(Autor beim copy-n-paste verloren gegangen, Link vergessen)
Vorbemerkung:
In meinen acht Jahren Arbeit bei einer großen Vermögensverwaltung konnte ich mich intensiv mit dem Thema Börse auseinandersetzen. Obwohl ich dies als Systemanalytiker getan habe: meinen durch Studium erlernten Beruf als Psychologe habe ich nie völlig vergessen. Und in dieser Kombination - als Analytiker mit Kenntnissen in Statistik und menschlichem Verhalten - gewann ich eine Perspektive, die viele überraschen mag. Die so gewonnenen Erkenntnisse möchte ich hier darlegen.
Teil 1
Mystische Börse Das Verhältnis des Menschen zur Welt war und ist stets durch Mystifizierung und Obskurantismus gekennzeichnet gewesen. Auch wenn wir uns heute für aufgeklärt halten: dieses haben stets alle Menschen aller Zeitalter geglaubt. Und zu allen Zeiten wie auch heute ist dieses Verhältnis zum Universum schlicht falsch.
Daher möchte ich meinen Exkurs über die Börse mit einem Thema beginnen, welches scheinbar weit weg liegt und nichts, aber auch gar nichts mit dem Thema Börse zu tun hat. Beginnen wir 1927, mit einem Ausflug in die Parapsychologie, der ungeliebten Stiefschwester der Psychologie. Beschäftigen wir uns also einen Moment mit Telepathie, Präkognition, Hellsehen etc., kurz, mit außersinnlicher Wahrnehmung (ASW). Wäre doch möglich, dass dies uns beim Verständnis der Börse nützlich sein könnte...
Die Experimente des Dr. Rhine Um endlich das Vorhandensein von Telepathie (Gedankenlesen) wissenschaftlich zu beweisen, initiierte Dr. Rhine 1927 eine Reihe von Tests. Er schuf dazu fünf Karten, die mit je einem Zeichen versehen waren: einem Kreis, einem Viereck, einem Dreieck, drei Wellenlinien und einem fünfzackigen Stern. Ein Satz Karten bestand aus je fünf Symbolen, also 25 Karten.
Die Versuchsanordnung sah so aus: der Versuchsleiter (VL) saß abgeschirmt von der Versuchsperson (VP) vor einem Satz Karten, die maschinell gemischt worden waren. Der VL deckte nun nacheinander in gleichmäßigem Tempo die Karten auf, so dass nur er selbst diese sehen konnte, konzentrierte sich auf das Symbol und versuchte, dies gedanklich an die VP zu übermitteln. Diese wiederum versuchte nun, das Symbol zu"erraten" oder"gedanklich zu ermitteln" und kreuzte auf einem Blatt das vermutete Symbol an.
Statistisch gesehen mußte eine VP im Schnitt fünf Treffer pro Durchgang haben. Wenn die Anzahl der Treffer für längere Zeit höher war, so konnte man mit Methoden der statistischen Signifikanzrechnung bestimmen, ob dies auf etwas anderes als Raten hinwies.
Die Ergebnisse Viele VP hatten in der Tat nur durchschnittliche Ergebnisse. Aber es waren einige Personen dabei, die über einen längeren Zeitraum sensationell hohe Trefferquoten hatten! Diese Ergebnisse sorgten für einige Aufregung: wie es schien, hatte man das Phänomen Gedankenlesen mit wissenschaftlichen Methoden bestätigt. Nun konnte man der Telepathie zu Leibe rücken.
Aber dann lief etwas schief...
Die Resultate ließen sich nicht mehr reproduzieren! VP mit sehr hohen Trefferquoten hatten plötzlich nur noch eine durchschnittliche Anzahl von Treffern. Es schien, als ob das Phänomen Gedankenlesen sich dem Zugriff im Labor entzog. Dafür fand man neue VP mit überdurchschnittlicher Trefferquote. Aber auch bei diesen wiederholte sich alles: nach einiger Zeit im Labor sank die Trefferquote auf den Durchschnitt ab.
Drei Theorien Dr. Rhine und seine Mitarbeiter vermuteten, dass das Gedankenlesen ein unbewußter Vorgang sei: sobald man versuchte, diesen bewußt hervorzurufen, interferierte dies mit dem unbewußt ablaufenden Vorgang und störte den Prozeß. Außerdem seien die Laborbedingungen der Telepathie nicht gerade förderlich.
Zauberkünstler hingegen bewiesen, dass es in der Versuchsanordnung von Dr. Rhine möglich sei, zu betrügen. Sobald aber einem Betrüger genauer auf die Finger geschaut werde, sei dieser nicht mehr in der Lage, seinen Betrug zu wiederholen: dann seien seine Ergebnisse nur noch durchschnittlich, da er jetzt auf Raten angewiesen sei.
Aber es dauerte bis in die siebziger Jahre, bis ein Mathematiker eine einfache und verblüffende Erklärung für das Phänomen fand...
Die Erklärung Diese dritte Theorie hat einige Vorzüge:
sie steht völlig im Einklang mit den Modellen und Theorien der Physik - nichts außer - oder übernatürliches mehr
sie kann das Auftreten von Gedankenlesen und das Verschwinden ohne die Einführung einer neuen Theorie erklären, ohne neue Annahmen
sie ist vollkommen nachprüfbar
Wie funktionierte es nun wirklich? Ganz einfach: wenn man genügend Versuchsreihen ansetzt, dann muß es zwangsläufig VP mit höheren Trefferquoten geben, auch über einen längeren Zeitraum. Nach einer gewissen Zeit aber"normalisiert" sich die Quote wieder. Dieses Ergebnis läßt sich zuverlässig reproduzieren, wenn man statt eines Menschen Computer mit Zufallszahlengeneratoren einsetzt. Man bekommt dann genau dieselben Ergebnisse wie Dr. Rhine. Aus der Traum vom Gedankenlesen...?
