-->.
Wenn´s abends mal a bissele später wird, schwenkt mein Bekannter regelmäßig auf sein Lieblingsthema ein und proletet in seinem etwas ungehobelten schwäbischen Dialekt sinngemäß:
„Wir hier im Süden schaffen und rackern uns ab, bloß um von denen DA OBEN [er meint das geografisch] das Geld aus der Tasche gezogen zu bekommen und DIE mit durchzufüttern. Das ganze kranke Denken kommt doch aus Berlin. Warum bauen wir nicht eine neue Mauer entlang des Mains? - Dann passt es wieder!“
Ein Gedanke, der bei uns (Arbeitslosenquote ca. 4%, also praktisch Vollbeschäftgigung) durchaus einen gewissen Charme versprüht, zumal das von ihm erwähnte „kranke Denken“ ja eine gewisse Tradition hat.
Hier, praktisch direkt vor der Haustüre liegt der beschauliche Ort Gomadingen am Rande der Schwäbischen Alb. Die kleine Gemeinde mit den dazu gehörenden Gebäuden in Graveneck erlangte ab 1940 wegen der nachfolgend beschriebenen Ereignisse weit über Deutschland hinaus Berühmtheit. Im Rahmen der „Aufnordung“ der deutschen Rasse durften einige Handlanger der NS-Rassenideologen hier im Kleinen schon mal für das üben, was sie zwei Jahre später zu technischer Perfektion treiben sollten.
Wie mir mein Opa später berichtete, gab es wegen der Sache hier allerdings schon bald mächtig Ärger in der ländlichen Bevölkerung. Ende des Jahres 1940 wurde die Aktion dann abgeschlossen - der gesamte Personenkreis war bis dahin"verschwunden".
Jeder im Forum, der sich verwundert fragt, was"Rassenideologie" eigentlich KONKRET bedeutet hat, ist herzlich in den sonnigen Süden eingeladen, um sich hier vor Ort selbst anzuschauen, wie gewissenhaft die Leute jene Geschehnisse von damals dokumentiert haben. - Ist vielleicht auch für diejenigen hilfreich, die prinzipiell meinen, alle diesbezüglichen offiziellen Dokumente als FÄLSCHUNGEN der Amerikaner deklarieren zu müssen.
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Maria Issler
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Gemeinde Gomadingen im Jahr 1940
Von Grafeneck fuhren die drei Busse und der Sanitätskraftwagen, meist in Kolonne, in die Behindertenanstalten. In den anfangs roten, später grauen Bussen mit den Milchglasscheiben befanden sich vorne, durch eine Kabinenwand abgetrennt, ein Fahrer und ein Beifahrer, außerdem fuhren zwei Pflegepersonen mit, die gewalttätige Kranke anschnallen oder ihnen notfalls Handschellen anlegen konnten.
Voraus fuhr in einem PKW der Transportleiter, der die Liste mit sich führte, nach welcher die Patienten in der Abgabeanstalt ausgesucht wurden. Auf dem Rückweg hatte er dann auch die Krankenakten bei sich. Im Ausnahmefall begleitete auch Personal der Abgabeanstalt den Transport in die Tötungsanstalt. Wenn die Liste mehr als 75 Personen umfaßte, hatte die jeweilige Anstalt die Chance, wichtige Arbeitskräfte zu streichen und damit zu behalten.
In der Anstalt Mariaberg traf am 21.September 1940 eine Namensliste ein, der zufolge 97"Pfleglinge" von den Bussen abgeholt und in eine andere, nicht genannte Anstalt"verlegt" werden sollten. Was diese Liste in Wirklichkeit zu bedeuten hatte, wußte die Anstaltsleitung inzwischen aus einem geheimen Rundschreiben der Inneren Mission. Also reiste eine vier Mann starke Mariaberger Delegation zum Stuttgarter Innenministerium und sprach dort bei Obermedizinalrat Mauthe vor. Dieser eröffnete ihnen, daß es sich bei besagter Liste um solche Patienten handle, die am ‚kränksten seien und am längsten in Mariaberg wohnten‚. Von ihnen wolle man die Anstalt erleichtern; ohnehin würden im Krieg wertvollere Menschen fallen. Als Kriterium für die Auswahl nannte Mauthe die in den Fragebogen angegebenen Arbeitsleistungen. Auf das Eingeständnis des Mariaberger Direktors, wie diese Bewertung zustande gekommen sei, ließ sich Mauthe eine Neubewertung abringen, anhand der in zähen Verhandlungen 41 Namen von der Liste gestrichen wurden. Als lebensrettend erwiesen sich dabei Qualifizierungen wie diese:"Schuhmacher, sohlt, flickt sämtliche Schuhe für 210 Leute" oder"In der Anstaltsküche geradezu unentbehrlich. Leutemangel!" oder"Schafft von morgens bis abends!" Bei den Patienten sprach sich der wahre Zweck des Abtransports schnell herum, zumal die Busse immer die Kleidung früher abgeholter Kranker in die Anstalt zurückbrachten und sich daraus Rückschlüsse ziehen ließen. Viele Kranke versuchten sich zu verstecken oder zu fliehen, andere flehten um ihr Leben, wieder andere verfluchten die Verantwortlichen. In Emmendingen beschimpften Patienten eine Ärzte-Kommission:"So, sucht ihr wieder neue Opfer aus, ihr Massenmörder!" Und eine Kranke sagte beim Abtransport:"Wir sterben ja, aber den Hitler holt der Teufel!" Die meisten freilich wehrten sich nicht, nicht weil sie unfähig gewesen wären zu merken, was mit ihnen geschah, sondern einfach aus Resignation, daß ihnen letztlich kein Widerstand half.
