Insolvenz und Inkompetenz:
Quo vadis, Argentinien?
Das ruinierte Finanzgefüge Argentiniens entwickelte sich in den vergangenen
Wochen zu einer vielköpfigen Hydra - damit erreichte die Selbstzerstörung
des Staates ein fast unkontrolliertes Ausmaß. Auf der einen Seite ist
Argentinien ohne die Finanzspritze des Internationalen Währungsfonds (IWF)
nicht mehr lebensfähig; auf der anderen Seite scheinen sich die
Anstrengungen der gesamten politischen Elite zu einem skurrilen
Vabanque-Spiel zu entwickeln, welches nur dazu führt, die Agonie zu
verlängern. Nach den massiven Protesten und Plünderungen, zeigen die
Argentinier weiterhin Misstrauen. In einer Mischung aus Wut, Enttäuschung
und Aufflammen des Widerstandes fragen sie sich zähneknirschend, ob
Insolvenz und Inkompetenz überhaupt abzuwenden sind...
Als letzte Rettungsaktion im Kampf um ihre Zahlungsfähigkeit übernahm das
allmächtige Wirtschaftsministerium De la Rúas die Administration von rund
3,5 Milliarden US-Dollar der privaten Pensionskassen (AFJP) und setzte
zugleich ein hartes Stabilisierungsprogramm durch. Dieses sah eine
drastische Begrenzung der Barabhebungen vor, um den Liquiditätsverlust der
Banken zu stoppen. Daneben wurde der Geldtransfer ins Ausland strikten
Kontrollen unterworfen; Reisende durften nicht mehr unbegrenzt Bargeld
ausführen. Damit sollte verhindert werden, dass die angeschlagenen
Argentinier weiterhin Geld in die Koffer packen, um es u.a. im benachbarten
Uruguay auf Konten einzuzahlen. Zu Hause sollten die Argentinier sich daran
gewöhnen, Schecks auszustellen und Kreditkarten zu benutzen.
Die zugespitzte Lage bewegte Tausende von verarmten Argentiniern vor allem
der Mittelklasse zu gewalttätigen Protesten, die sich wie ein Buschfeuer
auf das sonst pulsierende Zentrum der Hauptstadt ausbreiteten. Die
Demonstranten erstellten ganz spontan Straßenbarrikaden aus brennenden
Autoreifen:"Wir haben Hunger, wir wollen essen!".
Experten stimmten darin überein, dass das Land auch nach diesen extremen
Maßnahmen nicht mehr für seine Schulden in Höhe von 132 Milliarden Dollar
aufkommen konnte. Aus diesem Grund legten IWF und Weltbank eine wichtige
Kredittranche von 1,3 Mrd. US-Dollar auf Eis: Die Regierung bekam die Lage
nicht mehr in den Griff, Tatsache, die in dem Rücktritt De la Rúas
gipfelte: Das ist somit bereits das fünfte Mal, dass ein Präsident aus den
Reihen der Radikalen vorzeitig aus dem Amt ausscheidet.
Nach der Ernennung von Adolfo RodrÃguez Saá als Präsident auf 90 Tage,
lautet die Frage nun, ob die ersten Lockerungsmaßnahmen des erfahrenen
peronistischen Politikers - die allerdings weiterhin auf dem paritätischen
Wechselkurs bestehen - tatsächlich Wirkung zeigen werden. Argentiniens
Übergangspräsident hat zunächst die Aussetzung der Schulden angekündigt. Zu
seinem Wirtschaftsprogramm gehört die Einführung einer neuen, dritten
Währung, die nach Angaben des Tourismus-Ministers Daniel Scioli"Argentino"
heißen wird. Sie soll bisherige Schuldverschreibungen der
Provinzregierungen ersetzen und bereits Mitte Januar in Umlauf sein.
