Stephan
09.08.2003, 14:04 |
"Das Globale und die Gewalt" philosophisches von Jean BaudrillardThread gesperrt |
--><h3>In unserer Moderne entspringt der Terrorismus der Logik des Systems </h3>
[i]Von Jean Baudrillard<i/>
Das Grundübel unserer Zeit, so der Kulturkritiker Jean Baudrillard, ist die Unmöglichkeit, auf Geschenke mit Gegengeschenken zu antworten. Unter den Intellektuellen, die nach dem 11. September versucht haben, das Phänomen des Terrorismus zu denken, gilt er als der radikalste und ist der Einzige, der zu moralischer Verurteilung sich nicht veranlasst sieht. Während Baudrillard andernorts mit drastischen Bildern und der Behauptung provoziert hat, dass von diesem Ereignis"ausnahmslos alle Welt geträumt hat", geht es im vorliegenden Essay, der auf einen Vortrag im Pariser"Institut du monde arabe" zurückgeht, um die Frage, was das Zeitalter der Aufklärung unterscheidet von"unserer Moderne" der Globalisierung.
Der Terrorismus heute steht nicht in der Tradition von Anarchie, Nihilismus und Fanatismus. Vielmehr ist er Zeitgenosse der Globalisierung, und um seine Züge zu erfassen, ist ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Globalisierung in ihrem Verhältnis zum Universellen und Singulären erforderlich. Die Termini"global" und"universell" sind auf trügerische Weise analog. Universalität meint Universalität der Menschen- und Freiheitsrechte, der Kultur und Demokratie. Globalisierung heißt Globalisierung der Technik, des Marktes, des Tourismus, der Information. Globalisierung scheint unumkehrbar, dagegen ist das Universelle eher im Verschwinden begriffen; jedenfalls soweit es sich in einem Wertesystem niedergeschlagen hat, das in anderen Kulturen ohne Entsprechung ist. Eine Kultur, die universell wird, verliert ihre Singularität und liegt im Sterben. So war es mit den vielen, die wir zerstört haben, weil wir sie mit Gewalt assimilierten, aber auch mit unserer eigenen und ihrem Anspruch auf Universalität. Der Unterschied liegt darin, dass die anderen Kulturen an ihrer Singularität gestorben sind, während wir am Verlust aller Singularität, an der Ausmerzung all unserer Werte sterben. Das Schicksal eines Werts, denken wir, sei idealerweise, dass er sich ins Universelle erhebt, und wir ermessen dabei nicht die tödliche Gefahr, die in dieser Beförderung liegt: Viel mehr als um Erhöhung geht es dabei um Verwässerung. Trieb man die Universalisierung - parallel zum Aufstieg des Fortschritts - zur Zeit der Aufklärung zum Exzess, so wird heute dagegen aus Verlegenheit universalisiert, als Flucht nach vorn in den kleinsten gemeinsamen Nenner. So geschieht es etwa mit den Menschenrechten, der Demokratie und der Freiheit, deren Verbreitung gebunden ist an ihre schwächstmögliche Definition.
Tatsächlich geht das Universelle in der Globalisierung unter. Die Globalisierung des Tauschs setzt der Universalität der Werte ein Ende. Es ist dies der Triumph eines einheitlichen über universales Denken. Globalisiert wird allem voran der Markt, das Übermaß der Tauschbeziehungen und aller Produkte, der nie abreißende Fluss des Geldes; auf kultureller Ebene zeigt sich dies in der Promiskuität der Zeichen und aller Werte, d.h. der Pornographie. Pornographie, das ist globale Verbreitung von allem und jedem in den Leitungen der Kommunikationsnetze: Sexuelle Obszönität ist gar nicht nötig, interaktive Kopulation genügt. Am Ende des Prozesses gibt es den Unterschied zwischen global und universell nicht mehr. Das Universelle ist selbst globalisiert, Demokratie und Menschenrechte zirkulieren wie Ã-l und Kapital, genauso wie jedes andere globale Produkt.
Was im Übergang vom Universellen zum Globalen vor sich geht, ist Homogenisierung und unendliche Fragmentierung zugleich. Auf Zentrales folgt nicht Lokales, sondern Ortlosigkeit. Dem Konzentrischen folgt nicht Dezentriertes, sondern Exzentrisches. Und Diskriminierung und Ausschluss sind nicht zufällige Folgen der Globalisierung, sondern sie entsprechen ihrer eigenen Logik. Man kann sich fragen, ob das Universelle seiner kritischen Masse nicht schon erlegen ist und ob dieses sowie die Moderne jemals anders existiert haben als in Diskursen und in der offiziellen Moral. Für uns ist der Spiegel des Universellen zerbrochen. Aber darin liegt vielleicht eine Chance, denn in den Fragmenten des zerbrochenen Spiegels stehen alle Singularitäten wieder auf: Die man bedroht sah, überleben, und die man verschwunden glaubte, feiern Auferstehung. Die Situation radikalisiert sich in dem Maß, wie die universellen Werte ihre Autorität und Legitimität verlieren. Solange sie sich als vermittelnde Werte aufdrängten, gelang es ihnen, die Singularitäten als Differenzen einer universellen Kultur der Differenz zu integrieren. Im Triumph ihres Sieges macht die Globalisierung Tabula rasa mit allen Differenzen und Werten, und öffnet so den Weg für eine Kultur (oder Unkultur), die indifferent ist. Wenn das Universelle verschwunden ist, bleibt nur noch die allmächtige globale Technostruktur und ihr gegenüber Singularitäten, die wieder wild und sich selbst ausgeliefert sind. Das Universelle hat seine historische Chance gehabt. Angesichts einer globalen Weltordnung ohne Alternative auf der einen Seite und den Auswüchsen und dem Aufstand der Singularitäten auf der anderen sind die Begriffe der Freiheit, Demokratie und Menschenrechte Schatten ihrer selbst geworden, Phantombilder des verschwundenen Universellen.