Nach Eintreffen des Transports in Grafeneck wurden die Kranken in die Aufnahmebaracke geführt, dort vom Schwesternpersonal in Empfang genommen, ausgezogen, gemessen, gewogen, fotografiert und dann zur Untersuchung gebracht. Diejenigen Personen, die Goldzähne besaßen, wurden besonders gekennzeichnet. Schließlich führte man die Patienten den Ärzten zur letzten Untersuchung vor. In manchen Fällen wurden dabei Beruhigungsspritzen gegeben, in den weitaus meisten Fällen dauerte die Untersuchung nur wenige Sekunden bis zu einer Minute. In Grafeneck nahmen sie die Ärzte Dr. Schumann, Dr. Hennecke und ab April Dr. Baumhardt vor. Sie diente aber in der Regel nicht dem Zweck einer nochmaligen Überprüfung des Krankheitszustandes, um sozusagen auf diese Weise eine letzte Auswahl zu treffen, sondern sie wurde dazu benutzt, die sachliche und personelle Richtigkeit der vorgestellten Kranken zu überprüfen und auffallende Kennzeichen zu notieren, die für die Erstellung einer späteren Todesursache von Bedeutung sein konnten.
Trotzdem gelang es Patienten in Einzelfällen, der Todesmaschinerie zu entgehen. Nach den Ermittlungen des Amtsgerichts Münsingen sind in Grafeneck mindestens 29 der antransportierten Patienten nicht vergast worden. Tatsächlich liegt die wahre Zahl schon deshalb noch beträchtlich höher, weil einmal ein ganzer Kindertransport zurückgeschickt wurde.
Nachdem die Untersuchung abgeschlossen war, setzte sich der Zug der Ahnunglosen in Bewegung. Den jetzt nur noch spärlich Bekleideten wurde z.T. ein alter Militärmantel übergeworfen, dann ging es durch ein Tor im Bretterzaun, vorbei am rauchenden Krematorium, zum Todesschuppen. Die Tötung erfolgte durch Kohlenmonoxidgas, das der Anstaltsarzt durch Bedienen eines Manometers in den Vergasungsraum einströmen ließ. Die erforderlichen Stahlflaschen lieferte die Firma Mannesmann, die Befüllung besorgte die IG Farben-Industrie (BASF) im Werk Ludwigshafen.
Beim Betreten des Vergasungsraumes wurden die Kranken, maximal 75 Personen, nochmals gezählt, sodann die Tore geschlossen. Anfangs schienen einige Opfer noch geglaubt zu haben, es gehe tatsächlich zum Duschen, andere begannen sich im letzten Augenblick zu wehren und schrien laut. Die Zufuhr des Gases betrug in der Regel ca. 20 Minuten; sie wurde eingestellt, wenn sich im Vergasungsraum keine Bewegung mehr feststellen ließ. Daß Ärzte, die in nicht einmal einem Jahr über 10 500 Menschen durch Vergasung töteten, bei diesem Vorgang abstumpften und darüber zynische Bemerkungen wie"Jetzt purzeln sie schon" machten, verwundert nicht. Geraume Zeit nach der Vergasung öffneten Hilfskräfte, die Gasmasken trugen, die Flügeltore. Ihnen bot sich in der Regel ein schrecklicher Anblick: Die Körper der Toten und der Boden waren mit Stuhl, Menstruationsblut und Erbrochenem beschmutzt, manche Leichen waren ineinander verkrallt und mußten mit Gewalt voneinander getrennt werden.
Dasjenige Personal, das die Krematoriumsöfen bediente, deshalb manchmal auch"Brenner" genannt wurde, war auch zuständig für den Abtransport der Leichen zu den Ã-fen bzw. zu einer Zwischenlagerung, vermutlich im"Reitzirkel" der Anlage. Vorher wurden den mit einem Kreuz bezeichneten Patienten die Goldzähne ausgebrochen und bei der Verwaltung abgeliefert; das so gewonnene Rohmaterial wurde sodann bei Degussa zu Feingold verarbeitet.
Über die Tätigkeit der"Brenner" in Grafeneck gibt es keine genauen Kenntnisse, weil keiner von ihnen vor Gericht stand. Es darf aber das, was über die"Euthanasie"-Anstalt Hartheim dazu ausgesagt wurde, zweifellos auch für Grafeneck angenommen werden: Jeweils zwei Heizer hatten 12 Stunden Schichtdienst, sodaß die Ã-fen durchgehend brennen konnten. Dabei mußte, laut der zynischen Aussage des"Euthanasie"-Arztes Dr. Renno in Hartheim, für eine magere Leiche eine längere Verbrennungszeit eingeplant werden wie für eine wohlgenährte, nämlich 1-1,5 Stunden.
Nach der Verbrennung wurden verbliebene Knochenreste aus den Ã-fen genommen und in eine Knochenmühle gegeben. Von Grafeneck ist auch bekannt, daß ein Angestellter Knochenstücke mit einem Hammer verklopfte. Man gewann daraus Knochenmehl, das man, mit Asche vermischt, in Urnen an die Angehörigen verschickte.
Die gesamte Organisation der Euthanasie erfolgte von Berlin aus, von dort erhielt die"Gemeinnützige Kranken-Transport GmbH" (Gekrat) ihre Listen mit den zur Vergasung Bestimmten.
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Das Foto oben zeigt Maria Issler, eine von 10.654 Menschen, die hier mittels Gas getötet wurden.