Nein. Unter gläubigen Anhängern esoterischer Zirkel werden die Versuche des Dr. Rhine auch heute noch als Beweis für die Existenz von ASW angesehen. Beweise alleine nützen nichts, wenn sie nicht mit dem Weltbild des Menschen übereinstimmen. Ob eine Theorie richtig oder falsch ist, spielt keine Rolle: Konsistenz mit der eigenen Weltsicht ist ein viel wichtigeres Kriterium. Dies gilt auch für die Wissenschaft.
Es läßt sich zeigen, dass ein konsistent-ganzheitliches Weltbild mehr Vorteile in der Evolution des Menschen bietet, als ein korrektes, aber lückenhaftes Weltbild. Aber dies ist ein anderes Thema... auf das ich dennoch werde zurückkommen müssen. Tatsachen können äußerst irritierend sein.
Teil 2
Das Glücksspiel Wir haben im ersten Teil gesehen, dass sich die Gesetze der Statistik bei größeren Zahlen geradezu zwangsläufig durchsetzen, dass dies aber nicht für kleine Zahlen gilt. Dort ist es vielmehr so, dass die Abweichungen von der Erwartung ebenfalls notwendig sich ereignen: unwahrscheinliche Ereignisse müssen geschehen, wenn man hinreichend viele Durchgänge macht.
Eine Analogie gibt es beim Roulettspiel. Statistisch gesehen ist Roulette ein Nullsummenspiel: was der eine verliert, gewinnt der andere, abzüglich von 1/36stel, der Summe, welche die Bank einstreicht. Individuell gesehen ist dies aber kein Nullsummenspiel: die Wahrscheinlichkeit, stets genau 1/36stel der eingesetzten Summe zu verlieren, ist nahe Null. Erst bei sehr vielen Einsätzen kommt man in die Nähe dessen, was der statistischen Erwartung entspricht. Und man nähert sich diesem nur relativ, nicht aber absolut. Daher scheint die Statistik oft der eigenen Erfahrung zu widersprechen... deswegen meine viele Menschen, mit Anekdoten die Statistik widerlegen zu können ("Mein Opa hat wie ein Schlot geraucht, ist aber über 90 Jahre alt geworden!" - Schlußfolgerung: Rauchen ist nicht gesundheitsschädlich).
Beim Lotto beispielsweise ist die Wahrscheinlichkeit, sechs Richtige zu haben, nahe Null. Trotzdem gibt es jedes Jahr ein paar Dutzend neue Lottomillionäre. Das individuelle Erfahrung nichts mit der Statistik zu tun hat (und diese weder widerlegt noch bestätigt), obwohl das individuelle Tun in diese Statistik mit einfließt, widerspricht der Intuition. Deswegen wird gerne Goebbels Propaganda gefolgt:"Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hat" (Goebbels legt mit diesem Ausspruch Churchill ein Zitat in den Mund, dass dieser nie gesagt hat - dieses gefälschte Zitat ist folglich nichts als Nazi-Propaganda).
Bei Glücksspielen findet langfristig ein Ausgleich aller Summen statt (minus der Kosten für das Glücksspiel, zu der auch der Gewinn der Spielbank gehört). Damit wäre das Glücksspiel vollkommen uninteressant, wenn man es langfristig spielen würde. Aber kurzfristig kann es sich lohnen, und das macht den Anreiz aus für den individuellen Spieler aus. Langfristig bekommt die Spielbank 1/36stel der eingesetzten Summen, und das macht den Anreiz für die Spielbank aus. Langfristig gewinnt nur die Bank.
Eine kurze Geschichte der Börse Auch die Börse wurde ursprünglich geschaffen, um einen langfristigen Ausgleich zu erzielen. Die Börse entstand im Mittelalter zunächst aus dem Bedürfnis, einen zentralen Handelsplatz zu haben, an dem Waren ausgetauscht werden konnten, ohne dass diese präsent sein müssen (d. h. es wird mit Lieferversprechen gehandelt, statt mit den Waren selbst). Ähnlich hat sich auch das Geld entwickelt: statt eine Ware mit einem"realen" Wert auszutauschen (z. B. Gold) wird mit dem Geld ein Zahlungsversprechen gehandelt. Das ist praktischer.
An den Börsen haben sich nun vor allem Warentermingeschäfte entwickelt: es ist das Interesse des Bauern, sein Getreide nicht lange zu lagern, sondern es sofort zu Geld zu machen. Dies hätte zur Folge, dass zur Erntezeit das Getreide im Preis stark fällt (großes Angebot, relativ geringe Nachfrage), aber zu anderen Zeiten der Preis zu hoch wird (kein Angebot, aber relativ hohe Nachfrage). Dieses Problem kann man nur durch Lagerung begegnen. Nur, wie lange und wieviel an Getreide soll gelagert werden? Diese Frage läßt sich nicht allgemeingültig beantworten.