Das Universelle war ein Kulturraum der Transzendenz, des Subjekts und des Begriffs, des Realen und der Repräsentation. Der virtuelle Raum des Globalen ist dagegen der des Bildschirms, des Netzes, der Immanenz, des Numerischen, des Raum-Zeitlichen ohne Dimension. Im Universellen gab es noch einen natürlichen Bezug zu Welt, Körper, Gedächtnis, eine Art dialektischer Spannung und kritischer Bewegung, die ihre Form in der historischen und revolutionären Gewalt fand. Durch die Verdrängung dieser kritischen Negativität wird der Weg zu einer anderen Art der Gewalt eröffnet: zu der des Globalen, wo ausschließlich Positivität und technische Effizienz vorherrscht, totale Organisation, integrale Zirkulation, Äquivalenz aller Tauschbeziehungen. Darin gründet auch das Ende der Rolle des Intellektuellen, den die Aufklärung und das Universelle schufen, ganz so wie Widersprüche und historische Gewalt den Kämpfer, der sich politisch engagiert, hervorbrachten.
Das Universelle war eine Idee. Wenn sie sich jetzt im Globalen verwirklicht, begeht sie als Idee Selbstmord. Das Menschliche regiert inzwischen allein, aber ein letztes Ziel gibt es nicht mehr. Jetzt, wo es keinen Feind mehr hat, erzeugt es ihn aus sich heraus und gebiert lauter Metastasen des Unmenschlichen. Daher kommt die Gewalts des Globalen, als Gewalt eines Systems, das jeder Art der Negativität und Singularität nachsetzt, selbst jener letzten Form von Singularität, die der Tod selbst ist. Es ist die Gewalt einer Gesellschaft, in der uns Konflikte und Tod verboten sind, Gewalt, die in gewisser Hinsicht der Gewalt selbst ein Ende setzt und die an einer Welt arbeitet, die jede natürliche Ordnung hinter sich lässt, sei es die des Körpers, des Geschlechts, der Geburt oder des Todes. Statt von Gewalt sollte man eher von"Virulenz" reden, denn diese Gewalt ist viral: Sie arbeitet mit Ansteckung und Kettenreaktion und zerstört immer mehr unsere Immunität und Widerstandskraft. Das Spiel ist nicht aus, und die Globalisierung hat nicht gesiegt. Gegen ihre homogenisierende und verwässernde Macht sieht man heterogene Kräfte überall hervorbrechen. In den immer lebhafteren Widerständen gegen die Globalisierung muss man mehr sehen als archaische Weigerung, nämlich eine Art Revisionismus der Zerrissenheit angesichts der Errungenschaften der Moderne und des Fortschritts, die nicht nur die globale Technostruktur, sondern auch die mentale Struktur der Gleichwertigkeit aller Kulturen zurückweist. Es gibt kollektive Formen ethnischer, religiöser, linguistischer Art, aber auch individuelle Formen charakterlicher oder neurotischer Art, deren Wiederauftauchen unserem aufgeklärten Denken gewaltsam, abnorm, irrational vorkommen kann. Es wäre ein Fehler, dieses Aufbäumen als populistisch, archaisch oder terroristisch zu verurteilen. Alles, was heute zum Ereignis wird, wird dies gegen die abstrakte Universalität - darunter fällt auch der Antagonismus zwischen Islam und westlichen Werten (weil er sie am vehementesten in Frage stellt, ist er heute der Feind Nummer eins).
Wer kann das globale System wirksam attackieren? Sicher nicht die Bewegung der Globalisierungsgegner, die nur zum Ziel hat, die Deregulierung zu bremsen. Ihre politische Wirkung mag beträchtlich sein, die symbolische Wirkung ist gleich null. Solche Gewalt ist nur eine weitere Art innerer Peripetie, die das System zu überwinden vermag und dabei jederzeit das Spiel beherrscht. Das System herausfordern können keine positiven Alternativen, sondern nur Singularitäten. Die aber sind weder positiv noch negativ. Sie bieten keine Alternative, sondern gehören einer anderen Ordnung an. Sie gehorchen keinem Werturteil mehr, keinem politischen Realitätsprinzip, und können also das Beste oder das Schlimmste sein. Sie lassen sich daher in keiner gemeinsamen historischen Aktion vereinigen. Sie sind eine Herausforderung für jedes einheitliche herrschende Denken, aber sie sind kein einheitliches Anti-Denken, sondern diese Alternativen sind die Erfinder ihrer Spiele mit eigenen Spielregeln.
Diese Singularitäten sind nicht notwendigerweise gewaltsam, es gibt darunter sehr subtile, wie die der Sprachen, der Kunst, des Körpers oder der Kultur. Aber es sind darunter auch gewaltsame - der Terrorismus ist eine davon. Er ist diejenige Singularität, die alle singulären Kulturen rächt, die mit ihrem Verschwinden für die Einrichtung dieser einzigen globalen Macht bezahlt haben. Wir haben es also nicht mit einen"Kampf der Kulturen" zu tun, sondern es geht um ein - beinahe anthropologisches - Aufeinandertreffen zwischen einer undifferenzierten universellen Kultur und all dem, was so etwas wie eine irreduktible Alterität bewahrt.
Für die globale Macht, die so integristisch ist wie die religiöse Orthodoxie, sind alle Formen des Unterschieds und des Singulären ketzerisch. Als solche sind sie dazu verurteilt, entweder - freiwillig oder genötigt - in die globale Ordnung zurückzufinden oder unterzugehen. Die Mission des Okzidents (oder besser des Ex-Okzidents, wo er doch schon lange keine eigenen Werte mehr hat) besteht darin, die vielfältigen Kulturen mit allen Mitteln dem rohen Gesetz der Gleichwertigkeit zu unterwerfen. Eine Kultur, die ihre Werte verloren hat, kann nicht anders als sich an den Kulturen der anderen zu rächen. Sogar die Kriege zielen in erster Linie und jenseits der politischen oder ökonomischen Strategien darauf ab, Wildwuchs in normale Bahnen zu lenken und alle Territorien auf Linie zu bringen. Ziel ist, alle Zonen des Widerstands zu brechen, alle ungezähmten Räume zu kolonialisieren und zu domestizieren, sei es im geographischen Raum oder im mentalen Universum.