Experten vertreten allerdings die Meinung, dass eine neue Währung die
Beziehungen Argentiniens zum IWF nur noch mehr belasten würde. Für die
meisten Ã-konomen ist die Abwertung des umlaufenden Peso der einzig richtige
Anfang, um die Glaubwürdigkeit zurückzuerobern - eine Maßnahme, die jedoch
die Argentinier zwingen würde, erneut den Gürtel enger zu schnallen. Der
IWF-Wirtschaftsspezialist Kenneth Rogoff betonte, dass die Mischung aus
Steuerpolitik, Schulden und Wechselkurs eindeutig nicht tragbar sei."Die
Beziehungen zum IWF sind zunächst mehr oder weniger abgebrochen", stellte
Mike Noone von der West LB in London fest, und fügte hinzu:"Ich glaube
nicht, dass der IWF einer neuen Währung seinen Segen geben wird".
Auch Argentiniens Gläubiger haben bereits erklärt, dass sie eine Umwandlung
der in Dollar notierten Schulden in eine andere Währung nicht akzeptieren
werden. Unterdessen reagierten die Argentinier gegenüber der Einführung
einer neuen Währung skeptisch, denn sie sehen darin die Gefahr, dass sich
die bestehende Banknoten-Anarchie nur noch verschlimmern wird.
Derzeit erlebt das Land eine Explosion von Regionalwährungen, was einem
monetarischen Chaos gleichkommt. Parallel zu Dollar und Peso sind dreizehn
(!) Nebenwährungen im Umlauf, deren Emission unmittelbar von den
Provinzregierungen abhängt. Diese Pseudo-Währungen, die eigentlich
Schuldscheine sind, werden von der Bevölkerung als Tauschmittel benutzt.
Provinzbehörden wenden sie sogar als Zahlungsmittel im öffentlichen Dienst
an. Alle leiden jedoch an täglicher Abwertung, was die Kaufkraft der
Normalverbraucher negativ beeinflusst. Das erklärt teilweise auch, warum
der Tauschhandel im ganzen Land zu blühen beginnt. Waren im Wert von rund
500 Mio. US-Dollar wechseln jährlich ihren Besitzer, ohne dass ein einziger
Peso gezahlt wird. Und im ganzen Land gibt es bereits 800 Tauschclubs, die
eine halbe Million Mitglieder zählen.
Mittlerweile herrscht in Argentinien Untergangsstimmung. Die Depression
gehört nun zum Alltag des einstigen IWF-Musterschülers. In Cafés und auf
den Straßen sprechen die Argentinier nicht mehr über das Nationalthema
Fußball - sogar das Finale des Mercosur-Coup wurde verpatzt. Die
Diskussionen kreisen nur noch um Themen wie Deflation und Konvertibilität,
um Dollarisierung und Rezession.
Wie stark die Risikoprämie argentinischer Anleihen gegenüber US-Titeln
ansteigt, verfolgt man wie die tägliche Wettervorhersage. In den letzten
Tagen kletterte der Renditeabstand z.B. auf einen Rekordwert von mehr als
5.300 Basispunkten. Zum Vergleich: Bevor Moskau 1998 schließlich den
Bankrott erklärte, stiegen die russischen Basispunkte auf 6.890 an.
Aber nicht nur wirtschaftliche, auch politische Auswirkungen spürt man in
Argentinien: Die Parteien werden längst nicht mehr als Entscheidungsträger
empfunden und verlieren immer mehr an Glaubwürdigkeit. Andererseits war der
zurückgetretene Staatschef in den letzten Monaten immer mehr zur
Spott-Figur der Nation geworden, was nicht zuletzt half, das
Regierungs-Debakel herbeizuführen. Mitten in diesem Wirrwarr versuchte der
"alte Fuchs" der transandinischen Politik, Parteiführer der Peronisten und
ehemaliger zweifacher Präsident Carlos Menem, Wasser auf seine Mühlen zu
leiten. Erst trachtete er, der maroden De la Rúa-Administration bei der
Vollendung ihrer vierjährigen Amtsperiode nachzuhelfen. Kurz nach deren
Sturz bemühte er sich dann, den Verbleib des Interimspräsidenten Ramón
Puerta zu forcieren, denn nur nach der Beendigung der anlaufenden
Präsidentschaftsperiode - also in zwei Jahren - darf der 71-jährige Riojano
wieder kandidieren.
