Fontvieille
16.06.2001, 16:12 |
Geld-Zinsen-Wirtschaft-Schuldendruck... und die Kirche (aus der SZ)Thread gesperrt |
Süddeutsche Zeitung
15.06.2001
Kirchentag
Luthers zwiespältiges Erbe
Man wolle die „Macht des Geldes durchkreuzen“, versicherten die zornigen jungen Kirchentagsbesucher am Freitag.
Von Nikolaus Piper
Vor den Geldtempeln der Deutschen Bank: Ein Mönch verbrennt einen Geldschein auf dem Kirchentag. (Reuters )
Die Parolen sind bekannt - von den Demonstrationen der Globalisierungsgegner und von anderen Kirchentagen: „Zinsen sind tödlich“ oder: „Unser Wirtschaftssystem geht über Leichen“, hieß zum Beispiel.
In diesem Jahr jedoch, da der Evangelische Kirchentag nach vierzehn Jahren wieder im Schatten der Frankfurter Bankentürme stattfindet, war der Protest besonders symbolgeladen.
Das war vielleicht auch deshalb so, weil die Deutsche Bank zu den Sponsoren des Christentreffens gehörte und die Besucher zur Teilnahme an einem richtigen Börsenspiel eingeladen waren. Die Welt des Mammons war in Frankfurt jedenfalls zum Anfassen nahe.
Notorisch schwieriges Verhältnis
Das Verhältnis des deutschen Protestantismus zur Wirtschaft ist fast schon notorisch schwierig. Dieses Un-Verhältnis manifestiert sich alle zwei Jahre auf dem Kirchentag.
Zum ersten Mal war dies so 1969, als die evangelischen Christen unter der Losung „Hunger nach Gerechtigkeit“ die Probleme der Dritten Welt zum Thema machten. Dabei nahm die Kirche nicht nur die Gedanken der Achtundsechziger-Bewegung auf, sondern auch viele unausgegorene Theorien über Kapitalismus, Imperialismus und Ausbeutung.
Warnungen vor den schädlichen Folgen von internationaler Arbeitsteilung, offenen Märkten und multinationalen Konzernen gehören seither zum Standardrepertoire kirchlicher Dritte-Welt-Gruppen.
Biblisches Zinsverbot
Durch die Schuldenkrise Lateinamerikas während der achtziger Jahre sahen sich die protestantischen Kapitalismus-Kritiker noch bestätigt. Weil der ökonomische Niedergang Brasiliens, Mexikos und anderer Staaten mit deren exorbitantem Schuldendienst zusammenhing, ließ sich schnell die Verbindung zum Phänomen des Zinses als solchem und damit zum biblischen Zinsverbot (2. Buch Mose) oder zur Forderung nach einem Erlassjahr (3. Buch Mose) ziehen.
Die Banken und/oder der Kapitalismus schlechthin waren demnach am Elend der Dritten Welt schuld. Man müsse die „Dominanz des Ã-konomischen brechen“ forderte eine ökumenische Initiative damals.
Zu den Vordenkern des kirchlichen Antikapitalismus gehören die Hamburger Theologin Dorothee Sölle und ihr Heidelberger Kollege Ulrich Duchrow. Für ihn bedeutet Kapitalismus Häresie; Proteste gegen die kapitalistische Weltwirtschaft setzte er gleich mit dem Widerstand der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus.
Seit ein paar Jahren wurde der kirchliche Antikapitalismus durch die Proteste der Globalisierungsgegner neu belebt. Dorothee Sölle warf jetzt in Frankfurt der Wirtschaft vor, „immer totalitärer“ aufzutreten.
All diese Proteste sind zwar ein Erbe der Studentenbewegung von 1968, die Ursprünge der protestantischen Wirtschaftsfeindlichkeit liegen jedoch viel weiter zurück.
Gemeinsame Wurzeln
Protestantismus und Kapitalismus haben eine gemeinsame Wurzeln: die Entdeckung und Befreiung des Individuums im Zuge der europäischen Renaissance.
Die Medici, Fugger und Belser überwanden geistige und geographische Grenzen, die Reformatoren Luther, Zwingli und Calvin beseitigten alle Institutionen, die sich zwischen Gott und den Menschen stand, oder sie versuchten es wenigstens.