Dass einem Gebiet alle demokratischen Freiheiten und Freizügigkeiten - Musik, Fernsehen oder selbst das Gesicht der Frau - entzogen werden könnten, dass ein Land die total gegensätzliche Position einnehmen könnte zu dem, was wir Zivilisation nennen, das ist für den Rest der"freien" Welt unerträglich. Dass die Moderne in ihrem Anspruch auf Universalität einfach negiert wird, kommt nicht in Frage; dass sie nicht als selbstverständlich, als das Gute und das natürliche Ideal der Gattung erscheint, dass die Universalität unserer Sitten und Werte in Zweifel gezogen wird, und sei es auch durch gewisse Geister, die sofort als fanatisch bezeichnet werden, das ist aus der Sicht des Einheits- und Konsensdenkens des Westens kriminell. Eine solche Frontstellung lässt sich nur im Lichte symbolischer Verpflichtungen verstehen. Um den Hass der restlichen Welt auf den Westen zu begreifen, muss man alle Perspektiven umkehren. Es handelt sich dabei nicht um den Hass derer, denen alles genommen und nichts zurückgegeben wurde, sondern derer, denen man alles gegeben hat, ohne dass sie etwas zurückgeben könnten; also nicht Hass aus Ausbeutung und Enteignung, sondern aus Erniedrigung. Darauf antwortet der Terrorismus des 11. Septembers: Erniedrigung gegen Erniedrigung.
Die Basis aller Herrschaft ist das Fehlen eines Gegengewichts - das ist jedenfalls die Grundregel. Einseitiges Geben ist ein Herrschaftsakt. Und das Reich des Guten, die Gewalt des Guten, heißt zu geben, ohne dass etwas zurückgegeben werden kann, heißt, den Platz Gottes einzunehmen. Dass es heute kein Gegenüber mehr gibt, niemanden, bei dem wir eine symbolische Schuld begleichen können, ist der Fluch unserer Kultur. Nicht dass die Gabe, sondern dass die Gegengabe unmöglich geworden ist, weil alle Wege des Opfers entschärft worden sind.
All das kann lange funktionieren dank des Eingebundenseins in Tausch und ökonomische Ordnung, aber irgendwann setzt sich die Grundregel durch, und auf die positive Übertragung folgt eine negative Gegenübertragung, eine gewaltsame Abreaktion von dieser Gefangenenwelt, dieser geschützten Existenz und Saturiertheit der Existenz. Diese Umkehrung erfolgt entweder in der Form offener Gewalt oder in der ohnmächtigen Verweigerung des Selbsthasses und der Gewissensbisse, alles negative Leidenschaften, die abgewerteten Formen der Gegengabe, die unmöglich geworden ist. Ebenso sehr wie auf der manifesten Verzweiflung der Erniedrigten und Beleidigten fußt der Terrorismus somit auf der untergründigen Verzweiflung, die mit den Vorzügen der Globalisierung einhergeht: dass wir uns selbst zu Untertanen einer integralen Technik machen, einer erdrückenden virtuellen Realität, einer Macht der Netze und Programme, die vielleicht das Negativprofil der gesamten Gattung darstellt, der menschlichen Gattung, die"global" geworden ist. Wenn der Terrorismus aus einem Exzess der Wirklichkeit und ihrem unmöglichen Tausch, aus diesem Übermaß ohne Gegengewicht und einer Zwangslösung der Konflikte hervorgeht, dann ist es illusionär zu glauben, man könne ihn ausrotten. So, wie er ist, in seiner Absurdität und seinem Un-Sinn, ist er das Verdikt und das Urteil, das diese Gesellschaft über sich selbst verhängt hat.
Gruß
Stephan
<ul> ~ http://www.fr-aktuell.de/startseite/startseite/?sid=0bbb076477e6cb7fb511e5fb2e6c</ul>
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Cujo
09.08.2003, 14:59
@ Stephan
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Re:"Das Globale und die Gewalt" philosophisches von Jean Baudrillard |
-->><h3>In unserer Moderne entspringt der Terrorismus der Logik des Systems </h3>
>[i]Von Jean Baudrillard<i/>
>Das Grundübel unserer Zeit, so der Kulturkritiker Jean Baudrillard, ist die Unmöglichkeit, auf Geschenke mit Gegengeschenken zu antworten. Unter den Intellektuellen, die nach dem 11. September versucht haben, das Phänomen des Terrorismus zu denken, gilt er als der radikalste und ist der Einzige, der zu moralischer Verurteilung sich nicht veranlasst sieht. Während Baudrillard andernorts mit drastischen Bildern und der Behauptung provoziert hat, dass von diesem Ereignis"ausnahmslos alle Welt geträumt hat", geht es im vorliegenden Essay, der auf einen Vortrag im Pariser"Institut du monde arabe" zurückgeht, um die Frage, was das Zeitalter der Aufklärung unterscheidet von"unserer Moderne" der Globalisierung.
>Der Terrorismus heute steht nicht in der Tradition von Anarchie, Nihilismus und Fanatismus. Vielmehr ist er Zeitgenosse der Globalisierung, und um seine Züge zu erfassen, ist ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Globalisierung in ihrem Verhältnis zum Universellen und Singulären erforderlich. Die Termini"global" und"universell" sind auf trügerische Weise analog. Universalität meint Universalität der Menschen- und Freiheitsrechte, der Kultur und Demokratie. Globalisierung heißt Globalisierung der Technik, des Marktes, des Tourismus, der Information. Globalisierung scheint unumkehrbar, dagegen ist das Universelle eher im Verschwinden begriffen; jedenfalls soweit es sich in einem Wertesystem niedergeschlagen hat, das in anderen Kulturen ohne Entsprechung ist. Eine Kultur, die universell wird, verliert ihre Singularität und liegt im Sterben. So war es mit den vielen, die wir zerstört haben, weil wir sie mit Gewalt assimilierten, aber auch mit unserer eigenen und ihrem Anspruch auf Universalität. Der Unterschied liegt darin, dass die anderen Kulturen an ihrer Singularität gestorben sind, während wir am Verlust aller Singularität, an der Ausmerzung all unserer Werte sterben. Das Schicksal eines Werts, denken wir, sei idealerweise, dass er sich ins Universelle erhebt, und wir ermessen dabei nicht die tödliche Gefahr, die in dieser Beförderung liegt: Viel mehr als um Erhöhung geht es dabei um Verwässerung. Trieb man die Universalisierung - parallel zum Aufstieg des Fortschritts - zur Zeit der Aufklärung zum Exzess, so wird heute dagegen aus Verlegenheit universalisiert, als Flucht nach vorn in den kleinsten gemeinsamen Nenner. So geschieht es etwa mit den Menschenrechten, der Demokratie und der Freiheit, deren Verbreitung gebunden ist an ihre schwächstmögliche Definition.
