dottore
16.09.2003, 16:13 |
Gewalttheorie in Oaxaca bestätigtThread gesperrt |
-->Hi,
noch und noch hatte ich auf Bernbeck hingewiesen (Entstehung von Tributsystemen, welche die häusliche Produktionsweise ablösten, usw.). Viele Postings dazu, wer will...
Jetzt diese Meldung:
Wissenschaft/Konflikte/Archäologie/
(Sperrfrist 15. September 2300)
Forscher: Mit den Dörfern entstanden auch die ersten Kriege =
Washington (dpa) - Erst mit der Entstehung von Dörfern kamen auch die Kriege in die Welt. Das berichten US-Forscher nach Ausgrabungen in Mexiko. Die ersten Dörfer entstanden dort vor 4000 bis 3600 Jahren in Oaxaca.
[Kenne den Platz bestens. Auch frühere Literatur dazu, legte den Schluss schon nahe.]
Nur wenige hundert Jahre später wurden auch die ersten organisierten Kämpfe zwischen benachbarten Siedlungen ausgetragen, wie Kent Flannery und Joyce Marcus von der Universität Michigan in den"Proceedings" der US-Akademie der Wissenschaften (Online-Vorab: 10.1073/pnas.1934526100) berichten. Sie untermauern damit die These, dass organisierte Kriege eine direkte Folge menschlicher Ansiedlungen sind.
Wie das sich ausbreitet: bitte in den Postings nachlesen (kann sie jetzt nicht heraussuchen, in Eile).
In den 6000 Jahren zuvor hatte Oaxaca nachweislich keine organisierte Gewalt erlebt.
In jener"archaischen Zeitperiode" gab es nur Nomaden, die in vier- bis sechsköpfigen Familienverbänden und Gruppen von 20 bis 25 Mitgliedern jagten und nach Nahrung suchten, wie die Forscher berichten.
[Besitze selbst archäologische Belege dafür, siehe auch Ausstellung in Friedrichsroda!]
Ihre Belege stammen von bekannten Ausgrabungsorten und sind winzige Überreste von Lattenzäunen und Befestigungswällen, Steine mit eingekerbten Bildern von toten und sexuell verstümmelten Gefangenen sowie Zäune und Pfosten mit Totenköpfen von Feinden.
Zwar wurden Kriege auch von anderen altertümlichen Gesellschaften schon dokumentiert, räumen Flannery und Marcus ein. Die neuen Daten aber stützten die Theorie, dass Gruppen ohne soziale Unterschiede eher friedlich miteinander umgingen.
[Macht schafft Machterhaltungszwang, schafft Hierarchien...]
Dagegen gab es in einer reicheren Umgebung mit vielen natürlichen Ressourcen und einer sozial unterteilten Gesellschaft demnach häufiger Kriege.
[Die Ressourcen stießen je nach Siedlung früher oder später an ihre Grenzen, die Modelle, die Bernbeck - übrigens auch schon für Mexiko - präsentiert, mit"Dorfringen" usw., bitte nachlesen]
Die ältesten Verteidigungsanlagen - vor 3260 bis 3160 Jahren erbaut - fand das Team in San Jose Mogote. Weitere Funde weisen darauf hin, dass solche Anlagen über einen Zeitraum von rund 1000 Jahren in dem Tal häufiger und dabei immer effektiver und abschreckender wurden.
(Internet: Originalstudie aus den"Proceedings", von Dienstag an abrufbar: http://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1934526100) dpa go xx tim
151216 Sep 03
Die O-Studie steht wohl noch nicht im Web. Kann sie jedenfalls nicht finden.
Dass die Schalmeien-Theorie (Tausch, friedlicher Handel, gar Fernhandel aus"freien Stücken" und das von Nomaden, die auch gleich noch Geld erfinden, ein Marktplatz pro 20/25 Leute, die sich dann so irgendwo"niederließen", haha, usw.) damit noch bizarrer wird, versteht sich von selbst.
Gruß!
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zani
16.09.2003, 17:42
@ dottore
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Re: Gewalttheorie in Oaxaca bestätigt |
-->Guten Abend
Ich kommentiere mal:
>Hi,
>noch und noch hatte ich auf Bernbeck hingewiesen (Entstehung von Tributsystemen, welche die häusliche Produktionsweise ablösten, usw.). Viele Postings dazu, wer will...
>Jetzt diese Meldung:
>Wissenschaft/Konflikte/Archäologie/
>(Sperrfrist 15. September 2300)
>Forscher: Mit den Dörfern entstanden auch die ersten Kriege =
>Washington (dpa) - Erst mit der Entstehung von Dörfern kamen auch die Kriege in die Welt. Das berichten US-Forscher nach Ausgrabungen in Mexiko. Die ersten Dörfer entstanden dort vor 4000 bis 3600 Jahren in Oaxaca.
>[Kenne den Platz bestens. Auch frühere Literatur dazu, legte den Schluss schon nahe.]
>Nur wenige hundert Jahre später wurden auch die ersten organisierten Kämpfe zwischen benachbarten Siedlungen ausgetragen, wie Kent Flannery und Joyce Marcus von der Universität Michigan in den"Proceedings" der US-Akademie der Wissenschaften (Online-Vorab: 10.1073/pnas.1934526100) berichten. Sie untermauern damit die These, dass organisierte Kriege eine direkte Folge menschlicher Ansiedlungen sind.
Kommentar: Dies These ist einfach eine Definition von Krieg: was K. wäre eine Frage der Quantität der Beteiligten. (immer diese Rechner)
Auch Nomaden schlagen sich.
>Wie das sich ausbreitet: bitte in den Postings nachlesen (kann sie jetzt nicht heraussuchen, in Eile).
>In den 6000 Jahren zuvor hatte Oaxaca nachweislich keine organisierte Gewalt erlebt.
K.: Nachweisen heisst hier: kleine Funde aus praktischen und vor vor allem theoretischen Spaziergängen in das riesige Feld der schriftlosen Vergangeneit tun und aus Knochen und Pfeilspitzen mal eine These basteln.
>In jener"archaischen Zeitperiode" gab es nur Nomaden, die in vier- bis sechsköpfigen Familienverbänden und Gruppen von 20 bis 25 Mitgliedern jagten und nach Nahrung suchten, wie die Forscher berichten.
>[Besitze selbst archäologische Belege dafür, siehe auch Ausstellung in Friedrichsroda!]
>Ihre Belege stammen von bekannten Ausgrabungsorten und sind winzige Überreste von Lattenzäunen und Befestigungswällen, Steine mit eingekerbten Bildern von toten und sexuell verstümmelten Gefangenen sowie Zäune und Pfosten mit Totenköpfen von Feinden.
>Zwar wurden Kriege auch von anderen altertümlichen Gesellschaften schon dokumentiert, räumen Flannery und Marcus ein.
Kommentar: na also
Die neuen Daten aber stützten die Theorie, dass Gruppen ohne soziale Unterschiede eher friedlich miteinander umgingen.