Im Lager der Peronisten entflammte in diesen Tagen ein erbitterter
Machtkampf zwischen dem Provinz-Fürsten Ruckauf, De la Sota, Reuteman und
dem designierten Adolfo RodrÃguez Saá. Anfang März sollen
Präsidentschaftswahlen stattfinden und jeder wünscht für sich das Amt.
RodrÃguez Saá - bisher enger Verbündeter Menems - war 18 Jahre lang
Gouverneur der mittelargentinischen Provinz San Luis. Im Gegensatz zu dem
kühlen und abwesenden De la Rúa ist der neue Regierungschef bekannt für
seine vehement vorgetragenen Reden. Der Vollblutpolitiker wurde, dank eines
von ihm gepflegten Personenkults, ab 1973 als Abgeordneter stets
wiedergewählt. Seine Amtsführung in der abgelegenen Provinz gilt als
polemisch: 1993 wurde er sogar Opfer einer Erpressung seitens seiner
Pressereferentin, nachdem intime Video-Bilder von beiden in einem
Stundenhotel bekannt wurden. Wegen dieser"Unbequemlichkeit" (so RodrÃguez
Saá) beschloss er, gemeinsam mit seinem Bruder Alberto, gewaltige
Investitionen in die Medien vorzunehmen. Beide besitzen nun die
auflagenstärkste Zeitung der Provinz und stiegen zum Anteilseigner der auf
regionaler Ebene wichtigsten Radio- und TV-Sendestationen auf. In seiner
Provinz trieb er ebenfalls millionenschwere Staatsinvestitionen in
Autobahnen, Brücken, Staudämme und Sozialwohnungen voran. Bei einem Besuch
in Chile 1999 als Begleiter seines Freundes Carlos Menem empfing der
charmante Caudillo aus San Luis das Verdienstkreuz. Die Frage bleibt nun
offen, ob die schillernde Persönlichkeit RodrÃguez Saá in der Lage ist, in
Argentinien"den Karren noch einmal aus dem Dreck" zu ziehen.
Iván Witker
Quelle:
CONDOR
Deutsch-Chilenische Wochenzeitung in deutscher Sprache
Santiago de Chile
Ausgabe Nr. 3480 vom 28. Dezember
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<td>Donnerstag 27. Dezember 2001, 06:50 Uhr
<font size=5>Argentinien will sich mit neuer Währung vom Dollar lösen</font>
Buenos Aires, 27. Dez (Reuters) - Argentinien will mit der Einführung der neuen Währung"Argentino" nach Angaben des neuen Finanzoberhaupts Rodolfo Frigeri den Ausstieg aus dem System der Bindung der bisherigen Landeswährung Peso an den Dollar bewältigen. Mit der weiteren Währung werde das Land den geordneten Ausstieg aus der jahrzehntelangen Bindung des Peso an den Dollar schaffen, sagte Frigeri am Mittwoch in einem Zeitungsinterview."Wir können nicht ausschließen, dass die (neue Währung) mit der Zeit an Wert verliert", fügte er hinzu. Frigeri zufolge soll die neue Währung Anfang Januar herausgegeben werden, obwohl es Probleme mit der Kapazität beim Druck der neuen Noten gebe.
Mit der Einführung einer dritten Währung will die argentinische Übergangsregierung eine Abwertung der derzeitigen Landeswährung Peso vermeiden, die bei der bloßen Abkopplung des Peso vom Dollar zu befürchten wäre. Millionen von Argentiniern, die in Dollar verschuldet sind, würden bei einer Abwertung in den Bankrott getrieben werden. Den neuen"Argentino" werde man nicht in Peso umtauschen können, kündigte Friegeri weiter an. Die Ausgabemenge der neuen Währung stehe noch nicht fest."In jedem Fall wird es eine schrittweise Einführung geben (...). Wir werden in dem gesamten Prozess sehr behutsam vorgehen", sagte Frigeri. Der Plan sei, dass alle Dinge, also auch Steuern oder Gehälter, in"Argentino" gezahlt werden könnten. Experten befürchten, dass die Regierung das neue Geld in unbegrenzter Menge druckt und damit die Währung entwertet.