>Tatsächlich geht das Universelle in der Globalisierung unter. Die Globalisierung des Tauschs setzt der Universalität der Werte ein Ende. Es ist dies der Triumph eines einheitlichen über universales Denken. Globalisiert wird allem voran der Markt, das Übermaß der Tauschbeziehungen und aller Produkte, der nie abreißende Fluss des Geldes; auf kultureller Ebene zeigt sich dies in der Promiskuität der Zeichen und aller Werte, d.h. der Pornographie. Pornographie, das ist globale Verbreitung von allem und jedem in den Leitungen der Kommunikationsnetze: Sexuelle Obszönität ist gar nicht nötig, interaktive Kopulation genügt. Am Ende des Prozesses gibt es den Unterschied zwischen global und universell nicht mehr. Das Universelle ist selbst globalisiert, Demokratie und Menschenrechte zirkulieren wie Ã-l und Kapital, genauso wie jedes andere globale Produkt.
>Was im Übergang vom Universellen zum Globalen vor sich geht, ist Homogenisierung und unendliche Fragmentierung zugleich. Auf Zentrales folgt nicht Lokales, sondern Ortlosigkeit. Dem Konzentrischen folgt nicht Dezentriertes, sondern Exzentrisches. Und Diskriminierung und Ausschluss sind nicht zufällige Folgen der Globalisierung, sondern sie entsprechen ihrer eigenen Logik. Man kann sich fragen, ob das Universelle seiner kritischen Masse nicht schon erlegen ist und ob dieses sowie die Moderne jemals anders existiert haben als in Diskursen und in der offiziellen Moral. Für uns ist der Spiegel des Universellen zerbrochen. Aber darin liegt vielleicht eine Chance, denn in den Fragmenten des zerbrochenen Spiegels stehen alle Singularitäten wieder auf: Die man bedroht sah, überleben, und die man verschwunden glaubte, feiern Auferstehung. Die Situation radikalisiert sich in dem Maß, wie die universellen Werte ihre Autorität und Legitimität verlieren. Solange sie sich als vermittelnde Werte aufdrängten, gelang es ihnen, die Singularitäten als Differenzen einer universellen Kultur der Differenz zu integrieren. Im Triumph ihres Sieges macht die Globalisierung Tabula rasa mit allen Differenzen und Werten, und öffnet so den Weg für eine Kultur (oder Unkultur), die indifferent ist. Wenn das Universelle verschwunden ist, bleibt nur noch die allmächtige globale Technostruktur und ihr gegenüber Singularitäten, die wieder wild und sich selbst ausgeliefert sind. Das Universelle hat seine historische Chance gehabt. Angesichts einer globalen Weltordnung ohne Alternative auf der einen Seite und den Auswüchsen und dem Aufstand der Singularitäten auf der anderen sind die Begriffe der Freiheit, Demokratie und Menschenrechte Schatten ihrer selbst geworden, Phantombilder des verschwundenen Universellen.
>Das Universelle war ein Kulturraum der Transzendenz, des Subjekts und des Begriffs, des Realen und der Repräsentation. Der virtuelle Raum des Globalen ist dagegen der des Bildschirms, des Netzes, der Immanenz, des Numerischen, des Raum-Zeitlichen ohne Dimension. Im Universellen gab es noch einen natürlichen Bezug zu Welt, Körper, Gedächtnis, eine Art dialektischer Spannung und kritischer Bewegung, die ihre Form in der historischen und revolutionären Gewalt fand. Durch die Verdrängung dieser kritischen Negativität wird der Weg zu einer anderen Art der Gewalt eröffnet: zu der des Globalen, wo ausschließlich Positivität und technische Effizienz vorherrscht, totale Organisation, integrale Zirkulation, Äquivalenz aller Tauschbeziehungen. Darin gründet auch das Ende der Rolle des Intellektuellen, den die Aufklärung und das Universelle schufen, ganz so wie Widersprüche und historische Gewalt den Kämpfer, der sich politisch engagiert, hervorbrachten.
>Das Universelle war eine Idee. Wenn sie sich jetzt im Globalen verwirklicht, begeht sie als Idee Selbstmord. Das Menschliche regiert inzwischen allein, aber ein letztes Ziel gibt es nicht mehr. Jetzt, wo es keinen Feind mehr hat, erzeugt es ihn aus sich heraus und gebiert lauter Metastasen des Unmenschlichen. Daher kommt die Gewalts des Globalen, als Gewalt eines Systems, das jeder Art der Negativität und Singularität nachsetzt, selbst jener letzten Form von Singularität, die der Tod selbst ist. Es ist die Gewalt einer Gesellschaft, in der uns Konflikte und Tod verboten sind, Gewalt, die in gewisser Hinsicht der Gewalt selbst ein Ende setzt und die an einer Welt arbeitet, die jede natürliche Ordnung hinter sich lässt, sei es die des Körpers, des Geschlechts, der Geburt oder des Todes. Statt von Gewalt sollte man eher von"Virulenz" reden, denn diese Gewalt ist viral: Sie arbeitet mit Ansteckung und Kettenreaktion und zerstört immer mehr unsere Immunität und Widerstandskraft. Das Spiel ist nicht aus, und die Globalisierung hat nicht gesiegt. Gegen ihre homogenisierende und verwässernde Macht sieht man heterogene Kräfte überall hervorbrechen. In den immer lebhafteren Widerständen gegen die Globalisierung muss man mehr sehen als archaische Weigerung, nämlich eine Art Revisionismus der Zerrissenheit angesichts der Errungenschaften der Moderne und des Fortschritts, die nicht nur die globale Technostruktur, sondern auch die mentale Struktur der Gleichwertigkeit aller Kulturen zurückweist. Es gibt kollektive Formen ethnischer, religiöser, linguistischer Art, aber auch individuelle Formen charakterlicher oder neurotischer Art, deren Wiederauftauchen unserem aufgeklärten Denken gewaltsam, abnorm, irrational vorkommen kann. Es wäre ein Fehler, dieses Aufbäumen als populistisch, archaisch oder terroristisch zu verurteilen. Alles, was heute zum Ereignis wird, wird dies gegen die abstrakte Universalität - darunter fällt auch der Antagonismus zwischen Islam und westlichen Werten (weil er sie am vehementesten in Frage stellt, ist er heute der Feind Nummer eins).