Kommentar: diese Daten stützen die 'Quadrat-Theorie', je mehr Menschen pro qm, desto mehr Ärger.
>[Macht schafft Machterhaltungszwang, schafft Hierarchien...]
>Dagegen gab es in einer reicheren Umgebung mit vielen natürlichen Ressourcen und einer sozial unterteilten Gesellschaft demnach häufiger Kriege.
K.: stützt Ärgertheorie; 'häufigerKrieg': im Verhältnis zu den Geschehnissen aus der Dunkelzeit, deren kriegerisches Geschehen wir in etwa kennen. Das ist doch Humbuk.
>[Die Ressourcen stießen je nach Siedlung früher oder später an ihre Grenzen, die Modelle, die Bernbeck - übrigens auch schon für Mexiko - präsentiert, mit"Dorfringen" usw., bitte nachlesen]
>Die ältesten Verteidigungsanlagen - vor 3260 bis 3160 Jahren erbaut - fand das Team in San Jose Mogote. Weitere Funde weisen darauf hin, dass solche Anlagen über einen Zeitraum von rund 1000 Jahren in dem Tal häufiger und dabei immer effektiver und abschreckender wurden.
>(Internet: Originalstudie aus den"Proceedings", von Dienstag an abrufbar: http://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1934526100) dpa go xx tim
>151216 Sep 03
>Die O-Studie steht wohl noch nicht im Web. Kann sie jedenfalls nicht finden.
>Dass die Schalmeien-Theorie (Tausch, friedlicher Handel, gar Fernhandel aus"freien Stücken" und das von Nomaden, die auch gleich noch Geld erfinden, ein Marktplatz pro 20/25 Leute, die sich dann so irgendwo"niederließen", haha, usw.) damit noch bizarrer wird, versteht sich von selbst.
>Gruß!
Von Knochen und Latten aus der Dunklen Zeit, über die Frage nach dem Krieg, bis zum Beweis, das eigentlich der Staat der grosse Schurke ist, ist ein draufgängischer Ritt.
Die 'Wissenschaften' sind wie die Weiber: alles will immer zu ihnen. Und wenn sie bei ihnen sind, was passiert? Oben wirds weich. (letzteres nicht direkt nehmen; es passte einfach so schön)
Gruss
zani
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Theo Stuss
16.09.2003, 17:53
@ dottore
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Re: Biberfellblase |
-->Interessant ist die erste Blasenbildung Nordamerikas, da französische Bündnissysteme über den Handel liefen.
Über den Handel mit Handel mit Biberfellen kam die französische Kolonialregierung in Quebec in Kontakt mit weit entfernten Stämmen. Gekauft wurde alles, was erjagt worden war, gegen Messer, Glasperlen, Pfeilspitzen, Musketen und Pulver.
Das garantierte Vorabkontakte für die Jesuiten. Die französische Kolonialregierung finanzierte so den Krieg gegen die Engländer. Unter den Indianern entstanden Kämpfe um die Monopolisierung des Zwischenhandels.
Unterworfene Stämme zahlten damit Tribute.
Weil den Jesuiten die Alkoholisierung ein Dorn im Auge war, überzeugten sie den König den Biberfellhandel zu unterbinden, was katastrophale Folgen hatte. Die Blase implodierte und die Indianer wurden nicht friedlicher.
Das von den Franzosen aufgebaute Bündnissystem zerbrach zum Vorteil der Engländer. Es gibt einige sehr reichhaltige amerikanische Internetseiten zur indianischen Völkerkunde, die den Untergang etlicher Stämme im Zusammenhang mit Biberfellblase ausführlich beschreiben.
Interessant ist auch das vom Irokesenbund aufgebaute Tributsystem, siehe auch das Verhältnis Irokesen-Delaware. Wer sich unter die Schutzmacht der Irokesen stellte, war vor Dezimierung gesichert. Ethnisch verwandte Stämme konnten nach einiger Zeit von tributpflichtigen zu Vollmitgliedern der Liga avancieren, wie die Tuscarora.
Andere irokesische Volkschaften, die der"heiligen Liga" nicht beitreten wollten wurden mit dem Ausrottungsbann belegt, so der Huronenbund und die sogenannten Neutralen und Eries, die zwischen den Irokesen und Huronen lebten.
Algonkins konnten nur die Tributpflichtigkeit wählen, siehe Delaware und Mohikaner. Die Irokesen versuchten sich nach allen Seiten auszudehnen, bis sie die Huronen ganz nach Kanada vertrieben hatten. Die damals noch im Waldland der Grossen Seen lebenden Sioux wanderten erst durch diesen Druck in die Prärien ab, wo zu den uns bekannten Kino-Indianern wurden.
Im Süden stiessen die Irokesen auf die ebenfalls irokesisch sprechenden Cherokee, die ihren Vormarsch stoppten. Letztere gehörten kulturell bereits zum Südosten.
In dem ganzen Kuddelmuddel spalteten sich die Delaware mehrfach. Eine Gruppe blieb in Kentucky und wurde protestantisch, was sie aber nicht vor Massakern der Weissen rettete. Eine Gruppe landete in Oklahoma, eine andere kam bis Mexiko, wo sie im mexanischen Volk aufging. Eine letzte Bande kam bis zu den Rockies, wo sie ebenfalls als berittene Büffeljäger sich die Kultur der Ebenen aneignete. Diese Gruppe wurde später ganz katholisch. Missioniert wurden sie von einem Halbblut, dessen französische Mutter als Kind geraubt worden war. Sein Name war Watomika und er wurde Häuptling der westlichen Delawaren und wurde später Jesuit.
Als das Werk vollbracht war, wurde sein Stamm von Weissen ausgerottet. Der arme Pater James Bouchard, der den Familiennamen seiner Mutter angenommen hatte und nun ganz alleine war, wurde dann als Jesuit nach San Francisco geschickt, wo er etliche Schulen gründete.
Als er dort 1889 starb kamen die Bewohner von San Francisco zu tausenden, um ihn zu betrauern, Katholiken, Protestanten und Juden, drei Tage lang.
Auch eine Karriere.
Theo
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Bärentöter
16.09.2003, 19:33
@ zani
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Re: Gewalttheorie in Oaxaca bestätigt |
-->>Guten Abend
>Ich kommentiere mal:
>>[Kenne den Platz bestens. Auch frühere Literatur dazu, legte den Schluss schon nahe.]
>>Nur wenige hundert Jahre später wurden auch die ersten organisierten Kämpfe zwischen benachbarten Siedlungen ausgetragen, wie Kent Flannery und Joyce Marcus von der Universität Michigan in den"Proceedings" der US-Akademie der Wissenschaften (Online-Vorab: 10.1073/pnas.1934526100) berichten. Sie untermauern damit die These, dass organisierte Kriege eine direkte Folge menschlicher Ansiedlungen sind.
>Kommentar: Dies These ist einfach eine Definition von Krieg: was K. wäre eine Frage der Quantität der Beteiligten. (immer diese Rechner)
>Auch Nomaden schlagen sich.
Genau das ist hier nicht der Fall gewesen, von wenigen Ausnahmen abgesehen.
