen diese herkommen? Lassen Sie mich nach unserem hiesigen Landrat auf zwei andere regional bedeutsame Persönlichkeiten hinweisen. Der frühere Fuldaer Oberbürgermeister hat in einem sehr lesenswerten Buch mit dem Titel"Mit meinen Augen - elftausend Tage für eine Stadt" viel Mut bewiesen. Er hat nämlich dargestellt, wie er in schwierigen Entscheidungssituationen Zwiesprache mit unserem Stadtpatron, Bistumsheiligen und Apostel der Deutschen gehalten hat. Er fragte Bonifatius um Rat, wie man einen guten Freund fragt. Seine Fragen deuten aber über Bonifatius hinaus. Im Grunde bekennt der Ex-Oberbürgermeister damit seine eigene menschliche Begrenztheit, zeigt zugleich aber auch sein grenzenloses Vertrauen auf den, der hinter Bonifatius steht. Dieses Vertrauen in den Dreifaltigen Gott hat den Menschen im Fuldaer Land über die Jahrhunderte Kraft und Zuversicht gegeben. So konnten die vielen existentiellen Nöte durchgestanden werden. Davon kündet der Text eines alten Kirchenliedes:"Wende weg von unsren Hütten, höre gnädig unsere Bitten, Krankheit, Krieg und Hungersnot, gib uns täglich unser Brot". Diese Zuversicht und der Glaube an das Wirken eines personalen, gnädigen Gottes gab auch die Kraft, Widerstand zu leisten. Damals im Kulturkampf, dann in der Hitlerzeit und heute gegen die Zumutungen des Zeitgeistes und die brüchigen Versprechen materieller Sicherheit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als dritten mutmachenden Fuldaer möchte ich den verehrten, im Jahr 2000 verstorbenen Erzbischof Dr. Johannes Dyba nennen. Seine Gegner reduzierten ihn gerne auf einen unduldsamen Rigoristen. In Wirklichkeit aber trieb ihn die Sorge um die Zukunft der Menschen um. Er warb, wie der Papst, für eine"Kultur des Lebens". Immer wieder machte er klar, daß die Gebote Gottes ein Angebot an die Menschen sind, um ihnen das Leben zu erleichtern, um ihrem Leben einen Sinn zu geben. Dabei prägte ihn die gläubige Gewißheit, daß es Gott gut mit uns Menschen meint. Diese Gewißheit war so stark, daß er frei von Angst und Furcht über seinen eigenen Tod als einen Geburtsvorgang zum Licht und zu ewiger Freude reflektieren konnte. Diese Gewißheit drückte sich auch in seinem Wahlspruch aus."Kinder Gottes sind wir". Hinzu zu denken war, was kann uns dann Schlimmes geschehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau diese Gewißheit müssen wir neu beleben. Sie wird uns Kraft geben, die vor uns liegenden schweren Zeiten zu meistern. Sie wird uns Kraft geben, uns wieder als ein Volk zu verstehen. Als das deutsche Volk, das seine Kräfte auf die Zukunft konzentriert und bereit ist, dafür Opfer zu bringen. Was ich damit zum Ausdruck bringen will, sagt niemand besser als Friedrich Schiller, mit dem ich schließen möchte:"Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr. Wir wollen frei sein wie's die Väter waren. Wir wollen trauen auf den höchsten Gott und uns nicht fürchten vor der Macht von Menschen."
Quellen: www.kritische-solidaritaet.de; www.martinhohmann.de
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