Galiani
11.01.2002, 00:56 |
@Zardoz Zum Thema: 'Soziale Kooperation und Marktwirtschaft' Thread gesperrt |
Hallo
Die ganze Idee der"Marktwirtschaft" steht und fällt natürlich mit der Behauptung, daß soziale Kooperation (z.B. auf einem Markt) ohne Zwang von oben möglich ist. Sollte sich herausstellen, daß dem nicht so ist, wäre das ordo-liberale Gesellschaftskonzept von vornherein erledigt; - die Anhänger des von Plato erfundenen Konzeptes der Gesellschaftssteuerung durch Herrschaft von oben hätten damit gewonnen.
Seit mindestens 20 Jahren gibt es deshalb Versuche, das Kooperations-Geschehen auf freien Märkten zu simulieren und bezüglich der Frage zu untersuchen, ob und unter welchen Umständen sich soziale Kooperation entwickelt und stabil aufrecht erhalten läßt.
Die m.W. erste diesbezügliche Untersuchung wurde von Prof. Robert Axelrod in jenem berühmt gewordenen Computerexperiment durchgeführt, das nachfolgend beschrieben wird (Weiterführende Literatur: Axelrod Robert, Die Evolution der Kooperation, Oldenbourg/Scientia Nova Verlag 1987).
In gewissem Sinne eine Verfeinerung der Untersuchungsergebnisse von Axelrod stellen die von Zardoz in seinem «Artikel zur Gesellschafts-Diskussion» dargestellten Befunde dar. (Ich werde mir diese Arbeit im Original besorgen. Bis dahin bringe ich den von Spiegel online so salopp vorgestellten Ergebnissen noch etwas Skepsis entgegen.)
Eine sinnvolle Debatte über Liberalismus ist meiner Ansicht nach jedenfalls ohne Kenntnis dieser Forschungsergebnisse unmöglich. Ich habe deshalb zur Orientierung der interessierten Forumsteilnehmer über diesen für die ganze Liberalismus-Debatte unerhört wichtigen Fragenkomplex einen in der Neuen Zürcher Zeitung am 2. September 1998 erschienenen Bericht über den Internationalen Kongreß der Mathematik in Berlin von Antonia Rötger eingescant und gebe diesen Bericht nachstehend - insoweit er sich auf eben diese Fragen bezieht - auszugsweise wieder.
.......
<font size="5"><ul>Vorteile durch kooperatives Verhalten</ul></font>
Nicht weniger faszinierenden Fragen geht der Mathematiker Karl Sigmund aus Wien nach. Zusammen mit dem Oxforder Zoologen Martin Nowak beschäftigt er sich mit dem spontanen Auftauchen von Kooperation und Hilfsbereitschaft während der Evolution. Nur durch Kooperation konnten sich komplexe, arbeitsteilige Gesellschaften wie in Ameisenhaufen, Bienenstöcken, Rudeln und Menschengruppen bilden. Dabei scheint zunächst die Frage nach der Intelligenz zweitrangig zu sein, da beispielsweise Ameisen kaum über Einsicht in ihr Tun verfügen. Im Fall des Ameisenhaufens greift jedoch ein einfaches Modell: Die Ameisen sind alle «Schwestern». Indem sie die Versorgung ihrer Königin sichern, tragen sie zum Fortbestand der eigenen Erbinformation bei.
Aber Kooperation findet auch unter Individuen statt, die nicht direkt miteinander verwandt sind. Diese Erkenntnis verdankt man einem grossen Computerturnier, zu dem der Politologe Robert Axelrod von der Universität Michigan bereits 1981 aufrief und in dem verschiedene Verhaltensweisen gegeneinander antraten. Grundlage war eine Population künstlicher Individuen, die sich an folgende Spielregeln zu halten hatten: Jedesmal wenn «A» auf «B» trifft, entscheiden sich die beiden, ob sie kooperieren oder die Kooperation verweigern wollen. Für diese Interaktion gibt es Punkte:
Verweigern beide, erhalten beide einen Punkt; kooperieren beide, bekommen sie jeweils drei Punkte; kooperiert nur einer, der andere aber nicht, erhält der «Schmarotzer» fünf Punkte, der «Helfer» jedoch keinen.