Mit den Warentermingeschäften wurde diese komplizierte Frage gelöst: der Spekulant versucht, das zukünftige Verhalten von Angebot und Nachfrage abzuschätzen. Je besser er das kann, umso mehr verdient er. Schlechte Spekulanten werden vom Markt eliminiert. Mit der Zeit optimiert sich dieses System von selbst. Die Methoden zur Vorhersage werden verbessert. Und die Warenströme verteilen sich besser über den Gesamtzeitraum. Für diese Dienstleistung (Schaffung eines Ausgleichs von Angebot und Nachfrage über den gesamten Zeitraum) kassiert der Spekulant eine Provision. Wir sehen auch hier: das individuelle Interesse (viel Geld durch Spekulation zu verdienen) führt gesamtgesellschaftlich zu einem statistischen Ausgleich der Interessen (und der Warenströme). Es ist unerheblich, was die Absicht des einzelnen Individuums ist: insgesamt trägt es zum Ausgleich bei. Diese Verhältnisse manifestieren sich hinter dem Rücken des Individuums. D. h. obwohl der Spekulant gegen den Ausgleich arbeitet (er will schließlich mehr Geld verdienen als die Anderen) trägt er dazu bei.
Ein wesentlicher Kritikpunkt von Karl Marx an den kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen war, dass nicht der Mensch Herr seines Schicksals ist, sondern dass sich diese Verhältnisse hinter dem Rücken des Individuums durchsetzen. Bislang sind die Pläne, diesen blinden Zufall durch menschliche Planung zu ersetzen, allerdings gescheitert. Wir können hier eine Analogie zur Evolution sehen: auch hier setzen sich über den Mechanismus der Erhöhung der Fortpflanzungswahrscheinlichkeit ohne Wissen des Individuums bestimmte Gesetzmäßigkeiten durch. Dies gilt auch für die neue, menschliche Stufe der kulturellen Evolution (wenn auch über andere Mechanismen). Es ist ein Zeichen kulturellen Fortschritts, Zufall durch Planung zu ersetzen. In diesem Sinne kann man der marxistischen Gesellschaftskritik nicht widersprechen.
Ausgleich und gegensätzliche Erwartungen An der Börse funktioniert dieser Mechanismus über die gegensätzliche Erwartungshaltung. Angenommen, ich will Ihnen ein Paket Aktien der Firma XYZ verkaufen. Warum verkaufe ich? Weil ich annehme, dass der Aktienkurs stagniert oder gar sinkt. Warum kaufen Sie? Weil Sie im Gegensatz zu mir annehmen, dass der Kurs steigt. Wäre unsere Erwartungshaltung nicht gegensätzlich, so würde kein Geschäft zustande kommen.
Wenn wir beide annehmen, dass der Kurs steigt, so würden Sie zwar kaufen wollen, aber ich würde nicht verkaufen. Nehmen wir beide an, dass der Kurs sinkt, würde ich zwar verkaufen wollen, aber Sie wären ganz gewiss nicht so dumm, zu kaufen. Über Angebot und Nachfrage wird genau der Kurs bestimmt, bei dem sich genauso viele Verkaufswillige wie Kaufwillige finden. Der Kurs schafft so einen Ausgleich unserer Erwartungshaltungen (bzw. er ist der Grenzwert unserer Abschätzung der zukünftigen Entwicklungen). Auch hier ist unsere individuelle Haltung klar und gegensätzlich. Und auch hier findet zwar kein individueller Ausgleich statt, aber langfristig und statistisch gesehen geschieht genau das: die Börse ist ein Nullsummenspiel.
Einen gewichtigen Unterschied gibt es aber doch: Während das Roulettspiel um die Summe Null schwankt (minus 1/36stel Spielbankerlös) bewegt sich die Börse um die allgemeine Marktentwicklung. Und die ist häufig über Null! Wenn sich also die Firmenerträge über einen gewissen Zeitraum um 5% nach oben bewegen, bewegen sich auch die Kursgewinne um diesen Betrag (im statistischen Durchschnitt, nicht im Individualfall) nach oben. Deswegen ist der langfristige Ertrag von Wertpapieren nicht Null (und dazu kommt noch die Gewinnbeteiligung in Form einer Dividende).
Wenn die Börse nun ein Glücksspiel wäre...? Die Behauptung, die Börse sei ein reines Glücksspiel, wird von den meisten Börsianern bestritten. Warum dies bestritten wird (werden muß), werde ich später erklären: im Moment interessieren nur die Indizien, die für diese Behauptung sprechen.
Vor einiger Zeit traten in einem virtuellen Börsenspiel mehrere der Top Fondmanager gegeneinander an. Ohne Wissen der Beteiligten gab es noch einen weiteren, geheimen Teilnehmer: einen dressierten Schimpansen. Dieser wählte die zu kaufenden und zu verkaufenden Aktien nach seinem Gutdünken aus. Und er war als Fondmanager besser als die anderen: er schlug sie alle! Wer würde da nicht behaupten, dass dies Zufall sei, ein Glücksfall eben?
Ein anderes, aufsehenerregendes Portfolio würde von einigen Börsianern in feuchtfröhlicher Runde initiiert: das Dart-Portfolio. Die zu kaufenden Aktien wurden durch (von Dart-unerfahrenen Laien) geworfenen Dartpfeilen bestimmt. Dieses Portfolio gehörte fünf lange Jahre zu den Top Performern an der Börse!