Frei von Ahnung sollte man nicht kommentieren.
Wenn Du bessere Daten/Fakten hast, her damit.
MFG
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zani
16.09.2003, 20:52
@ Bärentöter
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'Die fröhlichen Wissenschaften' feiern trunken, wenn..... |
-->Guten Abend
.... eine 'Theorie' über Staat und Kriegt gewonnen wird aus der Beschau von Knochen, Latten und Pfeilspitzen.
Das hat mit 'Kenntnissen' gar nichts zu tun. Das hat was mit Methode zu tun. Hier reicht auch der gesunde Menschenverstand.
Und wenn wir schon bei den 'fröhlichen Wissenschaften' sind, können wir noch fragen: zu was dient den die Oaxaca-Theorie?
Um Gründe beizubringen, warumm der Staat -da er ja die Ursache des Krieges ist und die der Wirtschaftskatastrophen sowieso- abzuschaffen sei? Wacht endlich auf, der Staat ist der böse!
Ich glaube, bei diesen Gedanken ist die Gewichtung zwischen dem Historischen und dem Wirtschaflichen nicht genügend erwogen: hier ruht alles auf dem Boden der Wirtschaft.
Das halte ich für falsch, weil es den Blick verstellt für die Gesammtrealität, die die Wirtschaft ja nur als einen Teil umfasst; und halte ihn für falsch, weil die Geschichte uns lehrt, dass es vernüftig ist, das Handeln daran auszurichten, dass wir annehmen, dass Wirtschaften auch in Zukunft zusammenbrechen werden.
Gruss
zani
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Bärentöter
16.09.2003, 22:15
@ zani
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Re: 'Die fröhlichen Wissenschaften' feiern trunken, wenn..... |
-->Guten Abend auch!
Mir ging es nicht um den Staat. Hier ging es mir nur um interessante historische Fakten.
Ich bin davon überzeugt dass die Menschen vor einigen tausend Jahren in gewisser Weise besser und vor allem freier lebten. Sofern sie überlebten [img][/img]
Der Staat muss in der Tat nicht böse sein, genauso stimme ich überein dass Wirtschaft eine untergeordnete Rolle spielt.
MFG
>Guten Abend
>.... eine 'Theorie' über Staat und Kriegt gewonnen wird aus der Beschau von Knochen, Latten und Pfeilspitzen.
>
>Das hat mit 'Kenntnissen' gar nichts zu tun. Das hat was mit Methode zu tun. Hier reicht auch der gesunde Menschenverstand.
>
>Und wenn wir schon bei den 'fröhlichen Wissenschaften' sind, können wir noch fragen: zu was dient den die Oaxaca-Theorie?
>Um Gründe beizubringen, warumm der Staat -da er ja die Ursache des Krieges ist und die der Wirtschaftskatastrophen sowieso- abzuschaffen sei? Wacht endlich auf, der Staat ist der böse!
>Ich glaube, bei diesen Gedanken ist die Gewichtung zwischen dem Historischen und dem Wirtschaflichen nicht genügend erwogen: hier ruht alles auf dem Boden der Wirtschaft.
>Das halte ich für falsch, weil es den Blick verstellt für die Gesammtrealität, die die Wirtschaft ja nur als einen Teil umfasst; und halte ihn für falsch, weil die Geschichte uns lehrt, dass es vernüftig ist, das Handeln daran auszurichten, dass wir annehmen, dass Wirtschaften auch in Zukunft zusammenbrechen werden.
>
>Gruss
>zani
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zani
17.09.2003, 00:19
@ Bärentöter
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Überzeugtsein und Wissen |
-->Guten Abend auch wiederum Bärentöter
>Ich bin davon überzeugt, dass.....
Kommentar: Der hier zur Diskussion gestellte Text (dpa) macht mir den Eindruck, als sollte er wissenschaftlich sein (siehe die Reizwörter: Wissenschaft, Konflikte, Archäologie, Forscher, Universität, etc.). Um dieses Prädikat zu tragen, fehlt ihm aber alle Qualität. So dunkel -wie das Wort 'dunkel' dunkel ist- ist hier der Zusammenhang von Gegenstand (Knochen)und Aussage (Krieg/Staat) gestaltet. Der Hergang gehört zur Gruppe der retrospektiven Mantik.
'Überzeugt sein' ist bloss ein Art Bekräftigung der Vorstellung, die man hat. (zB.: ich sehe eine Kuh und ich bin überzeugt, dass ich eine Kuh sehe).
Für den Glauben, früher sei das Leben im Ganzen freier, besser gewesen, ist nötig zu fragen: freier, besser für wen? Natürlich bewundere ich Patrokles und Achill, Herakles und Priamor und all die anderen. Wenn wir aber uns erinnern, was das für Banditen, Raüber und Lügner, Mörder und Verführte und Betrogene waren, können wir von der Sicherheit der Lebensumstände der Massen keine zu tiefe Meinung haben.
Also, es gibt wirklich keinen Grund für diesen Glaube.
Gruss
zani
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Bärentöter
17.09.2003, 08:19
@ zani
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Re: Überzeugtsein und Wissen |
-->Sehr interessante Antwort!
Aber was wissen wir schon? Viele glauben ja nicht mal das Flugzeuge ins WTC gerast sind.
Manche glauben vielleicht auch dass es die Türme nie gab [img][/img]
Was die griechische Mythologie betrifft- nach den Überlieferungen war das schon eine recht entwickelte und sozialisierte Gesellschaft.
MFG
>Guten Abend auch wiederum Bärentöter
>>Ich bin davon überzeugt, dass.....
>Kommentar: Der hier zur Diskussion gestellte Text (dpa) macht mir den Eindruck, als sollte er wissenschaftlich sein (siehe die Reizwörter: Wissenschaft, Konflikte, Archäologie, Forscher, Universität, etc.). Um dieses Prädikat zu tragen, fehlt ihm aber alle Qualität. So dunkel -wie das Wort 'dunkel' dunkel ist- ist hier der Zusammenhang von Gegenstand (Knochen)und Aussage (Krieg/Staat) gestaltet. Der Hergang gehört zur Gruppe der retrospektiven Mantik.
>'Überzeugt sein' ist bloss ein Art Bekräftigung der Vorstellung, die man hat. (zB.: ich sehe eine Kuh und ich bin überzeugt, dass ich eine Kuh sehe).
>
>Für den Glauben, früher sei das Leben im Ganzen freier, besser gewesen, ist nötig zu fragen: freier, besser für wen? Natürlich bewundere ich Patrokles und Achill, Herakles und Priamor und all die anderen. Wenn wir aber uns erinnern, was das für Banditen, Raüber und Lügner, Mörder und Verführte und Betrogene waren, können wir von der Sicherheit der Lebensumstände der Massen keine zu tiefe Meinung haben.
>Also, es gibt wirklich keinen Grund für diesen Glaube.