Jeder konnte Programme einschicken, die neue Strategien enthielten. Am Ende der vereinbarten Spielrunden wurde die Punktzahl der Individuen festgestellt und in Nachkommen umgerechnet (die das Verhalten erbten), so dass sich im Verlauf vieler Runden manche Strategien stark vermehrten, andere jedoch ausstarben. Überraschenderweise setzten sich die Schmarotzer nicht durch, denn viele Strategien machten ihre Zusammenarbeit davon abhängig, ob der Partner selber früher mit ihnen kooperiert hatte. Am erfolgreichsten erwies sich die äusserst einfache Strategie «Tit for Tat» des Psychologen und Philosophen Anatol Rapoport von der Universität Toronto. Tit for Tat bedeutet «Wie du mir, so ich dir». Beim ersten Zusammentreffen kooperiert der TitforTat-Spieler, bei den nächsten Interaktionen tut er jedoch immer das, was der andere vorher gemacht hat. Tit for Tat lässt sich daher nicht von den Verweigerern ausnutzen. Selbst in einer Gruppe von Verweigerern genügt ein kleiner Herd von Tit-forTat-Spielern, um das allgemeine Verhalten allmählich zu ändern.
Jetzt haben Sigmund und Nowak ein völlig neues Modell entwickelt, das zu überraschenden Ergebnissen geführt hat. Was passiert, wenn sich die Individuen «A» und «B» nicht mehr direkt ihre Hilfeleistung vergelten können, weil die Chance zu gering ist, dass sie sich nochmals treffen? Bisher haben Spieltheoretiker vermutet, dass dann die Kooperation zusammenbrechen müsse Aber Sigmunds Berechnungen und Computersimulationen zeigen etwas anderes: Auch indirekte Vergeltung funktioniert, ganz nach dem biblischen Motto «Gib, und dir wird gegeben».
<font size="5"><ul>Das soziale Prestige zählt</ul></font>
In Sigmunds Modell gibt es nicht nur den Punktwert, der in den Interaktionen erspielt wird und den Fortpflanzungserfolg anzeigt, sondern darüber hinaus einen « «Imagewert»: Jeder Akt der Hilfe steigert das soziale Ansehen und damit die Bereitschaft des nächsten Partners zur Kooperation. In ihrer einfachsten Form lässt sich diese Gesellschaft aus Individuen, die auf ihren guten Ruf bedacht sind, sogar analytisch fassen.
Drei simple Strategien werden betrachtet: Die «Einfältigen» helfen immer, die «Verweigerer» helfen niemals und die «Unterscheider» helfen nur dann, wenn ihr aktueller Partner in seiner letzten Aktion jemand anderem geholfen hat.
Sigmund zeigt, dass die Kooperation in einer Population, die mehrheitlich aus Einfältigen besteht, sehr schnell zusammenbricht. Denn diese Population ist wehrlos gegen spontan auftauchende Verweigerer. Gibt es dagegen vorwiegend «Unterscheider», dann können die Verweigerer sich auf Dauer nicht halten und sterben aus.
Diese Gedankenspiele, die Sigmund und Nowak in einer viel beachteten Arbeit noch wesentlich feiner ausgearbeitet haben, verführen zu weitergehenden Uberlegungen zur Rolle der Sprache für kooperative Gesellschaften. Denn entweder muss der «gute Ruf» auf direkter Beobachtung beruhen oder aber weitererzählt werden, da ja niemals alle Teilnehmer der Gruppe Zeugen der guten Tat sein können.....
Ende des Auszuges aus der NZZ vom 2. Sept. 1998.
Grüße
G.
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Zardoz
11.01.2002, 01:34
@ Galiani
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Interessant & vor allem ermutigend... Danke! Gute Nacht & später mehr. (owT) |
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Uwe
11.01.2002, 01:39
@ Galiani
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Re: Zum Thema: 'Soziale Kooperation und Marktwirtschaft' |
Hallo Galiani,
großen Dank für Deinen mit Informationen prall gefüllten Beitrag, der mir zeigt, dass in punkto Komponente „Mensch“ die Marktwirtschaft noch ein nahezu unerforschtes Gebiet t in der Erkenntnis ist.