>Wer kann das globale System wirksam attackieren? Sicher nicht die Bewegung der Globalisierungsgegner, die nur zum Ziel hat, die Deregulierung zu bremsen. Ihre politische Wirkung mag beträchtlich sein, die symbolische Wirkung ist gleich null. Solche Gewalt ist nur eine weitere Art innerer Peripetie, die das System zu überwinden vermag und dabei jederzeit das Spiel beherrscht. Das System herausfordern können keine positiven Alternativen, sondern nur Singularitäten. Die aber sind weder positiv noch negativ. Sie bieten keine Alternative, sondern gehören einer anderen Ordnung an. Sie gehorchen keinem Werturteil mehr, keinem politischen Realitätsprinzip, und können also das Beste oder das Schlimmste sein. Sie lassen sich daher in keiner gemeinsamen historischen Aktion vereinigen. Sie sind eine Herausforderung für jedes einheitliche herrschende Denken, aber sie sind kein einheitliches Anti-Denken, sondern diese Alternativen sind die Erfinder ihrer Spiele mit eigenen Spielregeln.
>Diese Singularitäten sind nicht notwendigerweise gewaltsam, es gibt darunter sehr subtile, wie die der Sprachen, der Kunst, des Körpers oder der Kultur. Aber es sind darunter auch gewaltsame - der Terrorismus ist eine davon. Er ist diejenige Singularität, die alle singulären Kulturen rächt, die mit ihrem Verschwinden für die Einrichtung dieser einzigen globalen Macht bezahlt haben. Wir haben es also nicht mit einen"Kampf der Kulturen" zu tun, sondern es geht um ein - beinahe anthropologisches - Aufeinandertreffen zwischen einer undifferenzierten universellen Kultur und all dem, was so etwas wie eine irreduktible Alterität bewahrt.
>Für die globale Macht, die so integristisch ist wie die religiöse Orthodoxie, sind alle Formen des Unterschieds und des Singulären ketzerisch. Als solche sind sie dazu verurteilt, entweder - freiwillig oder genötigt - in die globale Ordnung zurückzufinden oder unterzugehen. Die Mission des Okzidents (oder besser des Ex-Okzidents, wo er doch schon lange keine eigenen Werte mehr hat) besteht darin, die vielfältigen Kulturen mit allen Mitteln dem rohen Gesetz der Gleichwertigkeit zu unterwerfen. Eine Kultur, die ihre Werte verloren hat, kann nicht anders als sich an den Kulturen der anderen zu rächen. Sogar die Kriege zielen in erster Linie und jenseits der politischen oder ökonomischen Strategien darauf ab, Wildwuchs in normale Bahnen zu lenken und alle Territorien auf Linie zu bringen. Ziel ist, alle Zonen des Widerstands zu brechen, alle ungezähmten Räume zu kolonialisieren und zu domestizieren, sei es im geographischen Raum oder im mentalen Universum.
>Dass einem Gebiet alle demokratischen Freiheiten und Freizügigkeiten - Musik, Fernsehen oder selbst das Gesicht der Frau - entzogen werden könnten, dass ein Land die total gegensätzliche Position einnehmen könnte zu dem, was wir Zivilisation nennen, das ist für den Rest der"freien" Welt unerträglich. Dass die Moderne in ihrem Anspruch auf Universalität einfach negiert wird, kommt nicht in Frage; dass sie nicht als selbstverständlich, als das Gute und das natürliche Ideal der Gattung erscheint, dass die Universalität unserer Sitten und Werte in Zweifel gezogen wird, und sei es auch durch gewisse Geister, die sofort als fanatisch bezeichnet werden, das ist aus der Sicht des Einheits- und Konsensdenkens des Westens kriminell. Eine solche Frontstellung lässt sich nur im Lichte symbolischer Verpflichtungen verstehen. Um den Hass der restlichen Welt auf den Westen zu begreifen, muss man alle Perspektiven umkehren. Es handelt sich dabei nicht um den Hass derer, denen alles genommen und nichts zurückgegeben wurde, sondern derer, denen man alles gegeben hat, ohne dass sie etwas zurückgeben könnten; also nicht Hass aus Ausbeutung und Enteignung, sondern aus Erniedrigung. Darauf antwortet der Terrorismus des 11. Septembers: Erniedrigung gegen Erniedrigung.
>Die Basis aller Herrschaft ist das Fehlen eines Gegengewichts - das ist jedenfalls die Grundregel. Einseitiges Geben ist ein Herrschaftsakt. Und das Reich des Guten, die Gewalt des Guten, heißt zu geben, ohne dass etwas zurückgegeben werden kann, heißt, den Platz Gottes einzunehmen. Dass es heute kein Gegenüber mehr gibt, niemanden, bei dem wir eine symbolische Schuld begleichen können, ist der Fluch unserer Kultur. Nicht dass die Gabe, sondern dass die Gegengabe unmöglich geworden ist, weil alle Wege des Opfers entschärft worden sind.
