Bodo
17.10.2001, 17:17 |
Krise in Argentinien und Brasilien außer Kontrolle Thread gesperrt |
Trotz des 40-Mrd.$-Rettungspakets des IWF vom Dezember, der 30-Mrd.$-Vereinbarung mit den ausländischen Banken vom Juni, und weiterer 8 Mrd.$ vom IWF im August ist ein Staatsbankrott Argentiniens unvermeidlich - die Frage ist nur, wann er offiziell verkündet wird. Direkt nach den Wahlen am 14.10., oder werden IWF und Bush Regierung eine weitere Rettungsaktion unternehmen, um den Berg unbezahlbarer Schulden Lateinamerikas noch einmal für einige Wochen vor dem Einsturz zu bewahren?
Infolge der drakonischen (IWF-)Austeritätsmaßnahmen verschärft sich die Wirtschaftsdepression täglich. Im September sank die Autoproduktion auf 47% des Vorjahresniveaus; die Importe fielen gegenüber August um 21%, die Steuereinnahmen um 14%. Wirtschaftsminister Cavallo kündigte noch radikalere Sparmaßnahmen an und erklärte:"Wir sind in einer Wirtschaftsdepression, die immer schlimmer wird"; zu den Budgetkürzungen gebe es"keine Alternative". Da die Schulden jedoch von einer schrumpfenden Wirtschaft beglichen werden müssen, gibt es auch"keine Alternative" zum bevorstehenden Staatsbankrott.
Dies blieb den internationalen Investoren nicht verborgen, die Argentiniens Staatsanleihen schon jetzt zu 50% des Nennwerts oder weniger handeln. Am 9.10. senkte Standard & Poors die Kreditwürdigkeit der argentinischen Staatsschulden auf"CCC+", was die"Risiko-Prämie" noch weiter in die Höhe treibt; allein seit dem 11.9. stieg Argentiniens"Risikoprämie" um 390 auf jetzt 1900 Basispunkte - d.h. 19%! Moody's hatte die Kreditwürdigkeit des Landes am 12.10. bereits zum viertenmal in 2001 gesenkt, so daß sie nun geringer ist als die irgendeines anderen Landes.
Auch die Angst vor einen Staatsbankrott Brasiliens, dessen Risikoprämie im gleichen Zeitraum um 284 Basispunkte stieg, ist stark gewachsen. Trotz verzweifelter Versuche konnte die Zentralbank den freien Fall des Real, der seit Jahresbeginn 30% an Wert verloren hat, nicht stoppen. Brasilien gibt seit kurzem große Mengen an (Dollar-)Bonds aus, was die Schulden mit jeder weiteren Real-Abwertung automatisch vergrößert.
Die Auslandsschulden der drei größten Volkswirtschaften Lateinamerikas - Brasilien, Argentinien und Mexiko - sind zusammen groß genug, um das Bankensystem der USA, Japans und Europas zu sprengen. Neben den offiziellen Auslandsschulden von 147 Mrd.$ hat Argentinien weitere 65 Mrd.$ an (Dollar-) Inlandsschulden und ausländischen Portfolio-Investitionen - die Auslandsverpflichtungen belaufen sich insgesamt auf 212 Mrd.$. Brasiliens Auslandsschulden stehen offiziell bei 243 Mrd.$, die (Dollar-)Inlandsschulden und ausländischen Portfolio-Investitionen betragen weitere 230 Mrd.$, zusammen also 473 Mrd.$.
Mexikos Gesamtverbindlichkeiten gegenüber dem Ausland betragen 217 Mrd.$, davon sind 167 Mrd.$ offizielle Auslandsschulden. Die gesamten Auslandsverbindlichkeiten der drei Länder addieren sich also zu einer tickenden Zeitbombe von über 900 Mrd. $.
<ul> ~ www.eirna.com</ul>
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Cosa
17.10.2001, 17:52
@ Bodo
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Re: Laienfrage |
Hi!