>
>Gruss
>zani
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dottore
17.09.2003, 10:26
@ zani
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Re: Gewalttheorie in Oaxaca bestätigt |
-->>Guten Abend
>Ich kommentiere mal:
>>Hi,
>>noch und noch hatte ich auf Bernbeck hingewiesen (Entstehung von Tributsystemen, welche die häusliche Produktionsweise ablösten, usw.). Viele Postings dazu, wer will...
>>Jetzt diese Meldung:
>>Wissenschaft/Konflikte/Archäologie/
>>(Sperrfrist 15. September 2300)
>>Forscher: Mit den Dörfern entstanden auch die ersten Kriege =
>>Washington (dpa) - Erst mit der Entstehung von Dörfern kamen auch die Kriege in die Welt. Das berichten US-Forscher nach Ausgrabungen in Mexiko. Die ersten Dörfer entstanden dort vor 4000 bis 3600 Jahren in Oaxaca.
>>[Kenne den Platz bestens. Auch frühere Literatur dazu, legte den Schluss schon nahe.]
>>Nur wenige hundert Jahre später wurden auch die ersten organisierten Kämpfe zwischen benachbarten Siedlungen ausgetragen, wie Kent Flannery und Joyce Marcus von der Universität Michigan in den"Proceedings" der US-Akademie der Wissenschaften (Online-Vorab: 10.1073/pnas.1934526100) berichten. Sie untermauern damit die These, dass organisierte Kriege eine direkte Folge menschlicher Ansiedlungen sind.
>Kommentar: Dies These ist einfach eine Definition von Krieg: was K. wäre eine Frage der Quantität der Beteiligten. (immer diese Rechner)
Hi zani,
Du bist offenbar allwissend und kennst die gesamte Literatur. Dafür bewundere ich Dich sehr. Wie bei Bernbeck nachzulesen, beginnen die Kriege, die dann in Tributsystemen landen, in der Tat durch Bevölkerungsdruck in Dorf A (wie groß diese Dörfer sind, usw. dort ganz genau nachzulesen). Dieses hatte mit Dorf B bis dahin Interaktivität (Brauttausch, Keramikfunde), ab Dorf C ist praktisch nichts mehr von Dorf A oder Interaktion mit diesem nachzuweisen.
Da man seinem (übervölkerten) Dorf selbst nicht entkommen kann (abgesteckte Felder usw., Radius siehe Bernbeck) entsteht also der Zwang seine Subsistenz woanders zu beschaffen, was zu just dem führt, was die erste Stufe der Staatsentstehung (Beute, Tribut) ausmacht.
>Auch Nomaden schlagen sich.
Gewiss. Nur dann ziehe sie weiter, da sie definitionsgemäß nicht sesshaft sind. Der Krieg setzt ein Gebiet ("Staatsgebiet") voraus, das nicht beliebig zu wechseln ist.
>>Wie das sich ausbreitet: bitte in den Postings nachlesen (kann sie jetzt nicht heraussuchen, in Eile).
>>In den 6000 Jahren zuvor hatte Oaxaca nachweislich keine organisierte Gewalt erlebt.
>K.: Nachweisen heisst hier: kleine Funde aus praktischen und vor vor allem theoretischen Spaziergängen in das riesige Feld der schriftlosen Vergangeneit tun und aus Knochen und Pfeilspitzen mal eine These basteln.
Der Witz ist doch: Es existieren davor stratigraphisch (falls Dir das etwas sagt) weder Verteidigungsanlagen noch gegen andere Menschen im großen Stil einsetzbare Angriffswaffen. Die Alpha-Dörfer wurden zu Festungen, Ausgrabungen im Vorderen Orient bestätigen dies ununterbrochen.
Unterhalb der Alphadorf-Anlagen wurden Pfeilspitzen usw. gefunden, was auf jägerische Tätigkeiten schließen lässt, aber nicht auf kriegerische. Bei der Jagd geht's um Tiere, beim Krieg um Menschen.
>
>>In jener"archaischen Zeitperiode" gab es nur Nomaden, die in vier- bis sechsköpfigen Familienverbänden und Gruppen von 20 bis 25 Mitgliedern jagten und nach Nahrung suchten, wie die Forscher berichten.
>>[Besitze selbst archäologische Belege dafür, siehe auch Ausstellung in Friedrichsroda!]
>>Ihre Belege stammen von bekannten Ausgrabungsorten und sind winzige Überreste von Lattenzäunen und Befestigungswällen, Steine mit eingekerbten Bildern von toten und sexuell verstümmelten Gefangenen sowie Zäune und Pfosten mit Totenköpfen von Feinden.
>>Zwar wurden Kriege auch von anderen altertümlichen Gesellschaften schon dokumentiert, räumen Flannery und Marcus ein.
>Kommentar: na also
Sie rekurrieren vermutlich (ich kenne die Langfassung noch nicht) auf just die Parallelen in anderen Teilen der Welt. Für Mesopotamien gesichert und nicht wegzudiskutieren.
>
>Die neuen Daten aber stützten die Theorie, dass Gruppen ohne soziale Unterschiede eher friedlich miteinander umgingen.
>Kommentar: diese Daten stützen die 'Quadrat-Theorie', je mehr Menschen pro qm, desto mehr Ärger.
Das weniger. Die bekanntlich wichtigste Hierarchie ist jene, die sich bei Kriegszügen u.ä. ergibt. Daher die"Herzöge", die"imperatores" (Oberbefehlshaber, man lese Cicero"De imperio Gnaei Pompei", u.v.a.m.) und die sog."Oberbefehlshaber".
>
>>[Macht schafft Machterhaltungszwang, schafft Hierarchien...]
>>Dagegen gab es in einer reicheren Umgebung mit vielen natürlichen Ressourcen und einer sozial unterteilten Gesellschaft demnach häufiger Kriege.
>K.: stützt Ärgertheorie; 'häufigerKrieg': im Verhältnis zu den Geschehnissen aus der Dunkelzeit, deren kriegerisches Geschehen wir in etwa kennen. Das ist doch Humbuk.
Die Ressourcen bedeuten, dass gesiedelt wird, die soziale Unterteilung entsteht in diesen Gebieten, nachdem der resourcenfülle-bedingte Bevölkerungsüberschuss entstand durch Angriff auf Nachbar-Populationen, um an deren Ressourcen zu gelangen. Welche"kriegerischen Geschehen" schweben Dir denn so vor?
>
>Von Knochen und Latten aus der Dunklen Zeit, über die Frage nach dem Krieg, bis zum Beweis, das eigentlich der Staat der grosse Schurke ist, ist ein draufgängischer Ritt.
Den sind schon viele geritten. Sehr einfach und klar die Darstellung bei Oppenheimer (1912) zur Staatsentstehung. Selbstverständlich ist der Staat der Schurke, siehe Charles Tilly:"States make war and war makes states" oder"State making as organized crime". Darauf wurde schon mehrfach hingeweisen und Popeye, der Finder der Literatur, hat dazu inkl. Text das Nötige gepostet. Einfach mal lesen.