>All das kann lange funktionieren dank des Eingebundenseins in Tausch und ökonomische Ordnung, aber irgendwann setzt sich die Grundregel durch, und auf die positive Übertragung folgt eine negative Gegenübertragung, eine gewaltsame Abreaktion von dieser Gefangenenwelt, dieser geschützten Existenz und Saturiertheit der Existenz. Diese Umkehrung erfolgt entweder in der Form offener Gewalt oder in der ohnmächtigen Verweigerung des Selbsthasses und der Gewissensbisse, alles negative Leidenschaften, die abgewerteten Formen der Gegengabe, die unmöglich geworden ist. Ebenso sehr wie auf der manifesten Verzweiflung der Erniedrigten und Beleidigten fußt der Terrorismus somit auf der untergründigen Verzweiflung, die mit den Vorzügen der Globalisierung einhergeht: dass wir uns selbst zu Untertanen einer integralen Technik machen, einer erdrückenden virtuellen Realität, einer Macht der Netze und Programme, die vielleicht das Negativprofil der gesamten Gattung darstellt, der menschlichen Gattung, die"global" geworden ist. Wenn der Terrorismus aus einem Exzess der Wirklichkeit und ihrem unmöglichen Tausch, aus diesem Übermaß ohne Gegengewicht und einer Zwangslösung der Konflikte hervorgeht, dann ist es illusionär zu glauben, man könne ihn ausrotten. So, wie er ist, in seiner Absurdität und seinem Un-Sinn, ist er das Verdikt und das Urteil, das diese Gesellschaft über sich selbst verhängt hat.
>Gruß
>Stephan
Und hier das entsprechende *Cujo-Buch* zu Baudrillard und Terrorismus (MUST READ *g*)
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3932089987/qid=1060433158/sr=2-1/ref=sr_aps_prod_1_1/028-5629195-6707713
Gruß
Cujo
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Amber
09.08.2003, 16:12
@ Cujo
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Ich kann +Cujos+ Buch guten Gewissens voll und ganz empfehlen! |
-->>><h3>In unserer Moderne entspringt der Terrorismus der Logik des Systems </h3>
>>[i]Von Jean Baudrillard<i/>
>>Das Grundübel unserer Zeit, so der Kulturkritiker Jean Baudrillard, ist die Unmöglichkeit, auf Geschenke mit Gegengeschenken zu antworten. Unter den Intellektuellen, die nach dem 11. September versucht haben, das Phänomen des Terrorismus zu denken, gilt er als der radikalste und ist der Einzige, der zu moralischer Verurteilung sich nicht veranlasst sieht. Während Baudrillard andernorts mit drastischen Bildern und der Behauptung provoziert hat, dass von diesem Ereignis"ausnahmslos alle Welt geträumt hat", geht es im vorliegenden Essay, der auf einen Vortrag im Pariser"Institut du monde arabe" zurückgeht, um die Frage, was das Zeitalter der Aufklärung unterscheidet von"unserer Moderne" der Globalisierung.
>>Der Terrorismus heute steht nicht in der Tradition von Anarchie, Nihilismus und Fanatismus. Vielmehr ist er Zeitgenosse der Globalisierung, und um seine Züge zu erfassen, ist ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Globalisierung in ihrem Verhältnis zum Universellen und Singulären erforderlich. Die Termini"global" und"universell" sind auf trügerische Weise analog. Universalität meint Universalität der Menschen- und Freiheitsrechte, der Kultur und Demokratie. Globalisierung heißt Globalisierung der Technik, des Marktes, des Tourismus, der Information. Globalisierung scheint unumkehrbar, dagegen ist das Universelle eher im Verschwinden begriffen; jedenfalls soweit es sich in einem Wertesystem niedergeschlagen hat, das in anderen Kulturen ohne Entsprechung ist. Eine Kultur, die universell wird, verliert ihre Singularität und liegt im Sterben. So war es mit den vielen, die wir zerstört haben, weil wir sie mit Gewalt assimilierten, aber auch mit unserer eigenen und ihrem Anspruch auf Universalität. Der Unterschied liegt darin, dass die anderen Kulturen an ihrer Singularität gestorben sind, während wir am Verlust aller Singularität, an der Ausmerzung all unserer Werte sterben. Das Schicksal eines Werts, denken wir, sei idealerweise, dass er sich ins Universelle erhebt, und wir ermessen dabei nicht die tödliche Gefahr, die in dieser Beförderung liegt: Viel mehr als um Erhöhung geht es dabei um Verwässerung. Trieb man die Universalisierung - parallel zum Aufstieg des Fortschritts - zur Zeit der Aufklärung zum Exzess, so wird heute dagegen aus Verlegenheit universalisiert, als Flucht nach vorn in den kleinsten gemeinsamen Nenner. So geschieht es etwa mit den Menschenrechten, der Demokratie und der Freiheit, deren Verbreitung gebunden ist an ihre schwächstmögliche Definition.
>>Tatsächlich geht das Universelle in der Globalisierung unter. Die Globalisierung des Tauschs setzt der Universalität der Werte ein Ende. Es ist dies der Triumph eines einheitlichen über universales Denken. Globalisiert wird allem voran der Markt, das Übermaß der Tauschbeziehungen und aller Produkte, der nie abreißende Fluss des Geldes; auf kultureller Ebene zeigt sich dies in der Promiskuität der Zeichen und aller Werte, d.h. der Pornographie. Pornographie, das ist globale Verbreitung von allem und jedem in den Leitungen der Kommunikationsnetze: Sexuelle Obszönität ist gar nicht nötig, interaktive Kopulation genügt. Am Ende des Prozesses gibt es den Unterschied zwischen global und universell nicht mehr. Das Universelle ist selbst globalisiert, Demokratie und Menschenrechte zirkulieren wie Ã-l und Kapital, genauso wie jedes andere globale Produkt.
