JoBar
14.10.2004, 21:43 |
With special appointment to Zandow: Das Troja Sachsen-Anhalts Thread gesperrt |
-->Mal hier Lesen: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/wissenschaft/386385.html?2004-10-15
Das Troja Sachsen-Anhalts
Die Himmelsscheibe von Nebra wird in Halle ausgestellt. Sie gibt Einblicke in die Gedankenwelt der Bronzezeit
Bettina Sauer
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Der Himmel über Nebra
Die Himmelsscheibe von Nebra ist nicht nur eine archäologische Sensation, sondern auch faszinierend schön. 3600 Jahre alt, zeugt sie von der Kultur der Bronzezeit. Forscher verstehen sie als Dartellung des Himmels zu Beginn und Ende des bäuerlichen Jahres. Ab Freitag ist sie im Museum für Vorgeschichte in Halle zu sehen.
(Foto: ddp/Sebastian Willnow)
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Raubgräber entdecken sie vor fünf Jahren erdverkrustet nahe des Flüsschens Unstrut im Waldboden. Anschließend kursiert die Bronzescheibe auf dem Schwarzmarkt für Kunstschätze. Sie wird von der Polizei sichergestellt und mit großem Aufwand wissenschaftlich untersucht. Seitdem Wissenschaftler auch nur ahnen, was sich hinter dem Fund aus Nebra in Sachsen-Anhalt verbergen könnte, sorgt er für Wirbel: sowohl bei Archäologen, die sich über die älteste Himmelsdarstellung der Welt freuen, als auch bei Souvenirhändlern, die T-Shirts und Tassen mit der grün-goldene Scheibe bedrucken ließen.
Von heute an dürfte die als"Himmelsscheibe von Nebra" bekannte und 3 600 Jahre alte Bronzeplatte neue Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Denn das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle zeigt sie zusammen mit 1 600 weiteren Fundstücke aus 18 Ländern. Besondere Schätze sind der Sonnenwagen aus dem dänischen Trundholm und die Goldschiffchen von Nors. Im Zentrum aber steht die Nebra-Scheibe. Ihr zu Ehren heißt die Ausstellung"Der geschmiedete Himmel".
Die Geheimnisse zu lüften, die sich hinter 32 Sternen, einem Sichelmond, einem Vollmond und mehreren Bögen aus Gold verbergen, heißt, den Geist der Bronzezeit zu verstehen. Vor allem deshalb wurde der Fund in den vergangenen zwei Jahren gründlich untersucht. Herausgefunden haben die Wissenschaftler, dass die Scheibe einen Ausschnitt aus der bronzezeitlichen Mythologie abbildet. Demnach segelt die so genannte Sonnenbarke - der untere Goldbogen - Nacht für Nacht über den südlichen Himmel. Nachdem die Sonne abends am westlichen Horizont versunken ist, bringt die Sonnenbarke sie zurück in den Osten, damit sie den nächsten Tag einleuchten kann.
Diesen Befund stellten der Astronom Wolfhard Schlosser von der Ruhr-Universität Bochum und der Archäologe Harald Meller vom Landesamt für Archäologie in Halle. Unterstützt wurden sie von vielen Kollegen: Materialwissenschaftler untersuchten die chemische Zusammensetzung der Metalle, Restauratoren setzten die Scheibe instand, andere Astronomen interpretierten die abgebildeten Himmelsgestirne."Die Idee der Sonnenbarke hatten die Archäologen", sagt Schlosser."Solche Gefährte sind ihnen auch Ägypten und Skandinavien bekannt." Dort seien die Barken häufig mit Rudern ausgestattet gewesen - dafür halten die Forscher auch einen Stoppelbart zarter Striche, die rings um den Bogen eingraviert sind.
Die Wissenschaftler vermuten, dass die Schmiede von Nebra sich das Himmelsmeer, über das die Barke segelt, als Kuppel vorstellten. Die Erde sahen sie als Scheibe, überwölbt vom Himmel, umkreist von Sonne, Mond und Sternen. Dieses Weltbild propagierte auch die Kirche noch bis zum Beginn der Neuzeit. Für den Urheber der Idee hielt man bislang Thales von Milet - er lebte von 640 bis 546 vor Christus. Doch der griechische Mathematiker formulierte sie erst, als die Schöpfer der Himmelsscheibe von Nebra schon tausend Jahre tot waren.
