bernor
18.11.2005, 10:55 |
Bundeshaushalt 2006 GG-widrig? Ach was! Thread gesperrt |
-->Auszug:
--------------
Union zieht Einwände zurück
Die Union hat im Haushaltsstreit mit der SPD nachgegeben. Sie zog ihre verfassungsrechtlichen Einwände gegen den Etatentwurf für 2006 zurück, um massive Steuererhöhungen und Einschnitte abzuwenden.
Berlin - Union und SPD stimmten nun überein,"dass eine akute Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht vorliegt", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Norbert Röttgen. Dies sei"Ausdruck eines ehrlichen Neuanfangs" in der Haushaltspolitik. Wenn man nun versuchen würde, die Neuverschuldung unter die Investitionen zu drücken, seien massive Steuererhöhungen oder Einschnitte nötig, so dass dann ein wirtschaftliches Ungleichgewicht eintreten würde. Indem man diese Störung abwende,"handele man im Sinne der Verfassung", erklärte Röttgen.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,385599,00.html
----------------------------------------------------
Wie schon gesagt: Alles wird gut!
Gruß bernor
|
MI
18.11.2005, 12:10
@ bernor
|
Re: Bundeshaushalt 2006 GG-widrig? Ach was! |
-->Genau. Damit der Haushalt nicht verfassungswidrig ist, muß er verfassungswidrig sein. Jetzt habe ich das auch mal verstanden.
MI
|
dottore
18.11.2005, 13:12
@ bernor
|
Re: Endlich die Carte Blanche! |
-->Bingo, bernor!
Wir sind am Kern und ich glaube, die meisten von uns (ich inklusive) haben den jahrelang übersehen.
Das Schlüsselwort heißt"Abwehr". Also eines künftigen (erwarteten oder sonstwie) Zustandes. Und nicht etwa"Beseitigung" eines vorhandenen (mess- oder beobachtbaren). Zustand = Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.
Das bedeutet im Klartext: Carte blanche für jede Form der Haushaltsführung, konkret: des Schuldenmachens. Da man immer sagen kann: Machen wir diese Schulden nicht, wehren wir die Störung nicht ab, die sich ergäbe, wenn wir keine Schulden machen. Beweis ist nicht zu führen und muss auch nicht geführt werden.
Dabei hilft auch der Verweis auf das Bundesgesetz, das"Näheres" regeln würde, nicht. Es stammt aus 1967 (Karl Schiller) und sei der Vollständigkeit halber noch einmal in Erinnerung gerufen:
Das sog."Stabilitätsgesetz.
Man beachte in §§ 19 ff. die"Kann"-Bestimmungen, falls man überhaupt Lust hat, den Qautsch zu lesen, der lt. klassischem Keynesianismus sogar noch von solchen Hirngespinsten wie"Konjunkturausgleichsrücklagen" (sic!) ausging (§ 7 und so), also von der Existenz und Behandlung von"Überschüssen".
Wie schaut's nun an der Front aus. Bekanntlich sind diverse Länder-Haushalte für verfassungswidrig erklärt worden (Steinbrück hat sich als NRW-FM gleich zwei davon eingefangen). Auch der Berliner Verfassungsgerichtshof hat im Oktober 03 den Haushalt des Landes 2002/03 für verfassungswidrig erklärt.
Zu dem Urteil gibt es diverse kluge Kommentare, die u.a. darauf hinauslaufen, dass es so etwas wie ein"gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht auf Länderebene" schon ex definitione nicht geben kann, da ein Bundesland nichts mit der"Gesamtwirtschaft" zu tun haben kann. Was unschwer schon an zwei der 4"Gleichgewichtstatbeständen" zu erkennen ist: stabiles Preisniveau und außenwirtschaftliches Gleichgewicht.
Inzwischen ist die finanzwissenschaftliche Diskussion auch über die ursprüngliche Keynes-Idee hinaus (Staatsschulden = was Schönes für künftige Generationen, die sich überdies"selbst" finanzieren, weil diese Generationen diese Investitionen sich sparen können; dass dies ohnehin Schwachsinn ist, hat die hier schon geführte Debatte über Abschreibungen / Wertberichtigungen bzw. Rücklagen für Ersatzinvestitionen ergeben, mit dem Hinweis, dass die öffentlichen Körperschaften solche Dinge nicht berücksichtigen, was darauf hinausläuft, dass auch"künftige Generationen" letztlich die einmal gebaute Straße (Beispiel) immer wieder von Neuem finanzieren müssen, da sie sich bekanntermaßen abnutzt wie jede unternehmerische Investition auch, wodurch sich die entsprechenden Zinszahlungen für die fremdfinanzierten Staats-Investitionen logischerweise kumulieren, die künftigen Generationen also nicht etwa ent-, sondern belasten).
