| Der derzeitige geldpolitische Kurs der EZB steht nachAnsicht von Bundesbank-Chefvolkswirt Remsperger einer
 Konjunkturerholung in der Eurozone nicht entgegen.
 Das gegenwärtige Zinsniveau bezeichnet er als angemessen.
 
 Der Handelsblatt-Frühindikator für die Eurozone hat im
 Juli von 2,2% auf 1,8% nachgegeben. Gegenüber seinem
 Höchststand im September 2000 bei 3,8% ist diese
 ein Rückgang von zwei vollen Prozentpunkten.
 
 Kuroda (MoF): Es ist wünschenswert, dass sich Wechselkurse
 entsprechend ihrer Fundamentaldaten bewegen.
 Es ist keinesfalls sicher, dass sich die Fundamentaldaten
 Japans mit Umsetzung der Reformen
 verschlechtern werden.
 
 Die Bank von Japan hat in einer einstimmigen Entscheidung
 die Leitzinsen unverändert belassen. Das tägliche
 Guthaben der Geschäftsbanken bleibt bei 5 Bio. JPY.
 
 Die Financial Times veröffentlicht einen Artikel mit dem
 Titel „Awaiting the next Sterling Crisis“ und weist darin
 auf das Risiko einer raschen Abwertung des überbewerteten
 Pfunds hin.
 
 Die australische Notenbank hat offensichtlich erneut zur
 Stützung des Austral-Dollars interveniert.
 
 In den Märkten steigt die Nervosität bezüglich Argentinien. Die Risikoaufschläge auf argentinische
 Staatsanleihen sind auf Niveaus gestiegen, die seit der Russland-Krise nicht mehr erreicht wurden. Höhere
 Zinsniveaus haben die Refinanzierungskosten für Argentinien steigen lassen und der Zugang zu den
 internationalen Kapitalmärkten ist quasi versperrt. Dadurch ist das Risiko der Zahlungsunfähigkeit erheblich
 gestiegen. Am Mittwoch kündigte Finanzminsiter Cavallo ein radikales Sparprogramm an. Gestern berichtete
 das Finanzministerium über Fortschritte bei den Verhandlungen innerhalb der Regierungspartei und des
 Kabinetts. Auch die beiden parlamentarischen Kammern haben inzwischen zugestimmt. Heute stehen noch
 Verhandlungen mit den Provinzregierungen an. Könnte das Sparprogramm in der angekündigten Form
 umgesetzt werden, dürften hiermit die in diesem Jahr auftretenden Fehlbeträge gedeckt werden. Ob sich die
 Märkte hiervon beruhigen lassen, ist äußerst unsicher. Die direktesten Auswirkungen hat die Krisensituation
 natürlich auf die lateinamerikanischen Nachbarländer, vor allem auf Brasilien aber auch auf Chile u.a.
 Etwas weniger ist Mexiko betroffen. Nicht nur die Wechselkurse sondern auch die Zinsniveaus kämen im Fall
 einer Zuspitzung der Lage weiter unter Druck. In Europa sind der polnische Zloty und der ungarische Forint
 am stärksten betroffen, auch wenn EUR-PLN sich gestern auf rund 3,7000 PLN erholen konnte.
 Der Schweizer Franken dürfte als „save haven Währung“ im Falle einer Ausweitung der Krise in den
 Schwellenländern profitieren. Gestern gab EUR-CHF von rund 1,5170 CHF zu Beginn des europäischen
 Handels auf zeitweise unter 1,5100 CHF nach. JPY könnte gegenüber EUR und USD aufwerten. Zum einen
 aufgrund der Auflösung von Short-Positionen zum Ausgleich von Verlusten aus Emerging Markets Währungen,
 zum anderen als Währung mit dem geringsten Risiko in Asien.
 
 Standard&Poor’s haben ihr Länderrating für Argentinien
 von Single-B auf B-Minus herabgestuft und signalisiert,
 dass auch eine weitere Herabstufung auf Junk-Bond-Niveau
 möglich sei.
 [Anm.: Und wieder: NACHDEM es jeder weiß!]
 
 Die USA beobachten nach Aussage von US-Sicherheitsberaterin
 Rice die Situation in Argentinien
 sehr sorgsam. Es müsse internationale Anstrengungen
 zur Überwindung der Krise geben. Die Bereitstellung finanzieller
 Hilfe stehe aber nicht zur Diskussion.
 
 IWF und Weltbank haben Kredite an die Türkei in Höhe
 von 3,2 Mrd. USD freigegeben. Beide Institutionen hatten
 die Auszahlung zunächst auf Eis gelegt, da die Reformen
 im Bankenwesen und die Privatisierung der Turk Telekom
 zu schleppend vorangegangen waren.
 
