Baldur der Ketzer
16.06.2001, 20:57 |
Das Wort zum Sonntag - von der vermeintlichen Sicherheit im LebenThread gesperrt |
Von der - vermeintlichen - Sicherheit
Liebe Brüder und Schwestern, Mitleidende, Vorsichtige, Hazardeure und Glückskinder,
in der zurückliegenden Woche beeindruckte mich ein Schlußsatz von dottore sehr stark, als er feststellte, er sei bei der
Beschäftigung mit den Dingen unserer Zeit sehr viel bescheidener, ja, demütiger geworden.
Wie kann es zu solch einer Offenbarung von Unsicherheit kommen?
Von Geburt an ist unser Lebensweg vorgezeichnet, er ist reglementiert in vielerlei Hinsicht.
Und dennoch beinhaltet eine jede Station die Möglichkeit des Scheiterns, ob dies nun in einer Schulklasse ist, bei der
Führerscheinprüfung, im Beruf oder in der Ehe.
Jeden Tag kann einem jeden von uns passieren, daß die sicher geglaubten Gleise verlassen werden müssen, vorteilhaft sanft
oder unsanft heftig.
Die Umstände unserer bürgerlichen Existenz sind nur so lange sicher, als nichts dazwsichenkommt, und es gibt gar manches,
was jeden Tag eintreten kann. Von der betriebsbedingten Kündigung hin zum Ehestreit, von einem Krankheitsfall bis hin zum
Ärger mit Fiskus und Behörden.
Man lebt doch, wenn wir es uns eingestehen, meistens in einer fiktiven Traumwelt des Kleinbürgers, dessen Leben vor allem
eines ist - sicher. So sicher, daß nur noch die klösterliche Abgeschiedenheit unangreifbarer wäre.
Wir sind behütet von den Eltern, so lange sie uns erziehen - nicht immer, aber normal sollte es so sein.
Wir sind abgesichert durch Versicherungen. Jedenfalls machen sie uns das glauben, bis der Versicherungsfall eintritt.
Wir sind beschützt durch die Polizei. Bis man sie braucht und sie nicht da ist, oder bis sie kommt, wenn man sie echt nicht
gebrauchen kann.
Unser Geld ist gesichert durch Banken, Einlagensicherung, Staat und all die modernen Erfindungen einer sozialistischen
Staatsidee.
Und unsere Gesundheit wird gesichert durch eine moderne, hochleistungsfähige Krankenhaus- und Pharma-Industrie.
Benjamin Blümchen brillierte mit dem Satz, eines sei sicher, unsere Rente nämlich. Wir werden das mal als geflügeltes Wort
erleben wie weiland John f. Kennedy, er sei ein Berliner.
Unsere äußere Sicherheit und Freiheit wird von der Bundeswehr und den Nato-Partnern garantiert, so sagt man uns. Oder
man hofft es vielleicht.
So ist alles um uns herum sicher, wir sind sicher.
Sind wir sicher?
Dies fragte auch Gsell, der weißhaarige Ex-Zahnarzt im Spielfilm"Marathon-Man", nämlich, ob er außer Gefahr sei.
Aber er glaubte die Antwort nicht, er wollte wissen, und er forschte danach mit Zahnbohrer und Nelkenöl.
Erst, als in aller Verzweiflung des Schmerzes die vermeintliche Sicherheit versagte, wurde klar, daß es Sicherheit nicht gibt,
weder für Täter noch für Opfer.
Nichts ist sicher, noch nicht einmal das.
Cseausescu hätte sich nicht träumen lassen, einmal im Staub zu liegen, Erich Mielke hätte eine Anklagebank der BRD nie
kennenlernen wollen, Helmut Kohl hätte nicht an seine schandhafte Entthronung geglaubt, und wir alle glauben nicht, was uns
unser mulmiges Gefühl langsam beibringt: die Zeit der Sicherheit ist vorbei.
Sind wir krank, so merken wir, wie wenig die Beiträge an die Krankenversicherung an Gegenleistung hervorbringen, und wir
merken obendrein, daß uns kein Arzt heilen kann, sondern nur uns helfen, die Gesundung selbst herbeizuführen.
Die vielbeschworenen, teuerbezahlten Klinikkomplexe haben erschütternd niedrige Erfolgsquoten, und wenn wir gesund
werden wollen, müssen wir uns selbst auf die Suche nach einer für uns geeigneten Therapie machen.
Wir merken, daß ein jeder für uns seinen optimalen Weg nur selbst finden kann, jede Verallgemeinerung, jede
Vergesellschaftung von Lösungswegen kann nur den geringsmöglichen Erfolg zeitigen.
Erst, wenn der Fall der Sicherungs-Gewährung gekommen ist, stellen wir fest, daß wir einem Trugschluß aufgesessen sind.
Der vermeintlich todsichere Tip führte zum Totalverlust, was wir uns nie hätten vorstellen können - logisch, sonst wären wir
ja nicht so hoch eingestiegen. Und dennoch gings schief, finden wir uns wieder in Demut und Angst.
Der vermeintlich bis zur Rente sichere Arbeitsplatz löst sich von jetzt auf gleich in Luft auf.
Eine mit Liebe und Euphorie begonnene Partnerschaft endet in Leid, Streit, Haß und Zorn.
Eine Prüfung geht schief, wir fallen durch, und fallen auch selbst buchstäblich in ein Loch aus Unsicherheit, Verzweiflung,
Orientierungslosigkeit.
Und jede dieser Mißerfolgserlebnisse läßt uns hoffen, das möge es gewesen sein, ab jetzt möge es wieder bergan gehen.
Jedoch erscheint es mir, meine lieben Leserinnen und Leser, in eine Situation gekommen zu sein, in der wir nicht mehr sagen
können, ein kurzfristiges Scheitern, ein Herausfallen aus der Sicherheit wäre isoliert, würde bald abgelöst von noch höheren
Zielen und Segnungen als zuvor. Vielleicht kommt jetzt das ganze Niveau ins Rutschen, weltweit, wie es uns Südamerika und
Südostasien bereits vorführten..
Ich fürchte, wir werden in den kommenden Monaten und Jahren feststellen müssen, wie hoch das liebgewonnene,
selbstverständliche Niveau doch war, aber gleichzeitig wie fragil und virtuell es gleichzeitig war.
Potemkinschen Dörfern gleich, wurde für sicher erachtet, was es nicht gab, und für vorhanden, was nur gebucht war.
Reißt ein Sicherungshaken, so haben wir noch deren viele, so denken wir, bis wir mal unten angekommen sein mögen, was
nicht vorstellbar erscheint.
Werden wir arbeitslos, bekommen wir Stütze, verlieren wir diese, bekommen wir Sozi, und werden wir krank, gegen wir
halt zum Arzt. Lästig ist nur der soziale Prestigeverlust, aber einen warmen Hintern und Mampf am Tisch werden wir wohl
behalten, komme was wolle - hoffen wir.
Diese eingeschläferte Sicherheit setzt voraus, daß das konstruierte System der Sicherheit Bestand hat.
Natürlich ist es mir auch lieber, ein solches System, als quasi afrikanische Verhältnisse zu haben.
Dennoch könnte es sein, daß wir uns einmal in solch afrikanischen Verhältnissen wiederfinden könnten, ist doch das System
der Sicherheit nur ein Gebilde aus Staatsbehörden und behördengleichen Konglomeraten, die man Versicherungen und
Banken nennt, aufrechterhalten von Zuckerbrot und Peitsche der Fiskalgesetzgebung.
Wie schon oft hier herausgestellt, kommt es doch nicht auf die Faktenlage an, sondern allein eine bestimmte Erwartung
diesbezüglich schafft bereits Ergebnisse.
Glauben wir, daß unser Geld in der Bank sicher sei, so kann es auch weg sein, es wird keine Panik geben.
Und fürchten wir, das Geld ist weg, obwohl es doch in einer Woche aufzutreiben wäre, so wird uns das zu sofortigem
Handeln veranlassen.
Die um sich greifende Unsicherheit zeigt sich exemplarisch in Japan, wo der Druck auf die leitenden Mitarbeiter
krankmachendes Ausmaß erreicht, das Eingestehen von Luftschlössern beharrlich verweigert wird, die Konsumneigung
durch einen selbst sich verstärkende Teufelskreis einbricht und sich ein lähmendes Entsetzen breitmacht wie beim Anblick
von Gozilla in der Bucht von Tokyo, während wir selbst höchstens einen Wolpertinger im Gasthaus bewundern.
Obwohl wir immer im Bewußtsein gelebt haben, gut abgesichert zu sein, stellen wir fest, daß es in Kliniken oft gar keine
Einbettzimmer mehr gibt, obwohl wir vielleicht hierfür Versicherungen abgeschlossen haben.
Wir stellen fest, daß manche Leiden nicht behandelt werden können, daß aller Aufwand vergebens ist.
Wir werden vielleicht merken, daß wir uns im Recht dünken, und dennoch von einer karikaturhaften Richterschar grinsend
und verächtlich verurteilt werden, im Namen des Volkes, nicht zu vergessen. All die Rechtsschutzversicherungen und teuren
Anwälte konnten nicht helfen, das Unheil nahm seinen Lauf.
Versicherungen lehnen frech und herausfordernd Regulierungen ab, Geschäftspartner betrügen einen schamlos und gewitzt,
das Rückstauventil im Kellergully versagt und der vielhaarfarbige Passant zieht mit seinem Schlüssel ungestraft durch unseren
Autolack, daß der Adrenalinspiegel ins Unermeßliche schwillt.
So zerbröseln Autoritäten der Sicherheit, Stück für Stück.
Selbst Innenminister werden als Straftäter enttarnt, superschlaue und hochbezahlte Wirtschaftsprüfer merken nicht die
wundersame Vermehrung von Horizontalbohrmaschinen (Flowtex), ein Baulöwe Schneider führt die gesamte
Bankenlandschaft vor, und wir merken, WER das ist, denen wir vertrauen. Können, sollen wir ihnen vertrauen?
Nein, das Auftreffen am eiskalten Wasser ist schmerzlich, aber einsichtsvoll.
Tagtäglich sind wir von Risiken und Gefahren umgeben für Leib, Leben, Gesundheit und Freiheit, nur bemerken wir es nicht,
solange wir nicht betroffen sind. Eine Autopanne am Land in kalter Winternacht konfrontiert uns schonungslos mit unserer
Verletzlichkeit, die wir so gerne abstreiten, ausblenden.
Eigentlich sind wir ja schon auf uns alleine gestellt, schutzlos und mit nichts als der Hoffnung ausgestattet, es möge uns
geholfen werden, von woher diese Hilfe auch immer kommen möge.
Dieser Gedanke zerstört unser gesamtes, saturiertes, wohlfeiles Weltbild und bringt uns zurück in die althergebrachte
Daseinsform des gehetzten Jägers und Sammlers, immer auf der Hut, immer auf dem Sprung, nie am Ziel und ständig
bedroht.
Nur zu verständlich, daß diese geradezu neurotische Lebenseinstellung nicht erstrebenswert klingt, und so versuchen sich seit
Jahrtausenden immer wieder historische Persönlichkeiten, uns Visionen von Sicherheit und einer Übernahme von Risiken zu
verkaufen.
Wir wissen, daß letztlich alle gescheitert sind, und der Zustand des weitgehend unbeeinträchtigten Durchwurstelns den
größten Erfolg bringt.
Je größer die Reglementierung, umso totalitärer die Herrschenden und umso leidvoller das Leben der Bürger.
Nur, dieses Eingeständnis, gewisse naturgegebene Dinge nicht ändern zu können, wird gleichgesetzt mit Unfähigkeit, mit
Unglück und Verächtlichkeit.
Wie sonst könnte man erklären, daß frei geborene Staatsbürger derart viele Freiheiten abzugeben bereit sind an einen
Moloch von Unfähigkeit und Arroganz, der ausschließlich durch das Mäntelchen der vorgegaukelten Sicherheitsgewährung
seine Daseinsberechtigung bezieht, und sich STAAT nennt?
Es mag auch Eigennutz sein, Bequemlichkeit, Uneinsichtigkeit, warum man offen sichtbares negiert.
Das System der multiplen Sicherheiten steht vor dem Kollaps, wie die Beispiele Verteidigungshaushalt, Rentenkrise,
Bevölkerungsentwicklung, Innere Sicherheit, Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit und Investitionsbereitschaft zeigen.
Der Wegfall all dieser sicher geglaubten Sicherungen führt zwangsläufig zum Gedanken, wo dieser freie Fall enden könnte.
Im schlimmsten Szenario ist es in einem alten Wohnwagen auf einem Campingplatz, mit Gutschein für Aldi nebenan und drei
Wolldecken im Bett, weil die Heizung zu teuer ist. Oder gar unter einer Brücke, in einer Laube im Wald oder an der
Rolltreppe der U-Bahn mit einem selbstgeschriebenen Hut vor den Füßen. Statt Cabernet Sauvignon gibts Pennerglück oder
lauwarmen Tee, statt Loup de Mer gibts altbackene Semmeln.
Nichts ist nämlich sicher, noch nicht einmal das, und jedem von uns kann ein ungnädiges Schicksal bescheren, was wir
täglich um uns beobachten können.
Eine Mißernte, von niemandem zu vertreten, kann uns Hunger bringen, eine Überschwemmung kann uns Sachwerte und
ganze Existenzen vernichten, eine Währungskrise kann unser privates Haushaltsbudget sprengen, eine Fehlspekulation unser
Erspartes zunichte machen und unser Beruf kann morgen von der Entwicklung eliminiert worden sein.
Ein ungeplantes Kind im Teenager-Alter macht Planungen ebenso zunichte wie eine Trennung in der Partnerschaft, ein
Prozeß, ein Branchenwandel oder eine Depression in der Wirtschaft.
Von heute auf morgen kann sich die Welt verändert haben.