Die neuere Finanzwissenschaft geht nun nicht mehr vom"guten" und neutral operierenden Staat aus, sondern setzt bei den Politikern und Beamten an: Politiker haben nicht die Gemeinwohl im Auge, sondern ihr eigenes berufliches Interesse (Wiederwahl). Die Beamten sind darauf erpicht, ihren Macht- und Möglichkeitenbereich zu maximieren, was sich anhand der Gesetzesflut unschwer belegen lässt.
Daher wird gefordert, beiden mit institutionellen Schranken entgegen zu treten.
Dass das GG dabei versagt, ist bekannt und durch den schönen Beitrag von Norbert Röttgen
[img][/img]
(rechts im Bild) noch einmal deutlich gemacht worden.
Die"institutionellen Schranken" ex Maastricht können wir aufgrund des Nichtvollzugs derselben ebenfalls auf den Müll kippen. Dass die EU jemals ein Mitglied sanktionieren würde (auf die BRD käme eine zweistellige Milliardensumme zu) ist ein bizarres Märchen, das inzwischen selbst die Dümmsten nicht mal mehr als Hinweis hören wollen.
Aus Ländersicht ergibt sich außerdem:
1. Das bereits Gesagte:"gesamtwirtschaftliche Gleichgewichte" dort sind offenbarer Humbug.
2. Auch"Haushaltsnotlagen" sind nirgends definiert. Das BVG hatte zwar 1992 an so was wie"Kreditfinanzierungs-" bzw."Zins-Steuer-Quote" gedacht, sich aber einer Präzisierung der"Quoten" enthalten.
3. Bei den"Investitionen" fehlt, was heute so schön"Bildungsinvestitionen" genannt wird (auf welche die neue Regierung so kräftig abhebt), letztlich lassen sich sogar geminderte MWSt.-Sätze für Lebensmittel oder Presseerzeugnisse darunter subsumieren ("Investition" wäre dann die Differenz zum vollen Satz). Denn wer nicht isst und nichts liest, kann sich kaum"bilden".
4. Abschreibungen bleiben unberücksichtigt, siehe oben, da es um"Bruttoinvestitionen" geht.
5. Ein Nexum zwischen Investitionen und möglichen zusätzlichen Steuereinnahmen ist weder berechenbar noch auch nur ansatzweise jemals geschätzt worden. Vor allem diese"Bildungsinvestitionen" sind nichts als Quatsch, den genau jene auftischen, die selbst davon profitieren ohne Rechenschaft oder gar beziffer- und nachvollziehbare Erfolgsrechnungen ablegen zu müssen ("Bildungseinrichtungen", Hochschulen,"Institute" usw., usw.).
6. Vor allem: Da die Länder (Subsidiaritätsprinzip) jederzeit zu Kostgängern nicht nur anderer Länder, sondern eben auch des Bundes werden können (und teilweise schon geworden sind), können sie ihre Haushaltsnotlagen freihändig gestalten, da sie in jedem Fall vom Bund herausgepaukt werden. Was dieser ebenfalls unter"Investitionen" verbuchen könnte, da ein liquides Bundesland"mehr" oder"besser" ist, als ein illiquides, das seine öffentlich-rechtlichen Aktivitäten einstellen müsste.
7. Je schlechter sich die Haushaltslagen der Länder als Resultat der dort ebernfalls ablaufenden"politischen Prozesse" gestalten, desto schlechter entwickelt sich auch die des Bundes. Und da der Bund lt. (hier schon mal erwähntem) Urteil des BVG dem "Staatsganzen" verpflichtet ist, kann der nüchtern urteilende Zeitgenosse nur zu dem Ergebnis kommen:
Lasst alle Hoffnung fahren! Oder wie Du es so schön formuliert hattest:
Alles wird gut!