Umso mehr verwundert es mich, dass dennoch mit abschlusssetzender Punktion, immerwieder von dem Markt als das alles regelnde Instrument geschrieben wird.
An dem Original der Studie, die dem Spiegel-ONLINE-Bericht zugrunde liegt, bin ich auch sehr interessiert. Jedoch bin ich auch der Meinung, besonders durch das Milgram-Experiment, Anfang der 60er-Jahre, dass jede Studie ihre Zeit hat, aber auch es immer wieder Zeiten geben wird, die Beleg dieser Studien sind.
Die Rahmenbedingen von Experimenten sind besonders Empfindlich in der Übertragbarkeit auf die Breite.
Gruß
Uwe
P.S.
@Galiani
Deine Absichtserklärung zur Gratualtion nehme ich dankend entgegen und werde sie am fraglichen Tag auch noch einmal würdigen, wenn ich die Bedeutung dieses Tages nicht vergessen sollte ;-)
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riwe
11.01.2002, 08:48
@ Galiani
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Re: @Zardoz Zum Thema: 'Soziale Kooperation und Marktwirtschaft' |
>Hallo
>Die ganze Idee der"Marktwirtschaft" steht und fällt natürlich mit der Behauptung, daß soziale Kooperation (z.B. auf einem Markt) ohne Zwang von oben möglich ist. Sollte sich herausstellen, daß dem nicht so ist, wäre das ordo-liberale Gesellschaftskonzept von vornherein erledigt; - die Anhänger des von Plato erfundenen Konzeptes der Gesellschaftssteuerung durch Herrschaft von oben hätten damit gewonnen. >
>Seit mindestens 20 Jahren gibt es deshalb Versuche, das Kooperations-Geschehen auf freien Märkten zu simulieren und bezüglich der Frage zu untersuchen, ob und unter welchen Umständen sich soziale Kooperation entwickelt und stabil aufrecht erhalten läßt. >
>Die m.W. erste diesbezügliche Untersuchung wurde von Prof. Robert Axelrod in jenem berühmt gewordenen Computerexperiment durchgeführt, das nachfolgend beschrieben wird (Weiterführende Literatur: Axelrod Robert, Die Evolution der Kooperation, Oldenbourg/Scientia Nova Verlag 1987).
>In gewissem Sinne eine Verfeinerung der Untersuchungsergebnisse von Axelrod stellen die von Zardoz in seinem «Artikel zur Gesellschafts-Diskussion» dargestellten Befunde dar. (Ich werde mir diese Arbeit im Original besorgen. Bis dahin bringe ich den von Spiegel online so salopp vorgestellten Ergebnissen noch etwas Skepsis entgegen.)
>Eine sinnvolle Debatte über Liberalismus ist meiner Ansicht nach jedenfalls ohne Kenntnis dieser Forschungsergebnisse unmöglich. Ich habe deshalb zur Orientierung der interessierten Forumsteilnehmer über diesen für die ganze Liberalismus-Debatte unerhört wichtigen Fragenkomplex einen in der Neuen Zürcher Zeitung am 2. September 1998 erschienenen Bericht über den Internationalen Kongreß der Mathematik in Berlin von Antonia Rötger eingescant und gebe diesen Bericht nachstehend - insoweit er sich auf eben diese Fragen bezieht - auszugsweise wieder.
