Bald ist es soweit: Am 11. Mai wollen Bundesregierung und Länder die neue Rentenreform verabschieden. Vor allem die Finanzwirtschaft wittert ein Riesengeschäft, da es um viel Geld geht: Schließlich sollen die Arbeitnehmer anfangen, Teile ihres Einkommens in die so genannte"private Vorsorge" einzuzahlen. Dabei rechnet die Versicherungsbranche mit Neuverträgen von bis zu 55 Milliarden DM.
Was jedoch den wenigsten bekannt ist: Das neue Gesetz ist Überregulierung pur. So müssen die betroffenen Personen kontinuierlich einzahlen - heraus kommt allerdings nur eine lebenslange monatliche Leibrente. Kaum zu glauben ist dabei: Die frisch gebackenen Rentner werden allen Ernstes dazu verpflichtet, am Ende der ohnehin schon langen Sparphase auch noch einen Anteil ihres Kapitals in eine zusätzliche"Extrarente" zu investieren. Diese Extrarente fließt aber erst ab dem 85. Geburtstag(!) - den erleben statistisch gesehen jedoch nur 31 Prozent aller Rentner. Zudem darf das angesparte Vermögen weder vererbt noch verpfändet werden - im Todesfall ist das Geld also rettungslos verloren. Begründet wird das neue Gesetz von den Politikern übrigens mit deren"Sorge", dass die Menschen ihre Sparguthaben nach dem 60. Lebensjahr wahllos verprassen könnten.
Aber nicht nur von Seiten der"Rentenreform" droht den Rentnern viel Ungemach: Die gesetzlichen Krankenversicherer werden sich in den nächsten Jahren verstärkt mit Einkünften aus Kapitalvermögen auseinandersetzen. Dabei verlangen die Krankenkassen auch von Kursgewinnen, welche die gesetzliche Spekulationsfrist längst überschritten haben, ihren Anteil. Im Sozialrecht machen alle Einnahmen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten aus - ohne Rücksicht auf die steuerliche Behandlung. So hat das Landessozialgericht Berlin bereits 1995 bestätigt, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen durchaus berücksichtigt werden dürfen. Einige Krankenkassen gehen sogar noch weiter: Sie verlangen von den betroffenen Personen eine Schätzung der erwarteten Spekulationsgewinne für das kommende Jahr. Ein Zwölftel davon wird dann einfach als Beitragsbemessung pro Monat herangezogen. Offensichtlich hat es sich bei den Verantwortlichen noch nicht herumgesprochen, dass es neben fetten eben auch einmal magere Börsenjahre geben kann (unabhängig davon, dass sich die Aktie langfristig hervorragend als Kapitalanlage eignet).
Diese völlig ungerechten Zusatzbelastungen der Rentner scheinen aber noch nicht genug zu sein: Eine in Deutschland sehr bekannte Krankenversicherung hat nun doch tatsächlich die Forderung erhoben, in Zukunft nicht nur die Arbeitseinkünfte, sondern auch übrige Gelder wie etwa Mieteinnahmen mit Kassenbeiträgen zu belasten. Diese Mehrausgaben würden dann übrigens die Nettoeinkommen weiter verringern und damit auch automatisch die Leistungen durch die Rentenkasse absenken - die Rentenauszahlung orientiert sich schließlich am Nettoeinkommen. Auf diese Weise wird das durch Gebühren und Abgaben ohnehin schon doppelt und dreifach besteuerte Vermögen noch weiter geschmälert.
Ihr
Bernd Förtsch
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Die Höflinge der Demokratie
Rentenreform - Riesters Vorschlag ist vernünftig, aber unbequem
Von Jakob v. Weizsäcker
Durch Stimmungsbarometer und Meinungsumfragen fühlen sich Politprofis als Experten für die Wünsche des Volkes. Wer sie genau kennt, kann effektiv daran arbeiten, sie zu erfüllen, oder aber daran, das Volk hinters Licht zu führen. Wir alle sind leichtgläubig, wenn man uns die Erfüllung unserer Wünsche verspricht, selbst wenn das unrealistisch ist. So wie Könige in früheren Zeiten auf Höflinge hereingefallen sind, die ihnen nach dem Mund redeten, genauso besteht heute die Gefahr, daß der Souverän, das Volk nämlich, auf die neuen Höflinge der Demokratie hereinfällt.