Dank + Gruß!
|
Holmes
18.11.2005, 13:37
@ dottore
|
Re: Endlich die Carte Blanche! - Wie machen es die anderen? |
-->Hi @dottore,
sehr schöne Vorführung der Mätzchen, die uns gerade aufgetischt werden, um den Laden noch eine Runde weiterzuschieben.
Was ich mich frage, ist folgendes:
Wie erklären die Staaten, die eine noch viel höhere Verschuldung als Deutschland haben, eigentlich ihre Lage? Wie begründen Japan und USA den Zustand ihrer Finanzen? Wo sind die Unterschiede?
Beste Grüsse,
Holmes
|
Holmes
18.11.2005, 13:44
@ Holmes
|
Re: Erweiterungsfrage: was wäre passiert, wenn Merz Finanzminister wäre? |
-->Habe gerade einen Text über die Rolle von Roland Koch gelesen, in dem erwähnt wurde, dass Friedrich Merz auch als Finanzminister im Gespräch gewesen war.
Frage: Hat jemand eine Ahnung, was dessen Pläne gewesen wären? Würde es dann länger dauern, bis der Absturz kommt? Oder ist es völlig egal, wer was macht?
Beste Grüsse,
Holmes
|
Fremdwort
18.11.2005, 14:03
@ Holmes
|
Re: That´s it: |
-->> Oder ist es völlig egal, wer was macht?
|
dottore
18.11.2005, 14:27
@ Holmes
|
Re: Wie machen es die anderen? |
-->Hi Holmes,
>Wie begründen Japan und USA den Zustand ihrer Finanzen? Wo sind die Unterschiede?
Beide freihändig, so wie es die Parlamente beschließen, z.B. Japan (Verfassung):
CHAPTER VII: FINANCE
Article 83:
The power to administer national finances shall be exercised as the Diet [Parlament] shall determine.
Article 84:
No new taxes shall be imposed or existing ones modified except by law or under such conditions as law may prescribe.
Article 85:
No money shall be expended, nor shall the State obligate itself, except as authorized by the Diet.
Article 86:
The Cabinet shall prepare and submit to the Diet for its consideration and decision a budget for each fiscal year.
Article 87:
In order to provide for unforeseen deficiencies in the budget, a reserve fund may be authorized by the Diet to be expended upon the responsibility of the Cabinet must get subsequent approval of the Diet for all payments from the reserve fund. [...]
Von"Investitionen" ist keine Rede. Japan begab zunächst nur"construction bonds", dann - Kurve wurde mal gezeigt - reine Budgetfinanzierungs-Bonds.
Zur Lage dort Ca. 1/2 des laufenden Budgets sind Staatsschulden, die japanische Sozialversicherung wird zu 1/3 per Schulden finanziert.
In den USA muss es nur der Kongress genehmigen:
The Total Public Debt Subject to Limit [setzt der Kongress fest] is the maximum amount of money the Government is allowed to borrow without receiving additional authority from Congress.
The on-budget deficits require the Treasury to borrow money to raise cash needed to keep the Government operating. We borrow the money by selling Treasury securities like T-bills, notes, bonds and savings bonds to the public.
Also alles ganz einfach + Gruß!
|
Tarantoga
18.11.2005, 14:40
@ bernor
|
Re: Begründung ausnahmsweise sogar wahr und richtig? |
-->>Wenn man nun versuchen würde, die Neuverschuldung unter die Investitionen zu drücken, seien massive Steuererhöhungen oder Einschnitte nötig, so dass dann ein wirtschaftliches Ungleichgewicht eintreten würde. Indem man diese Störung abwende,"handele man im Sinne der Verfassung"
Diese Begründung und die möglichen Folgen für die Haushaltsführung lassen einen natürlich kräftig schlucken. Aber ist es nicht so, dass diese Begründung ausnahmsweise (und ich nehme mal an eher zufällig) sogar der Wahrheit entspricht? Denn man kann wohl recht sicher sagen, dass staatliche Sparmaßnahmen - erst recht in der in den letzten Jahren praktizierten Formen der Leistungskürzungen anstatt von Effizienzsteigerungen und der Rückführung von Bürokratie und Verwaltung - die Deflation nur befeuern, was die wirtschaftliche Situation nur verschlimmern kann.
Natürlich kann die unbegrenzte Neukreditaufnahme keine nachhaltige Problemlösung sein. Aber der dümmste und fälscheste Satz der deutschen Politik der letzten 10 Jahre war eben doch Roman Herzogs Behauptung, es gäbe in Deutschland kein Erkenntnis- sondern nur ein Umsetzungsdefizit...