Jetzt werden Sie verstehen, warum ich die Experimente des Dr. Rhine anfangs so ausführlich beschrieb. Man kann die (überdurchschnittlichen) Erfolge von einigen Börsianern mit genau den gleichen drei Theorien erklären wie die Experimente des Dr. Rhine: mit einer geheimnisvollen Fähigkeit (in außersinnlicher Wahrnehmung oder wirtschaftlichem Durchblick), mit Betrug (beim Versuchsaufbau, durch Insider-Geschäfte) oder mit statistischem Zufall. Selbstverständlich neigen die Betroffenen zur ersten Erklärung: es handelt sich um eine spezifische Fähigkeit. Aber: langfristig kann keiner bisher seine Erfolge wiederholen. Auch diese Fähigkeit scheint unter geheimnisvollen Umständen nach einer gewissen Zeit zu verschwinden. Aber egal, dann gibt es eben wieder neue VP oder Fondmanager, die diese besondere Fertigkeit besitzen...
Eine Analyse der Fonddaten kann hier einen ersten Aufschluß geben: kein Fond konnte bislang eine gute Position für längere Zeit halten. Auch wenn man statt der Fonds Fondmanager analysiert, so ändert sich an dieser Feststellung nichts.
Wenn die Börse rational vorhersagbar wäre Angenommen, sie hätten eine geniale Methode gefunden, mit der sie die Entwicklung von Aktienkursen genauer vorhersagen könnten als alle Anderen. Selbstverständlich verdienen Sie damit an der Börse massig Geld. Aber genau in dem Moment, wo auch ein anderer diese Methode entdeckt oder diese gar veröffentlicht wird, würde sie aufhören, zu funktionieren, und plötzlich wäre die Börse wieder genauso unvorhersehbar wie zuvor. Warum?
Angenommen, Sie könnten Börsencrashs vorhersehen (die Vorhersage von Trendwenden ist die eigentliche Herausforderung: die meiste Prognostik basiert ansonsten auf der Extrapolation von linearen Verläufen - eine Gerade auf einem Chart in die Zukunft zu verlängern kann nämlich jeder). Und angenommen, Ihre Methode wäre rational begründbar, und Sie wüßten mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass Freitag nächster Woche die Börse crasht. Da die Informationen der Börse prinzipiell allen offen stehen (d. h. der Grad der Markttransparenz ist für alle gleich, Insidergeschäfte mal ausgenommen) ist Ihre Methode für alle anderen nachvollziehbar, und nach relativ kurzer Zeit wüßten ALLE, dass besagter Freitag schwarz wird: dann käme der Crash (vorweggenommen) nur früher, und damit wieder für alle vollkommen überraschend. Und schon wären die Verhältnisse wieder unvorhersehbar wie zuvor.
Was für einen Crash gilt, gilt auch für andere Kurswenden: in dem Moment, wo sie rational vorhersagbar wären, würden sie trotzdem vollkommen überraschend auftreten. Der Grund dafür ist simpel: menschliches Verhalten initiiert die Ereignisse, und damit beeinflußt auch die Antizipation menschlichen Verhaltens die Ereignisse, und selbst die Antizipation der Antizipation trägt dazu bei usw. usf. Das Resultat: ein vollkommen nicht-deterministisches System. Jedes Auftreten eines Determinismus führt über einen Rückkoppelungseffekt zu seiner Selbstaufhebung. Daher sind die Ergebisse rationaler Methoden an der Börse nie reproduzierbar. Deswegen ist Chartanalyse nichts weiter als Kaffeesatzleserei.
Wir haben es, wie bei den Resultaten der Experimente in ASW, mit einem irrationalen (oder präziser: einem nicht deterministischem) System zu tun. Aber da an der Börse vieles (scheinbar) mit rationalen Dingen zugeht, beflügelt dies die Phantasie der Menschen: was wäre, wenn man doch rational daran gehen könnte... aber genau damit wird das System nicht überlistet, sondern so verändert, dass es sich nicht rational verhält.
Hinterher schlauer sein ist aber eine exakte Wissenschaft: im nachhinein kann man die rationale Grundlage des Systems erklären, d. h. in der Nachschau ist das System rational begründbar. Dies wiederum erweckt unbegründete Hoffnungen auf eine rationale Zukunft, bei der die Hoffnung selbst die erkannte Rationalität zerstört... und der Kreislauf beginnt von vorne.
Anders gesagt: wenn es eine rationale Möglichkeit zur Vorhersage gäbe, so könnte man an der Börse Erträge"aus dem Nichts" schaffen (der Traum der Alchimisten und die Versprechung des Teufels in Faust II). manchmal sieht es so aus, als ob dies möglich sei, aber dann hat sich nur eine Spekulationsblase gebildet... und Zahltag ist, wenn diese platzt.
Teil 3
Nicht-deterministisch Wenn die Börse ein nicht-deterministisches System ist, welches nach einem statistischen Ausgleich strebt, so bedeutet dies zweierlei: erstens kann man längerfristig keine überdurchschnittlichen Gewinne machen, zweitens, falls dies doch der Fall war, tendiert die Performance stets zum Mittelmaß (d. h. zum Marktergebnis) hin.