Wie Frigeri am Mittwoch ebenfalls mitteilte, wird das Steuereinkommen des Landes im Dezember voraussichtlich um 23 Prozent unter dem Vorjahreswert liegen. Sinkende Einnahmen hatten zuvor den früheren Wirtschaftsminister Domingo Cavallo dazu veranlasst, Gehälter und Pensionen um bis zu 13 Prozent zu kürzen.
Frigeri ist Sekretär für Finanzen und Staatseinkünfte unter Adolfo Rodriguez Saa, der nach dem Rücktritt von Staatschef de la Rua als Übergangspräsident des hochverschuldeten Landes eingesetzt wurde. Saa soll das Land bis zu den Präsidentschaftswahlen am 3. März 2002 führen. Unruhen in der Bevölkerung über Sparmaßnahmen der Regierung hatten in der vergangenen Woche für den Rücktritt der Regierung gesorgt.
Saa hatte bereits am Sonntag angekündigt, die Zahlungen von Zinsen auf Auslandsschulden sowie deren Tilgung auszusetzen. Weitere Details seines Wirtschaftsplanes sollten innerhalb der nächsten Tage angekündigt werden.
rkr/rbo
27/12/2001 08:47 CET
<font size=5>Argentinienkrise setzt Santander und BBVA unter Druck</font>
Madrid, 21. Dezember (Bloomberg) - Santander Central Hispano SA und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria SA müssen voraussichtlich tiefer in die Tasche greifen, um Verluste aus Argentinien- Investments zu verdauen. Santander, Spaniens größte Bank, will eine Mrd. Euro zurückstellen und 500 Mio. Dollar in die argentinische Tochter pumpen, um potentielle Verluste abzufedern. BBVA, die Nummer zwei in Spanien, plant Rückstellungen über 400 Mio. Euro.
Argentinien ist im Ausnahmezustand. Nach dem Rücktritt von Präsident Fernando de la Rua und Wirtschaftsminister Domingo Cavallo dürfte die Regierung erst recht nicht in der Lage sein, ihre Auslandsschulden im Volumen von 155 Mrd. Dollar zu bedienen und den Peso nach zehn Jahren vom Dollar zu lösen.
Ein"Default" bringt die spanischen Banken zusätzlich unter Druck, sagen Analysten. Im letzten Jahr erzielte Santander zehn Prozent vom Gewinn in Argentinien, bei BBVA waren es 4,9 Prozent. Wird der Peso um 30 Prozent abgewertet, hätte Santander Verluste von 750 Mio. Dollar, BBVA würde 550 Mio. Dollar verlieren, ermittelte Ramon Forcada, Leiter Aktienanalyse bei Espirito Santo BM in Lissabon.
"So wie die Dinge stehen, würde es mich nicht wundern, wenn die Rückstellungen für Argentinien noch höher ausfallen als erwartet", formulierte Santiago Batchilleria, Fondsmanager bei General de Valores & Cambios SVB in Barcelona. Er setzt auf Banco Popular SA, stößt dafür aber Aktien von Santander und BBVA ab.
Santander, zu der Rio de la Plata SA, Argentiniens viertgrößte Bank, gehört, hat Kredite über 6,4 Mrd. Dollar vergeben und hält argentinische Staatsanleihen im Volumen von 2,7 Mrd. Dollar. Bei BBVA sieht die Lage nicht viel besser aus: Die Mutter von Banco Frances SA, dem fünftgrößten argentinischen Geldhaus, hat Kredite über 4,6 Mrd. Dollar vergeben und hält argentinische Staatsanleihen im Volumen von 3,4 Mrd. Dollar.
Beide Banken haben bereits erklärt, ihre Staatsanleihen in Papiere mit niedrigeren Zinsen zu tauschen, was jedoch den Wert der Papiere schmälern würde. Santander will Anleihen im Volumen von 2,1 Mrd. Dollar tauschen, bei BBVA werden es Anleihen im Volumen von 3,4 Mrd. Dollar sein.
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