So, wie sich die WElt einer Bekannten schlagartig wandelte, als sie morgens im Radio hörte, der Computerhersteller
WANG sei pleite, und zugleich all ihre Aktien für Hunderttausende dazu.
Was gestern die Reblaus war oder der Kartoffelkäfer, ist heute MKS und BSE.
Was gestern die Pest war und Cholera, ist heute Krebs und Alzheimer.
Nichts hat sich geändert, seit die Menschheit ihren Werdegang auf diesem Planeten begonnen hat, einem jeden von uns
bleibt die Einsamkeit beim Mißerfolg, die Mißgunst beim Bessersein, der Spott beim Straucheln und die Verzweiflung, wenn
sich der Schicksalstern gedreht zu haben scheint.
Wie oft mag der sorgenvolle Blick ins Nichts um uns herum schon stattgefunden haben, der Schrei an die Gerechtigkeit, die
Bitte an die Vorsehung, und wie oft waren diese Dinge das einzige, was übrigblieb?
Der einzige Trost ist, daß es trotz dieser unzähligen vorangegangenen Krisensituationen immer weitergegangen ist, daß die
menschliche Kultur jedesmal zurückfand in einen Zustand des Erträglichen, und daß auch Zeiten von Wahnsinn und Unrecht
nicht ewig währten, wenn auch mitunter länger, als man es erleben konnte.
In diesem Zustand der absoluten Demut angekommen, sehen wir wieder dankbar die kleinen Dinge der Freude, nehmen
wieder glückliche Umstände, die Abwesenheit von Sorgen wahr, und lernen sie wieder schätzen.
Ansprüche können uns im Wege stehen, weil sie zu lange eine Umkehr oder einen Ausweg versperren.
Die Gringos machen es uns vor, und es kann auch uns nicht schaden, persönliche Fähigkeiten zu entwickeln oder zu
schulen, um in einem Zweit- oder Drittjob zu verdienen, was uns fehlen wird.
Niemand wird uns fragen, wie wir uns und unsere Angehörigen durchbringen werden, es kommt auf uns selbst an, und Arbeit schändet nicht.
Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen machen es uns täglich auf der Welt unfreiwillig vor, wie man auch in ausweglosen Lebensumständen durchkommen kann, weil man ganz einfach muß, dies mag uns Trost und Auftrag zugleich sein, bei Gelegenheit auch an diese Mitbrüder und -Schwestern zu denken.
Und so möchte ich Euch ermutigen, Euch gedanklich einmal den Super-GAU des Lebens vorzustellen, nur kurz und nicht zu
detailliert, um den Gedanken nicht zum Leben zu erwecken, und dann zu sehen, wie viel höher man zur Zeit noch über
diesem Niveau Null leben darf.
Unzufriedenheit wird sich spontan verflüchtigen, und es kehrt Hoffnung ein, daß die bisher doch meistens positive Fügung im
Leben auch weiterhin an unserer Seite stehen wird, anders wäre es gar nicht auszudenken.
Schon im alten Rom wurden die gleichen Mißstände beschrieben, wie wir sie heute in der Zeitung lesen können, alles war
also schon mal da, und scheinbar wiederholen sich Ursache und Wirkung in unablässiger Folge, so lange es Menschen gibt.
Möge uns dieses höhere Niveau noch lange erhalten bleiben, mögen wir das Nullniveau niemals durchleben müssen, und
möge uns die Verzweiflung erspart bleiben, die unsere Eltern und Großeltern noch zu verinnerlichen hatten.
In diesem Sinne wünsche ich Euch einen ruhigen Sonntag, und schaut ruhig mal nach, welche Werte und Gegenstände bei
Euch pfändungssicher, ungefährdet und zum Überleben im Notfall ausreichend sind - findet ihr nichts, wißt ihr, was
demnächst zu tun ist........
Beim nächsten Mal widmen wir uns wieder lustvolleren Dingen, wie zum Beispiel dem erwzungenen Zusammenleben von zwei Individuen, die gar nicht zusammenpassen, außer an einer Stelle - Frau und Mann nämlich, und warum der Verstand immer wieder den kürzeren zieht gegenüber Ur-Instinkten, Trieben, Hoffnung, Verblendung und.......Glück?
Euer Baldur
<center>
<HR>
</center> |
JüKü
16.06.2001, 21:07
@ Baldur der Ketzer
|
Re: Das Wort zum Sonntag / DAS WIRD JA IMMER besser, in jeder Hinsicht! (owT) |
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Talleyrand
16.06.2001, 21:32
@ Baldur der Ketzer
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Sagenhaft! Herzlichen Dank & Gruss! oT |
>Von der - vermeintlichen - Sicherheit
>Liebe Brüder und Schwestern, Mitleidende, Vorsichtige, Hazardeure und Glückskinder,
>in der zurückliegenden Woche beeindruckte mich ein Schlußsatz von dottore sehr stark, als er feststellte, er sei bei der
>Beschäftigung mit den Dingen unserer Zeit sehr viel bescheidener, ja, demütiger geworden.
>Wie kann es zu solch einer Offenbarung von Unsicherheit kommen?
>Von Geburt an ist unser Lebensweg vorgezeichnet, er ist reglementiert in vielerlei Hinsicht.
>Und dennoch beinhaltet eine jede Station die Möglichkeit des Scheiterns, ob dies nun in einer Schulklasse ist, bei der
>Führerscheinprüfung, im Beruf oder in der Ehe.
>Jeden Tag kann einem jeden von uns passieren, daß die sicher geglaubten Gleise verlassen werden müssen, vorteilhaft sanft
>oder unsanft heftig.
>Die Umstände unserer bürgerlichen Existenz sind nur so lange sicher, als nichts dazwsichenkommt, und es gibt gar manches,
>was jeden Tag eintreten kann. Von der betriebsbedingten Kündigung hin zum Ehestreit, von einem Krankheitsfall bis hin zum
>Ärger mit Fiskus und Behörden.
>Man lebt doch, wenn wir es uns eingestehen, meistens in einer fiktiven Traumwelt des Kleinbürgers, dessen Leben vor allem
>eines ist - sicher. So sicher, daß nur noch die klösterliche Abgeschiedenheit unangreifbarer wäre.
>Wir sind behütet von den Eltern, so lange sie uns erziehen - nicht immer, aber normal sollte es so sein.
>Wir sind abgesichert durch Versicherungen. Jedenfalls machen sie uns das glauben, bis der Versicherungsfall eintritt.
>Wir sind beschützt durch die Polizei. Bis man sie braucht und sie nicht da ist, oder bis sie kommt, wenn man sie echt nicht
>gebrauchen kann.
>Unser Geld ist gesichert durch Banken, Einlagensicherung, Staat und all die modernen Erfindungen einer sozialistischen
>Staatsidee.
>Und unsere Gesundheit wird gesichert durch eine moderne, hochleistungsfähige Krankenhaus- und Pharma-Industrie.
>Benjamin Blümchen brillierte mit dem Satz, eines sei sicher, unsere Rente nämlich. Wir werden das mal als geflügeltes Wort
>erleben wie weiland John f. Kennedy, er sei ein Berliner.
>Unsere äußere Sicherheit und Freiheit wird von der Bundeswehr und den Nato-Partnern garantiert, so sagt man uns. Oder
>man hofft es vielleicht.
>So ist alles um uns herum sicher, wir sind sicher.
>Sind wir sicher?
>Dies fragte auch Gsell, der weißhaarige Ex-Zahnarzt im Spielfilm"Marathon-Man", nämlich, ob er außer Gefahr sei.
>Aber er glaubte die Antwort nicht, er wollte wissen, und er forschte danach mit Zahnbohrer und Nelkenöl.
>Erst, als in aller Verzweiflung des Schmerzes die vermeintliche Sicherheit versagte, wurde klar, daß es Sicherheit nicht gibt,
>weder für Täter noch für Opfer.
>Nichts ist sicher, noch nicht einmal das.
>Cseausescu hätte sich nicht träumen lassen, einmal im Staub zu liegen, Erich Mielke hätte eine Anklagebank der BRD nie
>kennenlernen wollen, Helmut Kohl hätte nicht an seine schandhafte Entthronung geglaubt, und wir alle glauben nicht, was uns
>unser mulmiges Gefühl langsam beibringt: die Zeit der Sicherheit ist vorbei.
>Sind wir krank, so merken wir, wie wenig die Beiträge an die Krankenversicherung an Gegenleistung hervorbringen, und wir
>merken obendrein, daß uns kein Arzt heilen kann, sondern nur uns helfen, die Gesundung selbst herbeizuführen.
>Die vielbeschworenen, teuerbezahlten Klinikkomplexe haben erschütternd niedrige Erfolgsquoten, und wenn wir gesund
>werden wollen, müssen wir uns selbst auf die Suche nach einer für uns geeigneten Therapie machen.
>Wir merken, daß ein jeder für uns seinen optimalen Weg nur selbst finden kann, jede Verallgemeinerung, jede
>Vergesellschaftung von Lösungswegen kann nur den geringsmöglichen Erfolg zeitigen.
>Erst, wenn der Fall der Sicherungs-Gewährung gekommen ist, stellen wir fest, daß wir einem Trugschluß aufgesessen sind.
>Der vermeintlich todsichere Tip führte zum Totalverlust, was wir uns nie hätten vorstellen können - logisch, sonst wären wir
>ja nicht so hoch eingestiegen. Und dennoch gings schief, finden wir uns wieder in Demut und Angst.
>Der vermeintlich bis zur Rente sichere Arbeitsplatz löst sich von jetzt auf gleich in Luft auf.
>Eine mit Liebe und Euphorie begonnene Partnerschaft endet in Leid, Streit, Haß und Zorn.
>Eine Prüfung geht schief, wir fallen durch, und fallen auch selbst buchstäblich in ein Loch aus Unsicherheit, Verzweiflung,
>Orientierungslosigkeit.
>Und jede dieser Mißerfolgserlebnisse läßt uns hoffen, das möge es gewesen sein, ab jetzt möge es wieder bergan gehen.
>Jedoch erscheint es mir, meine lieben Leserinnen und Leser, in eine Situation gekommen zu sein, in der wir nicht mehr sagen
>können, ein kurzfristiges Scheitern, ein Herausfallen aus der Sicherheit wäre isoliert, würde bald abgelöst von noch höheren
>Zielen und Segnungen als zuvor. Vielleicht kommt jetzt das ganze Niveau ins Rutschen, weltweit, wie es uns Südamerika und
>Südostasien bereits vorführten..
>Ich fürchte, wir werden in den kommenden Monaten und Jahren feststellen müssen, wie hoch das liebgewonnene,
>selbstverständliche Niveau doch war, aber gleichzeitig wie fragil und virtuell es gleichzeitig war.
>Potemkinschen Dörfern gleich, wurde für sicher erachtet, was es nicht gab, und für vorhanden, was nur gebucht war.
>Reißt ein Sicherungshaken, so haben wir noch deren viele, so denken wir, bis wir mal unten angekommen sein mögen, was
>nicht vorstellbar erscheint.
>Werden wir arbeitslos, bekommen wir Stütze, verlieren wir diese, bekommen wir Sozi, und werden wir krank, gegen wir
>halt zum Arzt. Lästig ist nur der soziale Prestigeverlust, aber einen warmen Hintern und Mampf am Tisch werden wir wohl
>behalten, komme was wolle - hoffen wir.
>Diese eingeschläferte Sicherheit setzt voraus, daß das konstruierte System der Sicherheit Bestand hat.
>Natürlich ist es mir auch lieber, ein solches System, als quasi afrikanische Verhältnisse zu haben.
>Dennoch könnte es sein, daß wir uns einmal in solch afrikanischen Verhältnissen wiederfinden könnten, ist doch das System
>der Sicherheit nur ein Gebilde aus Staatsbehörden und behördengleichen Konglomeraten, die man Versicherungen und
>Banken nennt, aufrechterhalten von Zuckerbrot und Peitsche der Fiskalgesetzgebung.
>Wie schon oft hier herausgestellt, kommt es doch nicht auf die Faktenlage an, sondern allein eine bestimmte Erwartung
>diesbezüglich schafft bereits Ergebnisse.
>Glauben wir, daß unser Geld in der Bank sicher sei, so kann es auch weg sein, es wird keine Panik geben.
>Und fürchten wir, das Geld ist weg, obwohl es doch in einer Woche aufzutreiben wäre, so wird uns das zu sofortigem
>Handeln veranlassen.
>Die um sich greifende Unsicherheit zeigt sich exemplarisch in Japan, wo der Druck auf die leitenden Mitarbeiter
>krankmachendes Ausmaß erreicht, das Eingestehen von Luftschlössern beharrlich verweigert wird, die Konsumneigung
>durch einen selbst sich verstärkende Teufelskreis einbricht und sich ein lähmendes Entsetzen breitmacht wie beim Anblick
>von Gozilla in der Bucht von Tokyo, während wir selbst höchstens einen Wolpertinger im Gasthaus bewundern.
>Obwohl wir immer im Bewußtsein gelebt haben, gut abgesichert zu sein, stellen wir fest, daß es in Kliniken oft gar keine
>Einbettzimmer mehr gibt, obwohl wir vielleicht hierfür Versicherungen abgeschlossen haben.
>Wir stellen fest, daß manche Leiden nicht behandelt werden können, daß aller Aufwand vergebens ist.
>Wir werden vielleicht merken, daß wir uns im Recht dünken, und dennoch von einer karikaturhaften Richterschar grinsend
>und verächtlich verurteilt werden, im Namen des Volkes, nicht zu vergessen. All die Rechtsschutzversicherungen und teuren
>Anwälte konnten nicht helfen, das Unheil nahm seinen Lauf.
>Versicherungen lehnen frech und herausfordernd Regulierungen ab, Geschäftspartner betrügen einen schamlos und gewitzt,
>das Rückstauventil im Kellergully versagt und der vielhaarfarbige Passant zieht mit seinem Schlüssel ungestraft durch unseren
>Autolack, daß der Adrenalinspiegel ins Unermeßliche schwillt.