Das Verhältnis der Reformatoren zur neuen Zeit, besonders zum Gedanken der persönlichen Freiheit blieb aber zwiespältig. Luther predigte einerseits von der „Freiheit eines Christenmenschen“, aber er hetzte gleichzeitig gegen Juden, gegen aufrührerische Bauern und gegen die frühkapitalistischen Kaufleute: „Soll Recht und Redlichkeit bleiben, so müssen die Handelsgesellschaften unter gehen,“ schrieb er.
Die lutherischen Kirchen in Deutschland blieben den Fürstenstaaten verbunden, schließlich wurden sie mit den sozialen Fragen der Industriegesellschaft konfrontiert, noch ehe sie sich überhaupt mit dem Liberalismus auseinander setzen konnten.
Kein Wunder also, dass viele Antikapitalisten in den Kirchen, ohne dass sie es wissen, heute an romantische Wirtschaftsvorstellungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts anknüpfen.
Voll in die Wirtschaft integriert
Da die Kirche und ihre Mitgleider voll in die Wirtschaft integriert sind, tut sich immer wieder ein Widerspruch zwischen Rhetorik und Lebenswirklichkeit in den Gemeinden auf.
Offizielle Verlautbarungen versuchen diesen Widerspruch durch unverbindliche Formulierungen zu überdecken. Ein Beispiel dafür ist das Gemeinsame Wort der Evangelischen Kirchen und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland („Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“) aus dem Jahr 1997.
Möglicherweise trägt der Kirchentag in Frankfurt mit seiner Spannung zwischen Protest und Börsenspiel in den Gemeinden zu der Erkenntnis dabei, dass man es sich eigentlich nicht länger leisten kann, falschen Wirtschaftstheorien anzuhängen.
Die Kluft zwischen Rhetorik und Wirklichkeit lässt sich nur überbrücken, wenn sich die Rhetorik der Wirklichkeit anpasst.
... und nicht umgekehrt, wie meistens! F.
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Talleyrand
16.06.2001, 21:34
@ Fontvieille
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So stand es auch in der FAZ- soll da ein Volk sanft vorbereitet werden? oT |
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>Süddeutsche Zeitung
>15.06.2001 >
>Kirchentag >
>Luthers zwiespältiges Erbe >
>Man wolle die „Macht des Geldes durchkreuzen“, versicherten die zornigen jungen Kirchentagsbesucher am Freitag.
>Von Nikolaus Piper >
>Vor den Geldtempeln der Deutschen Bank: Ein Mönch verbrennt einen Geldschein auf dem Kirchentag. (Reuters ) >
>Die Parolen sind bekannt - von den Demonstrationen der Globalisierungsgegner und von anderen Kirchentagen: „Zinsen sind tödlich“ oder: „Unser Wirtschaftssystem geht über Leichen“, hieß zum Beispiel.
>In diesem Jahr jedoch, da der Evangelische Kirchentag nach vierzehn Jahren wieder im Schatten der Frankfurter Bankentürme stattfindet, war der Protest besonders symbolgeladen.
>Das war vielleicht auch deshalb so, weil die Deutsche Bank zu den Sponsoren des Christentreffens gehörte und die Besucher zur Teilnahme an einem richtigen Börsenspiel eingeladen waren. Die Welt des Mammons war in Frankfurt jedenfalls zum Anfassen nahe.
>Notorisch schwieriges Verhältnis
>Das Verhältnis des deutschen Protestantismus zur Wirtschaft ist fast schon notorisch schwierig. Dieses Un-Verhältnis manifestiert sich alle zwei Jahre auf dem Kirchentag.
>Zum ersten Mal war dies so 1969, als die evangelischen Christen unter der Losung „Hunger nach Gerechtigkeit“ die Probleme der Dritten Welt zum Thema machten. Dabei nahm die Kirche nicht nur die Gedanken der Achtundsechziger-Bewegung auf, sondern auch viele unausgegorene Theorien über Kapitalismus, Imperialismus und Ausbeutung.
>Warnungen vor den schädlichen Folgen von internationaler Arbeitsteilung, offenen Märkten und multinationalen Konzernen gehören seither zum Standardrepertoire kirchlicher Dritte-Welt-Gruppen.