>>Was im Übergang vom Universellen zum Globalen vor sich geht, ist Homogenisierung und unendliche Fragmentierung zugleich. Auf Zentrales folgt nicht Lokales, sondern Ortlosigkeit. Dem Konzentrischen folgt nicht Dezentriertes, sondern Exzentrisches. Und Diskriminierung und Ausschluss sind nicht zufällige Folgen der Globalisierung, sondern sie entsprechen ihrer eigenen Logik. Man kann sich fragen, ob das Universelle seiner kritischen Masse nicht schon erlegen ist und ob dieses sowie die Moderne jemals anders existiert haben als in Diskursen und in der offiziellen Moral. Für uns ist der Spiegel des Universellen zerbrochen. Aber darin liegt vielleicht eine Chance, denn in den Fragmenten des zerbrochenen Spiegels stehen alle Singularitäten wieder auf: Die man bedroht sah, überleben, und die man verschwunden glaubte, feiern Auferstehung. Die Situation radikalisiert sich in dem Maß, wie die universellen Werte ihre Autorität und Legitimität verlieren. Solange sie sich als vermittelnde Werte aufdrängten, gelang es ihnen, die Singularitäten als Differenzen einer universellen Kultur der Differenz zu integrieren. Im Triumph ihres Sieges macht die Globalisierung Tabula rasa mit allen Differenzen und Werten, und öffnet so den Weg für eine Kultur (oder Unkultur), die indifferent ist. Wenn das Universelle verschwunden ist, bleibt nur noch die allmächtige globale Technostruktur und ihr gegenüber Singularitäten, die wieder wild und sich selbst ausgeliefert sind. Das Universelle hat seine historische Chance gehabt. Angesichts einer globalen Weltordnung ohne Alternative auf der einen Seite und den Auswüchsen und dem Aufstand der Singularitäten auf der anderen sind die Begriffe der Freiheit, Demokratie und Menschenrechte Schatten ihrer selbst geworden, Phantombilder des verschwundenen Universellen.
>>Das Universelle war ein Kulturraum der Transzendenz, des Subjekts und des Begriffs, des Realen und der Repräsentation. Der virtuelle Raum des Globalen ist dagegen der des Bildschirms, des Netzes, der Immanenz, des Numerischen, des Raum-Zeitlichen ohne Dimension. Im Universellen gab es noch einen natürlichen Bezug zu Welt, Körper, Gedächtnis, eine Art dialektischer Spannung und kritischer Bewegung, die ihre Form in der historischen und revolutionären Gewalt fand. Durch die Verdrängung dieser kritischen Negativität wird der Weg zu einer anderen Art der Gewalt eröffnet: zu der des Globalen, wo ausschließlich Positivität und technische Effizienz vorherrscht, totale Organisation, integrale Zirkulation, Äquivalenz aller Tauschbeziehungen. Darin gründet auch das Ende der Rolle des Intellektuellen, den die Aufklärung und das Universelle schufen, ganz so wie Widersprüche und historische Gewalt den Kämpfer, der sich politisch engagiert, hervorbrachten.
>>Das Universelle war eine Idee. Wenn sie sich jetzt im Globalen verwirklicht, begeht sie als Idee Selbstmord. Das Menschliche regiert inzwischen allein, aber ein letztes Ziel gibt es nicht mehr. Jetzt, wo es keinen Feind mehr hat, erzeugt es ihn aus sich heraus und gebiert lauter Metastasen des Unmenschlichen. Daher kommt die Gewalts des Globalen, als Gewalt eines Systems, das jeder Art der Negativität und Singularität nachsetzt, selbst jener letzten Form von Singularität, die der Tod selbst ist. Es ist die Gewalt einer Gesellschaft, in der uns Konflikte und Tod verboten sind, Gewalt, die in gewisser Hinsicht der Gewalt selbst ein Ende setzt und die an einer Welt arbeitet, die jede natürliche Ordnung hinter sich lässt, sei es die des Körpers, des Geschlechts, der Geburt oder des Todes. Statt von Gewalt sollte man eher von"Virulenz" reden, denn diese Gewalt ist viral: Sie arbeitet mit Ansteckung und Kettenreaktion und zerstört immer mehr unsere Immunität und Widerstandskraft. Das Spiel ist nicht aus, und die Globalisierung hat nicht gesiegt. Gegen ihre homogenisierende und verwässernde Macht sieht man heterogene Kräfte überall hervorbrechen. In den immer lebhafteren Widerständen gegen die Globalisierung muss man mehr sehen als archaische Weigerung, nämlich eine Art Revisionismus der Zerrissenheit angesichts der Errungenschaften der Moderne und des Fortschritts, die nicht nur die globale Technostruktur, sondern auch die mentale Struktur der Gleichwertigkeit aller Kulturen zurückweist. Es gibt kollektive Formen ethnischer, religiöser, linguistischer Art, aber auch individuelle Formen charakterlicher oder neurotischer Art, deren Wiederauftauchen unserem aufgeklärten Denken gewaltsam, abnorm, irrational vorkommen kann. Es wäre ein Fehler, dieses Aufbäumen als populistisch, archaisch oder terroristisch zu verurteilen. Alles, was heute zum Ereignis wird, wird dies gegen die abstrakte Universalität - darunter fällt auch der Antagonismus zwischen Islam und westlichen Werten (weil er sie am vehementesten in Frage stellt, ist er heute der Feind Nummer eins).
>>Wer kann das globale System wirksam attackieren? Sicher nicht die Bewegung der Globalisierungsgegner, die nur zum Ziel hat, die Deregulierung zu bremsen. Ihre politische Wirkung mag beträchtlich sein, die symbolische Wirkung ist gleich null. Solche Gewalt ist nur eine weitere Art innerer Peripetie, die das System zu überwinden vermag und dabei jederzeit das Spiel beherrscht. Das System herausfordern können keine positiven Alternativen, sondern nur Singularitäten. Die aber sind weder positiv noch negativ. Sie bieten keine Alternative, sondern gehören einer anderen Ordnung an. Sie gehorchen keinem Werturteil mehr, keinem politischen Realitätsprinzip, und können also das Beste oder das Schlimmste sein. Sie lassen sich daher in keiner gemeinsamen historischen Aktion vereinigen. Sie sind eine Herausforderung für jedes einheitliche herrschende Denken, aber sie sind kein einheitliches Anti-Denken, sondern diese Alternativen sind die Erfinder ihrer Spiele mit eigenen Spielregeln.