>So zerbröseln Autoritäten der Sicherheit, Stück für Stück.
>Selbst Innenminister werden als Straftäter enttarnt, superschlaue und hochbezahlte Wirtschaftsprüfer merken nicht die
>wundersame Vermehrung von Horizontalbohrmaschinen (Flowtex), ein Baulöwe Schneider führt die gesamte
>Bankenlandschaft vor, und wir merken, WER das ist, denen wir vertrauen. Können, sollen wir ihnen vertrauen?
>Nein, das Auftreffen am eiskalten Wasser ist schmerzlich, aber einsichtsvoll.
>Tagtäglich sind wir von Risiken und Gefahren umgeben für Leib, Leben, Gesundheit und Freiheit, nur bemerken wir es nicht,
>solange wir nicht betroffen sind. Eine Autopanne am Land in kalter Winternacht konfrontiert uns schonungslos mit unserer
>Verletzlichkeit, die wir so gerne abstreiten, ausblenden.
>Eigentlich sind wir ja schon auf uns alleine gestellt, schutzlos und mit nichts als der Hoffnung ausgestattet, es möge uns
>geholfen werden, von woher diese Hilfe auch immer kommen möge.
>Dieser Gedanke zerstört unser gesamtes, saturiertes, wohlfeiles Weltbild und bringt uns zurück in die althergebrachte
>Daseinsform des gehetzten Jägers und Sammlers, immer auf der Hut, immer auf dem Sprung, nie am Ziel und ständig
>bedroht.
>Nur zu verständlich, daß diese geradezu neurotische Lebenseinstellung nicht erstrebenswert klingt, und so versuchen sich seit
>Jahrtausenden immer wieder historische Persönlichkeiten, uns Visionen von Sicherheit und einer Übernahme von Risiken zu
>verkaufen.
>Wir wissen, daß letztlich alle gescheitert sind, und der Zustand des weitgehend unbeeinträchtigten Durchwurstelns den
>größten Erfolg bringt.
>Je größer die Reglementierung, umso totalitärer die Herrschenden und umso leidvoller das Leben der Bürger.
>Nur, dieses Eingeständnis, gewisse naturgegebene Dinge nicht ändern zu können, wird gleichgesetzt mit Unfähigkeit, mit
>Unglück und Verächtlichkeit.
>Wie sonst könnte man erklären, daß frei geborene Staatsbürger derart viele Freiheiten abzugeben bereit sind an einen
>Moloch von Unfähigkeit und Arroganz, der ausschließlich durch das Mäntelchen der vorgegaukelten Sicherheitsgewährung
>seine Daseinsberechtigung bezieht, und sich STAAT nennt?
>Es mag auch Eigennutz sein, Bequemlichkeit, Uneinsichtigkeit, warum man offen sichtbares negiert.
>Das System der multiplen Sicherheiten steht vor dem Kollaps, wie die Beispiele Verteidigungshaushalt, Rentenkrise,
>Bevölkerungsentwicklung, Innere Sicherheit, Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit und Investitionsbereitschaft zeigen.
>Der Wegfall all dieser sicher geglaubten Sicherungen führt zwangsläufig zum Gedanken, wo dieser freie Fall enden könnte.
>Im schlimmsten Szenario ist es in einem alten Wohnwagen auf einem Campingplatz, mit Gutschein für Aldi nebenan und drei
>Wolldecken im Bett, weil die Heizung zu teuer ist. Oder gar unter einer Brücke, in einer Laube im Wald oder an der
>Rolltreppe der U-Bahn mit einem selbstgeschriebenen Hut vor den Füßen. Statt Cabernet Sauvignon gibts Pennerglück oder
>lauwarmen Tee, statt Loup de Mer gibts altbackene Semmeln.
>Nichts ist nämlich sicher, noch nicht einmal das, und jedem von uns kann ein ungnädiges Schicksal bescheren, was wir
>täglich um uns beobachten können.
>Eine Mißernte, von niemandem zu vertreten, kann uns Hunger bringen, eine Überschwemmung kann uns Sachwerte und
>ganze Existenzen vernichten, eine Währungskrise kann unser privates Haushaltsbudget sprengen, eine Fehlspekulation unser
>Erspartes zunichte machen und unser Beruf kann morgen von der Entwicklung eliminiert worden sein.
>Ein ungeplantes Kind im Teenager-Alter macht Planungen ebenso zunichte wie eine Trennung in der Partnerschaft, ein
>Prozeß, ein Branchenwandel oder eine Depression in der Wirtschaft.
>Von heute auf morgen kann sich die Welt verändert haben.
>So, wie sich die WElt einer Bekannten schlagartig wandelte, als sie morgens im Radio hörte, der Computerhersteller
>WANG sei pleite, und zugleich all ihre Aktien für Hunderttausende dazu.
>Was gestern die Reblaus war oder der Kartoffelkäfer, ist heute MKS und BSE.
>Was gestern die Pest war und Cholera, ist heute Krebs und Alzheimer.
>Nichts hat sich geändert, seit die Menschheit ihren Werdegang auf diesem Planeten begonnen hat, einem jeden von uns
>bleibt die Einsamkeit beim Mißerfolg, die Mißgunst beim Bessersein, der Spott beim Straucheln und die Verzweiflung, wenn
>sich der Schicksalstern gedreht zu haben scheint.
>Wie oft mag der sorgenvolle Blick ins Nichts um uns herum schon stattgefunden haben, der Schrei an die Gerechtigkeit, die
>Bitte an die Vorsehung, und wie oft waren diese Dinge das einzige, was übrigblieb?
>Der einzige Trost ist, daß es trotz dieser unzähligen vorangegangenen Krisensituationen immer weitergegangen ist, daß die
>menschliche Kultur jedesmal zurückfand in einen Zustand des Erträglichen, und daß auch Zeiten von Wahnsinn und Unrecht
>nicht ewig währten, wenn auch mitunter länger, als man es erleben konnte.
>In diesem Zustand der absoluten Demut angekommen, sehen wir wieder dankbar die kleinen Dinge der Freude, nehmen
>wieder glückliche Umstände, die Abwesenheit von Sorgen wahr, und lernen sie wieder schätzen.
>Ansprüche können uns im Wege stehen, weil sie zu lange eine Umkehr oder einen Ausweg versperren.
>Die Gringos machen es uns vor, und es kann auch uns nicht schaden, persönliche Fähigkeiten zu entwickeln oder zu
>schulen, um in einem Zweit- oder Drittjob zu verdienen, was uns fehlen wird.
>Niemand wird uns fragen, wie wir uns und unsere Angehörigen durchbringen werden, es kommt auf uns selbst an, und Arbeit schändet nicht.
>Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen machen es uns täglich auf der Welt unfreiwillig vor, wie man auch in ausweglosen Lebensumständen durchkommen kann, weil man ganz einfach muß, dies mag uns Trost und Auftrag zugleich sein, bei Gelegenheit auch an diese Mitbrüder und -Schwestern zu denken.
>Und so möchte ich Euch ermutigen, Euch gedanklich einmal den Super-GAU des Lebens vorzustellen, nur kurz und nicht zu
>detailliert, um den Gedanken nicht zum Leben zu erwecken, und dann zu sehen, wie viel höher man zur Zeit noch über
>diesem Niveau Null leben darf.
>Unzufriedenheit wird sich spontan verflüchtigen, und es kehrt Hoffnung ein, daß die bisher doch meistens positive Fügung im
>Leben auch weiterhin an unserer Seite stehen wird, anders wäre es gar nicht auszudenken.
>Schon im alten Rom wurden die gleichen Mißstände beschrieben, wie wir sie heute in der Zeitung lesen können, alles war
>also schon mal da, und scheinbar wiederholen sich Ursache und Wirkung in unablässiger Folge, so lange es Menschen gibt.
>Möge uns dieses höhere Niveau noch lange erhalten bleiben, mögen wir das Nullniveau niemals durchleben müssen, und
>möge uns die Verzweiflung erspart bleiben, die unsere Eltern und Großeltern noch zu verinnerlichen hatten.
>In diesem Sinne wünsche ich Euch einen ruhigen Sonntag, und schaut ruhig mal nach, welche Werte und Gegenstände bei
>Euch pfändungssicher, ungefährdet und zum Überleben im Notfall ausreichend sind - findet ihr nichts, wißt ihr, was
>demnächst zu tun ist........
>Beim nächsten Mal widmen wir uns wieder lustvolleren Dingen, wie zum Beispiel dem erwzungenen Zusammenleben von zwei Individuen, die gar nicht zusammenpassen, außer an einer Stelle - Frau und Mann nämlich, und warum der Verstand immer wieder den kürzeren zieht gegenüber Ur-Instinkten, Trieben, Hoffnung, Verblendung und.......Glück?
>Euer Baldur
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<HR>
</center> |
Fontvieille
16.06.2001, 23:42
@ Baldur der Ketzer
|
Re: Das Wort zum Sonntag - von der vermeintlichen Sicherheit im Leben |
Der alte Ketzer hat wieder mal völlig Recht: das Eis ist dünn. Beruhigend nur, daß es nicht so lange tragen muß. F.
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<HR>
</center> |
Rosi
17.06.2001, 00:03
@ Baldur der Ketzer
|
Re: Das Wort zum Sonntag - von der vermeintlichen Sicherheit im Leben |
Wie immer aufrüttelnd und überzeugend.
Mein Motto ist - Lebe in der Gegenwart, genieße jeden Tag -
Noch einen schönen Sonntag.
Rosi
<center>
<HR>
</center> |
Rudow
17.06.2001, 00:33
@ Baldur der Ketzer
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Re: Das Wort zum Sonntag - von der vermeintlichen Sicherheit im Leben |
(...)>Nichts hat sich geändert, seit die Menschheit ihren Werdegang auf diesem Planeten begonnen hat, einem jeden von uns
>bleibt die Einsamkeit beim Mißerfolg, die Mißgunst beim Bessersein, der Spott beim Straucheln und die Verzweiflung, wenn
>sich der Schicksalstern gedreht zu haben scheint.
>Wie oft mag der sorgenvolle Blick ins Nichts um uns herum schon stattgefunden haben, der Schrei an die Gerechtigkeit, die
>Bitte an die Vorsehung, und wie oft waren diese Dinge das einzige, was übrigblieb?
>Der einzige Trost ist, daß es trotz dieser unzähligen vorangegangenen Krisensituationen immer weitergegangen ist, daß die
>menschliche Kultur jedesmal zurückfand in einen Zustand des Erträglichen, und daß auch Zeiten von Wahnsinn und Unrecht
>nicht ewig währten, wenn auch mitunter länger, als man es erleben konnte.
(...)
MEPHISTOPHELES.
Ich muß dich nun vor allen Dingen
In lustige Gesellschaft bringen,
Damit du siehst, wie leicht sich's leben läßt.
Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
Mit wenig Witz und viel Behagen
Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
So lang' der Wirt nur weiter borgt,
Sind sie vergnügt und unbesorgt.
[Goethe: Faust. Eine Tragödie, S. 96. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 22700 (vgl. Goethe-HA Bd. 3, S. 69-70)]
Grüße von Rudow
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JüKü
17.06.2001, 00:53
@ Rudow
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Re: Das Wort zum Sonntag - von der vermeintlichen Sicherheit im Leben |
Kannte Goethe auch schon den Dibitismus? ;-)
> So lang' der Wirt nur weiter borgt, > Sind sie vergnügt und unbesorgt.
>[Goethe: Faust. Eine Tragödie, S. 96. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 22700 (vgl. Goethe-HA Bd. 3, S. 69-70)]
>
>Grüße von Rudow
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Hörbi
17.06.2001, 02:15
@ Baldur der Ketzer
|
Re: Das Wort zum Sonntag - von der vermeintlichen Sicherheit im Leben |
>Von der - vermeintlichen - Sicherheit
>Liebe Brüder und Schwestern, Mitleidende, Vorsichtige, Hazardeure und Glückskinder,
>in der zurückliegenden Woche beeindruckte mich ein Schlußsatz von dottore sehr stark, als er feststellte, er sei bei der
>Beschäftigung mit den Dingen unserer Zeit sehr viel bescheidener, ja, demütiger geworden.
>Wie kann es zu solch einer Offenbarung von Unsicherheit kommen?
>Von Geburt an ist unser Lebensweg vorgezeichnet, er ist reglementiert in vielerlei Hinsicht.
>Und dennoch beinhaltet eine jede Station die Möglichkeit des Scheiterns, ob dies nun in einer Schulklasse ist, bei der
>Führerscheinprüfung, im Beruf oder in der Ehe.
>Jeden Tag kann einem jeden von uns passieren, daß die sicher geglaubten Gleise verlassen werden müssen, vorteilhaft sanft
>oder unsanft heftig.
>Die Umstände unserer bürgerlichen Existenz sind nur so lange sicher, als nichts dazwsichenkommt, und es gibt gar manches,
>was jeden Tag eintreten kann. Von der betriebsbedingten Kündigung hin zum Ehestreit, von einem Krankheitsfall bis hin zum
>Ärger mit Fiskus und Behörden.
>Man lebt doch, wenn wir es uns eingestehen, meistens in einer fiktiven Traumwelt des Kleinbürgers, dessen Leben vor allem
>eines ist - sicher. So sicher, daß nur noch die klösterliche Abgeschiedenheit unangreifbarer wäre.
>Wir sind behütet von den Eltern, so lange sie uns erziehen - nicht immer, aber normal sollte es so sein.
>Wir sind abgesichert durch Versicherungen. Jedenfalls machen sie uns das glauben, bis der Versicherungsfall eintritt.
>Wir sind beschützt durch die Polizei. Bis man sie braucht und sie nicht da ist, oder bis sie kommt, wenn man sie echt nicht
>gebrauchen kann.