Danke für den Text. Beim Lesen versuchte ich mir vorzustellen wie es eigentlich aussieht, wenn ein Staat seine Zahlungsunfähigkeit erklärt. Eine Firma geht zum Amtsgericht und meldet Insolvenz an und verschwindet zumeist oder wird zerhackstückt und verkauft. Aber all das geht ja mit einem Staat nicht. Werden die Staatsanleihen einfach gestrichen und Anleger schauen in die Röhre?
Also, Laienfrage, wie kann ich mir das Szenario vorstellen?
schöne Grüsse
Cosa
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dottore
17.10.2001, 19:12
@ Cosa
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Re: Laienfrage |
>Hi!
>Danke für den Text. Beim Lesen versuchte ich mir vorzustellen wie es eigentlich aussieht, wenn ein Staat seine Zahlungsunfähigkeit erklärt. Eine Firma geht zum Amtsgericht und meldet Insolvenz an und verschwindet zumeist oder wird zerhackstückt und verkauft. Aber all das geht ja mit einem Staat nicht. Werden die Staatsanleihen einfach gestrichen und Anleger schauen in die Röhre?
Einfach gestrichen? Nein, niemals. Das wäre quasi der Gesamtbankrott aller Staaten.
So ging's bisher und geht's vermutlich auch dieses Mal:
Inlandsschulden (also lautend auf eigene Währung). Werden gestretcht à la Japan (Banken nehmen die Bonds zu 1,25 und geben an die BoJ 0,25"zurück", ist wie ein Regelkreis, hat überhaupt nichts mehr mit der übrigen Wirtschaft zu tun) oder mit immer kürzerfristigen Schuldtiteln am Leben gehalten.
Folge: Rating sinkt auf Dauer (Downgrading) und damit
fällt der Kurs und die Rendite steigt.
Es kann auch solo zum Kursverfall kommen, weil die Leute solche Papiere nicht mehr anfassen. Ginge dann ähnlich Kursverfall bei T-Anleihen oder Swissair-Bonds. Damit sind neue Anleihen immer schwerer unterzubringen (Rendite riesig, ergo Coupons für Neuemmisonen auch riesig oder die Titel werden gleich zu weit unter pari platziert).
Fall also: 100 - 80 - 60 - 30 - 10. Dt. Reich kriegte 1930 ff. nur noch Titel (6-Prozenter) zu um die 50-60 los.
Sind's Auslandsanleihen springt entweder zunächst der IWF ein, oder man lässt die Dinge laufen. Gleicher Kursverfall, weil Bonität immer schlechter (Türkei, Argentinien usw. aktuell).
Dann kann der Staat die Titel evtl. sogar günstig zurückkaufen, falls er Auslandsgeld (Devisen) auftreibt.
So hat sich Bolivien in den 80ern genial entschuldet (gg.über Ausland). Titel zu 14 - 16 % zurückgekauft. Im Inland ließ man die Dinge via Hyperinflation auslaufen. In der Währungsrefrom wurden dann die üblichen Mini-Umstellungen (weiß jetzt nicht, in welchem Verhältnis, schätze aber auch so 10: 1).
>Also, Laienfrage, wie kann ich mir das Szenario vorstellen?
Das direkte Erklären von Insolvenz geht als Szenario nicht! Es gibt zwar im öffentlichen Recht auch der BRD den Zwang für überschuldete Kommunen (Landkreise, Länder), Insolvenz zu erklären, was in einigen Fällen auch durchgezogen wurde (einige Beispiele auch in den Neuen Ländern, vergessen welche).
Insolvente Bundesländer, die schon jenseits der Illiquidität sind (Saar, Bremen, Berlin) leben vom Bund, der sie über Wasser hält. Außerdem"Finanzausgleich" zwischen den Ländern.