 
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 Betreff: Interview mit Bundesbank-Chefvolkswirt Hermann Remsperger
 
 Von jüngsten pessimistischen Konjukturprognosen für Deutschland lässt sich
 die Deutsche Bundesbank offenkundig nicht anstecken. Ihr Chefvolkswirt
 Hermann Remsperger machte im Gespräch mit der Börsen-Zeitung deutlich, dass
 er nach wie vor mit einer bis Jahresende einsetzenden Konjunkturerholung
 rechne, weil die Kaufkraft der Verbraucher wieder langsam zunehmen dürfte.
 Bundesfinanzminister Hans Eichel rät Remsperger gegebenenfalls ein leicht
 höheres Defizit hinzunehmen, warnt aber vor Konjunkturprogrammen.
 
 - Die europäische Konjunktur ist im Nachgang der amerikanischen
 eingebrochen. Wurden die Abhängigkeiten, die trotz Euro und Wirtschaftsunion
 weiter vorhanden sind, in letzter Zeit vielleicht sogar stärker geworden
 sind, von den Volkswirten unterschätzt?
 
 Wir haben im internen Prognoseprozess immer wieder davor gewarnt, den
 Einfluss der amerikanischen Konjunktur auf die europäische zu unterschätzen.
 Ich konnte vor diesem Hintergrund überhaupt nicht nachvollziehen, dass
 manche Ã-konomen sogar von einer möglichen Abkopplung sprachen, also von
 einer immer geringeren Abhängigkeit Europas von den USA. Dagegen spricht vor
 allem die zunehmende Globalisierung, die sich auch in einem beträchtlichen
 Strom europäischer Direktinvestitionen in die USA zeigt. Diese Investoren
 sind nun unmittelbar von der Abschlaffung der Konjunktur in den Vereinigten
 Staaten betroffen. Überdies muss man auch die Drittmarkteffekte
 berücksichtigen und darf nicht nur auf den Warenhandel blicken, sondern auch
 auf die Dienstleistungen.
 
 - Hat man nicht auch die Folgen der Teuerung im Nahrungsmittelsektor durch
 die Tierseuchen BSE und MKS unterschätzt, insbesondere die Schwächung der
 Binnennachfrage?
 
 Hier muss ich einräumen, dass auch die Bundesbank die Stärke der
 Preisschocks (Ã-lpreis, Tierkrankheiten) nicht erwartet hat. Und natürlich
 haben diese Preiseffekte die von Ihnen skizzierten realwirtschaftlichen
 Konsequenzen. Nun sind diese dämpfende Faktoren aber eher temporärer Art, so
 dass im zweiten Halbjahr damit zu rechnen ist, dass die Kaufkraft der
 Verbraucher wieder zunimmt. Dann dürften auch die entlastenden Wirkungen der
 Steuerreform zum Tragen kommen, die bislang durch die genannten
 Preiserhöhungen großenteils kompensiert wurden. Immerhin beträgt der
 Entlastungseffekt der Steuerreform für die privaten Haushalte
 schätzungsweise 11/4% ihres verfügbaren Einkommens. Allein die
 Energienachzahlungen in diesem Jahr dürften jedoch ein Drittel dieses
 Effekts aufgezehrt haben. Unsere Hoffnung auf eine Überwindung des
 Konjunkturrückschlags beruht nicht zuletzt auf einer Wiederbelebung des
 amerikanischen Wachstums.
 
 - Wo sehen Sie vor diesem Hintergrund die für das laufende Jahr mögliche
 Wachstumsrate?
 
 Über viele Monate hatte die Bundesbank das deutsche Wachstum zwischen 1,5
 und 2% angesiedelt; und zwar auch schon in einer Zeit, in der noch über die
 2%-Schwelle hinausgehende Prognosen weit verbreitet gehandelt wurden. Wenn
 ich aus der heutigen Perspektive noch eine Bewertung abgeben müsste, würde
 ich dieses Prognoseband nun etwas tiefer hängen. Das aber bedeutet, und das
 muss ich betonen, keine vollkommene Neueinschätzung der Konjunktur und deren
 Perspektiven. Grund für diese Korrektur sind vor allem die enttäuschenden
 Daten für das erste Halbjahr 2001. Nach wie vor halten wir an der
 Einschätzung fest, dass sich die konjunkturelle Lage allmählich verbessern
 wird.
 
 - Und wo liegen die Risiken?
 
 Sollte sich die Aufhellung des internationalen Umfelds verzögern und ziehen
 die Ã-lpreise - möglicherweise wegen starker spekulativer Einflüsse - wieder
 an, so würden wieder Abstriche am Bild der Konjunkturverbesserung notwendig.
 Dies gilt auch, wenn es an den internationalen Finanzmärkten zu stärkeren
 Spannungen käme.
 