Dieses noch im Mittelalter vorherrschende Weltbild scheint also in der Bronzezeit schon bekannt gewesen zu sein. Dafür sprechen Indizien, die Meller und Schlosser fanden, als sie über die Bedeutung der Goldbögen am Rand der Scheibe nachdachten. Einer dieser Bögen ist abgefallen, seine Leerstelle und der andere Bogen umschließen jeweils einen Winkel von 82 Grad. Das entspricht genau dem Bogen, den die Sonnenauf- und -untergänge vom 21. Juni bis zum 21. Dezember überstreichen. Die Enden der Bögen markieren die Sonnenwenden, die schon seit rund siebentausend Jahren gefeiert werden. Die Nutzer der Scheibe konnten mit den Bögen außerdem den Lauf der Sonne über das Jahr verfolgen.
Lange waren sich die Forscher darüber im Unklaren, welcher Bogen für die Morgen- und welcher für die Abendsonne steht. Aufschluss gaben ihnen schließlich die beiden Monde. Nach Schlossers Überlegungen kann die leicht gekippte Mondsichel in der rechten Hälfte der Scheibe nur für den Mond stehen, der von der untergehenden Sonne beschienen wird. Deshalb müsse der Bogen neben diesem Mond für den Sonnenuntergang stehen. Wie auf modernen Sternenkarten ist damit Westen auf der Scheibe rechts.
Die Scheibe symbolisiert zwar die Himmelskuppel mit Gestirnen, eine präzise Sternenkarte ist sie jedoch nicht. Als einziges erkennbares Sternbild prangen zwischen den beiden Mondabbildungen die Plejaden auf der Scheibe. Sie gingen Schlossers Berechnungen zufolge in der Bronzezeit im Raum Nebra am 10. März und 17. Oktober in der Abenddämmerung unter. Anfang März aber war es für die Bauern an der Zeit, die Felder zu bestellen, Mitte Oktober mussten sie die letzte Ernte einfahren. Daran wurden sie vor mehr als 3 500 Jahren womöglich von der Scheibe erinnert. Denn im Frühling zeigte sich oft eine Mondsichel beim Plejadenuntergang, im Herbst hingegen der Vollmond.
Das Universum als Kuppel, die Sonnenwenden als Endpunkte goldener Bögen und die Plejaden als Signale im bäuerlichen Jahr -"die Scheibe bündelt das astronomische Wissen der damaligen Zeit", sagt Meller. Damit sei sie für das Volk, das sie schuf, ungeheuer wichtig gewesen. Das zeigt auch der Fundort der Scheibe: Sie wurde zusammen mit kostbaren Schwertern vergraben, wie sie sich Fürsten schmieden ließen. Meller vermutet, dass die Fürsten die Scheibe auch herstellen ließen, um sie dem Volk vorzuführen. Außerdem hätten sie wohl die Deutungshoheit über das astronomische Wissen gehabt. Vielleicht haben sie die Scheibe aus diesem Grunde im Laufe von rund zwei Jahrhunderten immer wieder verändert.
So zeigte die Urfassung nur die Sterne und die beiden Monde - ein rein nächtlicher Bezug. Später kam durch die Einfügung der Horizontbögen auch die Sonne ins Spiel, zuletzt setzten die Schmiede als mythologische Verzierung das Sonnenschiff auf das Firmament.
Die Interpretation der Scheibe eröffnet ganz neue Perspektiven auf die Bewohner der Bronzezeit im Raum des heutigen Deutschlands."Wir wussten bislang nur, in welchen Häusern sie lebten, was sie aßen, welche Transportwege sie nutzten und wie alt sie wurden", sagt Meller."Sie haben hingegen nichts geschrieben und kaum gemalt. [Obacht jetzt kommt es!]Der Fund in Nebra gibt uns zum ersten Mal einen tieferen Einblick in die Gedanken der damaligen Menschen." [Das sage ich doch immer! Einfach heutigen Maßstäbe anzulegen ist voll daneben] Und er liefert einen Beleg dafür, dass die bronzezeitliche Kultur nördlich der Alpen auf einem beachtlichen Niveau stand. Wolfhard Schlosser:"Möglicherweise sah das Lebensumfeld im heutigen Sachsen-Anhalt damals ähnlich aus wie das der Griechen zu Zeiten des Trojanischen Krieges."
Grüße
J
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Zandow
16.10.2004, 15:49
@ JoBar
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Saat und Ernte, nixda! |
-->Hi JoBar,
yooo, diese Ausstellung werde ich mir nicht entgehen lassen. Sowas kommt in dieser Fülle nicht so schnell wieder. Das ist ein absolutes Schmankerl.
Noch kurz zu einem Auszug aus dem von Dir geposteten Text:
"Anfang März aber war es für die Bauern an der Zeit, die Felder zu bestellen, Mitte Oktober mussten sie die letzte Ernte einfahren. Daran wurden sie vor mehr als 3 500 Jahren womöglich von der Scheibe erinnert. Denn im Frühling zeigte sich oft eine Mondsichel beim Plejadenuntergang, im Herbst hingegen der Vollmond."
