...Euphorie macht dem Katzenjammer Platz
Stuttgart/Düsseldorf (sda/dpa) Immer neue Rekordkurse haben im vergangenen Jahr mehr Anleger denn je zu Geschäften an der Börse angespornt. Besonders beliebt waren die scheinbar grenzenlosen Erfolg verheissenden Unternehmen der New Economy. Doch die Euphorie hat sich in Katzenjammer verwandelt.
Nach den Kursstürzen der vergangenen Wochen wollen viele der quasi über Nacht zu Börsenspezialisten avancierten Anleger nun mit Schadensersatzklagen wieder an ihr verlorenes Geld kommen. Die Aktionärsverbände warnen allerdings vor all zu hohen Erwartungen.
Klagen gegen New Economy-Unternehmen gefordert
Allein bei der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW) in Düsseldorf haben bisher rund 900 Anrufer Klagen gegen New Economy-Unternehmen gefordert, die mit unrealistischen Gewinnerwartungen oder schlicht geschönten Zahlen gelockt haben sollen.
«Hauptsächlich geht es dabei um EM.TV», sagt DSW-Sprecherin Petra Krüll. Der einstige Börsenliebling aus München hatte Anfang Dezember seine Gewinnprognose für das Jahr 2000 drastisch nach unten korrigieren müssen. Seine zuvor bereits ins Trudeln geratene Aktie war danach an den Börsen vollends abgestürzt.
Hunderte von Anfragen
«Viele sind enttäuscht. Und natürlich ist der Versuch da, sich einen Teil der teilweise immensen Verluste zurückzuholen», sagt Krüll. Auch die Telefone der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) stehen nicht still. «Wir hatten allein in Sachen EM.TV Hunderte von Anfragen», bestätigt Sprecherin Reinhild Keitel.
Von blindem Aktionismus raten die Aktionärsverbände jedoch ab. Zwar stellte die SdK im vergangenen September Strafanzeige gegen das Augsburger Softwarehaus Infomatec, das mit angeblich frisierten Börsenmitteilungen bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatte. In diesem Fall seien die Vorgänge relativ eindeutig, sagt Keitel.
«Trotzdem provoziert die strafrechtliche Situation keinen Automatismus für einen individuellen Schadensersatzanspruch.» Mit anderen Worten: Die Gefahr, dass Anleger in vielen Fällen am Ende mit leeren Händen dastehen, ist gross.
Prospekthaftung
Optimistischer schätzen Rechtsanwälte die Lage ein. Bei Verstössen gegen die so genannten Ad-Hoc-Pflichten sei es durchaus denkbar, dass Ansprüche auf Schadensersatz durchgeboxt werden können, meint Andreas Tilp von der Kanzlei Tilp & Kälberer in Kirchentellinsfurt.
«Wenn ich mich auf die Prospekthaftung stütze, sind die Chancen sogar richtig gut.» Danach haften Unternehmen und Emissionsbanken für falsche oder unvollständige Angaben im Börsenprospekt. Schadensersatzklagen werden die Rechtsprechung nach Tilps Einschätzung über Jahre beschäftigen.
Die Düsseldorfer DSW beobachtet die Strategien der Wirtschaftsanwälte mit Skepsis. «Es haben sich inzwischen diverse Kanzleien hervorgetan», sagt Krüll. Der Verband überprüfe zwar ebenfalls genau, in welchen Fällen der Rechtsweg Erfolg versprechend sei. «Wir können aber nicht überall in die Lücke springen und sagen: Okay, wir klagen jetzt mal.»
Lernprozess dringend nötig
Bei allem Verständnis müssen sich nach Krülls Einschätzung viele Anleger zumindest einen Teil der Schuld für ihre Einbussen selbst zuschreiben. Gepackt vom Börsenfieber hätten sie blindlings auf Empfehlungen vertraut, ohne selbst nachzudenken.
Deshalb werde die momentane Misere letztlich auch eine gute Seite haben: «Alle Beteiligten werden mit Informationen nach und nach vorsichtiger umgehen.» Im Laufe des Jahres werde bei Banken, Anlegern und Medien ein Lernprozess einsetzen, sagt Krüll. «Und der ist dringend nötig.»
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