 - Was halten Sie von der Nutzung der"automatischen Stabilisatoren" in
 dieser Phase der Konjunktur oder von zinsverbilligten Kreditprogrammen zur
 Ankurbelung der Wirtschaft?
 
 Die Nutzung der automatischen Stabilisatoren ist ein grundsätzlich
 sinnvoller Ansatz, um unerwünschte konjunkturelle Ausschläge zu glätten.
 Nach unseren Untersuchungen sollte man ihre Wirkung aber auch nicht
 überschätzen. Berücksichtigen muss man auch, dass wir in Deutschland noch
 deutlich von einem ausgeglichenen Budget entfernt sind. Die Finanzpolitik
 wirkt in diesem Jahr expansiv. Der IWF geht davon aus, dass sich die
 Defizitquote durch die Nutzung der Stabilisatoren auf 2% erhöhen wird. Wenn
 man jetzt noch zusätzliche Konjunkturprogramme auflegen oder einen Teil der
 Steuerreform vorziehen würde, wäre die Gefahr groß, dass diese Defizitquote,
 die ohnehin über dem im Stabilitätsprogramm der Bundesregierung vereinbarten
 Schwellenwert von 1,5 % liegt, noch darüber hinausgeht. Dies hätte dann
 negative Konsequenzen für den Konsolidierungsprozess in den Ländern der
 Europäischen Union.
 Kurz: Man sollte die automatischen Stabilisatoren wirken lassen und das
 dadurch entstehende etwas höhere Defizit hinnehmen, aber zugleich konsequent
 an der Ausgabenkonsolidierung festhalten. Zusätzliche Maßnahmen könnten
 hingegen letztlich prozyklisch wirken, also gerade dann ihre Effekte
 entfalten, wenn die Konjunktur ohnehin wieder anzieht. Sie sind außerdem mit
 der Gefahr von Mitnahmeeffekten sowie von Fehlallokationen auf den
 Kreditmärkten verbunden. Schließlich sind die monetären Bedingungen in
 Euroland derzeit günstig, so dass sie einer wachstumsgerechten
 Investitionsfinanzierung nicht im Wege stehen.
 
 - Die Prognosen wurden in letzter Zeit oft und markant geändert. Hat dies
 neben konjunkturellen vielleicht auch strukturelle Gründe, die im Wesen der
 Finanzmarktakteure liegen?
 
 Was ich in der Tat beobachte, ist eine gewisse Verhaltensänderung bei
 Prognostikern. Früher neigten sie dazu, ihre Prognosen möglichst selten und
 eher sanft anzupassen. Inzwischen ändern sie ihre Prognosen häufig und -
 wenn nötig - heftig. Das haben wir erlebt bei Banken, bei einigen
 Forschungsinstituten und auch bei öffentlichen Institutionen. Grund dafür
 könnte zum einen die Erfahrung sein, dass man früher eher zu vorsichtig
 adjustierte und daraus nun seine Lehren gezogen hat, zum anderen könnte es
 aber auch am stärkeren Wettbewerb unter den Prognostikern selbst liegen. Bei
 alldem könnte die Bereitschaft zu einem veränderten Prognoseverhalten aber
 auch durch die erhöhte Geschwindigkeit wirtschaftlicher Abläufe beflügelt
 worden sein. Noch ist unklar, wie dieses Verhalten auf die Konjunktur
 zurückwirkt. Wenn viele Prognoseanpassungen nacheinander aus
 unterschiedlichen Quellen über einen langen Zeitraum erfolgen, könnte das
 vielleicht sogar prozyklisch wirken. Damit will ich den Prognostikern um
 Gottes Willen keinen Vorwurf machen. Ich weiß, wie schwer ihr Geschäft ist.
 
 - Nun ist Deutschland wieder einmal das Wachstumsschlusslicht in Europa. Hat
 dies strukturelle Gründe?
 
 Der Rückstand bei den Strukturreformen in Deutschland im Vergleich zu den
 angelsächsischen Ländern kann die schwache Entwicklung im Verhältnis zu den
 anderen Ländern des Eurosystems nicht erklären, auch wenn es natürlich
 genügend Gründe gibt, den Weg der Reformen nicht zu verlassen. Ich erinnere
 hier daran, dass wir vor allem das Potenzialwachstum erhöhen müssen. Und das
 ist durch Reformen auf dem Arbeitsmarkt durchaus möglich.
 Hauptgrund für den Wachstumsrückstand sind meines Erachtens nach wie vor die
 Folgelasten der Wiedervereinigung, die Deutschland zu tragen hat. Dies zeigt
 sich besonders in der Baubranche. Dieser Wirtschaftsbereich bewegt sich nach
 dem auch durch massive fiskalische Anreize unterstützten Boom zu Beginn der
 neunziger Jahre seit einigen Jahren im Rückwärtsgang, was nicht ohne
 Rückwirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität bleiben konnte. Rein
 rechnerisch haben die Bauinvestitionen das Wachstum in Deutschland im
 vergangenen Jahr um 0,3 Prozentpunkte gedämpft. Für dieses Jahr gehen viele
 sogar von einem noch stärkeren negativen Impuls aus. Wenn Sie dies in
 Rechnung stellen, so vermindert sich der Abstand zu anderen Ländern, in
 denen die Bauinvestitionen im Gegensatz zu Deutschland dem normalen
 Bewegungsmuster folgen, doch erheblich.
 