>Die 'Wissenschaften' sind wie die Weiber: alles will immer zu ihnen. Und wenn sie bei ihnen sind, was passiert? Oben wirds weich. (letzteres nicht direkt nehmen; es passte einfach so schön)
Du bist offenbar der überragende Meta- oder Hyper-Wissenschaftler und, wie gesagt, das bewundere ich sehr.
Gruß!
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zani
17.09.2003, 10:44
@ Bärentöter
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Einblick in frühe Gesellschaften: griechische Heroenzeit |
-->Guten Morgen Bärentöter
>Was die griechische Mythologie betrifft- nach den Überlieferungen war das schon eine recht entwickelte und sozialisierte Gesellschaft.
Kommentar:
"in der heroischen Zeit ist der Held hier auch ein Eroberer von Königsburgen, wo er den Herrscher tötet und die Tochter freit oder als Sklavin mitnimmt; im wirklichen früheren Altertum aber ist der Grieche überhaupt, wenn man ihn machen lässt, ein Pirat, und in mehreren Fällen trifft beides zusammen. Man hätte wahrlich nicht nötig gehabt, den Phönizeir insbesondere als 'Gaudieb' zu brandmarken. Die Zeit ist eine jugendlich wilde; unversehens greift das Schwert zum Mann und reisst ihn nach sich; auch der Hader unter den Nächsten wird frühe symbolisch ausgedrückt: Eteokles un Polyneikes streiten schon im Mutterleib; auserdem wimmelt der Mythus von freiwilligen und unfreiwilligen Mordtaten, und der Spleen jener Zeit besteht wesentlich darin, dass man desshalb in der Welt herumzieht. Fahrende Heroen mit Mannschaften aber können nicht anders als vom Raub leben, nur gehen sie dabei über das Notwendige weit hinaus. Bevor der trojanische Krieg alles an sich zieht, führen Mächtige wie Achill, Rhesos u. a. ein Vorleben von lauter Überfall und Städteverwüstung. In der Odysse ist dann der Seeraub, d.h. das plötzliche Landen und Plündern die allemeine Voraussetzung, selber bei den löblichsten Helden. Menelaos bekennt ziemlich offen, seine Schätze zusammengeraubt zu haben, Nestor traut dem Telemach ganz naiv ähnliche Geschäfte zu, und bei der Ankunft der Freier in der Unteerwelt vermutet der Schatten Agamemnons unter mehreren auch, sie möchten beim Rinderdiebstahl erschlagen worden sein, gerade wie es früher auch ihn Betreff seiner vermutet worden ist. Vor allem aber ist Odysseus gross im Seeraub; er verheerte die thrakische Kikonenstadt Ismaros, tötet die Männer, raubt Weiber und habe und verteilt 'gerecht' unter die Genossen, ohne nur ein Wort darüber zu verlieren, ob ihm die Kikonen das Geringste zu Leid getan; was ihm durch die Freier verloren gegangen ist, getraut er sich durch Raub wieder zu ersetzen; auch in seinen ersonnen Lebensläufen nimmt er Mord und Raub ohne Bedenken auf sich. Die ganze Kyklopengeschichte ist nichts als der Reflex uralter böser Händel zwischen arglistifen Seeräuber und wilden Hirten; Polyphem, welcher anfangs merkt, mit wem er es zu tun hat, ist der ins groteske gemalte furchtbare Hirt, wie ihn das Seevolk kannte, behaftet mit einem vielleicht völlig historischen Rest von Kanibalismus, wie er ja auch noch bei den Lästrogynen vorkommt. - Ander Helden raubten Vieh, in dr Absicht, mit socher Gabe um eine Fürstentochter zu werben; eine besonders kräftige Piratennovelle erzählt erzählte von der Schar des Boreaden Butes, welche Weiber von verschiedenen Küsten raubte und nach Naxos zusammenschleppte; hier streiten sich zwei ihrer Häuptlinge um die schöne Pankratis und töten einander, worauf sie einem Dritten zufällt. Ein Gutes hatte diese historische Zeit: das systematische Verwüsten der Gegend, namentlich das Ausrotten von Pflanzungen, kam noch nicht vor, vielmehr blieb dies den Grichen der höchsten Bildungsstufe vorbehalten. Der Seeraub behauptete sich dann bei manchen Bevölkerungen bis tief in die historische Zeit hinein und hing z.B. bei den Phokäern mit all ihren sonstigen Kühnheiten zusammen; vom Seeraub eines Polykrates ist schon die Rede gewesen, und sein Bruder führte den hoffnungsvollen Piratennamen Syloson (sylon =Raub, etc; z.). Daneben war auch der Landraub noch vis ins V. Jh. bei zurückgebliebenen Bevölkerungen, bei Ozolern, Akarnern, Aetolern üblich, und man fand, dies sei eben nur die altertümliche Lebensweise." etc., etc.
(alles in Klammer: J. Burckhardt, Gr. Kulturgeschichte Bd. l, Kap. lV, Anfang)
Gruss
zani
|
Popeye
17.09.2003, 11:26
@ dottore
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Reinhard Bernbeck - Auszug |
-->Reinhard Bernbeck - Auszug
Für jene, die der Entwicklung des Theoriengebäudes von @dottore mit Interesse, Neugier oder Kritik folgen, stelle ich nachfolgend mal die abschließende Zusammenfassung von Bernbecks vielzitierten Buch ins Forum.
Bernbeck ist, wie sich das für einen ordentlichen Wissenschaftler gehört, sehr vorsichtig in seinen Schlussfolgerungen was Ursache- und Wirkungsbeziehungen angeht - und dies nicht nur in seinem Schlusswort..
Auszug: Bernbeck,Reinhard, Die Auflösung der häuslichen Produktionsweise, Berlin 1994, S. 341-344.
(Hervorhebungen von Popeye)
Zusammenfassung und Ausblick
Diese Arbeit baut darauf auf, daß Subsysteme in einem gesellschaftlichen Ganzen auf ihre jeweilige Entwicklung hin getrennt untersucht werden müssen. Im besprochenen Fall handelt es sich um eine Untersuchung ökonomischer Subsysteme, die mit dem von L. Althusser entwickelten Strukturmodell von"Produktionsweisen" analysiert wurden. Im folgenden werden diejenigen Prozesse, die den Übergang von häuslicher zu tributärer Produktionsweise verursachen, mit all ihren gegenseitigen Einflüssen nochmals zusammengestellt. Daraufhin wird auf den größeren Rahmen eingegangen, der anfangs angesprochen worden war, nämlich auf das Verhältnis der Entwicklung politischer und ökonomischer Subsysteme.
