Die Baisse der Reichen
Eigentlich haben wir es ja schon immer geahnt, doch jetzt haben wir es endlich schwarz auf weiß. Es gab natürlich auch vorher schon viele Indizien, wovon die Prozentrechnung das wichtigste ist. Denn es ist eine verdammt schlichte Rechnung und eine verdammt schlichte Erkenntnis:
Die jetzt erst wohl endgültig verblichene Hausse war nicht die Hausse des"kleinen Mannes". Denn dass man dann, wenn man nicht viel besitzt, gerade an der Börse reich werden kann, ist ein genauso ein Ammenmärchen wie beispielsweise die Geschichte von der schmerzlosen Geburt. Mit dem Unterschied allerdings, dass sich aus letzterem für den Versprechenden vergleichsweise deutlich weniger Profit erzielen lässt als aus ersterem...
Eigentlich muss man dazu nur einen Blick auf die Prozentrechnung werfen: Denn um mit einem Einsatz von beispielsweise 10.000 DM zum Millionär zu werden, muss man eine Performance hinlegen, die 9.900 Prozent nicht unterschreiten darf. Wohingegen derjenige, der bereits 10 Millionen DM besitzt, nur noch einen schlappen Anstieg von 10 Prozent benötigt, um ebenfalls eine Million DM"zu machen". Man sieht also, wie fahrlässig das Versprechen"Ich mache Sie zum Millionär" selbst angesichts des Rekordstandes des Neuen Marktes im Frühjahr 2000 gewesen ist.
Zu den gleichen Ergebnissen wie die reine Logik der Prozentrechnung kommt nun auch eine neue Studie im Auftrag der US-Notenbank. Konkret: Die Kursgewinne der letzten Jahre entfielen weit überproportional auf die einkommensstärksten 20 Prozent der US-Bürger. Es war also eine Hausse der Reichen - und der Rest hat wohl weitgehend nur zugesehen beziehungsweise mit einem Taschengeld mitgespielt, jedoch keinen nennenswerten Reichtum aufgehäuft.
Die"Hausse der Reichen" damals bedeutet nun aber umgekehrt auch die"Baisse der Reichen" jetzt, was durchaus interessante Einblicke in die gegenwärtige Situation nicht nur der US-Wirtschaft erlaubt. Denn parallel zur Hausse der 90er Jahre haben wir in den USA einen dramatischen Rückgang der privaten Sparquote 8 Prozent auf derzeit minus 0,7 Prozent erlebt. Hängt nun, was durchaus plausibel ist, das Sparverhalten mit der Aktienkursentwicklung zusammen, so kann man nun daraus folgern, dass dieser Rückgang der Sparquote ebenfalls überproportional den höheren Einkommensschichten zuzuordnen ist.
Das wiederum heißt jedoch: Die Sparneigung der US-Normalbürger ist offenbar höher als die Durchschnittszahlen, von denen wir immer reden, uns zeigen. Am Konsum- und Sparverhalten des Normalbürgers ist die Hausse also spurloser vorbeigegangen als wir das befürchten mussten, weshalb auch in der Baisse die Angst vor den negativen Vermögenseffekten auf den Konsum nicht übertrieben werden sollte. Denn der Hauptteil des Konsums wird durch das verursacht, was zwar schrecklich nach Gewerkschaft und alter SPD klingt, dadurch jedoch nicht falsch wird, - nämlich durch den"Massenkonsum". Und dieser ist viel eher von der Lohnentwicklung als von den Vermögenseffekten abhängig.
Gott sei Dank sind wir also trotz vielfältiger anderer Attitüden in den Medien und in der Werbung anscheinend überall so"proletarisch" geblieben, dass jetzt sogar der Börsianer vom Mann auf der Straße das Sicherheitsnetz gespannt bekommt. Anders sieht es hingegen im Bereich der Güter aus, die nahezu ausschließlich von den hohen Einkommensschichten gekauft werden. Die Vermögenseffekte wirken also nicht wie eine Schrotflinte, sondern eher wie ein gezielter Schuss auf das, was vorher überproportional in die Höhe gestiegen ist. Eine allgemeine Bedrohung unser Wirtschafts- und Börsensituation droht also von dieser (!) Seite nicht.
Doch noch ein Wort zum Schreckensgespenst der niedrigen Sparquote in den USA: Weil sich die Höhe der Ersparnisse statistisch nicht erfassen lässt errechnet sie sich ausschließlich als Restgröße dessen, was im Inland verdient und nicht für Konsum oder Investitionen verausgabt wurde. Es gibt daher grundsätzlich zwei verschiedene Arten einer niedrigen Sparquote: Entweder, die Ersparnisse sind niedrig und die Investitionen sind es auch. Oder aber, die niedrigen Ersparnisse korrespondieren mit hohen Investitionen, wobei die Differenz aus Kapitalimporten gespeist wird. Dies führt zwar zu einer gewissen Abhängigkeit vom Ausland, doch diese ist tatsächlich nur dann tragisch, wenn sie in Fremdwährung besteht.
Innerhalb des Universums statistisch niedriger Sparleistungen leben die USA also in der besten aller Welten. Denn sie haben immerhin eine hohe Investitionsquote, welche sie sich gegen Dollarverbindlichkeiten von den Ausländern finanzieren lassen. So etwas kann sich natürlich nur das Leitwährungsland leisten, wovon die USA denn auch heftigen Gebrauch machen. Den Weltfinanzen droht damit allerdings so lange kein ernsterer Schaden, wie die USA ihre Hegmonialstellung behaupten können.
Ein viel größerer Sprengsatz als die niedrige Sparquote in den USA wäre daher ein selbstbewusster und starker Euro. Bleibt zum Schluss also nur noch die eine Frage: Ist der Euro vielleicht exakt aus diesem Grund so schwach?
Bernd Niquet
15.06.2001
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