>Unser Geld ist gesichert durch Banken, Einlagensicherung, Staat und all die modernen Erfindungen einer sozialistischen
>Staatsidee.
>Und unsere Gesundheit wird gesichert durch eine moderne, hochleistungsfähige Krankenhaus- und Pharma-Industrie.
>Benjamin Blümchen brillierte mit dem Satz, eines sei sicher, unsere Rente nämlich. Wir werden das mal als geflügeltes Wort
>erleben wie weiland John f. Kennedy, er sei ein Berliner.
>Unsere äußere Sicherheit und Freiheit wird von der Bundeswehr und den Nato-Partnern garantiert, so sagt man uns. Oder
>man hofft es vielleicht.
>So ist alles um uns herum sicher, wir sind sicher.
>Sind wir sicher?
>Dies fragte auch Gsell, der weißhaarige Ex-Zahnarzt im Spielfilm"Marathon-Man", nämlich, ob er außer Gefahr sei.
>Aber er glaubte die Antwort nicht, er wollte wissen, und er forschte danach mit Zahnbohrer und Nelkenöl.
>Erst, als in aller Verzweiflung des Schmerzes die vermeintliche Sicherheit versagte, wurde klar, daß es Sicherheit nicht gibt,
>weder für Täter noch für Opfer.
>Nichts ist sicher, noch nicht einmal das.
>Cseausescu hätte sich nicht träumen lassen, einmal im Staub zu liegen, Erich Mielke hätte eine Anklagebank der BRD nie
>kennenlernen wollen, Helmut Kohl hätte nicht an seine schandhafte Entthronung geglaubt, und wir alle glauben nicht, was uns
>unser mulmiges Gefühl langsam beibringt: die Zeit der Sicherheit ist vorbei.
>Sind wir krank, so merken wir, wie wenig die Beiträge an die Krankenversicherung an Gegenleistung hervorbringen, und wir
>merken obendrein, daß uns kein Arzt heilen kann, sondern nur uns helfen, die Gesundung selbst herbeizuführen.
>Die vielbeschworenen, teuerbezahlten Klinikkomplexe haben erschütternd niedrige Erfolgsquoten, und wenn wir gesund
>werden wollen, müssen wir uns selbst auf die Suche nach einer für uns geeigneten Therapie machen.
>Wir merken, daß ein jeder für uns seinen optimalen Weg nur selbst finden kann, jede Verallgemeinerung, jede
>Vergesellschaftung von Lösungswegen kann nur den geringsmöglichen Erfolg zeitigen.
>Erst, wenn der Fall der Sicherungs-Gewährung gekommen ist, stellen wir fest, daß wir einem Trugschluß aufgesessen sind.
>Der vermeintlich todsichere Tip führte zum Totalverlust, was wir uns nie hätten vorstellen können - logisch, sonst wären wir
>ja nicht so hoch eingestiegen. Und dennoch gings schief, finden wir uns wieder in Demut und Angst.
>Der vermeintlich bis zur Rente sichere Arbeitsplatz löst sich von jetzt auf gleich in Luft auf.
>Eine mit Liebe und Euphorie begonnene Partnerschaft endet in Leid, Streit, Haß und Zorn.
>Eine Prüfung geht schief, wir fallen durch, und fallen auch selbst buchstäblich in ein Loch aus Unsicherheit, Verzweiflung,
>Orientierungslosigkeit.
>Und jede dieser Mißerfolgserlebnisse läßt uns hoffen, das möge es gewesen sein, ab jetzt möge es wieder bergan gehen.
>Jedoch erscheint es mir, meine lieben Leserinnen und Leser, in eine Situation gekommen zu sein, in der wir nicht mehr sagen
>können, ein kurzfristiges Scheitern, ein Herausfallen aus der Sicherheit wäre isoliert, würde bald abgelöst von noch höheren
>Zielen und Segnungen als zuvor. Vielleicht kommt jetzt das ganze Niveau ins Rutschen, weltweit, wie es uns Südamerika und
>Südostasien bereits vorführten..
>Ich fürchte, wir werden in den kommenden Monaten und Jahren feststellen müssen, wie hoch das liebgewonnene,
>selbstverständliche Niveau doch war, aber gleichzeitig wie fragil und virtuell es gleichzeitig war.
>Potemkinschen Dörfern gleich, wurde für sicher erachtet, was es nicht gab, und für vorhanden, was nur gebucht war.
>Reißt ein Sicherungshaken, so haben wir noch deren viele, so denken wir, bis wir mal unten angekommen sein mögen, was
>nicht vorstellbar erscheint.
>Werden wir arbeitslos, bekommen wir Stütze, verlieren wir diese, bekommen wir Sozi, und werden wir krank, gegen wir
>halt zum Arzt. Lästig ist nur der soziale Prestigeverlust, aber einen warmen Hintern und Mampf am Tisch werden wir wohl
>behalten, komme was wolle - hoffen wir.
>Diese eingeschläferte Sicherheit setzt voraus, daß das konstruierte System der Sicherheit Bestand hat.
>Natürlich ist es mir auch lieber, ein solches System, als quasi afrikanische Verhältnisse zu haben.
>Dennoch könnte es sein, daß wir uns einmal in solch afrikanischen Verhältnissen wiederfinden könnten, ist doch das System
>der Sicherheit nur ein Gebilde aus Staatsbehörden und behördengleichen Konglomeraten, die man Versicherungen und
>Banken nennt, aufrechterhalten von Zuckerbrot und Peitsche der Fiskalgesetzgebung.
>Wie schon oft hier herausgestellt, kommt es doch nicht auf die Faktenlage an, sondern allein eine bestimmte Erwartung
>diesbezüglich schafft bereits Ergebnisse.
>Glauben wir, daß unser Geld in der Bank sicher sei, so kann es auch weg sein, es wird keine Panik geben.
>Und fürchten wir, das Geld ist weg, obwohl es doch in einer Woche aufzutreiben wäre, so wird uns das zu sofortigem
>Handeln veranlassen.
>Die um sich greifende Unsicherheit zeigt sich exemplarisch in Japan, wo der Druck auf die leitenden Mitarbeiter
>krankmachendes Ausmaß erreicht, das Eingestehen von Luftschlössern beharrlich verweigert wird, die Konsumneigung
>durch einen selbst sich verstärkende Teufelskreis einbricht und sich ein lähmendes Entsetzen breitmacht wie beim Anblick
>von Gozilla in der Bucht von Tokyo, während wir selbst höchstens einen Wolpertinger im Gasthaus bewundern.
>Obwohl wir immer im Bewußtsein gelebt haben, gut abgesichert zu sein, stellen wir fest, daß es in Kliniken oft gar keine
>Einbettzimmer mehr gibt, obwohl wir vielleicht hierfür Versicherungen abgeschlossen haben.
>Wir stellen fest, daß manche Leiden nicht behandelt werden können, daß aller Aufwand vergebens ist.
>Wir werden vielleicht merken, daß wir uns im Recht dünken, und dennoch von einer karikaturhaften Richterschar grinsend
>und verächtlich verurteilt werden, im Namen des Volkes, nicht zu vergessen. All die Rechtsschutzversicherungen und teuren
>Anwälte konnten nicht helfen, das Unheil nahm seinen Lauf.
>Versicherungen lehnen frech und herausfordernd Regulierungen ab, Geschäftspartner betrügen einen schamlos und gewitzt,
>das Rückstauventil im Kellergully versagt und der vielhaarfarbige Passant zieht mit seinem Schlüssel ungestraft durch unseren
>Autolack, daß der Adrenalinspiegel ins Unermeßliche schwillt.
>So zerbröseln Autoritäten der Sicherheit, Stück für Stück.
>Selbst Innenminister werden als Straftäter enttarnt, superschlaue und hochbezahlte Wirtschaftsprüfer merken nicht die
>wundersame Vermehrung von Horizontalbohrmaschinen (Flowtex), ein Baulöwe Schneider führt die gesamte
>Bankenlandschaft vor, und wir merken, WER das ist, denen wir vertrauen. Können, sollen wir ihnen vertrauen?
>Nein, das Auftreffen am eiskalten Wasser ist schmerzlich, aber einsichtsvoll.
>Tagtäglich sind wir von Risiken und Gefahren umgeben für Leib, Leben, Gesundheit und Freiheit, nur bemerken wir es nicht,
>solange wir nicht betroffen sind. Eine Autopanne am Land in kalter Winternacht konfrontiert uns schonungslos mit unserer
>Verletzlichkeit, die wir so gerne abstreiten, ausblenden.
>Eigentlich sind wir ja schon auf uns alleine gestellt, schutzlos und mit nichts als der Hoffnung ausgestattet, es möge uns
>geholfen werden, von woher diese Hilfe auch immer kommen möge.
>Dieser Gedanke zerstört unser gesamtes, saturiertes, wohlfeiles Weltbild und bringt uns zurück in die althergebrachte
>Daseinsform des gehetzten Jägers und Sammlers, immer auf der Hut, immer auf dem Sprung, nie am Ziel und ständig
>bedroht.
>Nur zu verständlich, daß diese geradezu neurotische Lebenseinstellung nicht erstrebenswert klingt, und so versuchen sich seit
>Jahrtausenden immer wieder historische Persönlichkeiten, uns Visionen von Sicherheit und einer Übernahme von Risiken zu
>verkaufen.
>Wir wissen, daß letztlich alle gescheitert sind, und der Zustand des weitgehend unbeeinträchtigten Durchwurstelns den
>größten Erfolg bringt.
>Je größer die Reglementierung, umso totalitärer die Herrschenden und umso leidvoller das Leben der Bürger.
>Nur, dieses Eingeständnis, gewisse naturgegebene Dinge nicht ändern zu können, wird gleichgesetzt mit Unfähigkeit, mit
>Unglück und Verächtlichkeit.
>Wie sonst könnte man erklären, daß frei geborene Staatsbürger derart viele Freiheiten abzugeben bereit sind an einen
>Moloch von Unfähigkeit und Arroganz, der ausschließlich durch das Mäntelchen der vorgegaukelten Sicherheitsgewährung
>seine Daseinsberechtigung bezieht, und sich STAAT nennt?
>Es mag auch Eigennutz sein, Bequemlichkeit, Uneinsichtigkeit, warum man offen sichtbares negiert.
>Das System der multiplen Sicherheiten steht vor dem Kollaps, wie die Beispiele Verteidigungshaushalt, Rentenkrise,
>Bevölkerungsentwicklung, Innere Sicherheit, Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit und Investitionsbereitschaft zeigen.
>Der Wegfall all dieser sicher geglaubten Sicherungen führt zwangsläufig zum Gedanken, wo dieser freie Fall enden könnte.
>Im schlimmsten Szenario ist es in einem alten Wohnwagen auf einem Campingplatz, mit Gutschein für Aldi nebenan und drei
>Wolldecken im Bett, weil die Heizung zu teuer ist. Oder gar unter einer Brücke, in einer Laube im Wald oder an der
>Rolltreppe der U-Bahn mit einem selbstgeschriebenen Hut vor den Füßen. Statt Cabernet Sauvignon gibts Pennerglück oder
>lauwarmen Tee, statt Loup de Mer gibts altbackene Semmeln.
>Nichts ist nämlich sicher, noch nicht einmal das, und jedem von uns kann ein ungnädiges Schicksal bescheren, was wir
>täglich um uns beobachten können.
>Eine Mißernte, von niemandem zu vertreten, kann uns Hunger bringen, eine Überschwemmung kann uns Sachwerte und
>ganze Existenzen vernichten, eine Währungskrise kann unser privates Haushaltsbudget sprengen, eine Fehlspekulation unser
>Erspartes zunichte machen und unser Beruf kann morgen von der Entwicklung eliminiert worden sein.
>Ein ungeplantes Kind im Teenager-Alter macht Planungen ebenso zunichte wie eine Trennung in der Partnerschaft, ein
>Prozeß, ein Branchenwandel oder eine Depression in der Wirtschaft.
>Von heute auf morgen kann sich die Welt verändert haben.
>So, wie sich die WElt einer Bekannten schlagartig wandelte, als sie morgens im Radio hörte, der Computerhersteller
>WANG sei pleite, und zugleich all ihre Aktien für Hunderttausende dazu.
>Was gestern die Reblaus war oder der Kartoffelkäfer, ist heute MKS und BSE.
>Was gestern die Pest war und Cholera, ist heute Krebs und Alzheimer.
>Nichts hat sich geändert, seit die Menschheit ihren Werdegang auf diesem Planeten begonnen hat, einem jeden von uns
>bleibt die Einsamkeit beim Mißerfolg, die Mißgunst beim Bessersein, der Spott beim Straucheln und die Verzweiflung, wenn
>sich der Schicksalstern gedreht zu haben scheint.
>Wie oft mag der sorgenvolle Blick ins Nichts um uns herum schon stattgefunden haben, der Schrei an die Gerechtigkeit, die
>Bitte an die Vorsehung, und wie oft waren diese Dinge das einzige, was übrigblieb?
>Der einzige Trost ist, daß es trotz dieser unzähligen vorangegangenen Krisensituationen immer weitergegangen ist, daß die
>menschliche Kultur jedesmal zurückfand in einen Zustand des Erträglichen, und daß auch Zeiten von Wahnsinn und Unrecht
>nicht ewig währten, wenn auch mitunter länger, als man es erleben konnte.
>In diesem Zustand der absoluten Demut angekommen, sehen wir wieder dankbar die kleinen Dinge der Freude, nehmen
>wieder glückliche Umstände, die Abwesenheit von Sorgen wahr, und lernen sie wieder schätzen.
>Ansprüche können uns im Wege stehen, weil sie zu lange eine Umkehr oder einen Ausweg versperren.
>Die Gringos machen es uns vor, und es kann auch uns nicht schaden, persönliche Fähigkeiten zu entwickeln oder zu
>schulen, um in einem Zweit- oder Drittjob zu verdienen, was uns fehlen wird.