PROZESSE IM ÜBERGANG VON HÄUSLICHER ZU TRIBUTÄRER PRODUKTIONSWEISE
Die häusliche Produktionsweise beinhaltet zwei strukturelle Charakteristika, die eine Steigerung der ökonomischen Komplexität verhindern. Zum einen sind dies die von der Zahl der Mitglieder her relativ kleinen Produktionseinheiten, die ihr Überleben durch ein enges Netz an Koalitionen auf Dorfebene sichern. Durch den Rückhalt, den diese Koalitionen geben, werden zyklisch auftretende Schwankungen in der Zusammensetzung der Einzelfamilien, die zu Existenzproblemen führen könnten, eingedämmt. Gleichzeitig bewirken die Koalitionen, daß die potentielle ökonomische Unabhängigkeit des Einzelhaushalts gering bleibt. Ein zweites Merkmal, das die häusliche Produktionsweise zu einem stabilen Gebilde macht, ist die Organisation der Produktion. Diese ist stark jahreszeitlich gegliedert und auf einen äußerst geringen Abnehmerkreis fixiert, nämlich den eigenen Haushalt. Damit ist die gesamte Produktion im Sinne mikroökonomischer Theorie diskontinuierlich und uneffektiv. Dies trifft sowohl für die Subsistenzproduktion als auch für den Hausbau und handwerkliche Tätigkeiten zu.
Im Falle Mesopotamiens führen zwei gleichzeitig ablaufende Änderungen zu einer neuen Produktionsweise. Diese sind, soweit es der heutige Forschungsstand erkennen läßt, Ergebnis der Anpassung der gesellschaftlichen Verhältnisse an die spezifischen Bedingungen des"Mittelmesopotamien" genannten geographischen Gebietes (s.a.S. 162-163). Erstens bilden sich im mittelmesopotamischen Bereich Großfamilien, und zweitens wird die Art der Subsistenzproduktion so gestaltet, daß das Risiko einer Mißernte, das bei Weiterführung der bisherigen Subsistenzpraktiken bedrohlich hoch wäre, gesenkt wird. Diese Änderung, die Einführung von Bewässerungsanbau, tritt zunächst nur dort auf, wo sie sowohl in Normaljahren wie auch in kritischen Jahren zu höheren Erträgen führt als dies in der häuslichen Produktionsweise der Fall war (s.S. 325; Tafel XXXI).
Die Entstehung von Großfamilien hat weitreichende ökonomische Konsequenzen. Als wichtigste ergibt sich eine Verringerung der Fluktuation der relativen Arbeitskraft pro Haushalt, was in der Konsequenz zu größerer Kontinuität in allen Bereichen der Produktion führt. Daraus folgt innerhalb eines jeweiligen Haushaltes die Tendenz, bestimmten Mitgliedern aufgrund von Alter oder Geschlecht eine spezielle Position im Produktionskreis-lauf zuzuweisen. Hinzu kommt aber, daß die relative Arbeitskraft des Einzelhaushalts, also der Verbraucher-Arbeitskräfte-Quotient, im Normaljahr sinkt. Dadurch muß der einzelne Arbeitende mehr produzieren als vorher, es sei denn, die Effektivität der Arbeit wird auf andere Art und Weise gesteigert. Dies geschieht dadurch, daß das Risiko in der Landwirtschaft verringert wird, so daß die angebaute Fläche pro Haushalt kleiner wird. Durch die größere Vorhersehbarkeit der Ernte aber nimmt das Potential zur Produktion eines Mehrertrages, der nicht für den Haushalt selbst bestimmt ist, zu. Ein neuer Zustand entsteht dann, wenn dieser Mehrertrag nicht allein im Einzelhaushalt produziert und konsumiert wird, sondern wenn er von einem politischen Zentrum als regelmäßiger Tribut eingefordert wird. Die in dieser Studie untersuchten Gesellschaften hatten dieses Stadium der ökonomischen Komplexität noch nicht erreicht. Der hier entwickelten Definition einer tributären Produktionsweise gemäß (s.S. 50-59) sind also die Dorfgemeinschaften des Samarra-Bereichs noch nicht ganz zur tributären Produktionsweise zu rechnen.
Mit den Prozessen auf der Ebene der Subsistenzproduktion und der Haushaltszusammensetzung, die alle größere Kontinuität im Bereich der Produktion hervorriefen, ergab sich andererseits eine Verstärkung der geschlechtlichen Aufgabenteilung, durch die eine Tendenz hin zur Spezialisierung im Haushalt vorgegeben war. Die Neuorganisation im Hausbau und bei der Keramikproduktion, wie sie für den Samarra-Bereich erschlossen werden konnte, ist ein wichtiges Indiz für diese Bestrebungen. Dies bestätigt die Hypothese, daß Spezialisierung in der Produktion nur bedingt von gesellschaftlicher Komplexität abhängt (Clark und Parry 1990: 290-291). Auftragsproduktion ("attached production") tritt erst mit Chiefdoms auf, unabhängige, an Tauschhandel ausgerichtete Produktion hingegen in Mesopotamien schon früher. Es ist nur noch eine Frage der Weiterentwicklung in derselben Richtung, bis sich ganze Haushalte auf die Herstellung bestimmter Produkte spezialisieren. Gleichzeitig mit diesen Vorgängen gehen Abhängigkeiten zwischen einzelnen Haushalten zurück, was eine Verstärkung innerdörflicher Konflikte und Ansätze zu sozialer Fragmentierung mit sich bringt. Dies konnte anhand der Grundrisse von Häusern und ganzer Dorfpläne einigermaßen schlüssig gezeigt werden. Der Zerfall der alten Koalitionsstrukturen aber ist die notwendige Voraussetzung für die in der nachfolgenden Obeid-Zeit einsetzende innerörtliche Hierarchisierung.
Denn wenn einer der Großfamilienhaushalte in eine länger andauernde Krise gerät, sei es durch Mißerfolg beim Anbau oder durch den atypischen Verlauf des Zyklus des Arbeitskräfte-Verbraucher-Verhältnisses, fehlen die alten Koalitionsstrukturen, die über eine solche Notsituation hinweghalfen. Damit aber ist ein solcher Haushalt darauf angewiesen, seine Subsistenz aus anderen Quellen zu bestreiten. Die ohnehin schon vorhandenen Tendenzen zur Spezialisierung etwa im Bereich der Keramikproduktion können in einer solchen Lage zu verstärktem innovativem Verhalten führen, das darin besteht, sich mehr als bisher auf den Austausch handwerklicher Produkte gegen Subsistenzmittel zu verlassen. Ein solcher Haushalt, der"nichts mehr zu verlieren hat" (Silver 1981: 108-112), begibt sich damit in ökonomische Abhängigkeiten, die in dieser Qualität vorher nicht existierten.
Andere Mechanismen führen zur regionalen Hierarchisierung. Wie schon erwähnt, brechen auch die supralokalen Koalitionen mit der Entstehung von Bewässerungswirtschaft und Großfamilienstrukturen auf. Die ökonomisch bedingte größere Aggressivität der Gemeinschaften untereinander führt dazu, daß die aufgrund der ökologischen Gegebenheiten bevorzugten Dörfer auf Bevölkerungsteile aus anderen Dörfern eine starke Anziehungskraft ausüben werden. Ein solcher Sog führt zur allmählichen Vergrößerung solcher günstig gelegenen Orte. Daraus aber resultieren neue, regionale Machtverhältnisse, deren hauptsächliche Ursache Ungleichgewichte in den Allianzarealen sind. Die regionale Hierarchisierung, obwohl nur vor dem Hintergrund neuer Produktionsbedingungen erklärbar, ist also mit auf Umstände der primären Reproduktion zurückzuführen (Tafel XXXI).