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http://www.deathcamps.org/euthanasia/grafeneck_d.html
<ul> ~ weiterführende Info</ul>
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-->>Ich würde also jeden, der für das Thema ein unvoreingenommenes Interesse mitbringt, unbedingt an Schultze-Rhonhof verweisen. Seinen Wälzer"Der Krieg, der viele Väter hatte" seitenweise abzutippen, ist mir zu viel, wofür ich um Verständnis bitte. Die berüchtigten Internet-Quellen, wo man sich abseits der historischen Hammelpfade schlau machen kann, wurden hier schon öfter erwähnt, als dem Ruf des Forums möglicherweise zuträglich ist.
>Tempranillo
Bitteschoen, Tempranillo, here you go, kurz und schmerzlos von einer besonders beruechtigten Quelle direkt aus der Hoelle ;-) per copy and paste eingebracht:
Hitlers Rede vom 22. August 1939 und die sieben Protokolle
Die dritte Schlüsselrede vor dem Krieg hält Hitler am 22. August 1939, gut eine
Woche vor dem Kriegsausbruch. Er hat dazu die Führer der Heeresgruppen und
der Armeen der drei Wehrmachtsteile in seine Obersalzberg-Residenz65
befohlen, um sie in die außenpolitische Lage einzuweisen und auf den Feldzug
gegen Polen einzustimmen.
Seit Beginn des Jahres 1939 kommt Hitler mit seinen Bemühungen um Danzig
und den Korridor nicht weiter. Er hat Polen Verhandlungsangebote unterbreitet
und zum Schluß mit Krieg gedroht. Die zum Obersalzberg angereisten Offiziere
wissen zu Beginn der Rede nicht, ob Hitler wegen Danzig wirklich Krieg führt
oder ob er blufft. Sie können zu der Zeit nur spekulieren. Am Tag vor Hitlers
Rede gibt es eine Sensation. Stalin lädt Außenminister von Ribbentrop zum Abschluß
von Verträgen nach Moskau ein. Hitler kann jetzt mit einem Abkommen
mit Rußland rechnen, das ihm sicherstellt, daß die Sowjetunion im Falle eines
deutsch-polnischen Krieges nicht zu Gunsten Polens eingreift. In dieser neuen
Lage ist ein Einlenken der polnischen Regierung in letzter Stunde nicht ganz unwahrscheinlich,
zumal auch noch immer ein passabler Kompromißvorschlag
von deutscher Seite auf dem Tisch liegt. Die große Frage, die über jener Sitzung
auf dem Obersalzberg liegt, heißt: Einigung mit Polen oder Krieg?
Die Rede, die Hitler in dieser angespannten Lage hält, könnte Aufschluß geben,
ob er zu der Zeit wirklich Krieg um jeden Preis will, oder ob er mit dem massiven
Druck der Drohung mit dem Krieg versucht, Polen die deutsche Stadt Danzig
abzuringen. Selbst dieses große Aufgebot an Generalen auf dem Obersalzberg,
das dem Ausland nicht verborgen bleibt, könnte dazu dienen, den Druck
auf Polen zu erhöhen.
Hitler beginnt die Rede mit der Erklärung, daß er sich nun entschlossen habe,
gegen Polen Krieg zu führen. Doch da die Gespräche zwischen der
Reichsregierung und Polen weiterlaufen, ist es durchaus möglich, daß auch diese
Worte nur zu Hitlers Drohszenario gehören. Im Falle der Tschechei, ein halbes
Jahr zuvor, hatte Hitler allein mit der Ankündigung einzumarschieren, sein Ziel
erreicht. Damals war kein Schuß gefallen. So bleibt trotz der eindeutigen
Erklärung Hitlers für die Generale offen, was passiert.
65 Residenz Hitlers außerhalb Berlin, nahe Salzburg
Seite 321
Die Brisanz der Rede liegt in etwas anderem. Diese Ansprache vor den Generalen
ist die wohl am häufigsten zitierte Rede Hitlers. Von ihr liegen gleich sieben Niederschriften
und Protokolle vor, die zum Teil sehr verschieden voneinander sind.
Alle stimmen darin überein, daß Hitler seinen Entschluß zum Kriege gegen Polen
ausführlich begründet. Hitler hält nach allen Protokollen eine Auseinandersetzung
mit England und Frankreich für auf Dauer unumgänglich. Er glaubt, daß Polen in
einem solchen Falle auf der Seite der gegnerischen Mächte und dann in Deutschlands
Rücken steht. Er hält es deshalb angesichts der augenblicklich angespannten
Lage für besser, den Konflikt mit Polen so bald wie möglich auszutragen.
Hitler erläutert seine Sicht der Lage Großbritanniens und Frankreichs und folgert,
daß beide Staaten bei einem sofortigen deutschen Angriff gegen Polen nicht wirklich
zu den Waffen greifen. Er beurteilt dabei auch die europäischen Staats- und
Regierungschefs, die auf das Geschehen Einfluß nehmen könnten. Er schließt seine
Rede mit dem Gedanken, daß ein schneller deutscher Sieg die Ausweitung des
Konfliktes zu verhindern hilft. Dies sind die wenigen Gedanken, die in allen Niederschriften
und Protokollen in übereinstimmender Weise Erwähnung finden.