>Niemand wird uns fragen, wie wir uns und unsere Angehörigen durchbringen werden, es kommt auf uns selbst an, und Arbeit schändet nicht.
>Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen machen es uns täglich auf der Welt unfreiwillig vor, wie man auch in ausweglosen Lebensumständen durchkommen kann, weil man ganz einfach muß, dies mag uns Trost und Auftrag zugleich sein, bei Gelegenheit auch an diese Mitbrüder und -Schwestern zu denken.
>Und so möchte ich Euch ermutigen, Euch gedanklich einmal den Super-GAU des Lebens vorzustellen, nur kurz und nicht zu
>detailliert, um den Gedanken nicht zum Leben zu erwecken, und dann zu sehen, wie viel höher man zur Zeit noch über
>diesem Niveau Null leben darf.
>Unzufriedenheit wird sich spontan verflüchtigen, und es kehrt Hoffnung ein, daß die bisher doch meistens positive Fügung im
>Leben auch weiterhin an unserer Seite stehen wird, anders wäre es gar nicht auszudenken.
>Schon im alten Rom wurden die gleichen Mißstände beschrieben, wie wir sie heute in der Zeitung lesen können, alles war
>also schon mal da, und scheinbar wiederholen sich Ursache und Wirkung in unablässiger Folge, so lange es Menschen gibt.
>Möge uns dieses höhere Niveau noch lange erhalten bleiben, mögen wir das Nullniveau niemals durchleben müssen, und
>möge uns die Verzweiflung erspart bleiben, die unsere Eltern und Großeltern noch zu verinnerlichen hatten.
>In diesem Sinne wünsche ich Euch einen ruhigen Sonntag, und schaut ruhig mal nach, welche Werte und Gegenstände bei
>Euch pfändungssicher, ungefährdet und zum Überleben im Notfall ausreichend sind - findet ihr nichts, wißt ihr, was
>demnächst zu tun ist........
>Beim nächsten Mal widmen wir uns wieder lustvolleren Dingen, wie zum Beispiel dem erwzungenen Zusammenleben von zwei Individuen, die gar nicht zusammenpassen, außer an einer Stelle - Frau und Mann nämlich, und warum der Verstand immer wieder den kürzeren zieht gegenüber Ur-Instinkten, Trieben, Hoffnung, Verblendung und.......Glück?
>Euer Baldur
Es wird Zeit für die erste Paperback-Ausgabe -"Kätzersonntag"
Heute Bal-Moll
morgen Bal-Dur?
Auf jeden Fall wunderbar fließend, wie aus einem Guß
und damit"ein Genuß"
Hörbi
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Taktiker
17.06.2001, 02:47
@ Baldur der Ketzer
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G a R R R A N D I O S!! |
Eine Perle, Baldur!
Entweder Du schreibst ganz genial irgendwo ab oder wir müssen mehr aus Dir machen! ;-)
Das ist allererste Güte, nicht nur stilistisch. Das sind Reden, wie sie unsere besten Bundespräsidenten nie gehalten haben. Ich will, dass mehr Leute das lesen können!
Schönen Sonntag!
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Harald
17.06.2001, 10:03
@ Baldur der Ketzer
|
How can I fly like an eagle when I am surrounded by turkeys? |
Mein lieber Baldur,
Adlern suchen im Leben nicht nach Sicherheit, sondern nach Beute und Glück. Ein Adler stürzt nicht ab, auch wenn er noch so hoch über den Wipfeln schwebt. Nur Bräthähnchen suchen nach Sicherheit vor dem Schlachthaus. Arthur Schopenhauers, der größte Pessimist deutscher Zunge, hat das wesentlich prägnanter ausgedrückt, lieber Baldur:
"Unser Dasein ist dann am glücklichsten, wann wir es am wenigsten spüren: woraus folgt, daß es besser wäre, es nicht zu haben... Was man gemeinhin Glück nennt, ist eigentlich und wesentlich immer nur negativ und durchaus nie positiv. Wir fühlen den Schmerz, aber nicht die Schmerzlosigkeit... die Sorge, aber nicht die Sorglosigkeit; die Furcht, aber nicht die Sicherheit... Genüsse und Freuden vermissen wir (...), sobald sie ausbleiben: aber Schmerzen, (...) werden nicht unmittelbar vermißt... Daß Tage unseres Lebens glücklich waren, merken wir erst, nachdem sie unglücklichen Platz gemacht haben."
Und übrigens, was du über Afrika geschrieben hast, ist grundfalsch, du mußt Afrika wohl mit dem heutigen Rußland gemeint haben.
Salü von einem Adler,
der hoch über den Wipfeln schwebt
in seiner beschwingten Leichtigkeit des Seins
und der seinen Nietzsche gelesen hat.
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Cujo
17.06.2001, 10:34
@ Harald
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Re: How can I fly like an eagle when I am surrounded by turkeys? |
>Mein lieber Baldur,
>Adlern suchen im Leben nicht nach Sicherheit, sondern nach Beute und Glück. Ein Adler stürzt nicht ab, auch wenn er noch so hoch über den Wipfeln schwebt. Nur Bräthähnchen suchen nach Sicherheit vor dem Schlachthaus. Arthur Schopenhauers, der größte Pessimist deutscher Zunge, hat das wesentlich prägnanter ausgedrückt, lieber Baldur:
>"Unser Dasein ist dann am glücklichsten, wann wir es am wenigsten spüren: woraus folgt, daß es besser wäre, es nicht zu haben... Was man gemeinhin Glück nennt, ist eigentlich und wesentlich immer nur negativ und durchaus nie positiv. Wir fühlen den Schmerz, aber nicht die Schmerzlosigkeit... die Sorge, aber nicht die Sorglosigkeit; die Furcht, aber nicht die Sicherheit... Genüsse und Freuden vermissen wir (...), sobald sie ausbleiben: aber Schmerzen, (...) werden nicht unmittelbar vermißt... Daß Tage unseres Lebens glücklich waren, merken wir erst, nachdem sie unglücklichen Platz gemacht haben."
>Und übrigens, was du über Afrika geschrieben hast, ist grundfalsch, du mußt Afrika wohl mit dem heutigen Rußland gemeint haben.
>Salü von einem Adler,
>der hoch über den Wipfeln schwebt
>in seiner beschwingten Leichtigkeit des Seins
>und der seinen Nietzsche gelesen hat.
harald, der gar nicht ängstliche adler................
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Baldur der Ketzer
17.06.2001, 11:14
@ Taktiker
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Re: mehr draus machen? Gerne, erbitte Vorschläge mT |
Hallo, Taktiker,
stellvertretend für alle anderen Lobenden an dieser Stelle von mir vielen Dank zurück an Dich für Deine Anerkennung.
Für Vorschläge bin ich immer offen, Ghostwriting, Texten, Trauerreden (schließlich hat Ingo Appelt, äh, Bundesobermacker Johannes aufgehört), Bücher, Essays, Rubriken, Kolumnen, Kommentare, was auch immer.
Die Texte schreibe ich schon selbst, aber ich danke den werten dienstbaren Geistern, welche mir die Einfälle eingeben ;-).
Beste Grüße vom Baldur
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wasil
17.06.2001, 11:25
@ Baldur der Ketzer
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Re: Das Wort zum Sonntag - von der vermeintlichen Sicherheit im Leben |
Hallo Pater Balduin der Ketzer
Und wieder hast Du ein hervorragendes Wort zum Sonntag gehalten!!! Meine wichtigste Lektüre am Sonntag. Dein Wort zum Sonntag gibt Bruder wasil die Antwort auf einige Rätsel welche ihn beschäftigen:
Ein eigenartiges, überspitztes Sicherheitsbedürfnis scheint urplötzlich viele unserer Mitmenschen gepackt zu haben. Ist es die Reaktion auf die von Dir angesprochene unsichere Zeit?! Quasi über Nacht fährt seit neuestem die halbe Nation mitten am helllichten Tag und bei strahlendem Sonnenschein, mit Abblendlicht in der Gegend herum, auf dass man sie ja nicht übersehen kann. Selbst beim Kolonnenstehen auf der Autobahn. Es ist zu vermuten, dass es sich dabei um den selben, hypervorsichtigen Menschenschlag handelt, welcher auch auf dem Velo konsequent den Helm trägt. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich nur um eine Sonntagsspazierfahrt auf dem selben Feld- Wald- und Wiesenweg handelt, welcher auch vom gewöhnliche Spaziergänger benutzt wird. Auffallend ist dabei, dass auch Leute im Schritttempo, gehorsam und vorsorglich einen grimmigen Plastikhelm tragen, welche während Jahrzehnten nie einen solchen getragen haben und trotzdem vor einem Dachschaden verschont geblieben sind. Oder nicht?! Wenn der Sicherheitswahn so weiter geht, ist davon auszugehen, dass schon bald die ersten Bergwanderer bei mehr als 15 % Steigung mit Seil und Haken anzutreffen sind. Weitere Sicherheitsvorkehrungen wären zudem, beim Grillieren nur feuerfeste Unterwäsche tragen, schwimmen nur dem Beckenrand entlang und mit Schwimmflügeli, Kirschenpflücken mit Fallschirm usw.
Da ist mir doch die Philosophie des Lebemannes Alexis Sorbas aus dem gleichnamigen Film lieber, die da lautet: „Weißt du was Leben bedeutet? Den Gürtel fest anziehen und Ausschau halten nach Schwierigkeiten!
Gruss wasil
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Cujo
17.06.2001, 11:31
@ Baldur der Ketzer
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Re: mehr draus machen? Gerne, erbitte Vorschläge mT |
lieber baldur,
schreib doch mal zum thema:"multikultur - interkultur"......
schönes WE
rene
>Hallo, Taktiker,
>stellvertretend für alle anderen Lobenden an dieser Stelle von mir vielen Dank zurück an Dich für Deine Anerkennung.
>Für Vorschläge bin ich immer offen, Ghostwriting, Texten, Trauerreden (schließlich hat Ingo Appelt, äh, Bundesobermacker Johannes aufgehört), Bücher, Essays, Rubriken, Kolumnen, Kommentare, was auch immer.
>Die Texte schreibe ich schon selbst, aber ich danke den werten dienstbaren Geistern, welche mir die Einfälle eingeben ;-).
>Beste Grüße vom Baldur
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nereus
17.06.2001, 12:02
@ Harald
|
Re: How can I fly like an eagle when I am surrounded by turkeys? - ;-) |
Hallo Harald,
Du gehörst zu einer immer seltener werdenden Wirbeltierart der Klasse Säugetiere ;-), die in diesem Lande langsam auszusterben droht. Merkwürdigerweise gibt es in Deinem Fall keine"Natur"-Schützer die laut rufen:"Haltet ein!"
Im Gegenteil, man sucht nach gelegentlichen inkorrekten Lauten (meinetwegen auch Flügelschlägen) bei Wesen wie Dir, um möglichst schnell die Keule mit dem Typenschild PC niedersausen zu lassen. Schon daher gehörst Du meiner Meinung nach zu einer bedrohten und daher schützenswerten Art.
Eine andere, in den letzten Jahren immer rabiater werdende, Art macht sich inzwischen immer breiter und versucht Regeln aufzustellen, nach der sich alle anderen Tiere des Waldes zu richten haben.
Ich kann nur hoffen das diesem Trend möglichst bald Einhalt geboten wird und bei dem immer wieder zu vernehmenden Quaken, Zwitschern, Röhren, Piepsen und Quieken in der freien Natur nicht immer nur das etwas nervende Rattern der Elstern mit dem roten Schnabel zu hören sein wird, sondern auch die anderen mal zur Wort kommen werden. Und vor allem nicht nur um sich permanent zu verteidigen sondern auch mal um sachlich zu argumentieren.
Allerdings scheinst Du Dir Deiner Bedrohtheit durchaus bewußt zu sein.
Denn Du schreibst auch heute wieder das Du ein freier Mensch bist und redest der Leichtigkeit des Seins das Wort.
Ich füchte aber, wenn man dies immer wieder betonen muß, scheint die Leichtigkeit so langsam eine Art Bürde zu werden.
Oder habe ich da was falsch verstanden.
mfG
nereus
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Ecki1
17.06.2001, 14:02
@ Baldur der Ketzer
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Re: Hervorragende Anregung! owT |
>Von der - vermeintlichen - Sicherheit
>Liebe Brüder und Schwestern, Mitleidende, Vorsichtige, Hazardeure und Glückskinder,
>in der zurückliegenden Woche beeindruckte mich ein Schlußsatz von dottore sehr stark, als er feststellte, er sei bei der
>Beschäftigung mit den Dingen unserer Zeit sehr viel bescheidener, ja, demütiger geworden.
>Wie kann es zu solch einer Offenbarung von Unsicherheit kommen?
>Von Geburt an ist unser Lebensweg vorgezeichnet, er ist reglementiert in vielerlei Hinsicht.
>Und dennoch beinhaltet eine jede Station die Möglichkeit des Scheiterns, ob dies nun in einer Schulklasse ist, bei der
>Führerscheinprüfung, im Beruf oder in der Ehe.
>Jeden Tag kann einem jeden von uns passieren, daß die sicher geglaubten Gleise verlassen werden müssen, vorteilhaft sanft
>oder unsanft heftig.
>Die Umstände unserer bürgerlichen Existenz sind nur so lange sicher, als nichts dazwsichenkommt, und es gibt gar manches,
>was jeden Tag eintreten kann. Von der betriebsbedingten Kündigung hin zum Ehestreit, von einem Krankheitsfall bis hin zum
>Ärger mit Fiskus und Behörden.
>Man lebt doch, wenn wir es uns eingestehen, meistens in einer fiktiven Traumwelt des Kleinbürgers, dessen Leben vor allem
>eines ist - sicher. So sicher, daß nur noch die klösterliche Abgeschiedenheit unangreifbarer wäre.