Diese Interpretation ist m.E. abzulehnen. Die Bauern brauchten zur Feststellung der Saat- und Erntetermine keine Himmelsbeobachtungen. Hierbei spielt in erster Linie das aktuelle Wetter eine Rolle. Das Werden und Vergehen in der Natur (Wachstumszyklus der Pflanzen; Gräser und Kräuter z.B.) bietet genügend und treffsichere Anzeichen für den jahreszeitlichen Verlauf der Natur. Daran orientieren sich die Bauern seit Jahrtausenden.
Die Himmelsscheibe zeigt zweifellos Termine an. Da diese Termine nichts, aber auch gar nichts mit irgendwelchen Saat- oder Ernteterminen zu tun haben, müssen sie einen anderen Zweck erfüllt haben. Die Grabausstattung (zwei Schwerter z.B.) weisen hier auf einen herrschaftlichen Zweck hin. Und nun dürfen wir alle mal raten, welcher Zweck dies wohl war.
Herzliche Grüße und ein schönes Wochenende, <font color=#008000>Zandow</font>
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JoBar
17.10.2004, 15:42
@ Zandow
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Re: Saat und Ernte, nixda! - Wieso bist Du Dir da so sicher? |
-->...
>Die Himmelsscheibe zeigt zweifellos Termine an. Da diese Termine nichts, aber auch gar nichts mit irgendwelchen Saat- oder Ernteterminen zu tun haben, müssen sie einen anderen Zweck erfüllt haben. Die Grabausstattung (zwei Schwerter z.B.) weisen hier auf einen herrschaftlichen Zweck hin. Und nun dürfen wir alle mal raten, welcher Zweck dies wohl war.
>...
[b]Betrachte ich die von Batatu in"The Old Social Classes... in Iraq" beschriebenen sozialen Strukturen und Prozesse als"überlebende Fossilien" aus der damaligen Zeit, so gab es da die Position des Sirkals (= supervisor of cultivation). Im Auftrag des land owners gab der Sirkal den unwissenden(?) Bauern/Hörigen vor, wann sie was auf den Feldern zu tun hatten.
Eine Mißernte war/ist ein viel zu großes Unglück, als das man nicht alles unternahm um selbiges zu verhindern. Denke nur mal an die auch noch heute stattfindenden Flur-Prozessionen.
Wie sollte denn ein steinzeitlicher Landmann ohne Landfunk, Raiffeisen-Berater, ja sogar ohne einen Kalender(!) den richtigen Zeitpunkt für die Aussaat bestimmen? Nach Gefühl? Viel zu riskant, denn eine Mißernte... s.o.
Ein Ritual, zB in Verbindung mit Himmelscheibe und Priestern oder Machthabern gäbe doch eine"Win-Win"-Situation für alle. Dieses Ritual bringt dem Landmann ein bißchen Sicherheit in seine doch so unübersichtliche Welt. Der Priester/Machthaber baut seinen Status aus; das rechtfertigt dann auch einen Obulus.[b]
JAT
J
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Zandow
19.10.2004, 10:30
@ JoBar
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Goseck, Stonehenge, Nebra |
-->Hi JoBar,
>Betrachte ich die von Batatu in"The Old Social Classes... in Iraq" beschriebenen sozialen Strukturen und Prozesse als"überlebende Fossilien" aus der damaligen Zeit, so gab es da die Position des Sirkals (= supervisor of cultivation). Im Auftrag des land owners gab der Sirkal den unwissenden(?) Bauern/Hörigen vor, wann sie was auf den Feldern zu tun hatten.
Das ist doch genau das, was ich meinte: Supervisor, im Auftrag des landowners, Hörige...
Alles Elemente von Macht und Herrschaft! In der Himmelsscheibe einen Kalender für landwirtschaftliche Zwecke zu erkennnen, ist eine Fehlinterpretation. Die Himmelsscheibe diente herrschaftlichen Zwecken. Ebenso das Ringobservatorium von Goseck (unweit des Fundortes der Nebra-Scheibe) und Stonehenge.
Das Kupfer für die Bronze der Himmelsscheibe stammt aus den Ostalpen. Mächtig großer Aufwand für einen Kalender! Meinst Du nicht auch?
>Eine Mißernte war/ist ein viel zu großes Unglück, als das man nicht alles unternahm um selbiges zu verhindern.