>Biblisches Zinsverbot
>Durch die Schuldenkrise Lateinamerikas während der achtziger Jahre sahen sich die protestantischen Kapitalismus-Kritiker noch bestätigt. Weil der ökonomische Niedergang Brasiliens, Mexikos und anderer Staaten mit deren exorbitantem Schuldendienst zusammenhing, ließ sich schnell die Verbindung zum Phänomen des Zinses als solchem und damit zum biblischen Zinsverbot (2. Buch Mose) oder zur Forderung nach einem Erlassjahr (3. Buch Mose) ziehen.
>Die Banken und/oder der Kapitalismus schlechthin waren demnach am Elend der Dritten Welt schuld. Man müsse die „Dominanz des Ã-konomischen brechen“ forderte eine ökumenische Initiative damals.
>Zu den Vordenkern des kirchlichen Antikapitalismus gehören die Hamburger Theologin Dorothee Sölle und ihr Heidelberger Kollege Ulrich Duchrow. Für ihn bedeutet Kapitalismus Häresie; Proteste gegen die kapitalistische Weltwirtschaft setzte er gleich mit dem Widerstand der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus.
>Seit ein paar Jahren wurde der kirchliche Antikapitalismus durch die Proteste der Globalisierungsgegner neu belebt. Dorothee Sölle warf jetzt in Frankfurt der Wirtschaft vor, „immer totalitärer“ aufzutreten.
>All diese Proteste sind zwar ein Erbe der Studentenbewegung von 1968, die Ursprünge der protestantischen Wirtschaftsfeindlichkeit liegen jedoch viel weiter zurück.
>Gemeinsame Wurzeln
>Protestantismus und Kapitalismus haben eine gemeinsame Wurzeln: die Entdeckung und Befreiung des Individuums im Zuge der europäischen Renaissance.
>Die Medici, Fugger und Belser überwanden geistige und geographische Grenzen, die Reformatoren Luther, Zwingli und Calvin beseitigten alle Institutionen, die sich zwischen Gott und den Menschen stand, oder sie versuchten es wenigstens.
>Das Verhältnis der Reformatoren zur neuen Zeit, besonders zum Gedanken der persönlichen Freiheit blieb aber zwiespältig. Luther predigte einerseits von der „Freiheit eines Christenmenschen“, aber er hetzte gleichzeitig gegen Juden, gegen aufrührerische Bauern und gegen die frühkapitalistischen Kaufleute: „Soll Recht und Redlichkeit bleiben, so müssen die Handelsgesellschaften unter gehen,“ schrieb er.
>Die lutherischen Kirchen in Deutschland blieben den Fürstenstaaten verbunden, schließlich wurden sie mit den sozialen Fragen der Industriegesellschaft konfrontiert, noch ehe sie sich überhaupt mit dem Liberalismus auseinander setzen konnten.
>Kein Wunder also, dass viele Antikapitalisten in den Kirchen, ohne dass sie es wissen, heute an romantische Wirtschaftsvorstellungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts anknüpfen.
>Voll in die Wirtschaft integriert
>Da die Kirche und ihre Mitgleider voll in die Wirtschaft integriert sind, tut sich immer wieder ein Widerspruch zwischen Rhetorik und Lebenswirklichkeit in den Gemeinden auf.
>Offizielle Verlautbarungen versuchen diesen Widerspruch durch unverbindliche Formulierungen zu überdecken. Ein Beispiel dafür ist das Gemeinsame Wort der Evangelischen Kirchen und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland („Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“) aus dem Jahr 1997.
>Möglicherweise trägt der Kirchentag in Frankfurt mit seiner Spannung zwischen Protest und Börsenspiel in den Gemeinden zu der Erkenntnis dabei, dass man es sich eigentlich nicht länger leisten kann, falschen Wirtschaftstheorien anzuhängen.
>Die Kluft zwischen Rhetorik und Wirklichkeit lässt sich nur überbrücken, wenn sich die Rhetorik der Wirklichkeit anpasst. >
>... und nicht umgekehrt, wie meistens! F.
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Fontvieille
16.06.2001, 23:50
@ Talleyrand
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Re: Wahrscheinlich, in guter alter Tradition... |
So hat Phillipp II von Spanien von den Jesuiten ein Gutachten schreiben lassen, daß das Zinsen zahlen unchristlich sei. Er hätte ja so gerne gezahlt, aber gegen die Gesetze des Herrn konnte der fromme Mann natürlich nicht verstossen, verständlicherweise.
dottore könnte uns da wahrscheinlich ganze Wochen lang unterhalten mit ähnlichen Geschichten.
F.
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