>Wir sind behütet von den Eltern, so lange sie uns erziehen - nicht immer, aber normal sollte es so sein.
>Wir sind abgesichert durch Versicherungen. Jedenfalls machen sie uns das glauben, bis der Versicherungsfall eintritt.
>Wir sind beschützt durch die Polizei. Bis man sie braucht und sie nicht da ist, oder bis sie kommt, wenn man sie echt nicht
>gebrauchen kann.
>Unser Geld ist gesichert durch Banken, Einlagensicherung, Staat und all die modernen Erfindungen einer sozialistischen
>Staatsidee.
>Und unsere Gesundheit wird gesichert durch eine moderne, hochleistungsfähige Krankenhaus- und Pharma-Industrie.
>Benjamin Blümchen brillierte mit dem Satz, eines sei sicher, unsere Rente nämlich. Wir werden das mal als geflügeltes Wort
>erleben wie weiland John f. Kennedy, er sei ein Berliner.
>Unsere äußere Sicherheit und Freiheit wird von der Bundeswehr und den Nato-Partnern garantiert, so sagt man uns. Oder
>man hofft es vielleicht.
>So ist alles um uns herum sicher, wir sind sicher.
>Sind wir sicher?
>Dies fragte auch Gsell, der weißhaarige Ex-Zahnarzt im Spielfilm"Marathon-Man", nämlich, ob er außer Gefahr sei.
>Aber er glaubte die Antwort nicht, er wollte wissen, und er forschte danach mit Zahnbohrer und Nelkenöl.
>Erst, als in aller Verzweiflung des Schmerzes die vermeintliche Sicherheit versagte, wurde klar, daß es Sicherheit nicht gibt,
>weder für Täter noch für Opfer.
>Nichts ist sicher, noch nicht einmal das.
>Cseausescu hätte sich nicht träumen lassen, einmal im Staub zu liegen, Erich Mielke hätte eine Anklagebank der BRD nie
>kennenlernen wollen, Helmut Kohl hätte nicht an seine schandhafte Entthronung geglaubt, und wir alle glauben nicht, was uns
>unser mulmiges Gefühl langsam beibringt: die Zeit der Sicherheit ist vorbei.
>Sind wir krank, so merken wir, wie wenig die Beiträge an die Krankenversicherung an Gegenleistung hervorbringen, und wir
>merken obendrein, daß uns kein Arzt heilen kann, sondern nur uns helfen, die Gesundung selbst herbeizuführen.
>Die vielbeschworenen, teuerbezahlten Klinikkomplexe haben erschütternd niedrige Erfolgsquoten, und wenn wir gesund
>werden wollen, müssen wir uns selbst auf die Suche nach einer für uns geeigneten Therapie machen.
>Wir merken, daß ein jeder für uns seinen optimalen Weg nur selbst finden kann, jede Verallgemeinerung, jede
>Vergesellschaftung von Lösungswegen kann nur den geringsmöglichen Erfolg zeitigen.
>Erst, wenn der Fall der Sicherungs-Gewährung gekommen ist, stellen wir fest, daß wir einem Trugschluß aufgesessen sind.
>Der vermeintlich todsichere Tip führte zum Totalverlust, was wir uns nie hätten vorstellen können - logisch, sonst wären wir
>ja nicht so hoch eingestiegen. Und dennoch gings schief, finden wir uns wieder in Demut und Angst.
>Der vermeintlich bis zur Rente sichere Arbeitsplatz löst sich von jetzt auf gleich in Luft auf.
>Eine mit Liebe und Euphorie begonnene Partnerschaft endet in Leid, Streit, Haß und Zorn.
>Eine Prüfung geht schief, wir fallen durch, und fallen auch selbst buchstäblich in ein Loch aus Unsicherheit, Verzweiflung,
>Orientierungslosigkeit.
>Und jede dieser Mißerfolgserlebnisse läßt uns hoffen, das möge es gewesen sein, ab jetzt möge es wieder bergan gehen.
>Jedoch erscheint es mir, meine lieben Leserinnen und Leser, in eine Situation gekommen zu sein, in der wir nicht mehr sagen
>können, ein kurzfristiges Scheitern, ein Herausfallen aus der Sicherheit wäre isoliert, würde bald abgelöst von noch höheren
>Zielen und Segnungen als zuvor. Vielleicht kommt jetzt das ganze Niveau ins Rutschen, weltweit, wie es uns Südamerika und
>Südostasien bereits vorführten..
>Ich fürchte, wir werden in den kommenden Monaten und Jahren feststellen müssen, wie hoch das liebgewonnene,
>selbstverständliche Niveau doch war, aber gleichzeitig wie fragil und virtuell es gleichzeitig war.
>Potemkinschen Dörfern gleich, wurde für sicher erachtet, was es nicht gab, und für vorhanden, was nur gebucht war.
>Reißt ein Sicherungshaken, so haben wir noch deren viele, so denken wir, bis wir mal unten angekommen sein mögen, was
>nicht vorstellbar erscheint.
>Werden wir arbeitslos, bekommen wir Stütze, verlieren wir diese, bekommen wir Sozi, und werden wir krank, gegen wir
>halt zum Arzt. Lästig ist nur der soziale Prestigeverlust, aber einen warmen Hintern und Mampf am Tisch werden wir wohl
>behalten, komme was wolle - hoffen wir.
>Diese eingeschläferte Sicherheit setzt voraus, daß das konstruierte System der Sicherheit Bestand hat.
>Natürlich ist es mir auch lieber, ein solches System, als quasi afrikanische Verhältnisse zu haben.
>Dennoch könnte es sein, daß wir uns einmal in solch afrikanischen Verhältnissen wiederfinden könnten, ist doch das System
>der Sicherheit nur ein Gebilde aus Staatsbehörden und behördengleichen Konglomeraten, die man Versicherungen und
>Banken nennt, aufrechterhalten von Zuckerbrot und Peitsche der Fiskalgesetzgebung.
>Wie schon oft hier herausgestellt, kommt es doch nicht auf die Faktenlage an, sondern allein eine bestimmte Erwartung
>diesbezüglich schafft bereits Ergebnisse.
>Glauben wir, daß unser Geld in der Bank sicher sei, so kann es auch weg sein, es wird keine Panik geben.
>Und fürchten wir, das Geld ist weg, obwohl es doch in einer Woche aufzutreiben wäre, so wird uns das zu sofortigem
>Handeln veranlassen.
>Die um sich greifende Unsicherheit zeigt sich exemplarisch in Japan, wo der Druck auf die leitenden Mitarbeiter
>krankmachendes Ausmaß erreicht, das Eingestehen von Luftschlössern beharrlich verweigert wird, die Konsumneigung
>durch einen selbst sich verstärkende Teufelskreis einbricht und sich ein lähmendes Entsetzen breitmacht wie beim Anblick
>von Gozilla in der Bucht von Tokyo, während wir selbst höchstens einen Wolpertinger im Gasthaus bewundern.
>Obwohl wir immer im Bewußtsein gelebt haben, gut abgesichert zu sein, stellen wir fest, daß es in Kliniken oft gar keine
>Einbettzimmer mehr gibt, obwohl wir vielleicht hierfür Versicherungen abgeschlossen haben.
>Wir stellen fest, daß manche Leiden nicht behandelt werden können, daß aller Aufwand vergebens ist.
>Wir werden vielleicht merken, daß wir uns im Recht dünken, und dennoch von einer karikaturhaften Richterschar grinsend
>und verächtlich verurteilt werden, im Namen des Volkes, nicht zu vergessen. All die Rechtsschutzversicherungen und teuren
>Anwälte konnten nicht helfen, das Unheil nahm seinen Lauf.
>Versicherungen lehnen frech und herausfordernd Regulierungen ab, Geschäftspartner betrügen einen schamlos und gewitzt,
>das Rückstauventil im Kellergully versagt und der vielhaarfarbige Passant zieht mit seinem Schlüssel ungestraft durch unseren
>Autolack, daß der Adrenalinspiegel ins Unermeßliche schwillt.
>So zerbröseln Autoritäten der Sicherheit, Stück für Stück.
>Selbst Innenminister werden als Straftäter enttarnt, superschlaue und hochbezahlte Wirtschaftsprüfer merken nicht die
>wundersame Vermehrung von Horizontalbohrmaschinen (Flowtex), ein Baulöwe Schneider führt die gesamte
>Bankenlandschaft vor, und wir merken, WER das ist, denen wir vertrauen. Können, sollen wir ihnen vertrauen?
>Nein, das Auftreffen am eiskalten Wasser ist schmerzlich, aber einsichtsvoll.
>Tagtäglich sind wir von Risiken und Gefahren umgeben für Leib, Leben, Gesundheit und Freiheit, nur bemerken wir es nicht,
>solange wir nicht betroffen sind. Eine Autopanne am Land in kalter Winternacht konfrontiert uns schonungslos mit unserer
>Verletzlichkeit, die wir so gerne abstreiten, ausblenden.
>Eigentlich sind wir ja schon auf uns alleine gestellt, schutzlos und mit nichts als der Hoffnung ausgestattet, es möge uns
>geholfen werden, von woher diese Hilfe auch immer kommen möge.
>Dieser Gedanke zerstört unser gesamtes, saturiertes, wohlfeiles Weltbild und bringt uns zurück in die althergebrachte
>Daseinsform des gehetzten Jägers und Sammlers, immer auf der Hut, immer auf dem Sprung, nie am Ziel und ständig
>bedroht.
>Nur zu verständlich, daß diese geradezu neurotische Lebenseinstellung nicht erstrebenswert klingt, und so versuchen sich seit
>Jahrtausenden immer wieder historische Persönlichkeiten, uns Visionen von Sicherheit und einer Übernahme von Risiken zu
>verkaufen.
>Wir wissen, daß letztlich alle gescheitert sind, und der Zustand des weitgehend unbeeinträchtigten Durchwurstelns den
>größten Erfolg bringt.
>Je größer die Reglementierung, umso totalitärer die Herrschenden und umso leidvoller das Leben der Bürger.
>Nur, dieses Eingeständnis, gewisse naturgegebene Dinge nicht ändern zu können, wird gleichgesetzt mit Unfähigkeit, mit
>Unglück und Verächtlichkeit.
>Wie sonst könnte man erklären, daß frei geborene Staatsbürger derart viele Freiheiten abzugeben bereit sind an einen
>Moloch von Unfähigkeit und Arroganz, der ausschließlich durch das Mäntelchen der vorgegaukelten Sicherheitsgewährung
>seine Daseinsberechtigung bezieht, und sich STAAT nennt?
>Es mag auch Eigennutz sein, Bequemlichkeit, Uneinsichtigkeit, warum man offen sichtbares negiert.
>Das System der multiplen Sicherheiten steht vor dem Kollaps, wie die Beispiele Verteidigungshaushalt, Rentenkrise,
>Bevölkerungsentwicklung, Innere Sicherheit, Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit und Investitionsbereitschaft zeigen.
>Der Wegfall all dieser sicher geglaubten Sicherungen führt zwangsläufig zum Gedanken, wo dieser freie Fall enden könnte.
>Im schlimmsten Szenario ist es in einem alten Wohnwagen auf einem Campingplatz, mit Gutschein für Aldi nebenan und drei
>Wolldecken im Bett, weil die Heizung zu teuer ist. Oder gar unter einer Brücke, in einer Laube im Wald oder an der
>Rolltreppe der U-Bahn mit einem selbstgeschriebenen Hut vor den Füßen. Statt Cabernet Sauvignon gibts Pennerglück oder
>lauwarmen Tee, statt Loup de Mer gibts altbackene Semmeln.
>Nichts ist nämlich sicher, noch nicht einmal das, und jedem von uns kann ein ungnädiges Schicksal bescheren, was wir
>täglich um uns beobachten können.
>Eine Mißernte, von niemandem zu vertreten, kann uns Hunger bringen, eine Überschwemmung kann uns Sachwerte und
>ganze Existenzen vernichten, eine Währungskrise kann unser privates Haushaltsbudget sprengen, eine Fehlspekulation unser
>Erspartes zunichte machen und unser Beruf kann morgen von der Entwicklung eliminiert worden sein.
>Ein ungeplantes Kind im Teenager-Alter macht Planungen ebenso zunichte wie eine Trennung in der Partnerschaft, ein
>Prozeß, ein Branchenwandel oder eine Depression in der Wirtschaft.
>Von heute auf morgen kann sich die Welt verändert haben.
>So, wie sich die WElt einer Bekannten schlagartig wandelte, als sie morgens im Radio hörte, der Computerhersteller
>WANG sei pleite, und zugleich all ihre Aktien für Hunderttausende dazu.
>Was gestern die Reblaus war oder der Kartoffelkäfer, ist heute MKS und BSE.
>Was gestern die Pest war und Cholera, ist heute Krebs und Alzheimer.
>Nichts hat sich geändert, seit die Menschheit ihren Werdegang auf diesem Planeten begonnen hat, einem jeden von uns
>bleibt die Einsamkeit beim Mißerfolg, die Mißgunst beim Bessersein, der Spott beim Straucheln und die Verzweiflung, wenn
>sich der Schicksalstern gedreht zu haben scheint.
>Wie oft mag der sorgenvolle Blick ins Nichts um uns herum schon stattgefunden haben, der Schrei an die Gerechtigkeit, die
>Bitte an die Vorsehung, und wie oft waren diese Dinge das einzige, was übrigblieb?
>Der einzige Trost ist, daß es trotz dieser unzähligen vorangegangenen Krisensituationen immer weitergegangen ist, daß die
>menschliche Kultur jedesmal zurückfand in einen Zustand des Erträglichen, und daß auch Zeiten von Wahnsinn und Unrecht
>nicht ewig währten, wenn auch mitunter länger, als man es erleben konnte.
>In diesem Zustand der absoluten Demut angekommen, sehen wir wieder dankbar die kleinen Dinge der Freude, nehmen
>wieder glückliche Umstände, die Abwesenheit von Sorgen wahr, und lernen sie wieder schätzen.