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><font size="5"><ul>Vorteile durch kooperatives Verhalten</ul></font> > Nicht weniger faszinierenden Fragen geht der Mathematiker Karl Sigmund aus Wien nach. Zusammen mit dem Oxforder Zoologen Martin Nowak beschäftigt er sich mit dem spontanen Auftauchen von Kooperation und Hilfsbereitschaft während der Evolution. Nur durch Kooperation konnten sich komplexe, arbeitsteilige Gesellschaften wie in Ameisenhaufen, Bienenstöcken, Rudeln und Menschengruppen bilden. Dabei scheint zunächst die Frage nach der Intelligenz zweitrangig zu sein, da beispielsweise Ameisen kaum über Einsicht in ihr Tun verfügen. Im Fall des Ameisenhaufens greift jedoch ein einfaches Modell: Die Ameisen sind alle «Schwestern». Indem sie die Versorgung ihrer Königin sichern, tragen sie zum Fortbestand der eigenen Erbinformation bei. > Aber Kooperation findet auch unter Individuen statt, die nicht direkt miteinander verwandt sind. Diese Erkenntnis verdankt man einem grossen Computerturnier, zu dem der Politologe Robert Axelrod von der Universität Michigan bereits 1981 aufrief und in dem verschiedene Verhaltensweisen gegeneinander antraten. Grundlage war eine Population künstlicher Individuen, die sich an folgende Spielregeln zu halten hatten: Jedesmal wenn «A» auf «B» trifft, entscheiden sich die beiden, ob sie kooperieren oder die Kooperation verweigern wollen. Für diese Interaktion gibt es Punkte:
>Verweigern beide, erhalten beide einen Punkt; kooperieren beide, bekommen sie jeweils drei Punkte; kooperiert nur einer, der andere aber nicht, erhält der «Schmarotzer» fünf Punkte, der «Helfer» jedoch keinen. > Jeder konnte Programme einschicken, die neue Strategien enthielten. Am Ende der vereinbarten Spielrunden wurde die Punktzahl der Individuen festgestellt und in Nachkommen umgerechnet (die das Verhalten erbten), so dass sich im Verlauf vieler Runden manche Strategien stark vermehrten, andere jedoch ausstarben. Überraschenderweise setzten sich die Schmarotzer nicht durch, denn viele Strategien machten ihre Zusammenarbeit davon abhängig, ob der Partner selber früher mit ihnen kooperiert hatte. Am erfolgreichsten erwies sich die äusserst einfache Strategie «Tit for Tat» des Psychologen und Philosophen Anatol Rapoport von der Universität Toronto. Tit for Tat bedeutet «Wie du mir, so ich dir». Beim ersten Zusammentreffen kooperiert der TitforTat-Spieler, bei den nächsten Interaktionen tut er jedoch immer das, was der andere vorher gemacht hat. Tit for Tat lässt sich daher nicht von den Verweigerern ausnutzen. Selbst in einer Gruppe von Verweigerern genügt ein kleiner Herd von Tit-forTat-Spielern, um das allgemeine Verhalten allmählich zu ändern. > Jetzt haben Sigmund und Nowak ein völlig neues Modell entwickelt, das zu überraschenden Ergebnissen geführt hat. Was passiert, wenn sich die Individuen «A» und «B» nicht mehr direkt ihre Hilfeleistung vergelten können, weil die Chance zu gering ist, dass sie sich nochmals treffen? Bisher haben Spieltheoretiker vermutet, dass dann die Kooperation zusammenbrechen müsse Aber Sigmunds Berechnungen und Computersimulationen zeigen etwas anderes: Auch indirekte Vergeltung funktioniert, ganz nach dem biblischen Motto «Gib, und dir wird gegeben».
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><font size="5"><ul>Das soziale Prestige zählt</ul></font> > In Sigmunds Modell gibt es nicht nur den Punktwert, der in den Interaktionen erspielt wird und den Fortpflanzungserfolg anzeigt, sondern darüber hinaus einen « «Imagewert»: Jeder Akt der Hilfe steigert das soziale Ansehen und damit die Bereitschaft des nächsten Partners zur Kooperation. In ihrer einfachsten Form lässt sich diese Gesellschaft aus Individuen, die auf ihren guten Ruf bedacht sind, sogar analytisch fassen. > Drei simple Strategien werden betrachtet: Die «Einfältigen» helfen immer, die «Verweigerer» helfen niemals und die «Unterscheider» helfen nur dann, wenn ihr aktueller Partner in seiner letzten Aktion jemand anderem geholfen hat.