Bernbeck ("Die Auflösung der häuslichen Produktionsweise") sagt dazu anderes: Innovationen und Verbesserungen ("alles unternehmen") fanden in der Zeit der bäuerlichen Subsistenzwirtschaft nicht statt, ja konnten gar nicht stattfinden.
>Denke nur mal an die auch noch heute stattfindenden Flur-Prozessionen.
Prozession -> Religion -> Macht!! Womit wir wieder beim herrschaftlichen Zweck wären.
>Wie sollte denn ein steinzeitlicher Landmann ohne Landfunk, Raiffeisen-Berater, ja sogar ohne einen Kalender(!) den richtigen Zeitpunkt für die Aussaat bestimmen? Nach Gefühl?
Aus Erfahrung und der Beobachtung des natürlichen Jahresablaufs. Hast Du schon mal was von der Vogeluhr gehört? Gleiches gibt es auch für den jahreszeitlichen Verlauf der Natur. Ich sehe hier nun wirklich kein Problem.
>Viel zu riskant, denn eine Mißernte... s.o.
Ja, und diese Risiken lassen sich bis heute nicht ausschließen. Trotz Atomuhren!
>Ein Ritual, zB in Verbindung mit Himmelscheibe und Priestern oder Machthabern gäbe doch eine"Win-Win"-Situation für alle. Dieses Ritual bringt dem Landmann ein bißchen Sicherheit in seine doch so unübersichtliche Welt. Der Priester/Machthaber baut seinen Status aus; das rechtfertigt dann auch einen Obulus.
Genau um jenen Obulus geht's ja. Dieser jedoch nur durch Zwang zu erlangen! Ob dadurch eine Win-Win-Situation entsteht, solle jeder für sich selbst entscheiden.
Herzliche Grüße, <font color=#008000>Zandow</font>
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bernor
19.10.2004, 11:13
@ Zandow
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Re: Goseck, Stonehenge, Nebra - Wetter & Kalender |
-->Hi Zandow,
>Wie sollte denn ein steinzeitlicher Landmann ohne Landfunk, Raiffeisen-Berater, ja sogar ohne einen Kalender(!) den richtigen Zeitpunkt für die Aussaat bestimmen? Nach Gefühl?
Aus Erfahrung und der Beobachtung des natürlichen Jahresablaufs. Hast Du schon mal was von der Vogeluhr gehört? Gleiches gibt es auch für den jahreszeitlichen Verlauf der Natur. Ich sehe hier nun wirklich kein Problem.
Ich aber: der"jahreszeitliche Verlauf der Natur" kann sehr launisch sein (siehe Wetterkapriolen) - daher werden sich schon die frühesten Menschengruppen, soweit für sie Jahreszeiten relevant waren, nach dem Mond gerichtet haben (12 mal Voll- oder Neumond ergab fast ein Jahr - erst danach konnte man sich relativ sicher nach dem Wetter - oder den Vögeln(?) - richten).
Auch die späteren Wetterregeln der Bauern (Siebenschläfer usw.) sind, wenn überhaupt, nur in Verbindung mit dem Kalender brauchbar.
>Ein Ritual, zB in Verbindung mit Himmelscheibe und Priestern oder Machthabern gäbe doch eine"Win-Win"-Situation für alle. Dieses Ritual bringt dem Landmann ein bißchen Sicherheit in seine doch so unübersichtliche Welt. Der Priester/Machthaber baut seinen Status aus; das rechtfertigt dann auch einen Obulus.
Es ist zwar richtig, daß ein Win-Win-Verhältnis der Beteiligten zueinander nicht den Zwang ersetzt(e) - es macht(e) ihn allerdings erträglicher und damit, weil Angstgefühle reduzierend oder kompensierend, letztendlich auch produktiver.
Gruß bernor
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Zandow
19.10.2004, 11:51
@ bernor
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Höhere Produktivität ist Folge von Zwang! |
-->Hi bernor,
>Es ist zwar richtig, daß ein Win-Win-Verhältnis der Beteiligten zueinander nicht den Zwang ersetzt(e) - es macht(e) ihn allerdings erträglicher und damit, weil Angstgefühle reduzierend oder kompensierend, letztendlich auch produktiver.
Eine produktivere Produktion ist nicht das Ziel (der Wunsch oder das Bedürfnis) der Menschen, sondern die Folge von Zwang. In der dabei steigenden materiellen Lebensqualtät liegt nun die Ursache für die starke Basis der Macht in der Bevölkerung. Diejenigen, die ein gutes materielles Leben unter der Macht haben, stützen diese natürlich, und diejenigen, die mit ihrem materiellen Leben unzufrieden sind, wollen selbst an die Macht.
Also, mir ist das alles klar.
Beste Grüße, <font color=#008000>Zandow</font>
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