>Ansprüche können uns im Wege stehen, weil sie zu lange eine Umkehr oder einen Ausweg versperren.
>Die Gringos machen es uns vor, und es kann auch uns nicht schaden, persönliche Fähigkeiten zu entwickeln oder zu
>schulen, um in einem Zweit- oder Drittjob zu verdienen, was uns fehlen wird.
>Niemand wird uns fragen, wie wir uns und unsere Angehörigen durchbringen werden, es kommt auf uns selbst an, und Arbeit schändet nicht.
>Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen machen es uns täglich auf der Welt unfreiwillig vor, wie man auch in ausweglosen Lebensumständen durchkommen kann, weil man ganz einfach muß, dies mag uns Trost und Auftrag zugleich sein, bei Gelegenheit auch an diese Mitbrüder und -Schwestern zu denken.
>Und so möchte ich Euch ermutigen, Euch gedanklich einmal den Super-GAU des Lebens vorzustellen, nur kurz und nicht zu
>detailliert, um den Gedanken nicht zum Leben zu erwecken, und dann zu sehen, wie viel höher man zur Zeit noch über
>diesem Niveau Null leben darf.
>Unzufriedenheit wird sich spontan verflüchtigen, und es kehrt Hoffnung ein, daß die bisher doch meistens positive Fügung im
>Leben auch weiterhin an unserer Seite stehen wird, anders wäre es gar nicht auszudenken.
>Schon im alten Rom wurden die gleichen Mißstände beschrieben, wie wir sie heute in der Zeitung lesen können, alles war
>also schon mal da, und scheinbar wiederholen sich Ursache und Wirkung in unablässiger Folge, so lange es Menschen gibt.
>Möge uns dieses höhere Niveau noch lange erhalten bleiben, mögen wir das Nullniveau niemals durchleben müssen, und
>möge uns die Verzweiflung erspart bleiben, die unsere Eltern und Großeltern noch zu verinnerlichen hatten.
>In diesem Sinne wünsche ich Euch einen ruhigen Sonntag, und schaut ruhig mal nach, welche Werte und Gegenstände bei
>Euch pfändungssicher, ungefährdet und zum Überleben im Notfall ausreichend sind - findet ihr nichts, wißt ihr, was
>demnächst zu tun ist........
>Beim nächsten Mal widmen wir uns wieder lustvolleren Dingen, wie zum Beispiel dem erwzungenen Zusammenleben von zwei Individuen, die gar nicht zusammenpassen, außer an einer Stelle - Frau und Mann nämlich, und warum der Verstand immer wieder den kürzeren zieht gegenüber Ur-Instinkten, Trieben, Hoffnung, Verblendung und.......Glück?
>Euer Baldur
<center>
<HR>
</center> |
dottore
17.06.2001, 19:02
@ Baldur der Ketzer
|
Re: Spitzenstück, Baldur! In Gedanken & Prosa, ziehe tief den Hut (owT) |
<center>
<HR>
</center>
|
Uwe
17.06.2001, 19:29
@ Baldur der Ketzer
|
Re: Das Wort zum Sonntag - von der vermeintlichen Sicherheit im Leben |
Hallo, Baldur!
Gern möchte ich mich einreihen in die Schar der Gratulanten, wobei ich das „Glück“ habe, das der elektronische Beitragsverwalter mich für den Augenblick, in die vorderste Reihe hieven wird.
Ein schönes Stück Leistung, aufgebaut auf eine vermeintliche „Beiläufigkeit“, die m.E. unbedingt anders interpretiert werden sollte, um verträgliche Lösungen abseits von der"Hoppla, jetzt komm' ich"-Mentalität, zu finden (vorbeugende Anm: dies ist nur ein allgemeiner Diskussionsformulierung, ohne anderen Bezug!):
Du zitierst einleitend dottore mit den Worten:
... er [i](Anm. dottore) sei bei der Beschäftigung mit den Dingen unserer Zeit sehr viel bescheidener, ja, demütiger geworden.[/i]
und fragst darauf:
Wie kann es zu solch einer Offenbarung von Unsicherheit kommen?
Leider kenne ich nicht den Zusammenhang, in dem dottore diese „Offenbarung“ benutzt hat und eigentlich spielt es auch keine bedeutende Rolle für meine Sicht.
Richtig, Baldur, Bescheidenheit und Demut können möglicherweise auch ein Zeichen von Unsicherheit sein, doch meines Erachtens haben sie vielmehr mit Wissen und Einsichten zu tun.
<hr>
Eine „Hintergrundinformation“ noch zum Kennedy-Zitat, dessen einleitender Absatz, der zum zitierten „geflügeltem“ Wort führt, eigentlich immer aktuell bleibt, nicht nur auf Stadt und Zeit bezogen:
Baldur:[i]...Wir werden das mal als geflügeltes Wort erleben wie weiland John f. Kennedy, er sei ein Berliner.[/i]
Schluß der Rede des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, am 26.06.1963, vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin:
Die Wahrheit verlangt von uns, daß wir den Tatsachen ins Auge schauen, daß wir uns von Selbsttäuschung freimachen und daß wir uns weigern, nur in Schlagwörtern zu denken. Wenn wir für die Zukunft dieser Stadt arbeiten wollen, dann lassen Sie uns mit den Gegebenheiten fertig werden, wie sie Tatsächlich sind, nicht wie sie nach unseren Wünschen sein sollten.
Der stolzeste Satz, den man heute in der freien Welt sagen kann, heißt: Ich bin ein Berliner...
<center>Orginalquelle mit Tondokument>)
Und für die JüKü-Forums-Archivdatei (aufgemerkt <font color=blue>Sascha</font> ;-):"Wer sieht wie aus?" oder"Wie stelle ich mich richtg vor?"
<center>[img]" alt="[image]" style="margin: 5px 0px 5px 0px" />
<font size=1>President Kennedy vor dem Schöneberger Rahthaus, seinerseit Rathaus von Westberlin</font></center>
In der Mitte, der Mr. President, J.F. Kennedy (mit dem Rücken zum Betrachter), am 26.06.1963 vor dem Schöneberger Rahthaus, seinerzeit Rathaus von West-Berlin, links von ihm, in der 32 Zuhörerreihe, das ist... ich erspare mir die namentliche Nennung und weise darauf hin, daß wenn das Bild das Panorama eingefangen hätte, das zu beiden Seiten jeweils nochmal die Bildbreite umfaßt, dann könnte man mich in der 197ten Reihe sehen, wobei die Reihenangabe ungenau ist (die Zeit hinterlässt eben vermutlich bei jedem irgendwelche Spuren).
Gruß
Uwe
<center>
<HR>
</center> |
Baldur der Ketzer
17.06.2001, 20:21
@ Uwe
|
Re: Uwe - herzlichen Dank, das ist Perfektion - Beste Grüße mkT von |
Hallo, Uwe,
ich schreib die Texte spontan und frei Schnauze, und manches klingt dann mit bedacht gelesen etwas holprig oder eckig.
Das mit der grammatikalischen Einbindung des Zitats zum Beispiel.
Aber im Denkfluß fiel mir das nicht auf.
Natürlich wollte ich dottore zu keinem Zeitpunkt Unsicherheit nach vorheriger Arroganz oder etwas ähnliches unterschieben.
Demut und Bescheidenheit sind immer die besseren Ausgangssituationen im vergleich zu vermeintlichem Besserwissen oder Ãœberheblichkeit.
Ich fühle aber, ähnlich, wie dottore es neulich beschrieb, seit einiger Zeit ein diffuses Unbehagen, eine sorgenvolle Bedrückung, und schlicht Zukunftsangst, was ich früher nie kannte.
Weniger, was das Ãœberleben betrifft, aber durchaus, was den gewohnten Lebensstandard angeht.
Ich sehe auch die EU-Politik als verhängnisvoll an und fürchte, daß sich da etwas orwellsches zusammenbraut.
Das wollte ich mit rein bringen, und habe es der Einfachkeit halber als Aufhänger genommen, weil mich das Posting von dottore emotional sehr berührt hat.
Danke für Deine Gedanken und Ergänzungen.
Das Wort zum Sonntag ist ja als lustige Karikatur entstanden, herausfordernd, frech und satirisch, und ich hätte damals nie gedacht, wie schnell der Ernst überhand nehmen sollte und der Witz verdrängt wurde von der deprimierenden Brisanz des Themas.
Ich hoffe, daß ich das nächste Mal wieder in einer lustigen Stimmung bin und das rüberbringen kann.
beste Grüße vom Baldur
<center>
<HR>
</center>
|
Josef
17.06.2001, 20:48
@ Baldur der Ketzer
|
@ALDIBROKER: Wo bist Du? Wirst hier dringend gebraucht als Kommentator!! |
>Von der - vermeintlichen - Sicherheit
>Liebe Brüder und Schwestern, Mitleidende, Vorsichtige, Hazardeure und Glückskinder,
>in der zurückliegenden Woche beeindruckte mich ein Schlußsatz von dottore sehr stark, als er feststellte, er sei bei der
>Beschäftigung mit den Dingen unserer Zeit sehr viel bescheidener, ja, demütiger geworden.
>Wie kann es zu solch einer Offenbarung von Unsicherheit kommen?
>Von Geburt an ist unser Lebensweg vorgezeichnet, er ist reglementiert in vielerlei Hinsicht.
>Und dennoch beinhaltet eine jede Station die Möglichkeit des Scheiterns, ob dies nun in einer Schulklasse ist, bei der
>Führerscheinprüfung, im Beruf oder in der Ehe.
>Jeden Tag kann einem jeden von uns passieren, daß die sicher geglaubten Gleise verlassen werden müssen, vorteilhaft sanft
>oder unsanft heftig.
>Die Umstände unserer bürgerlichen Existenz sind nur so lange sicher, als nichts dazwsichenkommt, und es gibt gar manches,
>was jeden Tag eintreten kann. Von der betriebsbedingten Kündigung hin zum Ehestreit, von einem Krankheitsfall bis hin zum
>Ärger mit Fiskus und Behörden.
>Man lebt doch, wenn wir es uns eingestehen, meistens in einer fiktiven Traumwelt des Kleinbürgers, dessen Leben vor allem
>eines ist - sicher. So sicher, daß nur noch die klösterliche Abgeschiedenheit unangreifbarer wäre.
>Wir sind behütet von den Eltern, so lange sie uns erziehen - nicht immer, aber normal sollte es so sein.
>Wir sind abgesichert durch Versicherungen. Jedenfalls machen sie uns das glauben, bis der Versicherungsfall eintritt.
>Wir sind beschützt durch die Polizei. Bis man sie braucht und sie nicht da ist, oder bis sie kommt, wenn man sie echt nicht
>gebrauchen kann.
>Unser Geld ist gesichert durch Banken, Einlagensicherung, Staat und all die modernen Erfindungen einer sozialistischen
>Staatsidee.
>Und unsere Gesundheit wird gesichert durch eine moderne, hochleistungsfähige Krankenhaus- und Pharma-Industrie.
>Benjamin Blümchen brillierte mit dem Satz, eines sei sicher, unsere Rente nämlich. Wir werden das mal als geflügeltes Wort
>erleben wie weiland John f. Kennedy, er sei ein Berliner.
>Unsere äußere Sicherheit und Freiheit wird von der Bundeswehr und den Nato-Partnern garantiert, so sagt man uns. Oder
>man hofft es vielleicht.
>So ist alles um uns herum sicher, wir sind sicher.
>Sind wir sicher?
>Dies fragte auch Gsell, der weißhaarige Ex-Zahnarzt im Spielfilm"Marathon-Man", nämlich, ob er außer Gefahr sei.
>Aber er glaubte die Antwort nicht, er wollte wissen, und er forschte danach mit Zahnbohrer und Nelkenöl.
>Erst, als in aller Verzweiflung des Schmerzes die vermeintliche Sicherheit versagte, wurde klar, daß es Sicherheit nicht gibt,
>weder für Täter noch für Opfer.
>Nichts ist sicher, noch nicht einmal das.
>Cseausescu hätte sich nicht träumen lassen, einmal im Staub zu liegen, Erich Mielke hätte eine Anklagebank der BRD nie
>kennenlernen wollen, Helmut Kohl hätte nicht an seine schandhafte Entthronung geglaubt, und wir alle glauben nicht, was uns
>unser mulmiges Gefühl langsam beibringt: die Zeit der Sicherheit ist vorbei.
>Sind wir krank, so merken wir, wie wenig die Beiträge an die Krankenversicherung an Gegenleistung hervorbringen, und wir
>merken obendrein, daß uns kein Arzt heilen kann, sondern nur uns helfen, die Gesundung selbst herbeizuführen.
>Die vielbeschworenen, teuerbezahlten Klinikkomplexe haben erschütternd niedrige Erfolgsquoten, und wenn wir gesund
>werden wollen, müssen wir uns selbst auf die Suche nach einer für uns geeigneten Therapie machen.
>Wir merken, daß ein jeder für uns seinen optimalen Weg nur selbst finden kann, jede Verallgemeinerung, jede
>Vergesellschaftung von Lösungswegen kann nur den geringsmöglichen Erfolg zeitigen.
>Erst, wenn der Fall der Sicherungs-Gewährung gekommen ist, stellen wir fest, daß wir einem Trugschluß aufgesessen sind.
>Der vermeintlich todsichere Tip führte zum Totalverlust, was wir uns nie hätten vorstellen können - logisch, sonst wären wir
>ja nicht so hoch eingestiegen. Und dennoch gings schief, finden wir uns wieder in Demut und Angst.
>Der vermeintlich bis zur Rente sichere Arbeitsplatz löst sich von jetzt auf gleich in Luft auf.
>Eine mit Liebe und Euphorie begonnene Partnerschaft endet in Leid, Streit, Haß und Zorn.