Und letztlich kann niemand (Privatperson) gegen den Staat Konkursantrag stellen, das Insolvenzverfahren muss von Aufsichtsbehörden (also Gemeinde - Landkreis, Landkreis - Land) eingeleitet werden.
Wäre bei der BRD wer? Niemand.
Besten Gruss
d.
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Cosa
17.10.2001, 23:58
@ dottore
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Re: Vielen Dank, dottore! owT herzliche Grüsse |
>>Hi!
>>Danke für den Text. Beim Lesen versuchte ich mir vorzustellen wie es eigentlich aussieht, wenn ein Staat seine Zahlungsunfähigkeit erklärt. Eine Firma geht zum Amtsgericht und meldet Insolvenz an und verschwindet zumeist oder wird zerhackstückt und verkauft. Aber all das geht ja mit einem Staat nicht. Werden die Staatsanleihen einfach gestrichen und Anleger schauen in die Röhre?
>Einfach gestrichen? Nein, niemals. Das wäre quasi der Gesamtbankrott aller Staaten.
>So ging's bisher und geht's vermutlich auch dieses Mal:
>Inlandsschulden (also lautend auf eigene Währung). Werden gestretcht à la Japan (Banken nehmen die Bonds zu 1,25 und geben an die BoJ 0,25"zurück", ist wie ein Regelkreis, hat überhaupt nichts mehr mit der übrigen Wirtschaft zu tun) oder mit immer kürzerfristigen Schuldtiteln am Leben gehalten.
>Folge: Rating sinkt auf Dauer (Downgrading) und damit
>fällt der Kurs und die Rendite steigt.
>Es kann auch solo zum Kursverfall kommen, weil die Leute solche Papiere nicht mehr anfassen. Ginge dann ähnlich Kursverfall bei T-Anleihen oder Swissair-Bonds. Damit sind neue Anleihen immer schwerer unterzubringen (Rendite riesig, ergo Coupons für Neuemmisonen auch riesig oder die Titel werden gleich zu weit unter pari platziert).
>Fall also: 100 - 80 - 60 - 30 - 10. Dt. Reich kriegte 1930 ff. nur noch Titel (6-Prozenter) zu um die 50-60 los.
>Sind's Auslandsanleihen springt entweder zunächst der IWF ein, oder man lässt die Dinge laufen. Gleicher Kursverfall, weil Bonität immer schlechter (Türkei, Argentinien usw. aktuell).
>Dann kann der Staat die Titel evtl. sogar günstig zurückkaufen, falls er Auslandsgeld (Devisen) auftreibt.
>So hat sich Bolivien in den 80ern genial entschuldet (gg.über Ausland). Titel zu 14 - 16 % zurückgekauft. Im Inland ließ man die Dinge via Hyperinflation auslaufen. In der Währungsrefrom wurden dann die üblichen Mini-Umstellungen (weiß jetzt nicht, in welchem Verhältnis, schätze aber auch so 10: 1).
>>Also, Laienfrage, wie kann ich mir das Szenario vorstellen?
>Das direkte Erklären von Insolvenz geht als Szenario nicht! Es gibt zwar im öffentlichen Recht auch der BRD den Zwang für überschuldete Kommunen (Landkreise, Länder), Insolvenz zu erklären, was in einigen Fällen auch durchgezogen wurde (einige Beispiele auch in den Neuen Ländern, vergessen welche).
>Insolvente Bundesländer, die schon jenseits der Illiquidität sind (Saar, Bremen, Berlin) leben vom Bund, der sie über Wasser hält. Außerdem"Finanzausgleich" zwischen den Ländern.
>Und letztlich kann niemand (Privatperson) gegen den Staat Konkursantrag stellen, das Insolvenzverfahren muss von Aufsichtsbehörden (also Gemeinde - Landkreis, Landkreis - Land) eingeleitet werden.
>Wäre bei der BRD wer? Niemand.
>Besten Gruss
>d.
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