 - Die EZB hat mit ihrer zögerlichen Haltung im Hinblick auf Zinssenkungen
 deutlich gemacht, dass von ihr keine nennenswerten geldpolitischen Impulse
 für die Konjunktur zu erwarten sind. Bedeutet dies, dass bis zum Ende der
 Sommerpause mit einer Fortsetzung der derzeitigen"Politik der ruhigen Hand"
 zu rechnen ist?
 
 Der EZB-Rat hat die Zinsen im Mai gesenkt und damit an den auf mittlere
 Sicht etwas geringeren Inflationsdruck angepasst. Seither sah er keinen
 weiteren Handlungsbedarf. Die Zinsen befinden sich aus heutiger Sicht auf
 einem angemessenen Niveau. Die Finanzierungsbedingungen für Investitionen
 sind günstig. Die Geldpolitik steht einer Konjunkturbelebung nicht im Wege.
 Auf der anderen Seite ist die aktuelle Inflationsrate weiterhin zu hoch,
 auch wenn sie sich zuletzt etwas abgeschwächt hat. Außerdem hat sich das
 Geldmengenwachstum wieder verstärkt. Schließlich tendierte der Wechselkurs
 des Euro bislang weiterhin zur Schwäche, wobei die Erholung in den letzten
 Tagen sehr zu begrüßen ist. Die Lage an den Ã-lmärkten bleibt unsicher. In
 dieser schwierigen Situation ist eine vorsichtige geldpolitische Haltung
 angezeigt. Es dürfen keine Zweifel an der Stabilitätsorientierung des
 EZB-Rats aufkommen. Sonst drohten Zweitrundeneffekte, insbesondere bei den
 Löhnen. Der EZB-Rat wird wie bisher laufend alle neuen Informationen im
 Hinblick darauf prüfen, ob sie eine Neueinschätzung der Lage erfordern.
 
 - Gibt es einen Konsens im EZB-Rat, dass man im Zweifelsfall für die
 Erreichung des Stabilitätsziels notfalls auch Wachstumsverluste in Kauf
 nimmt?
 
 Das Ziel der Preisstabilität dient zugleich dem Wirtschaftswachstum. Gerade
 in diesen Monaten konnten wir doch wieder sehen, wie sehr die Teuerung über
 den Kaufkraftschwund auf dem Wirtschaftswachstum lastet. Dass wir das Ausmaß
 der jüngsten Teuerungswelle letztlich unterschätzt haben, muss uns lehren,
 die kurzfristigen Preisentwicklungen noch genauer zu analysieren. Für die
 längerfristige Analyse ziehen wir natürlich die Geldmengenentwicklung heran.
 
 - Doch gerade hier kann man zu völlig anderen Ergebnissen kommen, als es die
 Preisentwicklung nahe legt. Trauen die Notenbanker etwa der Geldmenge nicht?
 
 In der Tat muss man die Geldmenge sehr genau analysieren und interpretieren.
 Gerade weil das aber so ist, muss man etwa auch sorgfältig überprüfen, warum
 die Geldmenge in den letzten Monaten wieder gestiegen ist. Für mich ist der
 primäre Faktor die Unsicherheit an den Finanzmärkten, die dazu beigetragen
 hat, dass die Wirtschaftsakteure ihr Geld wieder verstärkt am kurzen Ende
 der Märkte geparkt haben.
 
 - Nun hat die Fed eine andere Aufgabenstellung als die EZB. Aber ist der
 allgegenwärtige Optimismus in den USA hinsichtlich der Wirkung von
 Zinssenkungen auf die Konjunktur womöglich auch Ergebnis einer Analyse, dass
 die Geldpolitik - über die Kapitalmärkte - doch viel stärker auf die
 Realwirtschaft wirken kann, als bislang angenommen wurde?
 
