-->10. Dezember 2004, 02:12, Neue Zürcher Zeitung
Patrioten der Wertschöpfung
Neudeutscher Patriotismus und der Preis der Ernüchterung
Die deutsche politische Rhetorik hat den Patriotismus entdeckt. Als emotionales Widerlager gegen die Globalisierung soll er fungieren und zugleich die Haltung schaffen, mit der die wirtschaftliche Modernisierung zu bewältigen ist. Ein paradoxes Unterfangen.
Amerika, dir fallen solche Sätze leichter: «Nationalstolz ist für ein Land dasselbe wie Selbstachtung für den einzelnen: eine notwendige Bedingung der Selbstvervollkommnung», schrieb Richard Rorty vor ein paar Jahren in seinem Versuch, den Patriotismus auch für Linke schmackhaft zu machen. Der liberale Philosoph gelangte zu der bemerkenswerten Feststellung, zwar müsse die Erinnerung an den Indianermord und an Vietnam den Stolz Amerikas zügeln, «doch nichts, was eine Nation getan hat, sollte es einer konstitutionellen Demokratie verwehren, ihre Selbstachtung wiederzuerlangen».
Deutschland hat weit schlimmere Verbrechen im historischen Gepäck als die USA, und forsche Bekundungen nationalen Stolzes halten sich unter den Bundesrepublikanern noch immer in Grenzen. Doch wer der gegenwärtigen deutschen Debatte über Leitkultur und Patriotismus folgt, könnte den Eindruck gewinnen, dass sich diese Debatte die Devisen Rortys zu eigen macht. Zumindest rhetorisch geht es der deutschen Selbstachtung wieder ganz gut, und dies nicht erst seit gestern. In Johannes Rau hatte man einen Bundespräsidenten, der bei Amtsantritt erklärte, nie Nationalist, jedoch stets Patriot sein zu wollen, und Raus Nachfolger Horst Köhler wartete mit dem Bekenntnis auf, er liebe sein Land. Nachdem ein Bundespräsident in der Nachkriegszeit es noch vorgezogen hatte, Liebeserklärungen für seine Gattin aufzusparen, klang Köhlers Wort in vielen Ohren ungewohnt. Besondere Aufregung indes war ihm nicht beschieden.
Nationale Folklore
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Wie muss man es dann bewerten, dass sich die Rede von Patriotismus in der politischen Klasse eines solchen Aufschwungs erfreut? Denn die Zustimmung ist ja überraschend allgemein. So hatte sich die CDU für ihren diesjährigen Parteitag in Düsseldorf, der Anfang Woche stattfand, das Begriffspaar Patriotismus und Integration zum rhetorischen Zugpferd erwählt, und wenn wir uns die Reaktionen der politischen Konkurrenz zu Gemüte führen, so gilt: Jede der im Bundestag vertretenen Parteien wollte und will an dieser Rhetorik partizipieren. Ob Liberale oder Sozialdemokraten, ja selbst die Grünen reklamieren Patriotismus für sich oder werfen dem Gegner vor, es mangele ihm daran.
Das geht freilich nur, weil die neudeutsche patriotische Rede den Preis der Ernüchterung bezahlt hat. Ernüchterung steckt zunächst im beharrlichen Gebrauch des Fremdwortes: Man könnte statt Patriotismus ja auch die «Vaterlandsliebe» beschwören. Aber diese Vokabel changiert zu sehr, sie weicht die Grenze auf, die zwischen legitimem Patriotismus und verwerflichem Nationalismus gezogen werden soll.
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Zweitens sorgt für Ernüchterung, in welche Zwecke der Patriotismus heuer eingespannt wird. Regierung wie Opposition setzen ihn mittlerweile mit der effektiven Verfolgung deutscher Wirtschaftsinteressen gleich. In den politischen Ansprachen und Statements feiert eine Haltung Triumphe, die man wohl am besten als Wertschöpfungspatriotismus beschriebe. Kanzler Schröder verkündet, Patriotismus sei, was er jeden Tag tue, und so auch, mit den Chinesen besonders viele Handelsverträge zum Frommen der deutschen Prosperität abzuschliessen. Die Opposition wiederum spricht ihm unter Bezug auf die hohe Arbeitslosigkeit eine patriotische Gesinnung ab. Der starre Blick aufs Ã-konomische bleibt in beiden Fällen der gleiche. Und das soll die emotionalen Bindekräfte stärken?
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Dämpfend wirkt die Verbindung von Patriotismus und Modernisierung auch durch ihre inneren Widersprüche. Das Zusammengehörigkeitsgefühl als Nation wird beschworen, um im reissenden Strom der Globalisierung einen Ankerplatz zu schaffen. Als Modernisierer jedoch stehen die neudeutschen Patrioten auf Seiten der Globalisierung und der internationalen Handelsbeziehungen. Das passt nicht zusammen, es führt nur zu Kuriositäten wie der Schelte Schröders an die Adresse deutscher Wirtschaftsbosse, die Auswanderung deutschen Geldes und deutscher Maschinen in Niedriglohnzonen sei ein «unpatriotischer Akt». Wohl sind solche Verknüpfungen des Patriotismus mit Arbeiterinteressen geeignet, auch die politische Linke zu begeistern. - Der Publizist Mathias Greffrath hat einmal träumerisch darüber nachgedacht, wohin eine Standortdebatte dieser Art konsequenterweise führen müsste: «Das ‹deutsche Modell› wird zum nationalen Erbe erklärt, den Wirtschaftsdeserteuren werden die Bundesverdienstkreuze aberkannt, Steuerflucht wird endlich als das gebrandmarkt, was sie ist: ökonomische Fahnenflucht. Entlassungen werden als Dolchstoss an der Heimatfront angeprangert und die Verlagerung von Produktionsanlagen in ferne Kontinente als Hochverrat.» Hier wird der Wertschöpfungspatriotismus endgültig zur Glosse.
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http://www.nzz.ch/2004/12/10/fe/page-articleA1UYS.html
Schon witzig, die deutschen Patrioten [img][/img]
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