Ein sicheres Auskommen im Alter sollte jedem garantiert sein. Aber das Verhältnis von 65-jährigen zu Menschen im arbeitsfähigen Alter wird sich bis zum Jahre 2035 etwa verdoppeln. Um die ungeheure Last zu tragen, sollte sie auf die Schultern mehrerer Generationen verteilt werden. Dies ist im Rahmen des Umlageverfahrens nicht möglich, denn es beruht darauf, daß die aktuellen Renten aus den aktuellen Beiträgen bezahlt werden.
Die teilweise Vorverlagerung auf heute lebende Generationen durch Vorsparen verlangt nach einer Systemergänzung. Ein monatlicher Sparbeitrag könnte in den demographisch relativ guten Jahren bis 2020 einen Kapitalstock begründen, der die mageren Jahre danach meistern hilft.
Arbeitsminister Riester hat diese unpopuläre Wahrheit ausgesprochen und sich für eine Vorsparregelung eingesetzt. Er schlägt konkret vor, ab 2003 erst 0,5 Prozentpunkte, später bis zu 2,5 Prozentpunkte des Bruttolohns von jedem Beitragszahler zwangsweise ansparen zu lassen. Ein Sparzwang ist genauso erforderlich, wie bei den Rentenbeiträgen im Umlageverfahren. Niemand darf sich um die Pflicht drücken können, aus dem eigenen Verdienst für sein Alter vorzusorgen. Nur mit der Beitragspflicht und dem Sparzwang kann verhindert werden, daß Arbeitnehmer im Alter zu Sozialhilfefällen werden und damit der Allgemeinheit zur Last fallen, weil sie in ihrer Jugend das Sparen vergessen haben. Diesen Sparzwang aus der Vorlage herauszunehmen, um das ganze gefälliger und für den Koalitionspartner annehmbarer zu machen, ist, mindestens aus der Sicht derer, die Rente sichern wollen, nicht gerade klug.
Eben weil es diese Erfahrungen mit ewig Säumigen gibt, gibt es in Deutschland eine Krankenversicherungspflicht. Man wird dazu gezwungen, für den Krankheitsfall vorzusorgen, solange man gesund ist. Wäre die Krankenversicherung freiwillig, müßte der Sozialstaat nicht nur für die wirklich Bedürftigen einspringen, sondern auch für die Vergeßlichen. Ohne Beitragspflicht hätte man nicht weniger, sondern mehr Staat. Aus diesem Grund halte ich die breite Kritik am Zwang für falsch.
Verhindert werden muß allerdings, daß Millionen von unerfahrenen Kleinstinvestoren unseriösen Anlageberatern zum Opfer fallen. Deshalb sollten die zugelassenen Anlagefonds einer strengen staatlichen Aufsicht unterliegen. Um zugelassen zu werden, müßten die Fondsanbieter insbesondere eine breite Diversifizierung des Anlageportfolios nach Ländern, Branchen und Anlageform zur Risikostreuung vorweisen.
Als Alternative zu privaten Rentenkonten wird bisweilen ein staatlich verwalteter Kapitalfonds erwogen. Davon ist aus mehreren Gründen eher abzuraten: Zum einen ist die Versuchung für den Staat groß, sich in Zeiten knapper Kassen aus diesem Fonds zu bedienen. Zum zweiten würde sich bei einem derart großen Fonds mehr Macht in einer Hand konzentrieren als wünschenswert wäre. Und drittens schafft die Konkurrenz zwischen kleineren Fonds im Wettbewerb um die Anleger die besseren Anreize für ein effizientes Fondsmanagement. Mit einer guten Regulierung der Rentenfonds steht und fällt die ganze Vorsparlösung. Hier müßte Riester sich noch wesentlich präziser äußern.