 Mir scheint, dass die New Economy auch im Abschwung als eine Art Katalysator
 wirkt. Die Wirtschaftsakteure reagieren sehr schnell, Gewinnwarnungen erhält
 der Markt viel früher als bisher. Deshalb muss sehr rasch gehandelt werden.
 Und wenn es Überkapazitäten gibt wie derzeit in den USA, ist man offenbar
 geneigt, noch aggressiver heranzugehen.
 
 - Sind New-Economy-Effekte auch in Deutschland spürbar?
 
 Im Kern verbinden sich für mich mit dem Stichwort"New Economy" die Umbrüche
 im amerikanischen IT-Sektor, die in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre
 zu einer signifikanten Beschleunigung des amerikanischen
 Produktivitätszuwachses geführt haben. Mancher Beobachter mag gehofft haben,
 dass es sich dabei um eine permanente Verbesserung des Wachstumstempos
 handelt, während es nun doch eher nach einem Niveaueffekt aussieht, dem noch
 Potenzial zugetraut werden kann. In jedem Fall aber haben sich
 Produktivitätszuwächse ergeben, und insofern hat die New Economy eine reale
 Verankerung.
 Im Euroraum und insbesondere in Deutschland ist die Evidenz für die Elemente
 einer New Economy über die letzten Jahre viel weniger ausgeprägt gewesen.
 Insofern ist die Frage zu stellen, warum wir uns so schwer damit tun, eine
 vergleichbare Entwicklung zu entfachen: schließlich sind die IT-Technologien
 prinzipiell weltweit verfügbar. Sicherlich sind die vielfältigen
 Unzulänglichkeiten an den Güter- und Faktormärkten einer raschen Verbreitung
 der New Economy hierzulande nicht förderlich. Insbesondere halte ich es für
 dringend geboten, dass wir unseren Arbeitsmarkt ebenso wie unsere
 Ausbildungssysteme in der Konkurrenz um die besten Köpfe reformieren. Trotz
 bestehender Defizite bleibe ich jedoch optimistisch. Wir wissen aus der
 amerikanischen Erfahrung, dass die umfassende Einführung neuer Technologien
 zunächst mit erheblichen Anpassungskosten verbunden ist. Die
 gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsgewinne stellen sich erst ein, wenn
 eine kritische Masse an IT-Investitionen überschritten ist. Und wir sollten
 schließlich auch nicht übersehen, dass es zumindest in Teilbereichen der
 Wirtschaftspolitik Reformen gegeben hat.
 
 
 
 
 
 
 
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     | Geschrieben von JÜKÜ am 13. Juli 2001 11:26:02:
 
 Betreff: Interview mit Bundesbank-Chefvolkswirt Hermann Remsperger
 
 Von jüngsten pessimistischen Konjukturprognosen für Deutschland lässt sich
 die Deutsche Bundesbank offenkundig nicht anstecken. Ihr Chefvolkswirt
 Hermann Remsperger machte im Gespräch mit der Börsen-Zeitung deutlich, dass
 er nach wie vor mit einer bis Jahresende einsetzenden Konjunkturerholung
 rechne, weil die Kaufkraft der Verbraucher wieder langsam zunehmen dürfte.
 Bundesfinanzminister Hans Eichel rät Remsperger gegebenenfalls ein leicht
 höheres Defizit hinzunehmen, warnt aber vor Konjunkturprogrammen.
 
 - Die europäische Konjunktur ist im Nachgang der amerikanischen
 eingebrochen. Wurden die Abhängigkeiten, die trotz Euro und Wirtschaftsunion
 weiter vorhanden sind, in letzter Zeit vielleicht sogar stärker geworden
 sind, von den Volkswirten unterschätzt?
 
 Wir haben im internen Prognoseprozess immer wieder davor gewarnt, den
 Einfluss der amerikanischen Konjunktur auf die europäische zu unterschätzen.
 Ich konnte vor diesem Hintergrund überhaupt nicht nachvollziehen, dass
 manche Ã-konomen sogar von einer möglichen Abkopplung sprachen, also von
 einer immer geringeren Abhängigkeit Europas von den USA. Dagegen spricht vor
 allem die zunehmende Globalisierung, die sich auch in einem beträchtlichen
 Strom europäischer Direktinvestitionen in die USA zeigt. Diese Investoren
 sind nun unmittelbar von der Abschlaffung der Konjunktur in den Vereinigten
 Staaten betroffen. Überdies muss man auch die Drittmarkteffekte
 berücksichtigen und darf nicht nur auf den Warenhandel blicken, sondern auch
 auf die Dienstleistungen.
 
 - Hat man nicht auch die Folgen der Teuerung im Nahrungsmittelsektor durch
 die Tierseuchen BSE und MKS unterschätzt, insbesondere die Schwächung der
 Binnennachfrage?
 