>Eine Prüfung geht schief, wir fallen durch, und fallen auch selbst buchstäblich in ein Loch aus Unsicherheit, Verzweiflung,
>Orientierungslosigkeit.
>Und jede dieser Mißerfolgserlebnisse läßt uns hoffen, das möge es gewesen sein, ab jetzt möge es wieder bergan gehen.
>Jedoch erscheint es mir, meine lieben Leserinnen und Leser, in eine Situation gekommen zu sein, in der wir nicht mehr sagen
>können, ein kurzfristiges Scheitern, ein Herausfallen aus der Sicherheit wäre isoliert, würde bald abgelöst von noch höheren
>Zielen und Segnungen als zuvor. Vielleicht kommt jetzt das ganze Niveau ins Rutschen, weltweit, wie es uns Südamerika und
>Südostasien bereits vorführten..
>Ich fürchte, wir werden in den kommenden Monaten und Jahren feststellen müssen, wie hoch das liebgewonnene,
>selbstverständliche Niveau doch war, aber gleichzeitig wie fragil und virtuell es gleichzeitig war.
>Potemkinschen Dörfern gleich, wurde für sicher erachtet, was es nicht gab, und für vorhanden, was nur gebucht war.
>Reißt ein Sicherungshaken, so haben wir noch deren viele, so denken wir, bis wir mal unten angekommen sein mögen, was
>nicht vorstellbar erscheint.
>Werden wir arbeitslos, bekommen wir Stütze, verlieren wir diese, bekommen wir Sozi, und werden wir krank, gegen wir
>halt zum Arzt. Lästig ist nur der soziale Prestigeverlust, aber einen warmen Hintern und Mampf am Tisch werden wir wohl
>behalten, komme was wolle - hoffen wir.
>Diese eingeschläferte Sicherheit setzt voraus, daß das konstruierte System der Sicherheit Bestand hat.
>Natürlich ist es mir auch lieber, ein solches System, als quasi afrikanische Verhältnisse zu haben.
>Dennoch könnte es sein, daß wir uns einmal in solch afrikanischen Verhältnissen wiederfinden könnten, ist doch das System
>der Sicherheit nur ein Gebilde aus Staatsbehörden und behördengleichen Konglomeraten, die man Versicherungen und
>Banken nennt, aufrechterhalten von Zuckerbrot und Peitsche der Fiskalgesetzgebung.
>Wie schon oft hier herausgestellt, kommt es doch nicht auf die Faktenlage an, sondern allein eine bestimmte Erwartung
>diesbezüglich schafft bereits Ergebnisse.
>Glauben wir, daß unser Geld in der Bank sicher sei, so kann es auch weg sein, es wird keine Panik geben.
>Und fürchten wir, das Geld ist weg, obwohl es doch in einer Woche aufzutreiben wäre, so wird uns das zu sofortigem
>Handeln veranlassen.
>Die um sich greifende Unsicherheit zeigt sich exemplarisch in Japan, wo der Druck auf die leitenden Mitarbeiter
>krankmachendes Ausmaß erreicht, das Eingestehen von Luftschlössern beharrlich verweigert wird, die Konsumneigung
>durch einen selbst sich verstärkende Teufelskreis einbricht und sich ein lähmendes Entsetzen breitmacht wie beim Anblick
>von Gozilla in der Bucht von Tokyo, während wir selbst höchstens einen Wolpertinger im Gasthaus bewundern.
>Obwohl wir immer im Bewußtsein gelebt haben, gut abgesichert zu sein, stellen wir fest, daß es in Kliniken oft gar keine
>Einbettzimmer mehr gibt, obwohl wir vielleicht hierfür Versicherungen abgeschlossen haben.
>Wir stellen fest, daß manche Leiden nicht behandelt werden können, daß aller Aufwand vergebens ist.
>Wir werden vielleicht merken, daß wir uns im Recht dünken, und dennoch von einer karikaturhaften Richterschar grinsend
>und verächtlich verurteilt werden, im Namen des Volkes, nicht zu vergessen. All die Rechtsschutzversicherungen und teuren
>Anwälte konnten nicht helfen, das Unheil nahm seinen Lauf.
>Versicherungen lehnen frech und herausfordernd Regulierungen ab, Geschäftspartner betrügen einen schamlos und gewitzt,
>das Rückstauventil im Kellergully versagt und der vielhaarfarbige Passant zieht mit seinem Schlüssel ungestraft durch unseren
>Autolack, daß der Adrenalinspiegel ins Unermeßliche schwillt.
>So zerbröseln Autoritäten der Sicherheit, Stück für Stück.
>Selbst Innenminister werden als Straftäter enttarnt, superschlaue und hochbezahlte Wirtschaftsprüfer merken nicht die
>wundersame Vermehrung von Horizontalbohrmaschinen (Flowtex), ein Baulöwe Schneider führt die gesamte
>Bankenlandschaft vor, und wir merken, WER das ist, denen wir vertrauen. Können, sollen wir ihnen vertrauen?
>Nein, das Auftreffen am eiskalten Wasser ist schmerzlich, aber einsichtsvoll.
>Tagtäglich sind wir von Risiken und Gefahren umgeben für Leib, Leben, Gesundheit und Freiheit, nur bemerken wir es nicht,
>solange wir nicht betroffen sind. Eine Autopanne am Land in kalter Winternacht konfrontiert uns schonungslos mit unserer
>Verletzlichkeit, die wir so gerne abstreiten, ausblenden.
>Eigentlich sind wir ja schon auf uns alleine gestellt, schutzlos und mit nichts als der Hoffnung ausgestattet, es möge uns
>geholfen werden, von woher diese Hilfe auch immer kommen möge.
>Dieser Gedanke zerstört unser gesamtes, saturiertes, wohlfeiles Weltbild und bringt uns zurück in die althergebrachte
>Daseinsform des gehetzten Jägers und Sammlers, immer auf der Hut, immer auf dem Sprung, nie am Ziel und ständig
>bedroht.
>Nur zu verständlich, daß diese geradezu neurotische Lebenseinstellung nicht erstrebenswert klingt, und so versuchen sich seit
>Jahrtausenden immer wieder historische Persönlichkeiten, uns Visionen von Sicherheit und einer Übernahme von Risiken zu
>verkaufen.
>Wir wissen, daß letztlich alle gescheitert sind, und der Zustand des weitgehend unbeeinträchtigten Durchwurstelns den
>größten Erfolg bringt.
>Je größer die Reglementierung, umso totalitärer die Herrschenden und umso leidvoller das Leben der Bürger.
>Nur, dieses Eingeständnis, gewisse naturgegebene Dinge nicht ändern zu können, wird gleichgesetzt mit Unfähigkeit, mit
>Unglück und Verächtlichkeit.
>Wie sonst könnte man erklären, daß frei geborene Staatsbürger derart viele Freiheiten abzugeben bereit sind an einen
>Moloch von Unfähigkeit und Arroganz, der ausschließlich durch das Mäntelchen der vorgegaukelten Sicherheitsgewährung
>seine Daseinsberechtigung bezieht, und sich STAAT nennt?
>Es mag auch Eigennutz sein, Bequemlichkeit, Uneinsichtigkeit, warum man offen sichtbares negiert.
>Das System der multiplen Sicherheiten steht vor dem Kollaps, wie die Beispiele Verteidigungshaushalt, Rentenkrise,
>Bevölkerungsentwicklung, Innere Sicherheit, Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit und Investitionsbereitschaft zeigen.
>Der Wegfall all dieser sicher geglaubten Sicherungen führt zwangsläufig zum Gedanken, wo dieser freie Fall enden könnte.
>Im schlimmsten Szenario ist es in einem alten Wohnwagen auf einem Campingplatz, mit Gutschein für Aldi nebenan und drei
>Wolldecken im Bett, weil die Heizung zu teuer ist. Oder gar unter einer Brücke, in einer Laube im Wald oder an der
>Rolltreppe der U-Bahn mit einem selbstgeschriebenen Hut vor den Füßen. Statt Cabernet Sauvignon gibts Pennerglück oder
>lauwarmen Tee, statt Loup de Mer gibts altbackene Semmeln.
>Nichts ist nämlich sicher, noch nicht einmal das, und jedem von uns kann ein ungnädiges Schicksal bescheren, was wir
>täglich um uns beobachten können.
>Eine Mißernte, von niemandem zu vertreten, kann uns Hunger bringen, eine Überschwemmung kann uns Sachwerte und
>ganze Existenzen vernichten, eine Währungskrise kann unser privates Haushaltsbudget sprengen, eine Fehlspekulation unser
>Erspartes zunichte machen und unser Beruf kann morgen von der Entwicklung eliminiert worden sein.
>Ein ungeplantes Kind im Teenager-Alter macht Planungen ebenso zunichte wie eine Trennung in der Partnerschaft, ein
>Prozeß, ein Branchenwandel oder eine Depression in der Wirtschaft.
>Von heute auf morgen kann sich die Welt verändert haben.
>So, wie sich die WElt einer Bekannten schlagartig wandelte, als sie morgens im Radio hörte, der Computerhersteller
>WANG sei pleite, und zugleich all ihre Aktien für Hunderttausende dazu.
>Was gestern die Reblaus war oder der Kartoffelkäfer, ist heute MKS und BSE.
>Was gestern die Pest war und Cholera, ist heute Krebs und Alzheimer.
>Nichts hat sich geändert, seit die Menschheit ihren Werdegang auf diesem Planeten begonnen hat, einem jeden von uns
>bleibt die Einsamkeit beim Mißerfolg, die Mißgunst beim Bessersein, der Spott beim Straucheln und die Verzweiflung, wenn
>sich der Schicksalstern gedreht zu haben scheint.
>Wie oft mag der sorgenvolle Blick ins Nichts um uns herum schon stattgefunden haben, der Schrei an die Gerechtigkeit, die
>Bitte an die Vorsehung, und wie oft waren diese Dinge das einzige, was übrigblieb?
>Der einzige Trost ist, daß es trotz dieser unzähligen vorangegangenen Krisensituationen immer weitergegangen ist, daß die
>menschliche Kultur jedesmal zurückfand in einen Zustand des Erträglichen, und daß auch Zeiten von Wahnsinn und Unrecht
>nicht ewig währten, wenn auch mitunter länger, als man es erleben konnte.
>In diesem Zustand der absoluten Demut angekommen, sehen wir wieder dankbar die kleinen Dinge der Freude, nehmen
>wieder glückliche Umstände, die Abwesenheit von Sorgen wahr, und lernen sie wieder schätzen.
>Ansprüche können uns im Wege stehen, weil sie zu lange eine Umkehr oder einen Ausweg versperren.
>Die Gringos machen es uns vor, und es kann auch uns nicht schaden, persönliche Fähigkeiten zu entwickeln oder zu
>schulen, um in einem Zweit- oder Drittjob zu verdienen, was uns fehlen wird.
>Niemand wird uns fragen, wie wir uns und unsere Angehörigen durchbringen werden, es kommt auf uns selbst an, und Arbeit schändet nicht.
>Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen machen es uns täglich auf der Welt unfreiwillig vor, wie man auch in ausweglosen Lebensumständen durchkommen kann, weil man ganz einfach muß, dies mag uns Trost und Auftrag zugleich sein, bei Gelegenheit auch an diese Mitbrüder und -Schwestern zu denken.
>Und so möchte ich Euch ermutigen, Euch gedanklich einmal den Super-GAU des Lebens vorzustellen, nur kurz und nicht zu
>detailliert, um den Gedanken nicht zum Leben zu erwecken, und dann zu sehen, wie viel höher man zur Zeit noch über
>diesem Niveau Null leben darf.
>Unzufriedenheit wird sich spontan verflüchtigen, und es kehrt Hoffnung ein, daß die bisher doch meistens positive Fügung im
>Leben auch weiterhin an unserer Seite stehen wird, anders wäre es gar nicht auszudenken.
>Schon im alten Rom wurden die gleichen Mißstände beschrieben, wie wir sie heute in der Zeitung lesen können, alles war
>also schon mal da, und scheinbar wiederholen sich Ursache und Wirkung in unablässiger Folge, so lange es Menschen gibt.
>Möge uns dieses höhere Niveau noch lange erhalten bleiben, mögen wir das Nullniveau niemals durchleben müssen, und
>möge uns die Verzweiflung erspart bleiben, die unsere Eltern und Großeltern noch zu verinnerlichen hatten.
>In diesem Sinne wünsche ich Euch einen ruhigen Sonntag, und schaut ruhig mal nach, welche Werte und Gegenstände bei
>Euch pfändungssicher, ungefährdet und zum Überleben im Notfall ausreichend sind - findet ihr nichts, wißt ihr, was
>demnächst zu tun ist........
>Beim nächsten Mal widmen wir uns wieder lustvolleren Dingen, wie zum Beispiel dem erwzungenen Zusammenleben von zwei Individuen, die gar nicht zusammenpassen, außer an einer Stelle - Frau und Mann nämlich, und warum der Verstand immer wieder den kürzeren zieht gegenüber Ur-Instinkten, Trieben, Hoffnung, Verblendung und.......Glück?
>Euer Baldur
<center>
<HR>
</center> |
Toni
17.06.2001, 21:38
@ Baldur der Ketzer
|
Re: das ist Perfektion - Baldurs Wort zum Sonntag |
>ich schreib die Texte spontan und frei Schnauze,...
Hoi Baldur
Ich muss auch noch sagen, dass ich Dein Wort zum Sonntag super fand. - - - Theoretisch und von Form und Aufbau her zumindest ;-)
Inhaltlich... - - - Früher oder später wirst Du vielleicht recht haben. Aber bis dahin nicht. Mir ist Dein Szenario entschieden zu düster.
>Ich hoffe, daß ich das nächste Mal wieder in einer lustigen Stimmung bin und das rüberbringen kann.
Das hoffe ich auch:-)
Liebe Grüsse an Dich
Toni
<center>
<HR>
</center> |