Wir können daraus eine Gesetzmäßigkeit ableiten:
Das Gesetz des tendenziellen Falls der Performance In einem nicht-deterministischem, auf Stabilität (d. h. Ausgleich) optimierten System wird jede Abweichung vom Durchschnitt längerfristig eliminiert. Schlußfolgerung: die Börse ist ein solches System, d. h. die Performance eines Fonds entwickelt sich stets zum Marktdurchschnitt hin: je mehr Zeit und/oder Geld eingesetzt wird, umso schneller. Je transparenter das System für die Teilnehmer ist, umso durchschlagender wirkt dieses Gesetz (und das Internet trägt dazu bei). Extreme Pendelschläge (sog. Hypes oder Blasen) treten dabei selbstverständlich ständig auf: wäre dem nicht so, so wäre das System deterministisch. Mit der Globalisierung wird sich dieser Effekt überall bemerkbar machen, d. h. auch durch gezielte Auswahl von Märkten läßt sich dieses System nicht aushebeln.
Nur durch Betrug oder durch Zufall kann man dem entgehen. Dies ist der Grund dafür, dass Insider im Gefängnis landen oder Affen die besseren Fondmanager sein können. Auch eine über mehrere Jahre erzielte gute Performance garantiert nichts, außer, dass es vermutlich bald abwärts gehen wird.
Meßlatten und andere Tricks Langfristig schlägt niemand die Benchmark. Diesen Erfahrungsgrundsatz kann man nicht umgehen: jede Methode, die dies könnte, wird einen Ausgleichsmechanismus in Gang setzen, der den Fond wieder unter die Meßlatte drückt (da in der Benchmark keine Transaktionskosten enthalten sind, wird der durchschnittliche Erfolg stets um die Transaktionskosten niedriger ausfallen, analog zum Roulette).
Wenn der Kunde nicht selbst vorsorgt, kann man ihm aber stets einen größeren Erfolg vorgaukeln: wenn ich die Meßlatte erst nach dem Sprung auflege, dann kann ich es so einrichten, das ich immer erfolgreich bin. Noch besser sind dynamische Benchmarken: ab sofort wird beim Hochsprung nur noch mit einem Gummiband gemessen - der Erfolg ist garantiert!
Durch diese und ähnliche Tricks wird es stets möglich sein, dem nichtsahnenden Kunden vorzumachen, dass das Gesetz des tendenziellen Falls der Performance sein Vermögen nicht trifft. Damit läßt sich scheinbar beweisen, dass ich unrecht habe... Übrigens wird diese Methode von Börsianern auch häufig eingesetzt, um sich selbst in die eigene Tasche zu lügen.
Zwischenfazit: Was dem Kunden wirklich wichtig ist Wenn man sein Geld langfristig anlegt, dann ist es gleichgültig, bei welcher Vermögensverwaltung man dies tut: alle kochen mit demselben Wasser, und bei denselben Vorgaben werden die Ergebnisse sich immer ähnlicher werden, je mehr Geld eingesetzt wird und je länger der Zeitraum ist. Dabei kann es einem egal sein, ob der Fondmanager ein dressierter Affe ist oder ein wirtschaftliches Genie. Auch ob der Fondmanager raffinierte wirtschaftliche Analysen einsetzt, topfit in jeglicher Form der Chartanalyse ist, oder Würfel benutzt, Astrologie oder IGing, spielt keine Rolle.
Wichtig und entscheidend ist lediglich das Vermögenscontrolling (auch als Buchhaltung völlig unterschätzt). Vermögenscontrolling läßt sich nämlich nicht durch dressierte Affen oder Würfe auf eine Dartscheibe ersetzen.
Interessant ist übrigens das Verhalten der großen Versicherungen: dort sitzen Statistiker, und über wirtschaftlichen Erfolg oder Mißerfolg entscheidet die Güte der statistischen Analyse (auch die Versicherung ist eine Form des Glücksspiels, aber kalkuliert aus der Sicht der Spielbank - mit einem Unterschied: die Versicherungsmathematiker wissen dies und unternehmen bewußte Anstrengungen, die auf einen Ausgleich zielen). Wie handeln diese institutionellen Anleger zunehmend? Sie machen eine passive Kapitalanlage, d.h. der Markt selbst wird nachgebildet. Dies erspart einen teuren Fondmanager, und man wird immer nur genau um die Transaktionskosten unter dem Markt bleiben. Mit professionellem Fondmanagement wird dieses Ergebnis um die Kosten des Managements weiter geschmälert.
Die Statistiker wissen, was sie tun. Und Statistiker wissen auch, dass sich die Gesetze der Statistik unbarmherzig durchsetzen - und dass sich diese Gesetze oft intuitiv nicht durchschauen lassen, häufig sogar in vollkommenem Widerspruch zur Intuition stehen.
Teil 4
Warum Intelligenz beim Erkennen hinderlich sein kann Ein interessanter Aspekt sollte noch beleuchtet werden: warum glaubt die Mehrheit der Börsianer daran, dass Können und wirtschaftliches Wissen an der Börse entscheiden sind? Mit einem Hang zur Boshaftigkeit kann man auch eine analoge Frage stellen: warum glauben Systemspieler beim Roulette an den Erfolg ihres Systems?
Die Komplexität menschlicher (z. B. gesellschaftlicher) Systeme liegt immer noch außerhalb des Horizonts menschlichen Verstehens. Wenn ein solches System verstanden wird, so würde dieses Verstehen selbst in einer Rückkoppelung das Verstandene beeinflussen, und das System selbst würde sich anpassen und ändern: was ein erneutes Erforschen und Verstehen notwendig macht. Dieses (und andere Effekte, wie z. B. die Erkenntnisse von Gödel) lassen Kritiker vermuten, dass das"menschliche System" sich selbst nie wird verstehen können: denn dieses Verständnis selbst müßte Bestandteil des Systems sein. Soweit will ich an dieser Stelle nicht gehen, denn ich betrachte hier nur ein menschliches Teilsystem.