>Sigmund zeigt, dass die Kooperation in einer Population, die mehrheitlich aus Einfältigen besteht, sehr schnell zusammenbricht. Denn diese Population ist wehrlos gegen spontan auftauchende Verweigerer. Gibt es dagegen vorwiegend «Unterscheider», dann können die Verweigerer sich auf Dauer nicht halten und sterben aus. > Diese Gedankenspiele, die Sigmund und Nowak in einer viel beachteten Arbeit noch wesentlich feiner ausgearbeitet haben, verführen zu weitergehenden Uberlegungen zur Rolle der Sprache für kooperative Gesellschaften. Denn entweder muss der «gute Ruf» auf direkter Beobachtung beruhen oder aber weitererzählt werden, da ja niemals alle Teilnehmer der Gruppe Zeugen der guten Tat sein können.....
>Ende des Auszuges aus der NZZ vom 2. Sept. 1998.
>Grüße
>G.
Guten Morgen Galiani,
Tit for Tat ist sicherlich eine gute Strategie. Kann aber im Einzelfall zu einer Verhärtung der Fronten führen. Nicht wahr?
Gib, und es wird dir gegeben werde. Denn wer nicht gibt, dem wirdauch das, was er hat, genommen werden. ( Sinngemäss ) Meine Lebenserfahrung ( falls ich mit fast 65 das Wort doch noch mal benutzen darf ) hat mir gezeigt, daß es sich hier um eine Strategie handelt, welche u. U. zu einer Veränderung unserer Denkweise führen könnte. Ich habe danach gehandelt und erfahren, dass immer etwas zurückgekommen ist. Ich habe schon vor 10 Jahren mit dem Gedanken gespielt, aufgrund dieser Einsicht eine andere Art des Wirtschaftens vorzuschlagen. Sozusagen ein auf den Kopf gestellter Debitismus. ( Es hat ja schon mal jemand was auf den Kopf gestellt ) Ich hatte jedoch im Laufe der vergangenen Jahre den Eindruck, dass diese Einstellung evtl. zu einer Ideologie führen könnte. Da ich Ideologien grundsätzlich ablehne, habe ich das Ganze nicht weiter verfolgt. Interessant ist es auf jeden Fall. Wie sich Informationen über den"Unterscheider" weiterverbreiten kann ich nicht sagen. Es geschieht aber, wie ich selbst festgestellt habe.
Vielleicht lässt sich das Thema in diesem Forum diskutieren ohne eine Ideologie zu entwickeln und ohne"d e n g u t e n M e n s c h e n" vorauszusetzen.
Gruss
riwe
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riwe
11.01.2002, 09:17
@ riwe
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Nachtrag |
Auszug aus Vexierbild Geld ( http://home.t-online.de/home/rweinrich )
vieles würde ich heute anders oder gar nicht mehr schreiben, da durch die Erkenntnisse des Debitismus überholt.
Die Ausrichtung der christlichen Kirche auf ein Leben nach dem Tode ist ein ähnlicher Vorgang. Wer das Elend dieser Welt erträgt, dem werden nach dem Tode Gewinne versprochen, die alle Vorstellungen übersteigen. Die ersten Anhänger Jesu haben daran mit Sicherheit nicht gedacht. Wir müssen uns vor Augen halten, daß, beginnend mit Paulus, eine Hellenisierung der Kirche mit dem Zweck einsetzte, die griechischen Intellektuellen zu gewinnen. Man war also gezwungen, sich griechischen Vorstellungen vom Leben nach dem Tode anzupassen, während Jesus ursprünglich lediglich eine Vorstellung von ewigem Frieden nach dem Tode gepredigt haben dürfte. Für ihn war die Lösung der Probleme der Lebenden wichtiger. Ihm ging es um Entschuldung. So muß man das Vaterunser als eine eindeutige Aufforderung verstehen, alle Schulden zu streichen, was ja vor und nach Jesus im gesamten römischen Reich das Hauptthema war. So erwähnt u. a. Josephus, daß