>>Diese Singularitäten sind nicht notwendigerweise gewaltsam, es gibt darunter sehr subtile, wie die der Sprachen, der Kunst, des Körpers oder der Kultur. Aber es sind darunter auch gewaltsame - der Terrorismus ist eine davon. Er ist diejenige Singularität, die alle singulären Kulturen rächt, die mit ihrem Verschwinden für die Einrichtung dieser einzigen globalen Macht bezahlt haben. Wir haben es also nicht mit einen"Kampf der Kulturen" zu tun, sondern es geht um ein - beinahe anthropologisches - Aufeinandertreffen zwischen einer undifferenzierten universellen Kultur und all dem, was so etwas wie eine irreduktible Alterität bewahrt.
>>Für die globale Macht, die so integristisch ist wie die religiöse Orthodoxie, sind alle Formen des Unterschieds und des Singulären ketzerisch. Als solche sind sie dazu verurteilt, entweder - freiwillig oder genötigt - in die globale Ordnung zurückzufinden oder unterzugehen. Die Mission des Okzidents (oder besser des Ex-Okzidents, wo er doch schon lange keine eigenen Werte mehr hat) besteht darin, die vielfältigen Kulturen mit allen Mitteln dem rohen Gesetz der Gleichwertigkeit zu unterwerfen. Eine Kultur, die ihre Werte verloren hat, kann nicht anders als sich an den Kulturen der anderen zu rächen. Sogar die Kriege zielen in erster Linie und jenseits der politischen oder ökonomischen Strategien darauf ab, Wildwuchs in normale Bahnen zu lenken und alle Territorien auf Linie zu bringen. Ziel ist, alle Zonen des Widerstands zu brechen, alle ungezähmten Räume zu kolonialisieren und zu domestizieren, sei es im geographischen Raum oder im mentalen Universum.
>>Dass einem Gebiet alle demokratischen Freiheiten und Freizügigkeiten - Musik, Fernsehen oder selbst das Gesicht der Frau - entzogen werden könnten, dass ein Land die total gegensätzliche Position einnehmen könnte zu dem, was wir Zivilisation nennen, das ist für den Rest der"freien" Welt unerträglich. Dass die Moderne in ihrem Anspruch auf Universalität einfach negiert wird, kommt nicht in Frage; dass sie nicht als selbstverständlich, als das Gute und das natürliche Ideal der Gattung erscheint, dass die Universalität unserer Sitten und Werte in Zweifel gezogen wird, und sei es auch durch gewisse Geister, die sofort als fanatisch bezeichnet werden, das ist aus der Sicht des Einheits- und Konsensdenkens des Westens kriminell. Eine solche Frontstellung lässt sich nur im Lichte symbolischer Verpflichtungen verstehen. Um den Hass der restlichen Welt auf den Westen zu begreifen, muss man alle Perspektiven umkehren. Es handelt sich dabei nicht um den Hass derer, denen alles genommen und nichts zurückgegeben wurde, sondern derer, denen man alles gegeben hat, ohne dass sie etwas zurückgeben könnten; also nicht Hass aus Ausbeutung und Enteignung, sondern aus Erniedrigung. Darauf antwortet der Terrorismus des 11. Septembers: Erniedrigung gegen Erniedrigung.
>>Die Basis aller Herrschaft ist das Fehlen eines Gegengewichts - das ist jedenfalls die Grundregel. Einseitiges Geben ist ein Herrschaftsakt. Und das Reich des Guten, die Gewalt des Guten, heißt zu geben, ohne dass etwas zurückgegeben werden kann, heißt, den Platz Gottes einzunehmen. Dass es heute kein Gegenüber mehr gibt, niemanden, bei dem wir eine symbolische Schuld begleichen können, ist der Fluch unserer Kultur. Nicht dass die Gabe, sondern dass die Gegengabe unmöglich geworden ist, weil alle Wege des Opfers entschärft worden sind.
>>All das kann lange funktionieren dank des Eingebundenseins in Tausch und ökonomische Ordnung, aber irgendwann setzt sich die Grundregel durch, und auf die positive Übertragung folgt eine negative Gegenübertragung, eine gewaltsame Abreaktion von dieser Gefangenenwelt, dieser geschützten Existenz und Saturiertheit der Existenz. Diese Umkehrung erfolgt entweder in der Form offener Gewalt oder in der ohnmächtigen Verweigerung des Selbsthasses und der Gewissensbisse, alles negative Leidenschaften, die abgewerteten Formen der Gegengabe, die unmöglich geworden ist. Ebenso sehr wie auf der manifesten Verzweiflung der Erniedrigten und Beleidigten fußt der Terrorismus somit auf der untergründigen Verzweiflung, die mit den Vorzügen der Globalisierung einhergeht: dass wir uns selbst zu Untertanen einer integralen Technik machen, einer erdrückenden virtuellen Realität, einer Macht der Netze und Programme, die vielleicht das Negativprofil der gesamten Gattung darstellt, der menschlichen Gattung, die"global" geworden ist. Wenn der Terrorismus aus einem Exzess der Wirklichkeit und ihrem unmöglichen Tausch, aus diesem Übermaß ohne Gegengewicht und einer Zwangslösung der Konflikte hervorgeht, dann ist es illusionär zu glauben, man könne ihn ausrotten. So, wie er ist, in seiner Absurdität und seinem Un-Sinn, ist er das Verdikt und das Urteil, das diese Gesellschaft über sich selbst verhängt hat.
>>Gruß
>>Stephan
>Und hier das entsprechende *Cujo-Buch* zu Baudrillard und Terrorismus (MUST READ *g*)
>http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3932089987/qid=1060433158/sr=2-1/ref=sr_aps_prod_1_1/028-5629195-6707713
>
>Gruß
>Cujo
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-- Elli --
09.08.2003, 16:16
@ Amber
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Re: Ich kann +Cujos+ Buch... / @Cujo + @Amber... |
-->Würdet ihr bitte daran denken, den vorherigen Text zu löschen?
Bei euren Antworten spielt er ja keine direkte Rolle.
Merci.
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