An anderer Stelle habe ich beschrieben, was menschliches Handeln antreibt. Verkürzt gesagt ist es die Antizipation des Gewinns von Kontrolle über die eigenen Lebensumstände, d. h. die vorsorgliche Absicherung unserer sinnlich-vitalen Grundbedürfnisse, die uns motiviert. Das Streben nach Kontrolle ist prinzipiell ein unendlicher Prozeß: es gibt kein"Genug" an Kontrolle.
Ein Gewinn an Kontrolle läßt sich auch umschreiben als eine Elimination des Zufälligen. Dieses Streben ist eine starke, wenngleich unbewußte Triebfeder, stärker als unsere schwache Ratio. Wir brauchen nicht zu wissen, dass wir nach dieser Kontrolle streben: wir tun dies instinktiv. Auch hier vollzieht sich ein großer Teil unseres eigenen Handelns quasi"hinter unserem Rücken". Es war der große Verdienst von Sigmund Freud, dies festgestellt zu haben (vor allem in Form der Angstabwehrmechanismen): die zweite kopernikanische Wende. Zunächst war der Mensch aus dem Zentrum des Universums verstoßen worden, nun wurde er auch aus dem Zentrum seines eigenen Handelns vertrieben. Eine Zumutung, ein Ärgernis. Aber ein notwendiger Denkanstoß.
Die Elimination des Zufälligen läßt sich bereits bei alltäglichen Wahrnehmungen feststellen: man werfe einige zufällig gestreute Farbkleckser auf ein Blatt Papier und frage jemanden, was er darauf erkennen kann. Nach einiger Zeit der Betrachtung wird der Beobachter dort Gestalten erkennen können. Das Zufällige wurde eliminiert (auf dieselbe Art sind die Sternkreiszeichen entstanden). Wenn unser Handeln dem Zufall unterliegt, so wird dies stets als tragisch empfunden: die großen Dramen der Weltgeschichte bauen ihren Spannungsbogen darauf auf, dass der Held (oder die Heldin) durch zufällige Ereignisse (auch als"Schicksal" bezeichnet) in einen Strudel gezogen wird, aus dem er oder sie sich nur durch Geschick, Mut, Können usw. usf. befreien kann (oder auch nicht, dann ist es eine Tragödie). Und das Schicksal selbst wird meist nicht als Zufall interpretiert, sondern als Wirken unheimlicher oder schwer bis gar nicht verstehbarer, dunkler Mächte interpretiert (die Gestalt des Zufälligen bekommt eine Form verliehen).
Je intelligenter man ist, und je mehr man weiß, umso eher wird man im Zufall ein (schicksalhaftes?) Muster erkennen können. D. h. was ein einfaches Gemüt oft völlig richtig als zufällig erkennt, wird von intelligenten Menschen in ein nicht zufälliges Muster uminterpretiert. Intelligenz kann folglich ein Wegweiser in die falsche Richtung sein!
Zufall und andere Reinfälle Besonders anfällig für die Leugnung des Zufälligen sind wir, wenn wir Erfolg haben. Nahezu alle erfolgreichen Spiele bauen auf dieses simple Prinzip: sie sind eine Mischung aus Glück und Geschicklichkeit. Gewinne ich, so deswegen, weil ich so geschickt war. Verliere ich, dann deswegen, weil mich das Glück verlassen hat. So kann man das Spiel verlieren, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren.
Das Spiel Börse basiert auf demselben Prinzip. Ich gewinne, weil ich strategisches Geschick hatte, ich verliere, weil ich Pech hatte. Aber wenn sich der Markt aufwärts bewegt, gewinne ich langfristig mehr, als ich verliere.
Auch Bill Gates könnte man nicht davon überzeugen, dass sein Vermögen ein Zufallsprodukt ist, selbst wenn man dies wissenschaftlich exakt beweisen könnte: selbstverständlich ist Bill Gates davon überzeugt, das dies ein Resultat seines übergroßen Könnens ist. Wenn wir Erfolg haben, dann doch wohl deswegen, weil wir es uns verdient haben. Bei Mißerfolg ist selbstverständlich Pech die Ursache. Je stärker der Erfolg, desto stärker der Glaube an die eigenen Fähigkeiten.
Dies ist das Geheimnis, welches alle Erfolgsbücher tunlichst verschweigen: der meiste Erfolg beruht auf Glück. Dies gilt umso mehr, je weniger deterministisch das System ist, in dem wir Erfolg hatten. Ein Lottomillionär hat genau dasselbe Recht, auf sein Vermögen stolz zu sein wie der Inhaber einer Firma. Denn auf einen erfolgreichen Firmengründer kommen 999, die bei denselben Voraussetzungen, demselben Fleiß und derselben Disziplin gescheitert sind. Aber über die wird nicht geredet: wir sind eine Leistungsgesellschaft, und dort redet man nur über Erfolg. Mißerfolg wie auch Glück sind keine Gesprächsthemen. Nur die Leistung zählt.