Simon bar Giora im Jahre 66 n. Chr. seinen Aufstand mit der Verbrennung der Schuldscheine beginnt. Jesus beschreibt den Erlaß von Schulden in Höhe von 10 000 Talenten (Mt 18, 23 - 35), um damit zu zeigen, daß sowieso niemand in der Lage ist, einen derartigen Betrag aufzubringen. Er macht aber ausdrücklich darauf aufmerksam, daß auch bezahlbar erscheinende Beträge gestrichen werden müssen. Als Gegenargument wird gerne das Gleichnis vom Wuchern mit den Talenten angeführt, wobei sich bei Matthäus das Geld verdoppelt und bei Lukas sogar verzehnfacht. Aus beiden Versionen geht jedoch eindeutig hervor, daß es sich nicht um die Wirkung des Geldes, sondern des Kredites handelt. Der Knecht, der sein Talent (Mine) vergraben hat, um es unbeschadet zurückgeben zu können, wird streng getadelt."Hättest du dieses Geld doch bei einem Wucherer angelegt, so hätte es mir wenigstens Zinsen erbracht". Daraus geht eindeutig hervor, daß die übrigen ihre Talente nicht als Geld an sich, sondern als Kredit eingesetzt hatten. Jesus kommt immer wieder auf dieses Thema zurück, wobei er, für die Handhabung von Kredit, die allgemeine Entschuldung voraussetzt. Bei Matthäus (25,29 - 30) folgt dann die Aussage, daß jedem der hat, in Hülle und Fülle hinzugegeben wird und jedem, der nichts hat, auch das genommen wird, was er hat. Bei Markus (4,24 - 25) dagegen geht dieser Aussage ein Satz voraus, der erkennen läßt, daß das so nicht verstanden werden kann. Dort heißt es nämlich, daß jedem nach dem Maß zugemessen wird, wie er gemessen hat, ja, er wird noch ein Maß mehr bekommen. Das kann nichts anderes heißen, als daß derjenige, der g e g e b e n hat, nämlich Kredit, mehr bekommen wird und wer nicht g i b t, nämlich Kredit, auch den geringsten Kredit verlieren wird, den er hat. Diese Aussage folgt bei Markus und Lukas (8,18) dem Gleichnis von dem Licht, das man nicht verbergen soll. Das heißt nichts anderes, als daß man seinen K r e d i t einsetzen muß, um zu mehr Wohlstand, nicht Reichtum, zu gelangen. Wir haben hier im übrigen eine Aussage Jesu vor uns, die er tatsächlich gemacht haben muß. Da sie schon sehr bald nicht mehr verstanden wurde, konnte sie auch nicht verfälscht werden. Eine Bestätigung, daß Jesus selbst angenommen hat, daß man ihn nicht versteht, geht aus Matthäus 13,13 hervor, wenn er von den Menschen spricht, die mit sehenden Augen nichts sehen und mit hörenden Ohren nichts hören. Tatsächlich handelt es sich um eine fundamentale Erkenntnis.
Wir gehen offensichtlich immer davon aus, daß es sich um Geld handelt, wenn wir hören, daß etwas genommen oder gegeben wird. Dabei geht es uns ähnlich, wie in dem berühmten Rätsel von den Fischern, die das, was sie fingen, fortwarfen und das, was sie nicht fingen, behielten. Wir verbinden den Beruf mit dem Produkt und können uns nicht vorstellen, daß es sich nicht zwingend um Fische handeln muß. Es handelt sich bei dieser Parabel also um ein Vexierbild, das uns auf den ersten Blick nur die Fische und nicht die Läuse sehen läßt.
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André
11.01.2002, 10:30
@ riwe
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Re: Nachtrag - Die Ebene ist verschoben! |
>Auszug aus Vexierbild Geld ( http://home.t-online.de/home/rweinrich )
>vieles würde ich heute anders oder gar nicht mehr schreiben, da durch die Erkenntnisse des Debitismus überholt.