Grüße
|
Holmes
18.11.2005, 14:40
@ dottore
|
Re: Warum sind wir so blöd? |
-->>In den USA muss es nur der Kongress genehmigen:
>The Total Public Debt Subject to Limit [setzt der Kongress fest] is the maximum amount of money the Government is allowed to borrow without receiving additional authority from Congress.
>The on-budget deficits require the Treasury to borrow money to raise cash needed to keep the Government operating. We borrow the money by selling Treasury securities like T-bills, notes, bonds and savings bonds to the public.
>Also alles ganz einfach + Gruß!
Lieber @dottore,
ist es nicht verrückt? Wenn ich Deine Thesen richtig verstehe, geht jeder Staat früher oder später sowieso bankrott. D.h. auch ein sparender Staat kann den Lauf nicht aufhalten, sondern den Weg dahin nur verzögern. Besonders schlimm ist es, wenn er sich erst verschuldet und dann anfängt zu sparen, dass killt die Wirtschaft. Also ist es doch optimal, wie die USA es gemacht haben: die Währung, mit der sie global einkaufen können (Ã-l), stellen sie selber her und sie haben sich die größte Armee der Welt damit zusammengekauft (quasi auf Pump!).
Wenn das Finanzsystem zusammenbrechen sollte, versinken (militärisch und polizeilich) schwächere Staaten im Chaos, während die USA noch eine schöne globale Militätdiktatur durchziehen können?
Wieso haben sich Deutschland (GG) und Europa (Maastricht) eigentlich dann solche Fußketten angelegt? Die Chinesen förden über die staalichen Banken ja auch quasi bankrotte Firmen, damit sie vorher noch unsere Wirtschaft ruinieren...
Haben die Amis nur Dusel gehabt oder war das absehbar?
Beste Grüsse,
Holmes
|
Baldur der Ketzer
18.11.2005, 16:00
@ Holmes
|
Re: Morbus Sozialismus....... |
-->Hallo, Holmes,
>Wieso haben sich Deutschland (GG) und Europa (Maastricht) eigentlich dann solche Fußketten angelegt? Die Chinesen förden über die staalichen Banken ja auch quasi bankrotte Firmen, damit sie vorher noch unsere Wirtschaft ruinieren...
vielelicht liegt es ja an der Mentalität.
Chinesen sind legendär für ihren sprichwörtlichen (Ameisen-) Fleiß. Das waren die Deutschen auch - früher, wohlgemerkt. Bis die Errungenschaften kamen, und der Fleißige der Dumme war, und die Faulen durchgefüttert wurden. *Sotziahlstaat*.......
Tja. Und jetzt ist der Fleiß wech, und die Motivation ist im Apunkt, und es geht den Bach runter. Und das beste daran: man wundert sich, wieso das so ist.........
bei den Chinesen scheint sich Leistung sehr zu lohnen, in der BRDDR ist man der Streber, der Ausbeuter, der Kapitalist, und dennoch der Depp.
In den USA, so idiotisch es dort zugeht, gibt es wenigstens die sozialistische Seuche nicht.
In China gibt es das Wort Sozialismus auf der Fahne, und die Parteibonzen haben sich ihr Stück vom Kuchen gesichert, aber de facto gibt es dort keine Fremdbestimmung, keinen Vasallenstatus, keine ewige Schuld&Sühne, keine Nazikeule, keine Asylanten, keine EU-Abgaben, nix.
Ami-Mentalität wird durch Zensur gebremst, die Jungen hocken in der Uni, statt XXL-schlabbertragende Halbidioten mit schiefen Käppis durch die Gegend schwingen und an Bus- und Bahnstationen turbodoof herumlungern zu sehen.
Es kommt eben ganz auf die Motivation und das Selbstverständnis an.
In den USA, in Singapore, in China, ist das jeweils in Ordnung. Bei uns ist das im Arsch.
Und deswegen läufts dort und bei uns nicht.
Ich denke, man kann das nicht an Daten festmachen, sondern am Zustand des Gesamtorganismus. Ein kräftiger mit guter Psyche hält eine Krankheit aus, die einen schwindsüchtigen depressiven wegfegt.
Und nach Darwin ist das sogar normal.
Beste Grüße vom Baldur
|