Harry
12.01.2001, 10:50 |
@dottore Thread gesperrt |
Hallo, du interessierst dich doch fuer antike Schuldscheine und der gleichen:
gefunden bei"Bild der Wissenschaft"
Ein Team Münchner Archäologen und Assyriologen unter
Leitung von Andreas Schachner haben am Giricano Tepe
fünfzehn nahezu unbeschädigte Keilschrifttafeln aus
einem Tongefäß einer mittelassyrischen Abfallgrube
entdeckt. Die Tafeln dürften etwa 3000 Jahre alt sein.
"Ein Glücksfall!" urteilt die Assyriologin Karen Radner: Es
handelt sich zum Großteil um noch gültige Schuldscheine,(Eponym)
nennen. Eben dieser Beamte ist auch auf dem
assyrischen"Broken Obelisk" Assur-bel-kalas genannt
und damit eindeutig in dessen Regierungszeit (1073-1056
vor Christus) zu datieren."Wahrscheinlich in das 4. oder
5. Regierungsjahr, also 1069 oder 1068 vor Christus", so
Radner. Wäre der Obelisk, auf dem neben Ili-iddina nur
noch zwei weitere Eponymen genannt sind, an anderer
Stelle abgebrochen, so hätte man keine Chance gehabt
die Tafeln zu datieren. So aber gehören die Tafeln
eindeutig zu den ältesten bekannten mittelassyrischen
Rechtsurkunden überhaupt.
Beispiel einer Inschrift:"Vier Eselslasten Getreide des
Ahuni, Sohn des Kidin-Sin, zu Lasten des Ulibe, Sohn
des Leschir-kena. Dieses Getreide ist ein Darlehen.
Er wird zwei Erntearbeiter, sowie das Getreide und
das Mehl davon auf den Derschplätzen geben. Er
wird seine Tafel zerbrechen. Monat Ajjaru, 7. Tag,
Eponymat des Ili-iddina."
Die Texte geben Auskunft über den Besitzer Ahuni und
seine Geschäfte. Von dem Wehrdorf"Dunnu scha Uzibi"
(Giricano Tepe) aus verwaltete er seine riesigen
Ländereien. Die zahlreichen Getreidedarlehen der
Keilschrifturkunden belegen, dass Ahuni sehr wohlhabend
war. Mussten doch zunächst von der Ernte Steuern
bezahlt, die Familie ernährt und Saatgut für das nächste
Jahr einbehalten werden. Erst wenn nach all' diesen
Abzügen noch Überschüsse blieben, konnten
Handelsunternehmungen finanziert und Sklaven gekauft
werden. An diesen sparte Ahuni keineswegs.
Ungelöst ist bislang noch die Frage, warum das Archiv
des Ahuni sowohl Kopien als auch noch uneingelöste
Urkunden enthält. Die gültigen Urkunden sprechen dafür,
dass das Archiv noch aktiv war, also die Urkunden nur
zwischengelagert waren. Andreas Schachner hält es
deshalb für möglich, dass Ahuni nicht mehr alle
Schuldscheine geltend machen konnte, weil
"Früheisenzeitler" den Hügel stürmten. Kämpfe rund um
den Giricano Tepe sind archäologisch für diese Zeit
belegt.
Stimmt die Hypothese, kann erstmals der Übergang von
der späten Bronzezeit zur frühen Eisenzeit in
Südostanatolien eindeutig auf das Jahr 1069 vor Christus
datiert werden.
Birgit Stöcklhuber
<ul> ~ Artikel</ul>
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JüKü
12.01.2001, 10:56
@ Harry
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Re: @dottore / Er wird sich freuen... |
Auszug: [b]
>Mussten doch zunächst von der Ernte Steuern
>bezahlt, die Familie ernährt und Saatgut für das nächste
>Jahr einbehalten werden. Erst wenn nach all' diesen
>Abzügen noch Überschüsse blieben, konnten
>Handelsunternehmungen finanziert und Sklaven gekauft
>werden.
[b]ERST Schulden machen, DANN wirtschaften!
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dottore
12.01.2001, 11:58
@ Harry
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Re: Capitalism through the ages - genial! Und besten Dank! |
Tauuuusend Dank für den Hinweis, Harry!
Wie interpretieren wir den Schuldschein?