>
>Die Ausrichtung der christlichen Kirche auf ein Leben nach dem Tode ist ein ähnlicher Vorgang. Wer das Elend dieser Welt erträgt, dem werden nach dem Tode Gewinne versprochen, die alle Vorstellungen übersteigen. Die ersten Anhänger Jesu haben daran mit Sicherheit nicht gedacht. Wir müssen uns vor Augen halten, daß, beginnend mit Paulus, eine Hellenisierung der Kirche mit dem Zweck einsetzte, die griechischen Intellektuellen zu gewinnen. Man war also gezwungen, sich griechischen Vorstellungen vom Leben nach dem Tode anzupassen, während Jesus ursprünglich lediglich eine Vorstellung von ewigem Frieden nach dem Tode gepredigt haben dürfte. Für ihn war die Lösung der Probleme der Lebenden wichtiger. Ihm ging es um Entschuldung. So muß man das Vaterunser als eine eindeutige Aufforderung verstehen, alle Schulden zu streichen, was ja vor und nach Jesus im gesamten römischen Reich das Hauptthema war. So erwähnt u. a. Josephus, daß Simon bar Giora im Jahre 66 n. Chr. seinen Aufstand mit der Verbrennung der Schuldscheine beginnt. Jesus beschreibt den Erlaß von Schulden in Höhe von 10 000 Talenten (Mt 18, 23 - 35), um damit zu zeigen, daß sowieso niemand in der Lage ist, einen derartigen Betrag aufzubringen. Er macht aber ausdrücklich darauf aufmerksam, daß auch bezahlbar erscheinende Beträge gestrichen werden müssen. Als Gegenargument wird gerne das Gleichnis vom Wuchern mit den Talenten angeführt, wobei sich bei Matthäus das Geld verdoppelt und bei Lukas sogar verzehnfacht. Aus beiden Versionen geht jedoch eindeutig hervor, daß es sich nicht um die Wirkung des Geldes, sondern des Kredites handelt. Der Knecht, der sein Talent (Mine) vergraben hat, um es unbeschadet zurückgeben zu können, wird streng getadelt."Hättest du dieses Geld doch bei einem Wucherer angelegt, so hätte es mir wenigstens Zinsen erbracht". Daraus geht eindeutig hervor, daß die übrigen ihre Talente nicht als Geld an sich, sondern als Kredit eingesetzt hatten. Jesus kommt immer wieder auf dieses Thema zurück, wobei er, für die Handhabung von Kredit, die allgemeine Entschuldung voraussetzt. Bei Matthäus (25,29 - 30) folgt dann die Aussage, daß jedem der hat, in Hülle und Fülle hinzugegeben wird und jedem, der nichts hat, auch das genommen wird, was er hat. Bei Markus (4,24 - 25) dagegen geht dieser Aussage ein Satz voraus, der erkennen läßt, daß das so nicht verstanden werden kann. Dort heißt es nämlich, daß jedem nach dem Maß zugemessen wird, wie er gemessen hat, ja, er wird noch ein Maß mehr bekommen. Das kann nichts anderes heißen, als daß derjenige, der g e g e b e n hat, nämlich Kredit, mehr bekommen wird und wer nicht g i b t, nämlich Kredit, auch den geringsten Kredit verlieren wird, den er hat. Diese Aussage folgt bei Markus und Lukas (8,18) dem Gleichnis von dem Licht, das man nicht verbergen soll. Das heißt nichts anderes, als daß man seinen K r e d i t einsetzen muß, um zu mehr Wohlstand, nicht Reichtum, zu gelangen. Wir haben hier im übrigen eine Aussage Jesu vor uns, die er tatsächlich gemacht haben muß. Da sie schon sehr bald nicht mehr verstanden wurde, konnte sie auch nicht verfälscht werden. Eine Bestätigung, daß Jesus selbst angenommen hat, daß man ihn nicht versteht, geht aus Matthäus 13,13 hervor, wenn er von den Menschen spricht, die mit sehenden Augen nichts sehen und mit hörenden Ohren nichts hören. Tatsächlich handelt es sich um eine fundamentale Erkenntnis.
>Wir gehen offensichtlich immer davon aus, daß es sich um Geld handelt, wenn wir hören, daß etwas genommen oder gegeben wird. Dabei geht es uns ähnlich, wie in dem berühmten Rätsel von den Fischern, die das, was sie fingen, fortwarfen und das, was sie nicht fingen, behielten. Wir verbinden den Beruf mit dem Produkt und können uns nicht vorstellen, daß es sich nicht zwingend um Fische handeln muß. Es handelt sich bei dieser Parabel also um ein Vexierbild, das uns auf den ersten Blick nur die Fische und nicht die Läuse sehen läßt.