Hier ist eine sichere Anleitung, wie man einen Roman schreibt, der ein Flop wird: man läßt den Held oder die Heldin durch Verstrickung oder Unfähigkeit oder Pech in eine missliche Lage geraten. Durch einen glücklichen Zufall entkommt der Held oder die Heldin dieser mißlichen Lage. Und hier die Anleitung für eine erfolgreichen Roman: der Held oder die Heldin wird durch unglückliche Umstände in eine mißliche Lage gebracht und schafft es, durch Geschick oder Können oder besondere Fähigkeiten oder Wissen oder Intelligenz oder Gewitztheit (oder eine Kombination davon) sich daraus wieder zu befreien. Eine Geschichte des ersten Typs will niemand hören! Bei der ersten Geschichte hätte ich statt"Held" den Ausdruck"Protagonist" benutzen müssen, den die Beschreibung selbst widerspricht der Definition des Helden bereits. Vermutlich haben Sie die erste Anleitung deswegen mit einem gewissen Unmut gelesen.
Selbst bei Spielen wo die Zufälligkeit offensichtlich ist (Roulette, Lotto) gibt es genügend Menschen, die an Geschick und Muster glauben. Bei Roulette sind es häufig sogar besonders intelligente Menschen, die daran glauben. Und dies beantwortet auch die eingangs gestellte Frage. Aber wer will diese Antwort schon hören?
Verstehen können...... und verstehen wollen sind zwei Haltungen, die, wenn sie in Konflikt miteinander geraten, stets zugunsten des"Wollens" entschieden werden. Und jetzt erst können Sie verstehen, was ich mit dem Satz:
Ein Essay über die Tücken des Nicht-Wissen-Wollen-Könnens
gemeint habe. An der Börse wäre ein Glauben an einen blinden Zufall kontraproduktiv. Dieser Glaube ginge einher mit einem Kontrollverlust und wäre demotivierend. Individuen mit dieser Einstellung werden keine Fondmanager oder hören auf, welche zu sein. Das Nicht-Wissen ist ein essentieller Bestandteil: da der Börsenspekulant letztlich ein Ausgleichsfaktor für Zufallsverteilungen ist, er aber diese Funktion umso effektiver erfüllt je weniger er an diese Funktion glaubt, sich also seine wesentliche Tätigkeit hinter seinem Rücken vollzieht, kann er dies nicht wissen wollen.
Da Fondmanager meistens besonders intelligente Menschen sind, mit einem besonderen Gefühl der Wichtigkeit der eigenen Person (dem in der Firma auch inbesonderer Weise Rechnung getragen wird) wird ihre Verteidigung ihrer Position sowohl heftig als auch intelligent erfolgen. Nichtsdestotrotz funktioniert das Gesamtsystem Börse, obwohl die intelligentesten Individuen dagegen anarbeiten. Dieser Widerspruch wäre zu erklären...
Da jeder nach überdurchschnittlicher Performance strebt, und jeder ähnliche Methoden dabei einsetzt, kann nicht jeder Erfolg ohne Mithilfe des Zufalls haben.
Teil 5
Mögliche Bedenken Gegen meine Auslegungen gibt es eine ganze Reihe möglicher Bedenken. Der Haupteinwand ist sicher der, dass ein Experte an der Börse es vermeidet, so zu handeln wie alle Anderen auch. D. h. wenn alle anfangen, Aktien zu kaufen, hält er sich zurück. Sobald die Aktien auf dem Tiefstand sind, wird gekauft (vorzugsweise nach einem Crash). Aber dies entspricht noch der allgemeinen Regel: Kaufe, wenn die Kurse niedrig sind, verkaufe, wenn die Kurse hoch sind.
Ein Beispiel für Expertenhandeln: Experten sehen meistens auf die (möglichen) Kurssteigerungen, nicht auf die Dividenden. Laien handeln genau andersherum: Dividenden sind eine Art Zinsen, und man legt sein Geld einfach für gute Zinsen an...
Interessant daran ist: betrachtet man die letzten 20 Jahre an der Börse, so war diese Strategie sehr erfolgversprechend, denn die Papiere mit den höchsten Dividenden hatten i. d. R. auch die höchsten Kurssteigerungen. Die Laien waren also klüger - oder zumindest: sie haben klüger gehandelt (dies ist nicht dasselbe!).
Vor einem Crash sind alle gleich - dies ist eine interessante Beobachtung: vor den meisten Crashs der letzten Jahre (wenn sich eine"Blase" gebildet hatte oder ein"Hype") waren sich plötzlich alle Experten einig: entweder, für diesen Sektor gelten die alten Regeln nicht, oder, dies sei eine neue Ã-konomie mit neuen Regeln, der Übergang von der Produktionsökonomie ("Old economy") zu einer Dienstleistungs- oder gar Aufmerksamkeitsökonomie ("New economy") usw. usf. Jedesmal kam dann der Crash auch für die Experten überraschend, ausgelöst durch ein winziges Ereignis. Wer allerdings beim letzten Crash verloren hatte, der war beim nächsten schon etwas vorsichtiger. Für einen Crash gilt einfach das Paradoxon der unerwarteten Luftschutzübung. Dort macht sich Erfahrung etwas bemerkbar. Aber spätestens beim übernächsten Crash scheinen die Regeln nicht mehr zu gelten oder es hat sich eine neue Ã-konomie gebildet usw. usf. Ein Crash wird durch menschliche Gier angetrieben, die ist häufig stärker als die Vernunft. Denn wenn ich bei diesem Crash zu früh ausgestiegen bin, dann neige ich dazu, dies beim nächsten Crash zu spät zu tun - und umgekehrt. Und da es allen anderen auch so geht ist dieser nächste Crash so unvorhersehbar.