Da bekommt jemand Getreide geliehen. Was muss der Schuldner leisten? a) Getreide zurück (offenbar das Stroh, da das Mehl ausgedroschen war) und b) zwei Erntearbeiter stellen (die vermutlich diese Arbeit leisten oder während des Dreschens zur Verfügung gestanden haben müssen).
Da es über den Umfang der Schuld keine Debatte geben kann, ist zu fragen: Was war der Zins? Offenbar das Dreschen. Also Getreide (am Halm) gegeben, Stroh plus Mehl aus einer gleich großen Getreidemenge zurück. Das Dreschen besorgten zwei Mann, die der Schuldner irgendwie beibringen musste.
Danach ist die Schuld gelöscht und die Tafel wird zerbrochen.
Gibt es Probleme, wird vor dem Jahresbeamten geklagt.
Die Datierung (problematisch) lassen wir weg. Wie kommt der Topf (mit gültigen Schuldscheinen!) in die Sickergrube auch (kann auch, da es stratigraphisch kaum was drüber gegeben hat, jedenfalls sehen fast alle diese Stätten so aus: alles fast direkt unter der Oberfläche - ein Flutwelle gewesen sein, kenne den Platz leider nicht).
Jedenfalls fehlt jetzt, um solche Schuldscheine umlauffähig zu machen, nur noch ein mit Eigentum haftender Dritter - und SCHON HABEN WIR GELD!
Das würde meine (historische) Geldentstehungstheorie stützen, also erst Schuld, dann Unterlegung mit Sicherheit (Eigentum - wie es just auch mein Tontäfelchen beweist), während Heinsohn & Steiger Eigentum voran stellen, sozusagen als"money in waiting".
Und damit hier keiner glaubt, wir seien aus der Zeit gefallen: Die Refinanzierung von Hypotheken via Pfandbrief muss mit EK unterlegt sein. Die Hypobanken haben Überschuss an EK (sozusagen ihr"money in waiting"). Deshalb wird die Hypobank Essen (siehe FTD heute) fertige Hypothekenpakete von Banken und Versicherungen übernehmen und mit Pfandbriefen refinanzieren.
Genial. Capitalism through the ages. Immer gleich!
Gruß und nochmals Danke!
d.
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Harry
12.01.2001, 12:35
@ dottore
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Keine Ursache. |
Bild der Wissenschaft lese ich nahezu taeglich, die haben einen schoenen Newsticker.
Und dabei bin ich an dein erwaehntes Tontaefelchen erinnert worden.
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Diogenes
12.01.2001, 14:11
@ dottore
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Re: Capitalism through the ages - Frage |
>Tauuuusend Dank für den Hinweis, Harry!
>Wie interpretieren wir den Schuldschein?
>Da bekommt jemand Getreide geliehen. Was muss der Schuldner leisten? a) Getreide zurück (offenbar das Stroh, da das Mehl ausgedroschen war) und b) zwei Erntearbeiter stellen (die vermutlich diese Arbeit leisten oder während des Dreschens zur Verfügung gestanden haben müssen).
>Da es über den Umfang der Schuld keine Debatte geben kann, ist zu fragen: Was war der Zins? Offenbar das Dreschen. Also Getreide (am Halm) gegeben, Stroh plus Mehl aus einer gleich großen Getreidemenge zurück. Das Dreschen besorgten zwei Mann, die der Schuldner irgendwie beibringen musste.
>Danach ist die Schuld gelöscht und die Tafel wird zerbrochen.
>Gibt es Probleme, wird vor dem Jahresbeamten geklagt.
>Die Datierung (problematisch) lassen wir weg. Wie kommt der Topf (mit gültigen Schuldscheinen!) in die Sickergrube auch (kann auch, da es stratigraphisch kaum was drüber gegeben hat, jedenfalls sehen fast alle diese Stätten so aus: alles fast direkt unter der Oberfläche - ein Flutwelle gewesen sein, kenne den Platz leider nicht).
>Jedenfalls fehlt jetzt, um solche Schuldscheine umlauffähig zu machen, nur noch ein mit Eigentum haftender Dritter - und SCHON HABEN WIR GELD!
>Das würde meine (historische) Geldentstehungstheorie stützen, also erst Schuld, dann Unterlegung mit Sicherheit (Eigentum - wie es just auch mein Tontäfelchen beweist), während Heinsohn & Steiger Eigentum voran stellen, sozusagen als"money in waiting".
