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Samstag, 22. März 2003
"Die ganze Welt finanziert Amerika"
USA-Experte Jens van Scherpenberg über Rüstungsausgaben, Leistungsbilanzdefizit und den neuen Protektionismus
Der US-Aufmarsch am Persischen Golf wie auch die Militärpräsenz in aller Welt belasten Amerikas Wirtschaft und Staatsbudget massiv. Allein für die Bewachung der Zufahrt zu den Ã-lreserven am Golf gibt die US-Regierung jährlich 50 Milliarden Dollar aus. Der Rüstungsetat soll auf 400 Milliarden Dollar steigen."Letztlich hängt die Finanzierung der US-Politik am Kapitalzufluss aus der ganzen Welt", sagt Amerika-Experte Jens van Scherpenberg.
Herr van Scherpenberg, die expansive US-Außenpolitik verschlingt Milliarden Dollar. Wie kann Amerika das bezahlen?
Die Kosten sind tatsächlich immens. Allein der Irak-Krieg wird nach Schätzungen mehr als 100 Milliarden Dollar kosten - möglicherweise das Doppelte oder mehr. Der amerikanische Steuerzahler wird nicht angemessen über diese Tatsache informiert.
Nun stagniert in den USA die Wirtschaft, die Steuereinnahmen sinken. Zudem hat Präsident George W. Bush ein weiteres massives Steuersenkungsprogramm vorgeschlagen. Wie also finanziert Amerika seine Weltpolitik?
Zum großen Teil über Schulden. Der Staat gibt mehr aus als er einnimmt. Als Folge schnellt das Budgetdefizit in die Höhe. Im Haushaltsjahr 2002 erreichte es bereits 157 Milliarden Dollar. Das waren zwar nur 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Berücksichtigt man die zur Deckung des Defizits missbrauchten Überschüsse aus den Sozialversicherungen, dann hätte die Neuverschuldung sogar bei 314 Milliarden Dollar gelegen. Bei einem US-BIP von 10 500 Milliarden Dollar wären das rund drei Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung.
Damit liegen die USA aber immer noch besser als Deutschland, dessen Budgetdefizit bei weit über drei Prozent des BIP liegt.
Das Problem ist auch weniger die Höhe der Neuverschuldung. Das Problem ist, wie schnell das Defizit steigt. Im Haushaltsjahr 2000 verzeichnete die US-Regierung noch einen Überschuss von 87 Milliarden Dollar.
Welcher Posten ist für die rasante Verschlechterung verantwortlich?
Auf der Ausgabenseite vor allem das Rüstungsbudget. 2003 muss auf Grund der wachsenden Militärausgaben mit einem Defizit von über 450 Milliarden Dollar gerechnet werden. Dabei ist der Irak-Krieg noch nicht mitgerechnet.
Die USA haben also wieder ein"Zwillingsdefizit", also ein Defizit bei Budget und Leistungsbilanz.
Ja, der Fehlbetrag in der Leistungsbilanz ist gigantisch. Im internationalen Wirtschaftsverkehr machte Amerika 2002 ein Minus von rund 500 Milliarden Dollar. Allein die Handelsbilanz, die der größte Teil der Leistungsbilanz ist, zeigt: Amerikas Staat, Verbraucher und Unternehmen kauften für 485 Milliarden Dollar mehr im Ausland ein als sie Waren dorthin verkauften. Die USA leben über ihre Verhältnisse. Damit steigt der Schuldenberg jedes Jahr.
Wie finanziert das Land diesen Schuldenberg?
Das Ausland finanziert ihn zum großen Teil. Die Defizite müssen durch Kapitalzuflüsse beglichen werden, vor allem aus Europa und Asien. Rund 80 Prozent aller weltweiten Ersparnisse fließen in die USA. Solange die USA diesen permanenten Zustrom von Kapital in ihr Land aufrechterhalten können, können sie über ihre Verhältnisse leben.
Was passiert, wenn das amerikanische Wirtschaftswachstum nachlässt und die USA als Kapitalanlagestandort an Attraktivität für Investoren verlieren?
Dann würden die Zinsen steigen. Vebraucher, Staat und Unternehmen müssten ihren Konsum einschränken. Das wollen die USA verhindern. Um die Attraktivität Amerikas für Investoren zu erhöhen, hat Bush ja sein Steuersenkungsprogramm vorgeschlagen. Dieses Programm dient nicht dem durchschnittlichen Steuerzahler, sondern vor allem den Kapitalanlegern. Sie müssen künftig weniger Steuern auf US-Anlagen zahlen. Damit steigt auch der Druck auf das Ausland, seinerseits die Steuern zu senken, um für Investoren interessant zu bleiben.
Reicht das aus, um die Finanzierung der amerikanischen Schulden zu sichern?
Vielleicht. Doch hat Amerika viele Möglichkeiten, den Zufluss von Auslandskapital zu sichern. Beispiel Japan, der größte Gläubiger der USA: Japan verzeichnet jedes Jahr einen gigantischen Überschuss im Handel mit Amerika. Die Dollars, die es dabei verdient, gibt es den USA fast vollständig als Kredit zurück. Japaner halten rund ein Drittel aller amerikanischen Staatsanleihen. Und wann immer in Japan überlegt worden ist, diese Papiere teilweise wieder abzustoßen oder keine neuen US-Schuldscheine mehr zu kaufen, dann reicht ein Wink aus Washington. Schließlich ist Amerika die militärische Schutzmacht für Südostasien.
Das bedeutet: Das Ausland finanziert die USA und die USA nutzen dieses Geld, um die amerikanische Weltordnung durchzusetzen?
Ja. Man kann es auch so sehen: Der Rest der Welt bezahlt Amerika für eine Dienstleistung - für die Herstellung der weltweiten"Pax Americana". Das Problem dabei ist aber, dass der Staat, der zahlt, gerne auch ein Mitspracherecht hätte, ob und wie er diese Dienstleistung haben möchte. Anderenfalls wäre er ja ledigleich Vasallenstaat einer Imperialmacht.
Wie haltbar ist solch ein internationales Arrangement, wirtschaftlich gesehen?
US-Staatsanleihen werden immer erstklassige Anlagen sein. Denn erstens ist Amerikas Wirtschaft stark, die der Konkurrenten wiederum schwach. Zweitens macht die amerikanische Militärmacht die USA zu einem erstklassigen Schuldner. Denn die USA können ihre Macht einsetzen, um ihren Unternehmen weltweit günstige Bedingungen zu schaffen.
Auch in der Handelspolitik?
Natürlich. Um die Verletzlichkeit Amerikas durch die Defizite teilweise zu kompensieren, verfolgt Amerika eine zunehmend harte Linie in Handelsfragen. Dabei handelt es sich nicht um den"normalen" Protektionismus für einzelne Branchen. Sondern die Bush-Regierung umgeht zunehmend die Welthandelsorganisation WTO, weil dort ein Kräftegleichgewicht mit Europa herrscht. Stattdessen setzt sie auf bilaterale Verträge mit einzelnen Staaten, weil sie hier die Bedingungen diktieren können. Es scheint für die US-Regierung zunehmend schwerer erträglich zu sein, auf irgendeinem Feld internationaler Politik nicht die Nummer eins zu sein.
Gespräch: Stephan Kaufmann
<ul> ~ http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/wirtschaft/229636.html</ul>
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