Zentral ist die Höhe der Zwangssparbeiträge. Sie sollten natürlich so hoch sein, daß das vorgesparte Kapital am Ende tatsächlich ausreicht, um die Belastungsspitze um das Jahr 2035 zu glätten. Nach den Berechnungen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium sind hierfür eher 4 Prozentpunkte statt der 0,5 bis 2,5 erforderlich. Es wäre aber nicht nur sinnvoll, in den Jahren bis 2020 mehr zu sparen, als Riester vorschlägt. Es wäre auch wünschenswert, mit dem Sparen nicht erst im Jahre 2003, sondern schon im Jahre 2000 anzufangen. Je früher, desto niedriger könnte der monatliche Sparbeitrag sein. Um die Last des Vorsparens nicht nur den heute Werktätigen aufzubürden, schlägt Riester zusätzlich eine kurzzeitige Vollbremsung für den Rentenanstieg vor. Damit lassen sich die Rentenbeiträge um etwa 0,7 Prozentpunkte unter dem sonst erforderlichen Niveau halten. Die Zusatzbelastung durch das Zwangssparen wird also verringert.
Konkret soll in den Jahren 2000 und 2001 laut Riesterplan der Rentenanstieg ausgesetzt werden und nur noch eine Inflationsanpassung stattfinden. Danach wird wieder an die Nettolohnentwicklung angekoppelt. Damit würde das Rentenniveau für einen fiktiven Eckrentner rasch auf etwa 67 Prozent des Durchschnittlohns abgesenkt und dort gehalten. Zum Vergleich: der ausgesetzte Vorschlag der alten Bundesregierung sah ein langsameres Absenken des Rentenniveaus auf 64 Prozent vor.
Das Ziel, die heutigen Rentner an der Last des demographischen Wandels zu beteiligen, wird mit dem Riestervorschlag besser erreicht, weil er schneller greift. Mit dem Blümschen demographischen Faktor wären die Renten letztlich stärker abgesenkt, die Last aber nicht wirklich breiter verteilt worden. Zukünftige Rentner tragen nach Riesters Modell ihren Teil bereits durch das Zwangssparen bei. Käme die langsamere Absenkung hinzu, (statt der Vollbremsung) würden sie doppelt zahlen und die heutigen Rentner wären gar nicht beteiligt.
Selbst wenn Riesters Vorschlag umgesetzt würde, gäbe es die Gefahr, daß besonders schlecht gestellte Rentner in die Sozialhilfe fallen würden. Dagegen soll das dritte zentrale Element seines Vorschlags wirken. Statt des Gangs zum Sozialamt schlägt Riester eine bedarfsabhängige Grundsicherung vor. Sofern diese Rentenaufstockung als versicherungsfremde Leistung steuerfinanziert würde, ist es vernünftig, soziale Härten im Rahmen der Rentenversicherung und nicht über den stigmatisierenden Umweg der Sozialhilfe auszugleichen. Eine Finanzierung der bedarfsabhängigen Grundversorgung über Rentenbeiträge, die in Zeiten knapper Kassen verlockend scheinen mag, ist jedoch abzulehnen. Ähnlich der Sozialhilfe handelt es sich hierbei schlicht um Armutsbekämpfung, an deren Finanzierung selbstverständlich alle Steuerzahler und nicht nur die abhängig Beschäftigten beteiligt werden müssen.
Die logischen Zusammenhänge des Riesterplans sind also klar: Um für die Zeit der stärksten Belastung vorzusparen, soll ein zusätzlicher Zwangssparbeitrag eingeführt werden. Auch die heutigen Renter und nicht nur die Beitragszahler werden an der Belastung beteiligt. Deshalb die Absenkung. Um soziale Härten zu vermeiden, ist eine bedarfsabhängige Grundsicherung vorgesehen. Soweit ist das Riesterkonzept in sich schlüssig und würde eine bessere Lastenverteilung zwischen den Generationen bedeuten. Aber bequem ist das Konzept nicht.
Die Günstlinge der Demokratie wissen das. Sie gaukeln uns vor, daß es uns in der Zukunft so viel besser gehen wird, daß wir heute nicht zu sparen brauchen. Vielleicht sind wir ihnen heute dafür dankbar. Und im Jahre 2030 werden wir sie nicht mehr zur Rechenschaft ziehen können.
Der Beitrag in erschien in der"Freitag" 26/99.
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