>Und damit hier keiner glaubt, wir seien aus der Zeit gefallen: Die Refinanzierung von Hypotheken via Pfandbrief muss mit EK unterlegt sein. Die Hypobanken haben Überschuss an EK (sozusagen ihr"money in waiting"). Deshalb wird die Hypobank Essen (siehe FTD heute) fertige Hypothekenpakete von Banken und Versicherungen übernehmen und mit Pfandbriefen refinanzieren.
>Genial. Capitalism through the ages. Immer gleich!
>Gruß und nochmals Danke!
>d.
Hallo d.
Wieso ist erst die Schuldtafel"Geld"? Wenn das Versprechen Getreide zu liefern"Geld" (=Kreditgeld) ist, dann muß doch das Getreide erst recht"Geld" (=Warengeld) sein. Jeamd als Bezahlung anstatt der Schuldtafel genauso gut mit Getreide bezahlen.
Die Tafel muß nicht zwangsläufig der Beweis sein, daß Kredit am anfang steht:
a) weil zuerst jemand das Getreide übrig haben muß (sparen), um es verleihen zu können - damit kommt"Warengeld" vor"Kreditgeld".
b) weil im Falle der"Barzahlung" die Transaktion abgeschlossen ist. Eine Aufzeichnung ist dadurch nicht nötig - daher wird man über diese Transaktion kaum eine Tontafel o. ä. finden. Der Kredit hingegen muß aufgezeichnet werden, um im Streitfall belegen zu können, daß eine Schuld (Versprechen) existiert.
Gruß
Diogenes
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dottore
12.01.2001, 16:21
@ Diogenes
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Re: Capitalism through the ages - Frage - Antwort, inkl. Kalendertheorie |
>Hallo d.
>Wieso ist erst die Schuldtafel"Geld"?
Hi, Diogenes:
Wenn wir nur zwei Partner haben (Gläubiger/Schuldner), dann kann nur der Gläubiger in den Schuldner vollstrecken. Theoretisch könnte natürlich auch ein Dritter in den Kontrakt eintreten (Vierter, Fünfter, was dann"Geld wäre, weil es umläuft; die bekannte Zession). Aber warum sollte er das Risiko eingehen (das ja bisher ausschließlich beim ersten Gläubiger liegt)?
Nehmen wir den Gläubiger, der schon vor Lieferung (= Rückgabe des Geschuldeten plus"Zins") Kasse machen will (also schon früher sein Getreide zurück haben will). Dann muss er dem, der es ihm gibt (gg. den Schuldschein, der sich gegen einen anderen richtet, den er möglicherweise gar nicht kennt, weder Bonität noch sonst was, der auch ganz wo anders lebt und webt usw.) etwas Zusätzliches anbieten.
Möglichkeit A: Abschlag (einfacher Diskont). Der Schuldschein wäre also weniger"wert" als er ist (Risikoprämie). Dann liegt er beim Dritten, aber dann braucht der auch sein Getreide früher - und wie kommt er an jenes (gg. den jetzt bei ihm liegenden Schuldschein)? Er müsste wieder mit Abschlag arbeiten. Mühsam, aber vorstellbar.
Möglichkeit B: Der Erst-Gläubiger findet jemanden, der mit unbelastetem Eigentum haftet. (Das kann kaum der genannte Schuldner sein, denn dann hätte er nicht einen einfachen Schuldschein unterschrieben (gesiegelt), sondern gleich Eigentum als Sicherheit angeboten.
Dafür will er natürlich einen Gegenwert sehen (denn wenn der Schuldner umfällt, kann derjenige, der den Schuldschein vergeblich präsentiert hat, in sein Eigentum vollstrecken). Dieser Gegenwert (HS: Liquiditätsprämie) wird in einen Aufschlag verwandelt (konkret: das unbelastete Eigentum, das jetzt haften soll, wird wertvoller gemacht, obwohl es das nicht ist, als die in Frage kommende Schuld ex Getreidelieferung) und realisiert, indem der Sein-Eigentum-Zurverfügungsteller sich seinerseits vom Erstgläubiger einen Schuldschein geben lässt, auf dem die Lieferung von mehr Getreide als im ersten Kontrakt verbrieft ist.