Bemerkenswert ist nun, daß die Rede Hitlers in einigen der Niederschriften in
vulgärer Weise und mit der Erwähnung weitgesteckter Kriegsziele aufgeschrieben
worden ist, während sie in anderen in nüchterner und sachlicher Weise ihren
Ausdruck findet, vor allem ohne die Zitate, die von Hitlers Kriegsabsichten gegen
Frankreich, England und gegen die Sowjetunion berichten. Damit bleibt offen,
welche Niederschriften stimmen. Es kann sein, daß die einen Protokollanten
Wichtiges verschweigen, um es zu verschleiern. Es kann auch sein, daß die anderen
die Rede so ergänzen und frisieren, daß die Niederschriften eindeutigere
„Beweise“ der weitgesteckten Kriegsabsichten Hitlers und der deutschen Generale
liefern. Wenn die „scharfen“ Versionen der Redeniederschriften Falsches
wiedergeben, wäre das fatal, denn sie und nur sie sind in die Geschichtsschreibung
eingegangen. Sie prägen seit den Nürnberger Prozessen das Bild, das man
sich in Deutschland und in der Welt von der frühen Mitwisserschaft der deutschen
Generalität macht. So ist es für den Beweis der Komplizenschaft der Generale
oder für ihre Entlastung von entscheidender Bedeutung, was Adolf Hitler
an diesem 22. August 1939 denn nun wirklich sagt.
Der Vergleich der Niederschriften ist wie ein Stück aus einem Kriminalroman.
Die sieben Protokolle der Obersalzberg-Rede verschwinden 1939 in den diversen
Akten und tauchen bei den Nürnberger Prozessen 1945 als „Beweise“ wieder auf.
Als erstes legt die Nürnberger Anklagebehörde ein angebliches Originaldokument
vor66, das die Hitler-Ausführungen in besonders brutalen, vulgären und
grotesken Formulierungen wiedergibt. Das „Dokument“ wird dem US-Ankläger
Alderman von einem amerikanischen Journalisten zugespielt67. Es wird in die
66 IMT Dokument 03-L/US-28
67 IMT Verhandlungen, Band XIV, Seite 76
Seite 322
Verhandlung eingeführt, dann aber gleich als Beweisstück abgelehnt. Zu offensichtlich
ist die Fälschung. Diese vom Gericht nicht anerkannte Falsch-Version
glänzt mit Zitaten und Schilderungen wie:
„Entschluß zum Angriff auf Polen im Frühling.... Ich lasse jeden füsilieren,
der auch nur ein Wort der Kritik äußert.... Das Kriegsziel ist nicht das
Erreichen von bestimmten Linien, sondern die physische Vernichtung des
Gegners.... Polen wird entvölkert und mit Deutschen besiedelt.... Nach
Stalins Tod zerbrechen wir die Sowjetunion. Dann dämmert die deutsche
Erdherrschaft herauf.“ Nach der Falsch- Version setzt Hitler fort: „Ich habe
nur Sorge, daß mir Chamberlain oder irgend so ein anderer Saukerl im
letzten Moment mit Vorschlägen und Umfallen kommt. Er fliegt die Treppe
herunter. Und wenn ich ihm persönlich vor den Augen aller Photographen
in den Bauch treten muß.... Ob die Welt das glaubt, ist mir scheißegal....
Die Bürger Westeuropas müssen vor Entsetzen erbeben.... Und nun ran
an den Feind! In Warschau feiern wir Wiedersehen!... Die Rede wurde
mit Begeisterung aufgenommen. Göring stieg auf den Tisch. Blutrünstiger
Dank und blutrünstiges Versprechen. Er tanzte wie ein Wilder herum.“ 68
Soweit die erste Falsch-Version.
Fatal für das besiegte Deutschland ist, daß die Anklagebehörde diese vulgäre und
brutale „Wildwest-Version“ der Hitler-Rede, nachdem sie sie als Fälschung für
die Beweisaufnahme abgelehnt hat, in 250 Exemplaren kopieren und an die in
Nürnberg vertretene Auslandspresse verteilen läßt. Ein Propagandacoup der Sieger
gegen die Besiegten. Für die Medien in aller Welt ist das die „Offenbarung“,
wie Hitler mit den Generalen spricht, und daß er Welteroberungspläne hegt und
die auch nicht verheimlicht hat69. US-Ankläger Alderman bezeichnet diesen Vorgang,
von dem man kaum glauben kann, daß er nur ein Versehen ist, anschließend
vor dem Gerichtshof lakonisch als „irgend ein technischer Fehler“70.
So unwürdig dieser Fehler für das Internationale Tribunal ist, so dauerhaft ist seine
Wirkung auf die Geschichtsschreibung in Deutschland und der Welt. In der
offiziellen Dokumentation der englischen Außenpolitik, den „Documents on
Britisch Foreign Policy“ zum Beispiel ist diese und nur diese Falschversion verewigt.
71 Noch heute werden Zitate aus jener Falsch-Version verwendet. Selbst die
Herausgeber der abgedruckten und veröffentlichten Akten des Auswärtigen Amts
sind sich nach dem Kriege nicht zu schade, die Falsch-Version neben einer zweiten,
ebenfalls mit Zweifeln behafteten Variante in den „Akten zur Deutschen
Auswärtigen Politik“ abzudrucken und als sogenanntes Dokument am Leben zu
erhalten72.