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Lieber Riwe,
über viele Inhalte dieses postings hatten wir bereits letzten Herbst gesprochen.
Du erinnerst freundlicherweise an christliche Aussagen,
gehst jedoch offensichtlich von einem Weltbild aus mit Diesseits und Jenseits, das inzwischen zu einem vollends materialistischen geworden ist. Aber gerade diese Weltschu entsprechen nicht (!) der ursprünglichen christlichen Sicht der Dinge.
Jesus sagte:"Mein Reich ist nicht von dieser Welt" also weder vom Diesseits noch vom Jenseits, der Welt der feinstofflichen Kräfte, der Gedanken und Gefühle. Die sog. christliche"Belohnungstheorie" ist eine kirchenpolitisch bewußt genutzte Deutungsweise und Motivationskiste, um Ziele (Macht, Reichtum etc.) auf dieser realen Ebene zu bewirken!
Vielleicht ist der hermetische Grundsatz"wie oben so unten" eine Hilfe,
zu verstehen:"wer viel hat, dem wird viel gegeben", was - wörtlich verstanden -als"Ungerechtigkeit" interpretiert wird und der Erfahrung entspricht die da heißt:"der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen". Oder aber es wird als Motivation auf der realen Ebene genutzt (Calvin) und damit umgebogen.
In diese Rubrik paßt auch die Aussage:"Laßt die Toten ihre Toten begraben, ihr aber folget..."
Die Bewußtseins-Ebenen sind und bleiben ganz unterschiedlich; das Reich"Nicht von dieser Welt" läßt sich nicht durch Worte dieser Welt beschreiben!
Ein ander mal gern wieder mehr über diese Aspekte.
Es erscheint ergiebiger, sich bei den Fragen dieser Welt ("Der Markt")auf die
Erfahrungen und Gesetzmäßigkeiten in dieser Welt zu beziehen, wie es Galiani vorschlägt.
Dabei kann es - und da sind wir uns sicher eins - gewiß nicht schaden, stets im Hinterkopf zu behalten, daß die menschliche Lebensaufgabe sich nicht darin erschöpft!
So jetzt muß ich mal meine Sachen packen, denn der Berg ruft!
Ich"muß" nach Filzmoos (Dachstein) zum snowboard-fahren,
das so viel schöner ist, als Wirtschafttheorie und -praxis,
insbesondere, wenn strahlend blauer Himmel ist. Bin dann zwar vermutlich wieder der älteste am Berg, aber keinesfalls der letzte!
MfG
A.
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Zardoz
11.01.2002, 16:00
@ Galiani
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Zum Thema: 'Soziale Kooperation und Marktwirtschaft' |
Hallo Galiani,
der von Ihnen dankenswerter Weise zur Verfügung gestellte Artikel lässt mich vermuten, daß es um die Idee des freien Marktes doch bei weitem nicht so schlecht bestellt ist, wie manche hier glauben - oder glauben machen wollen.
Und die Ergebnisse der dargestellten Experimente zeigen, daß funktionierende Kooperationen eben nicht von einem"besseren" Menschen abhängig sind. Wobei mir bisher sowieso nie jemand dieses"besser" erklären, geschweige denn definieren konnte.
Die Menschheit dürfte aus einer sehr bunten Mischung von"Verweigerern","Unterscheidern" und"Einfältigen" bestehen. Und, um bei dem Experiment zu bleiben, der gutmeinende Sozialstaat dürfte die Komponente sein, die die"Unterscheider" eleminiert, die"Verweigerer" belohnt und letztlich"Einfältige" produziert.
Bzgl. des von mir kopierten Spiegel-Artikels stimme ich Ihnen zu, daß er einige Fragen offen lässt. Würde mich freuen, von Ihnen dazu weiteres zu erfahren.
Nice day,
Zardoz
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Galiani
11.01.2002, 17:12
@ Zardoz
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Werde mich bemühen! Grüße (owT) |
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