 Hier muss ich einräumen, dass auch die Bundesbank die Stärke der
 Preisschocks (Ã-lpreis, Tierkrankheiten) nicht erwartet hat. Und natürlich
 haben diese Preiseffekte die von Ihnen skizzierten realwirtschaftlichen
 Konsequenzen. Nun sind diese dämpfende Faktoren aber eher temporärer Art, so
 dass im zweiten Halbjahr damit zu rechnen ist, dass die Kaufkraft der
 Verbraucher wieder zunimmt. Dann dürften auch die entlastenden Wirkungen der
 Steuerreform zum Tragen kommen, die bislang durch die genannten
 Preiserhöhungen großenteils kompensiert wurden. Immerhin beträgt der
 Entlastungseffekt der Steuerreform für die privaten Haushalte
 schätzungsweise 11/4% ihres verfügbaren Einkommens. Allein die
 Energienachzahlungen in diesem Jahr dürften jedoch ein Drittel dieses
 Effekts aufgezehrt haben. Unsere Hoffnung auf eine Überwindung des
 Konjunkturrückschlags beruht nicht zuletzt auf einer Wiederbelebung des
 amerikanischen Wachstums.
 
 - Wo sehen Sie vor diesem Hintergrund die für das laufende Jahr mögliche
 Wachstumsrate?
 
 Über viele Monate hatte die Bundesbank das deutsche Wachstum zwischen 1,5
 und 2% angesiedelt; und zwar auch schon in einer Zeit, in der noch über die
 2%-Schwelle hinausgehende Prognosen weit verbreitet gehandelt wurden. Wenn
 ich aus der heutigen Perspektive noch eine Bewertung abgeben müsste, würde
 ich dieses Prognoseband nun etwas tiefer hängen. Das aber bedeutet, und das
 muss ich betonen, keine vollkommene Neueinschätzung der Konjunktur und deren
 Perspektiven. Grund für diese Korrektur sind vor allem die enttäuschenden
 Daten für das erste Halbjahr 2001. Nach wie vor halten wir an der
 Einschätzung fest, dass sich die konjunkturelle Lage allmählich verbessern
 wird.
 
 - Und wo liegen die Risiken?
 
 Sollte sich die Aufhellung des internationalen Umfelds verzögern und ziehen
 die Ã-lpreise - möglicherweise wegen starker spekulativer Einflüsse - wieder
 an, so würden wieder Abstriche am Bild der Konjunkturverbesserung notwendig.
 Dies gilt auch, wenn es an den internationalen Finanzmärkten zu stärkeren
 Spannungen käme.
 
 - Was halten Sie von der Nutzung der"automatischen Stabilisatoren" in
 dieser Phase der Konjunktur oder von zinsverbilligten Kreditprogrammen zur
 Ankurbelung der Wirtschaft?
 
 Die Nutzung der automatischen Stabilisatoren ist ein grundsätzlich
 sinnvoller Ansatz, um unerwünschte konjunkturelle Ausschläge zu glätten.
 Nach unseren Untersuchungen sollte man ihre Wirkung aber auch nicht
 überschätzen. Berücksichtigen muss man auch, dass wir in Deutschland noch
 deutlich von einem ausgeglichenen Budget entfernt sind. Die Finanzpolitik
 wirkt in diesem Jahr expansiv. Der IWF geht davon aus, dass sich die
 Defizitquote durch die Nutzung der Stabilisatoren auf 2% erhöhen wird. Wenn
 man jetzt noch zusätzliche Konjunkturprogramme auflegen oder einen Teil der
 Steuerreform vorziehen würde, wäre die Gefahr groß, dass diese Defizitquote,
 die ohnehin über dem im Stabilitätsprogramm der Bundesregierung vereinbarten
 Schwellenwert von 1,5 % liegt, noch darüber hinausgeht. Dies hätte dann
 negative Konsequenzen für den Konsolidierungsprozess in den Ländern der
 Europäischen Union.
 Kurz: Man sollte die automatischen Stabilisatoren wirken lassen und das
 dadurch entstehende etwas höhere Defizit hinnehmen, aber zugleich konsequent
 an der Ausgabenkonsolidierung festhalten. Zusätzliche Maßnahmen könnten
 hingegen letztlich prozyklisch wirken, also gerade dann ihre Effekte
 entfalten, wenn die Konjunktur ohnehin wieder anzieht. Sie sind außerdem mit
 der Gefahr von Mitnahmeeffekten sowie von Fehlallokationen auf den
 Kreditmärkten verbunden. Schließlich sind die monetären Bedingungen in
 Euroland derzeit günstig, so dass sie einer wachstumsgerechten
 Investitionsfinanzierung nicht im Wege stehen.
 