Solche Machtpositionen können wiederum dazu ausgenutzt werden, Tribut aus den durch Größe und Lage benachteiligten Dörfern einzutreiben, womit sich Tributsysteme entfalten, die der idealtypischen Beschreibung der tributären Produktionsweise entsprechen (s.S. 50-53).
Antworten darauf, warum die häusliche Produktionsweise in eine neue Produktionsweise überging, sind nur schwer zu finden. Denn es handelt sich bei dieser wirtschaftlichen Organisationsform um Gebilde, die nicht so schnell aus dem Gleichgewicht zu bringen sind (s.S. 49-50). Die hier vorgenommene Interpretation der archäologischen Evidenz schließt monokausale Ansätze, bei denen etwa Bevölkerungsdruck oder Klimaverschlechterungen der Auslöser für Veränderungen sind, aus. Drei Gegebenheiten sind für die Auflösung der häuslichen Produktionsweise notwendig gewesen. Die erste ist eine natürliche Umgebung, in der Bewässerungsfeldbau gegenüber dem Regenfeldbau eine vorteilhaftere Anbaustrategie war. Dies ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung. Daraus folgt, daß solche Entwicklungen nur in den Gebieten Mesopotamiens zu erwarten waren, wo relativ geringe Niederschläge mit einer für Bewässerung günstigen Topographie und Hydrographie gekoppelt sind. Die"Erfindung" der Technologie des Bewässerungsfeldbaus selbst ist jedoch auch unter solchen Umständen keineswegs nur eine Frage der Zeit. Denn das Ausweichen auf ganz andere Subsistenzformen wie Jagen, Fischen und Sammeln ist eine verlockende Alternative zur arbeitsintensiven Bewässerung. Nur wenn auch eine dritte Voraussetzung erfüllt ist, nämlich eine aus Großfamilien bestehende Sozialstruktur, wird die Entwicklung einer neuen Technologie auch in bezug auf die Arbeitsleistungen vorteilhaft. Fehlt in einer Gesellschaft einer der drei Faktoren, finden die hier beschriebenen Prozesse nicht statt.
Während also die Region solcher Veränderungen innerhalb von Vorderasien weitgehend eingegrenzt werden kann, ist der Zeitpunkt, zu dem diese eintreten, vom Zufall des gleichzeitigen Vorkommens der entsprechenden Produktionsverhältnisse (Großfamilien) und Produktivkräfte (Bewässerungswirtschaft) abhängig.
DIE EINORDNUNG IN DEN GRÃ-SSEREN EVOLUTIONISTISCHEN RAHMEN
Die Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, wie sie von Marx (1974: 13) entwickelt wurde, wird durch den untersuchten Einzelfall nur teilweise bestätigt. Diese Dialektik besteht darin, daß die Fortentwicklung der Produktivkräfte im Laufe der Zeit zu einem Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen führt. Die hierdurch verursachte Krise löst sich durch eine Umwälzung, die zur Entstehung einer neuen Produktionsweise führt.
Im Falle der Hassuna-Samarra-Zeit in Mesopotamien muß jedoch davon ausgegangen werden, daß die Produktivkräfte sich zumindest nicht schneller als die Produktionsverhältnisse entwickelten. Denn Bewässerungswirtschaft und ihre Folgen sind nach der bisherigen archäologischen Dokumentation nicht vor dem Erscheinen von Großfamilienstrukturen belegt. Auf der anderen Seite lassen die schon erwähnten Strukturen in Bouqras vermuten, daß Großfamilien zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt aufkamen als die Bewässerungswirtschaft. Das Potential im Bereich der Produktionsverhältnisse für eine Änderung der Produktivkräfte war also schon vor der Entstehung der Bewässerung vorhanden.429 Allerdings fehlt bisher die direkte (vor-)geschichtliche Verbindung zwischen dem in den Sotto-Horizont datierenden Bouqras und den Samarra-zeitlichen Orten in der Bewässerungsfeldbau-Region.
Mit dem Aufkommen von Bewässerungsfeldbau und anderen Arten der Rationalisierung in der Produktion ergab sich erstmals potentiell die Möglichkeit der Ausbeutung eines Mehrprodukts durch eine politisch zentrale Institution. Bezüglich der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung wurde anfangs die Hypothese aufgestellt, die Evolution politischer und wirtschaftlicher Subsysteme sei nicht notwendigerweise aneinander gebunden (s.S. 14-16). Die Analyse des archäologischen Falles des Übergangs von der häuslichen zur tributären Produktionsweise bestätigt dies. Denn die Entwicklung des wirtschaftlichen Systems, wie sie in den Kapiteln 6 bis 8 geschildert wurde, wird zunächst nicht begleitet von Tendenzen politischer Hierarchisierung. Keines der Häuser in Teil es-Sawwan III A ist beispielsweise durch irgendwelche Merkmale besonders hervorgehoben.
Der Prozeß vertikaler Differenzierung setzt erst später ein und manifestiert sich beispielsweise in den Obeid-zeitlichen Schichten in Abada II bis I. Ein Gebäude (Haus A) hebt sich in beiden Schichten dieses Ortes durch seine Größe, Anlage und äußere Gliederung von den anderen Gebäuden ab (Jasim 1985: Fig. 13 und 25). Hier schlägt sich der gehobene Status eines einzigen Haushaltes in den materiellen Hinterlassenschaften nieder. Der Status der Bewohner dieses Gebäudes dürfte mit dem einfacher Häuptlings- oder"Big-Man"-Haushalte zu vergleichen sein. In systemischen Termini ist also eine Gleichzeitigkeit von horizontaler und vertikaler Differenzierung im untersuchten Fall nicht gegeben. Vielmehr folgt auf die"horizontale Differenzierung" in Form steigender ökonomischer Komplexität eine wachsende politische Gliederung.
Die Verhältnisse im Übergang vom Samarra- zum Obeid-Horizont bestätigen also die Marx'sche These, daß sich die Produktivkräfte schneller als die Produktionsverhältnisse entwickeln, was, wie gesagt, nicht für die Genese der Samarra-Gesellschaften gelten kann. Mithin scheint es kein einseitiges Ursache-Wirkungs-Verhältnis in der Beziehung Produktivkräfte - Produktionsverhältnisse zu geben. Offensichtlich kann die schnellere Entwicklung des einen oder anderen Teils einer Produktionsweise, aber auch die gleichzeitige Entwicklung beider den Wandel in Produktionsweisen herbeiführen.
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dottore
17.09.2003, 12:17
@ zani
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Re: Was ist eine Presse-Agentur? |
-->>Guten Abend auch wiederum Bärentöter
>>Ich bin davon überzeugt, dass.....
>Kommentar: Der hier zur Diskussion gestellte Text (dpa) macht mir den Eindruck, als sollte er wissenschaftlich sein (siehe die Reizwörter: Wissenschaft, Konflikte, Archäologie, Forscher, Universität, etc.).