68 IMT Dokument 03-L/US-28
69 z.B. Neuer Hannoverscher Kurier, Nachrichtenblatt der Alliierten Militärregierung, Nummer 47
vom 27. November 1945, Seiten 1 und 3
70 IMT Verhandlungen, Band II, Seite 327
71 Documents Brit. Foreign Policy, Third Series, Volume VII, Annex to Document 314
72 ADAP, Serie D, Band VII, Seiten 171/172
Seite 323
Das nächste Protokoll dieser Hitler-Rede, das der Gerichtshof als Beweis heranzieht,
ist ein zweiteiliges Dokument73. Es hat weder Kopf noch Datum, kein Aktenzeichen,
keine Tagebuchnummer, keinen Geheimvermerk und es trägt auch
keine Unterschrift. Bei Gericht kann niemand sagen, wer es verfaßt hat und woher
es stammt74. Später widersprechen sich die Anklagevertreter sogar mit zwei
verschiedenen Herkunftsorten. Der Verteidiger des Großadmirals Raeder, Dr.
Siemers, macht - so ist es in den Gerichtsakten von Nürnberg nachzulesen - das
Militärtribunal darauf aufmerksam, daß die erste Hälfte dieses neuen Dokumentes
auf dem selben Papier und mit der selben Schreibmaschine geschrieben
worden ist, wie die erste, von den Anklägern bereits zurückgezogene Falsch-
Version75. Das Gericht läßt das jedoch nicht als Zweifel an der Zuverlässigkeit
und der Echtheit des Dokumentes gelten und beharrt auf der Beweiskraft des Pap
iers.
Das Brisante an diesem zweiten Dokument sind, wie beim ersten, die zynischen
Aussagen und Redewendungen - angeblich aus dem Munde Hitlers -, die, wenn
sie denn so gesprochen worden sind, die zuhörende Generalität aufs Schwerste
kompromittieren. Die zweite Version ist heute in allen maßgeblichen Geschichtswerken
und Dokumentenbänden Deutschlands nachgedruckt76. Schulgeschichts-
und Gemeinschaftskundebücher vermitteln Schülerinnen und Schülern
mit den markigsten Zitaten aus diesem „Dokument“, daß Hitler Krieg um jeden
Preis mit Polen wollte, und daß die deutsche Generalität dies schweigend und
billigend so hingenommen hat.
Im Archiv der Hitler-Reden des Archivdirektors Dr. Max Domarus wird diese
zweite Version als die wortgetreuste Wiedergabe jener Rede dargestellt und mit
vollem Wortlaut abgedruckt. Domarus kommentiert das so:
„An der Echtheit ist nicht zu zweifeln, da über diese Rede zwei weitere
Niederschriften existieren: die Aufzeichnung des Generaladmirals Hermann
Boehm und der Tagebucheintrag von Generaloberst Halder“. 77
Hier irrt Domarus, denn gerade Generaladmiral Boehm hat diese zweite Version
durch Vergleiche mit seinem eigenen Protokoll als Fälschung bloßgestellt.
Generaladmiral Boehm ist am 22. August 1939 auf dem Obersalzberg einer der
Zuhörer Adolf Hitlers. Er schreibt die Rede stichwortartig mit und hält die Kernaussagen
Hitlers dabei in ihrem Wortlaut fest. Noch am gleichen Abend fertigt
er aus den Notizen sein Protokoll, das in der Erwähnungsreihenfolge dieses
Buchs die Nummer drei ist. Boehm gibt das Protokoll an seinen Vorgesetzten
Raeder. Der liest es, bestätigt es als richtig und zeichnet das Papier ab. Als
Raeder sechseinhalb Jahre später, am 16. Mai 1946 in Nürnberg mit der zweiten
73 IMT Dokumente 798-PS/US-29 (erste Redehälfte) und 1014-PS/US-30 (zweite Redehälfte)
74 IMT Verhandlungen, Band XIV, Seite 55
75 IMT Verhandlungen, Band XIV, Seite 55
76 z. B. ADAP, Serie D, Band VII, Seiten 167 ff und Domarus, Band 2, Seiten 1233 ff und Jacobsen,
Seiten 98 ff
77 Domarus, Band 2, Seite 1233
Seite 324
Version der besagten Hitler-Rede konfrontiert wird, sagt er sofort, daß viele der
Formulierungen in diesem „Protokoll“ nicht stimmen. Worte - so Raeder - wie
„Vernichtung Polens im Vordergrund. Ziel ist Beseitigung der lebendigen
Kräfte, nicht die Erreichung einer bestimmten Linie“ oder „Herz verschließen
gegen Mitleid, brutales Vorgehen“
seien nicht gefallen78. Er macht geltend, daß sich die deutschen Oberbefehlshaber
die Erwähnung eines solchen Kriegsziels bei Kriegsbeginn nicht hätten gefallen
lassen. Raeder entsinnt sich des Boehm-Protokolls und verlangt, den Generaladmiral
als Zeugen zu vernehmen. Der Anwalt Raeders, Dr. Siemers, stellt den Antrag,
Boehm als Zeugen vorzuladen. Die Richter lehnen ab. Daraufhin vernimmt
Dr. Siemers Boehm, fertigt eine Vernehmungsniederschrift und läßt den Generaladmiral
eine eidesstattliche Erklärung abgeben. Beides, Vernehmungsniederschrift
und Erklärung legt Siemers dann dem Nürnberger Gericht als Entlastungsdokument
„Raeder Nr. 129“ vor79. Interessant ist nun, daß Boehms Anhörung
zwar im Verhandlungsprotokoll des Gerichts mit Tag, Verhandlungsgegenstand
und Dokumentennummer aufgeführt ist, im Dokumentenband des IMT aber nicht
erscheint. Sie fehlt. Die Nürnberger Richter haben es vermieden, die Demontage
ihrer „Schlüsselrede“ als Beweisstück aktenkundig mit zu überliefern. Die sehr
aufschlußreiche Anhörung des Generaladmirals ist jedoch im Nachlaß des
Raeder-Verteidigers Dr. Siemers vollständig erhalten. Es lohnt sich, sie zu lesen.