 - Die Prognosen wurden in letzter Zeit oft und markant geändert. Hat dies
 neben konjunkturellen vielleicht auch strukturelle Gründe, die im Wesen der
 Finanzmarktakteure liegen?
 
 Was ich in der Tat beobachte, ist eine gewisse Verhaltensänderung bei
 Prognostikern. Früher neigten sie dazu, ihre Prognosen möglichst selten und
 eher sanft anzupassen. Inzwischen ändern sie ihre Prognosen häufig und -
 wenn nötig - heftig. Das haben wir erlebt bei Banken, bei einigen
 Forschungsinstituten und auch bei öffentlichen Institutionen. Grund dafür
 könnte zum einen die Erfahrung sein, dass man früher eher zu vorsichtig
 adjustierte und daraus nun seine Lehren gezogen hat, zum anderen könnte es
 aber auch am stärkeren Wettbewerb unter den Prognostikern selbst liegen. Bei
 alldem könnte die Bereitschaft zu einem veränderten Prognoseverhalten aber
 auch durch die erhöhte Geschwindigkeit wirtschaftlicher Abläufe beflügelt
 worden sein. Noch ist unklar, wie dieses Verhalten auf die Konjunktur
 zurückwirkt. Wenn viele Prognoseanpassungen nacheinander aus
 unterschiedlichen Quellen über einen langen Zeitraum erfolgen, könnte das
 vielleicht sogar prozyklisch wirken. Damit will ich den Prognostikern um
 Gottes Willen keinen Vorwurf machen. Ich weiß, wie schwer ihr Geschäft ist.
 
 - Nun ist Deutschland wieder einmal das Wachstumsschlusslicht in Europa. Hat
 dies strukturelle Gründe?
 
 Der Rückstand bei den Strukturreformen in Deutschland im Vergleich zu den
 angelsächsischen Ländern kann die schwache Entwicklung im Verhältnis zu den
 anderen Ländern des Eurosystems nicht erklären, auch wenn es natürlich
 genügend Gründe gibt, den Weg der Reformen nicht zu verlassen. Ich erinnere
 hier daran, dass wir vor allem das Potenzialwachstum erhöhen müssen. Und das
 ist durch Reformen auf dem Arbeitsmarkt durchaus möglich.
 Hauptgrund für den Wachstumsrückstand sind meines Erachtens nach wie vor die
 Folgelasten der Wiedervereinigung, die Deutschland zu tragen hat. Dies zeigt
 sich besonders in der Baubranche. Dieser Wirtschaftsbereich bewegt sich nach
 dem auch durch massive fiskalische Anreize unterstützten Boom zu Beginn der
 neunziger Jahre seit einigen Jahren im Rückwärtsgang, was nicht ohne
 Rückwirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität bleiben konnte. Rein
 rechnerisch haben die Bauinvestitionen das Wachstum in Deutschland im
 vergangenen Jahr um 0,3 Prozentpunkte gedämpft. Für dieses Jahr gehen viele
 sogar von einem noch stärkeren negativen Impuls aus. Wenn Sie dies in
 Rechnung stellen, so vermindert sich der Abstand zu anderen Ländern, in
 denen die Bauinvestitionen im Gegensatz zu Deutschland dem normalen
 Bewegungsmuster folgen, doch erheblich.
 
 - Die EZB hat mit ihrer zögerlichen Haltung im Hinblick auf Zinssenkungen
 deutlich gemacht, dass von ihr keine nennenswerten geldpolitischen Impulse
 für die Konjunktur zu erwarten sind. Bedeutet dies, dass bis zum Ende der
 Sommerpause mit einer Fortsetzung der derzeitigen"Politik der ruhigen Hand"
 zu rechnen ist?
 
 Der EZB-Rat hat die Zinsen im Mai gesenkt und damit an den auf mittlere
 Sicht etwas geringeren Inflationsdruck angepasst. Seither sah er keinen
 weiteren Handlungsbedarf. Die Zinsen befinden sich aus heutiger Sicht auf
 einem angemessenen Niveau. Die Finanzierungsbedingungen für Investitionen
 sind günstig. Die Geldpolitik steht einer Konjunkturbelebung nicht im Wege.
 Auf der anderen Seite ist die aktuelle Inflationsrate weiterhin zu hoch,
 auch wenn sie sich zuletzt etwas abgeschwächt hat. Außerdem hat sich das
 Geldmengenwachstum wieder verstärkt. Schließlich tendierte der Wechselkurs
 des Euro bislang weiterhin zur Schwäche, wobei die Erholung in den letzten
 Tagen sehr zu begrüßen ist. Die Lage an den Ã-lmärkten bleibt unsicher. In
 dieser schwierigen Situation ist eine vorsichtige geldpolitische Haltung
 angezeigt. Es dürfen keine Zweifel an der Stabilitätsorientierung des
 EZB-Rats aufkommen. Sonst drohten Zweitrundeneffekte, insbesondere bei den
 Löhnen. Der EZB-Rat wird wie bisher laufend alle neuen Informationen im
 Hinblick darauf prüfen, ob sie eine Neueinschätzung der Lage erfordern.
 
