-->"Europa will uns auf sein erbärmliches Niveau herabziehen"
Einst diente er als Captain der US-Luftwaffe, und auch als Vizechef der Tech-Börse Nasdaq prunkt Alfred R. Berkeley III mit seinem Patriotismus: In einem drastisch formulierten Brief an die Bilanz-Aufsicht lobpreist er Amerika als Hort des Unternehmergeistes - und verdammt Europas Wirtschaft als alt, erstarrt, blamabel.
Washington/New York - Alfred R. Berkeley III denkt offenbar bevorzugt in historischen Dimensionen. Eigentlich widmet sich sein rund fünf Seiten langer Brief zwar einer rein technischen Frage der Bilanzierungsmethodik. Der Vize-Chairman der Nasdaq aber setzt gleich zu Beginn zu einem geschichtlichen Exkurs an, der die Tradition des amerikanischen Traumes und die Überlegenheit der US-Ã-konomie feiert.
Europa und fast sämtliche anderen Nationen der Welt, befindet Berkeley, zeichneten sich hingegen durch einen"blamablen Mangel" an wirtschaftlichen Möglichkeiten für die Allgemeinheit aus. Nach den jüngsten Ausfällen des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld gegen das"alte Europa", schreibt die"Financial Times" ("FT"), werde Berkeleys Polemik vermutlich neue Gräben zwischen Europa und den USA aufreißen.
"In den Guerilla-Krieg"
Mit seinem an die amerikanische Bilanzaufsicht FASB gerichteten Brandbrief, den die"FT" auf ihrer Internetseite veröffentlicht hat, nimmt Berkeley Stellung zu der methodischen Frage, wie"stock options" von börsennotierten Unternehmen künftig bilanziert werden sollen. Für den Börsenchef, scheint es, stellen die Aktienoptionen zur Honorierung von Mitarbeiter-Leistungen eine Art heiligen Gral des US-Unternehmertums dar.
Seine These: Wie einst schon das Homestead-Gesetz von 1862, der allen Amerikanern ermöglichte, ein Stück Land zu erwerben, wenn sie es vorher erschlossen und für einige Jahre bestellten, trügen die Optionen wesentlich zur Dynamik der US-Wirtschaft bei. Denn wer ehrliche, harte Arbeit derart durch Eigentum belohne - der verhindere, dass"die Unzufriedenheit leistungsfähige Menschen im Protest auf die Straße oder in den Guerilla-Krieg treibt".
"Europa hat versagt"
Nun, suggeriert Berkeley, habe sich eine große Koalition der Bremser gegen Aktienoptionen verschworen: die Kleinmütigen, die stagnierenden Großkonzerne - und die europäischen Bürokraten, Banker und Gewerkschafter,"die Optionen als unlauteren Wettbewerb ansehen oder uns auf ihr eigenes, erbärmliches Niveau von wirtschaftlichen Chancen und Leistung herabziehen müssen. Europa hat versucht, Optionen zu nutzen, um zu Innovationen anzuregen, und hat dabei versagt". Das Maß an Innovationskraft und sozialer Mobilität in Europa sei"Mitleid erregend".
Berkeleys Thesen zum Thema"stock options" sind nach den spektakulären Bilanzskandalen der Jahre 2001 und 2002 angreifbar geworden - vielleicht verteidigt er sie deshalb in aller sprachlicher Schärfe."Stock options", im Internetboom ein Kennzeichen von vor allem an der Nasdaq gelisteten New-Economy-Firmen, gelten vielen inzwischen als ein Mittel zur Selbstbedienung korrupter, gieriger Manager.
"Kampf zwischen dem Alten und dem Neuen"
Selbst führende US-Konzerne wie General Electric und Coca-Cola haben daher begonnen, die Kosten für Aktienoptionsprogramme als Ausgaben zu verbuchen, die den Gewinn schmälern. So hoffen sie, das Vertrauen von Investoren zurückzuerobern und die Transparenz ihrer Buchführung zu erhöhen. Das Financial Accounting Standards Board (FASB), das in den USA de facto die Bilanzierungsspielregeln festlegt, berät, ob dies künftig verbindlich gelten soll. Das hat das internationale Pendant der FASB, die IASB, bereits empfohlen. Diese zweite Aufsichtsstelle hat ihren Sitz in der alten Welt - in London.
Berkeley stilisiert den Streit um die Options-Bilanzierung zu einem"Kampf zwischen dem Alten und dem Neuen, zwischen dem fest eingewurzelten Finanzkapital und dem intellektuellen Kapital". Weil dieser Kampf in Europa bereits zu Gunsten der Gestrigen entschieden sei, wanderten viele talentierte Europäer zu US-Unternehmen ab.
Neidische Lohnsklaven und eigennützige Bilanzprüfer
Die Aktienkultur, die Berkeley durch die Reformbemühungen bedroht sieht, habe in den USA, anders als in von Banken dominierten Europa, das"Eigentum demokratisiert". Rund die Hälfte der Haushalte in den USA besäßen Aktien, in Europa seien es gerade einmal 20 Prozent. In Europa dominiere immer noch der Klassengeist, die reichen Eliten der Epoche vor dem Zweiten Weltkrieg hätten sich abermals durchgesetzt. In den USA werde Reichtum gerechter verteilt, die soziale Mobilität der Tüchtigen und Motivierten sei größer.
Auch alle anderen Fürsprecher des"options expensing", so Berkeley, verfolgen eigensinnige Interessen: Buchprüfer wollten durch unnötig komplexe Standards ihre Arbeitsplätze sichern, Großkonzerne von ihrer mangelnden Wachstumsdynamik ablenken und verhindern, dass Mitarbeiter zu kleineren, expandierenden Unternehmen überlaufen. Die"Lohnsklaven" in den Medien wiederum sprächen sich aus Neid gegen Aktienoptionen aus - denn sie hätten kaum eine Chance hätten, in deren Genuss zu kommen und viel Geld zu verdienen.
"Willig 50, 60 Stunden pro Woche arbeiten"
Sprecher der IASB wollten sich nur kurz und knapp zu Berkeleys Brief äußern. Die Empfehlung, Aktienoptionen künftig streng als laufende Kosten zu verbuchen, entspräche mitnichten allein europäischen Interessen, so ein Sprecher zur"FT". Er kenne Berkeleys Brief nicht im Detail, die Äußerungen des Nasdaq-Vizes erschienen ihm aber"unüberlegt".
Berkeleys an sich durch und durch patriotisches Traktat enthält freilich auch Passagen, die Kritiker der US-Ã-konomie ganz anderes auslegen könnten als der Börsen-Chef. An einer Stelle etwa schreibt er:"Wir in den USA haben die Karten zu Ungunsten der Arbeiter gezinkt". Niedrige Löhne und ein Steuersystem, das den Konsum fördere und das Sparen bestrafe, wirkten sich zu Ungunsten der Bürger aus.
Die Aktie sei deshalb"das einzige Instrument, das die Möglichkeit zum Wachstum bietet, sie ist für Millionen von Amerikanern von zentraler Bedeutung". Aktien und Aktienoptionen nämlich seien der Grund dafür, dass Angestellte in den Vereinigten Staaten"niedrige Löhne akzeptieren und willig 50, 60 Stunden pro Woche arbeiten, als Gegenleistung für ein Scheibchen von Besitzanteilen an ihrem eigenen Unternehmen".
<ul> ~ http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,233000,00.html</ul>
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