Jetzt ziehen wir im Fall B gedanklich den ersten Schuldschein weg. Dann haben wir just das, was wir brauchen - GELD und zwar so: 1. Einen Gläubiger (der mit dem Eigentum), der gegen den vollstrecken kann (face to face), der jetzt das Zugriffsrecht auf sein Eigentum in Händen hält. 2. Einen Schuldner (nämlich den, der im Ur-Beispiel dann zum Gläubiger gegenüber einem Dritten wird), der an Nr. 1 aus einem Schuldkontrakt liefern muss (aber fällig nur, wenn das mit der Schuld später schief geht) und der an Nr. 1 Zinsen zahlen muss (die auf jeden Fall wg. Aufgabe der Liquiditätsprämie, die das unbelastete Eigentum spendiert, fällig werden). 3. Ab dann einen kursanten Schuldschein (= Geld), der durch das Zugriffsrecht auf Eigentum besichert ist und jederzeit von jedem genommen werden kann, weil jeder beim Falliment irgendeines Schuldners in Eigentum (unverrückbar, da Immobilie) vollstrecken kann.
Das Gleiche läuft dann natürlich auch ab, wenn ich Edelmetall nehme, das in einer Zentralstelle -"Tempel" - gelagert ist (= ebenfalls immobilisiert).
>Wenn das Versprechen Getreide zu liefern"Geld" (=Kreditgeld) ist, dann muß doch das Getreide erst recht"Geld" (=Warengeld) sein. Jeamd als Bezahlung anstatt der Schuldtafel genauso gut mit Getreide bezahlen.
Ja, wenn das Getreide in einer Zentralstelle gelagert würde (immobilisiert). Bei Getreide ist es nur leider so, dass es ein großes Verfallsrisiko hat, was bei Edelmetall entfällt.
>Die Tafel muß nicht zwangsläufig der Beweis sein, daß Kredit am anfang steht:
>a) weil zuerst jemand das Getreide übrig haben muß (sparen), um es verleihen zu können - damit kommt"Warengeld" vor"Kreditgeld".
Nicht Warengeld, sondern Ware. Geld erscheint erst, wenn ein Dritter auftaucht, der es akzeptiert, weshalb es - wie beschrieben - besichert sein muss (Land, Gold, auch Getreide, mit der oben gemachten Einschränkung). Niemand braucht Geld als Geld, sondern er braucht es nur, wenn er damit etwas bezahlen will bzw. muss. Will = er möchte einen Kontrakt abschließen, aus dem heraus automatisch Schulden entstehen. Muss = Er hat bereits einen solchen Kontrakt laufen und die Fälligkeit steht an.
>b) weil im Falle der"Barzahlung" die Transaktion abgeschlossen ist. Eine Aufzeichnung ist dadurch nicht nötig - daher wird man über diese Transaktion kaum eine Tontafel o. ä. finden. Der Kredit hingegen muß aufgezeichnet werden, um im Streitfall belegen zu können, daß eine Schuld (Versprechen) existiert.
Richtig! Für Barzahlungen braucht man keine Aufzeichnungen - im Gegensatz zu Schulden. Deshalb war ich ja so angenehm überrascht, ein Täfelchen gefunden zu haben, das just das dokumentiert, was Geld sein muss: Zugrunde liegender Schuldkontrakt plus Besicherung ex Eigentum! Denn dieses Täfelchen war logicherweise so lange kursant (= Geld) wie die Beteiligten existierten bzw. die zwischen ihnen kontrahierte Schuld bzw. das die Schuld besichernde Eigentum.
Vermutlich sind diese"Geldtäfelchen" so selten (ich bin aber mit der Literatur noch nicht vorangekommen), weil sie nach"Ablauf" völlig sinnlos waren und faktisch-praktisch verpulverisiert wurden (genau wie die NBs die gg. einen Wechsel ausgegebenen Banknoten nach Bezahlung einziehen und verbrennen).
Das mit dem"Ablauf" ist noch eine ungeklärte Frage, vor allem bezüglich des zeitlichen Dauers. Meine Hypothese: Es gab"Usancen" (3 Monate? 1 Jahr?) und weil man genau wissen wollte, wann diese Zeitspanne um war, musste man natürlich einen Kalender haben. Daher diese permanenten Messungen der Astronomen, Stern- und Sonnengucker. Die wollten nichts von den Gestirnen erfahren, sondern einfach wissen: Wann ist Payday?!
Es muss noch viel zum Thema GELD studiert werden und deshalb sind die vielen Anregungen hier im Bord so wichtig und unverzichtbar.
Herzlichst dankend
d.
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