 - Gibt es einen Konsens im EZB-Rat, dass man im Zweifelsfall für die
 Erreichung des Stabilitätsziels notfalls auch Wachstumsverluste in Kauf
 nimmt?
 
 Das Ziel der Preisstabilität dient zugleich dem Wirtschaftswachstum. Gerade
 in diesen Monaten konnten wir doch wieder sehen, wie sehr die Teuerung über
 den Kaufkraftschwund auf dem Wirtschaftswachstum lastet. Dass wir das Ausmaß
 der jüngsten Teuerungswelle letztlich unterschätzt haben, muss uns lehren,
 die kurzfristigen Preisentwicklungen noch genauer zu analysieren. Für die
 längerfristige Analyse ziehen wir natürlich die Geldmengenentwicklung heran.
 
 - Doch gerade hier kann man zu völlig anderen Ergebnissen kommen, als es die
 Preisentwicklung nahe legt. Trauen die Notenbanker etwa der Geldmenge nicht?
 
 In der Tat muss man die Geldmenge sehr genau analysieren und interpretieren.
 Gerade weil das aber so ist, muss man etwa auch sorgfältig überprüfen, warum
 die Geldmenge in den letzten Monaten wieder gestiegen ist. Für mich ist der
 primäre Faktor die Unsicherheit an den Finanzmärkten, die dazu beigetragen
 hat, dass die Wirtschaftsakteure ihr Geld wieder verstärkt am kurzen Ende
 der Märkte geparkt haben.
 
 - Nun hat die Fed eine andere Aufgabenstellung als die EZB. Aber ist der
 allgegenwärtige Optimismus in den USA hinsichtlich der Wirkung von
 Zinssenkungen auf die Konjunktur womöglich auch Ergebnis einer Analyse, dass
 die Geldpolitik - über die Kapitalmärkte - doch viel stärker auf die
 Realwirtschaft wirken kann, als bislang angenommen wurde?
 
 Mir scheint, dass die New Economy auch im Abschwung als eine Art Katalysator
 wirkt. Die Wirtschaftsakteure reagieren sehr schnell, Gewinnwarnungen erhält
 der Markt viel früher als bisher. Deshalb muss sehr rasch gehandelt werden.
 Und wenn es Überkapazitäten gibt wie derzeit in den USA, ist man offenbar
 geneigt, noch aggressiver heranzugehen.
 
 - Sind New-Economy-Effekte auch in Deutschland spürbar?
 
 Im Kern verbinden sich für mich mit dem Stichwort"New Economy" die Umbrüche
 im amerikanischen IT-Sektor, die in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre
 zu einer signifikanten Beschleunigung des amerikanischen
 Produktivitätszuwachses geführt haben. Mancher Beobachter mag gehofft haben,
 dass es sich dabei um eine permanente Verbesserung des Wachstumstempos
 handelt, während es nun doch eher nach einem Niveaueffekt aussieht, dem noch
 Potenzial zugetraut werden kann. In jedem Fall aber haben sich
 Produktivitätszuwächse ergeben, und insofern hat die New Economy eine reale
 Verankerung.
 Im Euroraum und insbesondere in Deutschland ist die Evidenz für die Elemente
 einer New Economy über die letzten Jahre viel weniger ausgeprägt gewesen.
 Insofern ist die Frage zu stellen, warum wir uns so schwer damit tun, eine
 vergleichbare Entwicklung zu entfachen: schließlich sind die IT-Technologien
 prinzipiell weltweit verfügbar. Sicherlich sind die vielfältigen
 Unzulänglichkeiten an den Güter- und Faktormärkten einer raschen Verbreitung
 der New Economy hierzulande nicht förderlich. Insbesondere halte ich es für
 dringend geboten, dass wir unseren Arbeitsmarkt ebenso wie unsere
 Ausbildungssysteme in der Konkurrenz um die besten Köpfe reformieren. Trotz
 bestehender Defizite bleibe ich jedoch optimistisch. Wir wissen aus der
 amerikanischen Erfahrung, dass die umfassende Einführung neuer Technologien
 zunächst mit erheblichen Anpassungskosten verbunden ist. Die
 gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsgewinne stellen sich erst ein, wenn
 eine kritische Masse an IT-Investitionen überschritten ist. Und wir sollten
 schließlich auch nicht übersehen, dass es zumindest in Teilbereichen der
 Wirtschaftspolitik Reformen gegeben hat.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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