Boehm vergleicht die von Raeder angezweifelte zweite Version mit seiner eigenen
Niederschrift und gibt zu Protokoll:
„Ich erkläre unter Eid, daß die nachfolgend aufgeführten Redewendungen
in diesen Dokumenten von Hitler bei seiner Rede teils überhaupt nicht,
teils in anderer Form und in anderem Sinne gebraucht worden sind.“
Dann geht er Stück für Stück die brisanten Stellen in dem angezweifelten „Beweisstück“
durch. Die angeblichen Hitler-Zitate sind im folgenden mit „2. Version“
eingeleitet, die Aussagen des Zeugen mit „Boehm“80.
2. Version: „Ich faßte den Entschluß bereits im Frühjahr, dachte aber, daß ich
mich zunächst in einigen Jahren gegen den Westen wenden würde
und dann erst gegen den Osten.“
Boehm: In Sonderheit ist die Redewendung, daß Hitler sich zunächst gegen
den Westen wenden würde, was also eine Angriffsabsicht gegen die
Westmächte ausgedrückt hätte, auf keinen Fall gebraucht worden.“
2. Version: „Ich wollte zunächst mit Polen ein tragbares Verhältnis herstellen,
um zunächst gegen den Westen zu kämpfen.“
Boehm: „Der Satz ist nicht gebraucht worden. Es gilt das gleiche, wie vorher
ausgeführt, daß Hitler auf keinen Fall eine Absicht, gegen den
Westen kämpfen zu wollen, zum Ausdruck gebracht hat.“
78 IMT-Verhandlungen, Band XIV, Seite 56
79 Siemers, Dokumentenbuch VI, Seiten 3 ff
80 Siemers, Dokumentenbuch VI, Seiten 3-10, Dokument Raeder-129
Seite 325
2. Version: „Wir haben nichts zu verlieren, nur zu gewinnen.“
Boehm: „Der Satz wurde nicht gebraucht. “
2.Version: „Die Gegner haben nicht mit meiner großen Entschlußkraft gerechnet.
Unsere Gegner sind kleine Würmchen. Ich sah sie in München.“
Boehm: „Beide Sätze, besonders die Beurteilung der Gegner, sind nicht gebraucht
worden.“
2.Version: „Ich habe nur Angst, daß mir im letzten Moment irgendein Schweinehund
einen Vermittlungsvorschlag vorlegt. Die politische Zielsetzung
geht weiter. Anfang zur Zerstörung der Vormachtstellung Englands
ist gemacht.“
Boehm: „Weder der Satz hinsichtlich des Vermittlungsvorschlages, noch besonders
hinsichtlich der Zerstörung der Vormachtstellung Englands
ist gesprochen worden. Es sind glatte Erfindungen, ebenso wie das
Wort „Schweinehund“.“
2.Version: „Vernichtung Polens im Vordergrund. Ziel ist Beseitigung der lebendigen
Kräfte, nicht die Erreichung einer bestimmten Linie. “
Boehm: „Es ist nie von der Vernichtung Polens oder der Beseitigung der
lebendigen Kräfte des polnischen Volkes als solchem gesprochen
worden, sondern stets nur von dem Zerbrechen der militärischen
Kräfte.“
2.Version: „Restlose Zertrümmerung Polens ist das militärische Ziel“
Boehm: „Der Satz ist bestimmt nicht gesprochen worden.“
2.Version: „Herz verschließen gegen Mitleid“ - „Brutales Vorgehen “.
Boehm: „Es ist nie in der Rede Hitlers ein brutales Vorgehen gefordert worden.
Die Aufforderung zur Härte bezog sich in Wortlaut und Sinn auf
die Führung des Kampfes ebenso gegen die feindliche Wehrmacht,
wie im Einsatz der eigenen Truppe zur schnellsten Beendigung des
Konflikts.“
2.Version: „Neue deutsche Grenzführung nach gesunden Gesichtspunkten,
eventuell Protektorat als Vorgelände.“
Boehm: „Es ist nur von einer späteren neuen Grenzziehung, nicht von einem
Protektorat gesprochen worden.“
Und so weiter und so fort.
Der Generaladmiral schließt seine eidesstattliche Erklärung vor dem Anwalt des
Großadmirals Raeder, Dr. Siemers, mit der zusammenfassenden Bemerkung, daß
er die „besonders belastenden Stellen für nachträgliche Zusätze oder Irrtümer
hält“. Boehms eigenes Protokoll, die dritte Rede-Niederschrift in der Zählung
dieses Buchs, beginnt mit
„Zweck der Aussprache...
Seite 326
Absicht (Hitlers81) noch im Frühjahr war, die Lösung der polnischen Frage
hinauszuschieben, sozusagen auf Eis zu legen, um erst die nach seiner
Ansicht unvermeidbare Auseinandersetzung im Westen auszutragen. Jedoch
darf man sich als Politiker hinsichtlich einer Zeitfolge nicht festlegen,
müsse elastisch sein. Die Voraussetzungen für seine ursprünglichen Absichten
hätten sich geändert, im übrigen habe er nie geglaubt, daß Polen
sich an den Nichtangriffspakt gehalten hätte, wenn Deutschland
irgendwie sonst gebunden wäre....
