Zu den Diskussionpraktiken von Dottore, paßt ein guter Text, den jemand hier ins Forum geschrieben hatte:
Der Fehlredner
Der Fehlredner sucht zum Reden Leute aus, die nicht wissen, wovon er redet. Er kennt den ratlosen Blick, das hilflose Blinzeln, wenn er jemanden anspricht, und wenn es nur hilflos genug ist, wirft er sich in seiner Rede. Da fliegen ihm die Einfälle nur so zu, Argumente, auf die er sonst nicht verfiele, stehen ihm in Hülle und Fülle zur Verfügung; er fühlt, wie er alles verwirren kann, bis zur dunkelsten Begeisterung steigert er sich, rings um ihn orakelt die Atmosphäre.
Aber wehe, wenn es über das Gesicht des Angesprochenen zuvkt wie plötzliche Einsicht, wie Verständnis -dann sackt der Fehlredner in sich zusammen, verheddert sich, stottert, stockt, probiert es mit peinlichster Verlegenheit noch einmal, und wenn er merkt, daß es alles umsonst ist, daß der andere versteht und entschlossen ist, auf seinem Verständnins zu beharren, gibt er's auf, verstummt und wendet sich brüsk ab.
Solche Niederlagen sind aber nicht häufig. Meist gelingt es dem Fehlredner, unverstanden zu bleiben. Er hat Erfahrung und sucht sich die Leute aus, er wendet sich nicht an jeden. Er kennt diese Sorte, die auf alles eingeht. Als ob jemand ahnen könnte, wovon er zu sprechen gedenkt! Er weiß es selber nicht vorher; nirgends, auch in den Sternen nicht, steht geschrieben, was er sagen wird, wie soll es ein anderer wissen? Der Fehlredner ahnt, daß Inspiration blind ist. Nur am Nichts sei es ihr gestattet, sich zu entzünden. Leicht wäre es, von den Verirrungen auszugehen, in denen niedere Naturen sich gefallen. Er trägt die Welt als Chaos in sich. Ihm ist das Chaos eingeboren, in hundert Jahren erwählt es sich einen Träger: ihn.
Man könnte meinen, es wäre das Erhabenste für ihn, das Chaos mit sich selber auszumachen. Man stellt sich den Fehlredner vor, wie er nur zu sich allein spricht. Aber das ist ein unverzeihlicher Irrtum. Der Fehlredner vermag es nur, sich an der Verstocktheit anderer zu entfachen. In dieser dichtbevölkerten Stadt geht er auf und ab und im Kreis herum, bleibt vor diesem stehen oder jenem, wirft einen nichtssagenden Köder aus, beobachtet seine Wirkung, und nur wenn er die Ratlosigkeit gewahrt, die er sich wünscht, legt er los und erhebt sich zu seinem Chaos.
aus"Der Ohrenzeuge" von Elias Canetti.
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