Aber zurück zu dem Einwand, dass Experten sich nicht so verhalten wie die Mehrheit der Laien. Angenommen, wir haben eine Hebelvorrichtung, die für einen Kräfteausgleich sorgt. Dann spielt es keine Rolle, ob auf der einen Seite kräftigere (und weniger) Leute drücken als auf der anderen Seite: es bildet sich eine Balance. Und da der Kurs einer Aktie sich durch Angebot und Nachfrage bildet, man also besser von einem Gleichgewichtskurs reden sollte, spielt es keine Rolle, auf welcher Seite man steht.
Am Deutlichsten wird dies bei Futures. Futures sind ein Nullsummenspiel (minus Transaktionskosten). Eine Position (eine Wette auf die Zukunft) kann nur aufgebaut werden, wenn es eine Gegenposition gibt (d. h. jemanden, der dagegen wettet). Bei offensichtlichen Ausgängen wird man aber keinen finden, der dagegen wettet. Dann kommt kein Geschäft zustande. Auf Aktien übertragen: wenn der Kursanstieg sicher ist, werde ich keine Aktien kaufen können. Wenn der Kursabfall sicher ist, werde ich keine finden, an den ich verkaufen kann, außer zu einem Kurs, an dem ein baldiger Anstieg wieder wahrscheinlich ist. Je höher das Risiko, dass der Kurs nicht mehr steigen wird, desto niedriger der Kurs, zu dem ich verkaufen kann. In der Gesamtheit gleichen sich die Ströme aus.
Aber wie beim Roulette muss man eine zeitlang dabei sein, um annähernd auf einen Ausgleich zu kommen. Meist wird man sich von diesem ziemlich weit entfernt haben (und dann in der Illusion leben, man sei ein Experte, je nach Richtung...).
Fachwissen Die meisten Börsianer, die ich kenne, sind nur in zwei Dingen Experten: in Zahlenspielereien (z. B. Chartanalysen) und in Volkswirtschaft. Und gegenüber der Volkswirtschaft hegen sie ein noch größeres Mißtrauen als gegen Chartanalysen. Experten, die nur in einer einzigen Branche an der Börse spekulieren, sind selten. Und auch Experten in einer Branche können sich gewaltig vertun. Die meisten Börsianer sind Experten für die Börse!
Bei den meisten Chartanalysen kann man sehen, dass diese nur gute Aussagen über vergangene Ereignisse machen können (d. h. wenn man sich die vergangenen 10 Jahre an diese Analysen gehalten hätte, dann hätte man überdurchschnittlich verdient - allerdings: wäre diese Methode schon vor 10 Jahren viel eingesetzt worden, dann hätte sie nicht funktioniert).
Hinterher schlauer sein ist eine exakte Wissenschaft!
Übrigens verbreitet sich das Wissen über die Börse dank dem Internet auch sehr viel schneller als früher. Die meisten Chartanlysen bekommt man im Internet bereits schnell (und kostengünstig). Dasselbe gilt für Tips, Ratschläge und Hinweise. Nicht umsonst besitzt die Mehrheit der Börsianer bereits einen Internetanschluß. Nur: das Internet erhöht (oder senkt) die Transparenz für alle gleichermaßen. Vorteile eines eventuellen Fachwissens nivellieren sich dadurch schneller als früher. Und um die Unsicherheit zu erhöhen: auch die Geschwindigkeit, mit der sich Gerüchte verbreiten, erhöhen sich, aber damit auch das Risiko, auf eine Irreführung hereinzufallen. Und bis man ein Gerücht überprüft hat, ist die Chance zum Geldverdienen (oder -verlieren) bereits dahin. Denn wenn es alle wissen, dann ist es kein Vorsprung.
Beteiligungen An der Börse werden Aktien nicht des Kurses alleine wegen gehandelt: es geht auch um Firmenbeteiligungen, bei denen Kursgewinne häufig keine (oder allenfalls eine sehr geringe) Rolle spielen. D. h. Aktien werden gekauft, um einen Einfluß auf eine Firma zu bekommen, um einen Markt zu kontrollieren oder Zusammenarbeit zwischen Firmen abzusichern etc. Hier spielt eine andere Motivation die Rolle."Erzielung eines Kursgewinns" ist als Handlungserklärung nicht ausreichend.
Nur: wir haben es hier mit Motiven zu tun, die einer Geheimhaltung unterliegen. Wenn jemand versucht, über den Kauf von Aktien einen Einfluß auf eine Firma zu bekommen, so wird er diese Absicht nicht offen kundtun. D. h. wir haben es mit weiteren"verborgenen" Einflüssen zu tun, die das System weiter chaotisieren, und welche die Rolle des Zufälligen eher verstärken. Werden derartige Absichten öffentlich, so werden die Erwartungen zu einem neuen Ausgleich getrieben: je nachdem, was die Gesamtheit der Handelnden antizipiert.
Jeder weitere Einfluß macht das System nur noch schwerer durchschaubar. Sicher beeinflußt das Wetter den Börsenkurs (besonders bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen). Wenn die Wettervorhersage besser wird, wird die Vorhersage trivialer, aber dieses Wissen besitzen alle, und es gereicht daher keinem zum Vorteil.
<center>
<HR>
</center> |