Wenn diese Auseinandersetzung mit Polen auch unerwünscht sei, so sei
sie notwendig, und die politische Lage für Deutschland jetzt günstiger als
vielleicht in einigen Jahren.“ 82
Nach Boehms Protokoll erklärt Hitler in dieser Rede seine Beweggründe für einen
baldigen Krieg gegen Polen. Nach einleitenden Betrachtungen zur gegenwärtigen
Lage des britischen Weltreichs, Frankreichs, Italiens und Spaniens
kommt er auf Polen:
„Klar ist zunächst, daß eine politische Lage mit Polen wie sie jetzt bestand,
auf Dauer untragbar ist. Daher der Vorschlag des Führers hinsichtlich
der Abtretung Danzigs und der Herstellung eines Verbindungsweges
durch den Korridor. Dieser Verständigungsversuch wurde gestört durch
England, das sich in eine Hysterie hineinsteigerte und Polen zu frechen
Noten und militärischen Maßnahmen veranlaßte.... Für England aber
war und ist gerade ein dauerhafter labiler Zustand erwünscht, um jederzeit,
wenn es selbst losschlagen will, auf der anderen Seite Polen
loslassen zu können.... Abzulehnen wären faule Kompromisse.... Die
Wahrscheinlichkeit eines Eingreifens der Westmächte in einen Konflikt ist
nach Ansicht des Führers nicht groß.“
Dann erläutert Hitler nach dem Boehm-Protokoll, warum er nicht mit einem Eingreifen
der Westmächte rechnet, und warum sich die Sowjetunion so plötzlich in
dieser deutsch-polnischen Auseinandersetzung von England und Frankreich abund
Deutschland zugewendet habe. Boehms Protokoll setzt fort:
„Natürlich werden die Westmächte bei einem Konflikt Deutschland - Polen
versuchen, das Gesicht zu wahren. Sie werden vielleicht die Botschafter
abberufen, vielleicht eine Handelssperre einrichten. Dagegen hilft nur
eisernste Entschlossenheit....
Im übrigen muß man bedenken. Auch auf der anderen Seite sind Menschen
mit ihren Sorgen und Kümmernissen. Letzten Endes sind es nicht Maschinen,
die miteinander ringen, sondern Menschen. Und wir haben die besseren
Menschen....
Das Ziel ist die Beseitigung und Zerschlagung der militärischen Kräfte
Polens....
81 Anmerkung des Verfassers
82 IMT Protokoll Band XLI, Dokument Raeder-27
Seite 327
Uns hat die Vorsehung zu Führern dieses (deutschen83) Volkes gemacht;
wir haben damit die Aufgabe, dem deutschen Volke, das mit 140
Menschen auf den Quadratkilometer zusammengedrängt ist, den nötigen
Lebensraum zu geben....“
Von Plänen Hitlers, selber später Frankreich oder England anzugreifen, von der
„restlosen Zertrümmerung Polens“ oder gar von einer „deutschen Erdherrschaft“
(in 1. Version) ist bei Boehm nicht ein einziges Wort zu lesen.
Von besonderer Bedeutung ist der kolportierte Hitler-Ausspruch aus jener zweiten
Version, von der nicht bekannt ist, wer sie geschrieben hat:
„Ich habe nur Angst, daß mir noch im letzten Moment irgendein
Schweinehund einen Vermittlungsplan vorlegt.“ 84
Dieses Zitat geistert bis heute durch die Schulgeschichts- und Gemeinschaftskundebücher85,
belegt es doch, daß Hitler nun Krieg um jeden Preis mit Polen
will und an einer Lösung der Korridor- und Danzig-Frage nicht mehr interessiert
ist. In der ersten Falsch-Version heißt der „Schweinehund“ noch „Saukerl“. Weder
bei Boehm, noch Halder oder Greiner (5. Version) ist dieser folgenschwere
Satz zu finden. Bei Boehm heißt es statt dessen:
„Abzulehnen wären faule Kompromisse.“
Die fragliche Schweinehund-Formulierung ist deshalb von Bedeutung, weil Hitler
am Tag danach, am 23. August 1939, sowie am 25., am 26. und am 29. August
die englische Regierung um Vermittlung bei den Polen bittet. Im folgenden
Kapitel wird hiervon noch ausführlich zu berichten sein. Die Schweinehund-
Formulierung soll 1946 in Nürnberg den Beweis erbringen, daß Hitler seine
Vermittlungsersuchen an die britische Regierung nur zum Schein gestellt hat.
Das kann auch der Grund sein, warum sich die Nürnberger Richter wehren,
Boehm als Zeugen vorzuladen.
Archivdirektor Dr. Domarus entscheidet sich, die 2. Version, deren Verfasser
und Herkunft unbekannt sind, in das Archiv der Hitler-Reden aufzunehmen und
nicht die Boehm-Version. Er begründet es,
„da sie prägnanter formuliert sind, als diejenigen von Boehm und Halder,
obwohl sie den gleichen Inhalt haben.“ 86
Domarus hat sich offensichtlich gerade von den „prägnanten“, aber zweifelhaften
Formulierungen blenden lassen, und er bedient sich dabei ausgerechnet zweier
Zeugen, die seine Logik widerlegen. Weder Boehm mit seinem eigenen
Protokoll noch der Generalstabschef des Heeres, General Halder, mit seiner
Tagebucheintragung (4. Version)87 bestätigen die vielen kompromittierenden
Formulierungen, die Hitler mit jener zweiten Protokollversion in Nürnberg
zugeschrieben werden.
83 Anmerkung des Verfassers
84 ADAP, Serie D, Band VII, Seite 170
85 z.B.: Gebhardt, Band 4/2, Seite 499
86 Domarus, Band 2, Seite 1233
87 ADAP, Serie D, Band VII, Seiten 467 ff und Halder, Band 1, Seiten 23ff
Seite 328
Ein weiteres Protokoll, das fünfte in der Zählung dieses Buchs, steht im Kriegstagebuch
des OKW 88, geschrieben vom Führer dieses Tagebuchs Helmuth Greiner.
Dieses Protokoll bestätigt Boehm in fast allen seinen Punkten. Es korrigiert
den Admiral nur dahingehend, daß Hitler offensichtlich doch von einer Zerstörung
der Vormachtstellung Englands gesprochen hat, jedoch nicht - wie in
der 2. Version suggeriert - als Hitlers politisches Programm, sondern nur als
Erwähnung eines Tatbestands. Und Greiner bestätigt, daß Hitler doch davon
gesprochen hat, Polen eventuell zum Protektorat zu machen.
Auch Generalfeldmarschall von Manstein, Zuhörer dieser Hitler-Rede, schreibt
später, daß Hitler viele der ihm zugeschriebenen Redewendungen damals nicht
gebraucht hat89. Großadmiral Raeder sagt in Nürnberg aus:
„Die Worte sind nach meiner Erinnerung bestimmt nicht gefallen. Der
Führer pflegte solche Ausdrücke in Ansprachen, die er an die Generale
hielt, nicht zu gebrauchen“. 90
Gleiches bestätigt Generalfeldmarschall Keitel91.
Neben den bereits genannten fünf Versionen von Niederschriften dieser brisanten
und oft zitierten Hitler-Rede sind als sechste eine weitere von General Liebmann
und als siebte eine von Generaladmiral Albrecht überliefert. Die zwei Versionen
sind keine Wortlautwiedergaben.
Der vermeintliche Echtheitsbeweis von Domarus ist folglich kein Beweis. Die
zweite in den Akten des Deutschen Auswärtigen Amts und im Domarus-Archiv
abgedruckte Version, von der niemand weiß, von wem sie stammt, ist offensichtlich
genauso eine Fälschung wie die erste. Sie kann angesichts der Beobachtung
des Dr. Siemers, daß das fragwürdige Dokument zum Teil auf der selben Schreibmaschine
wie die erste Falschversion geschrieben worden ist, durchaus vom
gleichen Fälscher stammen, der schon die erste „vulgäre“ Version verfaßt hat.
Die zweite Version dient in Nürnberg als „Beweis“, daß Hitler die Generalität
an jenem 22. August 1939 davon in Kenntnis setzt, daß er die Verhandlungen
mit Polen nur zum Schein führt, daß er um jeden Preis Krieg und Landeroberung
will, und daß er die Absicht hat, später Großbritannien und Frankreich anzugreifen.
Als Hitler an jenem 22. August die Heeresgruppen- und Armeebefehlshaber der
drei Wehrmachtsteile in seiner Alpenresidenz, dem Obersalzberg, versammelt hat,
wissen die hohen Offiziere, daß seit Januar mit Polen um Danzig und den Korridor
verhandelt wird. Sie sind sich der Spannungen mit Frankreich und Großbritannien
bewußt, die Hitler durch die Unterwerfung der Tschechei im März selbst
verursacht hat. Sie haben Kenntnis von den zahllosen Übergriffen gegen die deut-
88 KTB-OKW, Dokumentenanhang, Seite 947
89 v. Manstein, Seite 19
90 IMT Verhandlungen, Band XIV, Seite 59
91 Keitel, Seite 247
Seite 329
sche Minderheit in Polen, von den vielen Grenzverletzungen durch Polen, und
sie wissen, daß deutsche Divisionen gegen Polen aufmarschieren. In dieser Lage
erwarten die Generale und Admirale Aufschluß über das, was sie erwartet.
Wenn man die Niederschriften von Greiner, Boehm und Halder zu Grunde legt,
eröffnet Hitler der Generalität an jenem 22. August 1939 nicht mehr und auch
nicht weniger, als daß er nun nach monatelangen ergebnislosen Verhandlungen
mit Polen in Kürze militärisch handeln will. Er verschweigt zwar den eigenen
Fehler, den er vor sechs Monaten mit der Besetzung der Tschechei begangen
und mit dem er die steife Haltung Polens selbst verursacht hat. Doch die Rede
birgt nichts, das die Generale in einer solchen Spannungslage vielleicht
überraschen könnte. Sie hören zumindest nichts über weitere Pläne Hitlers,
später Frankreich, England, Rußland oder wen auch immer anzugreifen. Wenn
das so ist - und daran gibt es wenig Zweifel - dann hat das Internationale
Militärgericht in Nürnberg mit seinen zwei entstellten Redeprotokollen nicht
nach der Wahrheit sondern nach Belastungsmaterial gesucht. Und das Gericht
hat uns und den deutschen Schülerinnen und Schülern ein zweifelhaftes Erbe
hinterlassen. Die „prägnanten“ Zitate aus der 2. Version halten sich bis heute in den Schulgeschichts- und Gemeinschaftskundebüchern92.
92 z.B. in „Unsere Geschichte“ Band 4, Seite 128 zitiert als Diesterweg 1988 und in „Geschichte und
Geschehen 10“ Ausg. N, Seite 133 zitiert als Klett 1995 und in „Handbuch der deutschen Geschichte“ Band 4/2, Seite 499 zitiert als Gebhardt und in „Der Mensch gegen den Mensch“, Seite 40, Buch für niedersächsische Schulen zitiert als Nolte
Seite 330
Knapp 10 Seiten, alles in allem knapp 20 Minuten Arbeit. ;-)
Gruss
TD
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