Hi zani,
eine Presse-Agentur berichtet über Events aller Art. Das nennt man"Nachrichten" verfassen. Wenn ein neues Krebsmittel vorgestellt wird, dann berichtet die Agentur, dass es vorgestellt wurde, von wem, wo, usw. Sie zitiert den Wissenschaftler in wörtlichen Passagen, möglicherweise auch andere Stimmen dazu, sofern vorhanden. Diese sollte sie möglichst sorgfältig machen und in gebotener Kürze. Dazu gibt es Kurz- und Langfassungen, Zusammenfassungen, usw.
Der Text von dpa gibt also mit den Worten des betreffenden Reporters oder Agentur-Jounalisten wieder, was er aus der Vorstellung des Events für mitteilenswert gehalten hat. Dass dies selbst kein wissenschaftlicher Text ist, versteht sich von selbst. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat für jene, die am Thema interessiert sind und weitere Details erfahren möchten auch noch den dies offenbarenden Link ausdrücklich angegeben, so dass sie dort auf der Page der Wissenschaftler ihr Wissen vertiefen können, usw.
Ich wüsste nicht, was an diesem Vorgehen zu kritisieren wäre.
>Um dieses Prädikat zu tragen, fehlt ihm aber alle Qualität. So dunkel -wie das Wort 'dunkel' dunkel ist- ist hier der Zusammenhang von Gegenstand (Knochen)und Aussage (Krieg/Staat) gestaltet. Der Hergang gehört zur Gruppe der retrospektiven Mantik.
Wem die Nachricht von dpa zu"dunkel" ist, kann sich - wie gesagt - über den angegebenen Link weiter informieren. Die betreffenden Wissenschaftler arbeiten nicht im freien Raum, sondern sind Experten in ihrem Fach (Archäologie mit allen Varianten, auch Archaeosoziologie) und kennen die betreffenden Ergebnisse anderer Forscher, die Ähnliches in ähnlicher Zeit untersuchen.
Zum"Zusammenhang": Aus einer Burg, die ausgegraben wird, kann geschlossen werden, dass sie zu jenen Zwecken gedient haben, zu denen Burgen gemeinhin dienen (sie sind also z.B. keine Badeanstalten). Aus Pfeilspitzen kann man schließen, dass diese zu Pfeilen gehörten und dass mit den Pfeilen auf etwas geschossen wurde und dass dies vermutlich keine Kokosnüsse waren.
Sind Verteidigungsanlagen zu entdecken, kann man auf Verteidigung und ergo auf Angriffe oder befürchtete Angrffe schließen. Werden Skelette gefunden, kann man diese darauf untersuchen, wie der betreffende Skelettträger gestorben ist, usw.
Findet man größere Siedlungsreste, kann man davon ausgehen, dass der Platz besiedelt war, usw. Aus der Struktur der Besiedlung lassen sich Rückschlüsse auf die Sozialstruktur ziehen, die in der Siedlung existiert hatte, usw.
>'Überzeugt sein' ist bloss ein Art Bekräftigung der Vorstellung, die man hat. (zB.: ich sehe eine Kuh und ich bin überzeugt, dass ich eine Kuh sehe).
Das"überzeugt sein" hat mit Bestätigung vorgefasster Meinungen (Vorurteile) oder Vorstellungen nichts zu tun. Es ist nur die Bekräftigung einer Vermutung, die man aufgrund vorhandener Unterlagen, Funde, usw. aufstellt - ohne vorher gewusst zu haben, welche Vermutung (falls überhaupt) man aufstellen würde. Der Wissenschaftler weiß sehr wohl, dass er nicht Zeitzeuge gewesen ist. Es gibt verschiedene Überzeugungen von Wissenschaftlern, wie jüngst erst die Troja-Debatte gezeigt hat (das Unterstadt-Problem, usw.), die bis heute sehr kontrovers geführt wird.
Die normalste Sache der Welt eigentlich.
>
>Für den Glauben, früher sei das Leben im Ganzen freier, besser gewesen, ist nötig zu fragen: freier, besser für wen? Natürlich bewundere ich Patrokles und Achill, Herakles und Priamor und all die anderen. Wenn wir aber uns erinnern, was das für Banditen, Raüber und Lügner, Mörder und Verführte und Betrogene waren, können wir von der Sicherheit der Lebensumstände der Massen keine zu tiefe Meinung haben.
Diesen Satz verstehe ich nicht. Wie kann man von der Sicherheit eine oder keine tiefe Meinung haben? Und wieso gehört die Sicherheit nicht zu den Lebensumständen?
Zur Klärung der Agenturfrage hier noch ein Beispiel, aktuell:
Archäologie/Bergbau/
Forscher hoffen auf Beweise für ältesten Bergbau in Deutschland =
Goslar (dpa/lni) - Eine große archäologische Grabung am Goslarer Rammelsberg soll neue Erkenntnisse über die Geschichte des Bergbaus in Deutschland bringen. Es gebe Anhaltspunkte dafür, dass am Rammelsberg schon vor mehr als 3000 Jahren nach Erz geschürft wurde, sagte der Leiter des Rammelsbergmuseums, Reinhard Roseneck. Damit wäre Goslar das älteste Bergbaugebiet Deutschlands. Spezialisten des niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege wollen im Jahr 2004 beginnen, nach Beweisen für die These zu suchen.
(Achtung: Zusammenfassung bis 1200 - ca. 25 Zeilen) dpa mb yyni pö 171118 Sep 03
Eine Meldung vom Landesdienst Niedersachsen (lni) der dpa.
Diese Nachricht berichtet genau das, was sie berichtet: Es wird gegraben, um Beweise zu finden. Findet man keine, ist die These falsch.
Derzeit ist der Wissensstand in etwa so:"Urkundliche" Erwähnungen (auch solche, die sich auf frühere Ereignisse dort beziehen) lassen den Rammelsberg erst ab dem 10./11. Jh. als Bergbauort nachweisen.
Es wurden jedoch bereits Gänge gefunden, auch Abraumhalden u.ä., die einen früheren Bergbau vermuten lassen, einige Forscher datieren ihn bis in die Römerzeit. Nun sollen es weiter 1000 Jahre sein, die man nachweisen will.
Der Nachweis als solcher würde dann allerdings noch nicht genügen, da Datierungen im Bergbau eine schwierige Sache sind, obwohl immer gilt: Das Tiefere war später.
Die eventuell zu findenden früheren Gänge werden dann nicht nur nach den üblichen Spuren abgesucht (Holzreste, Schlacken, Spuren des Abbaus im Gestein, Feuer), sondern es kommt zu metallurgischen Detailuntersuchungen (Pb-Gehalt vor allem, zu messen per Isotopenanalyse).
Findet man dann in Metallgegenständen, die eine bestimmten Zeit zuzuordnen sind, vornehmlich Münzen, diese Isotopen in gleicher Zusammensetzung, ist man einen großen Schritt vorangekommen. Solche Untersuchungen werden z.Zt. mit großem Dampf weltweit vorangetrieben.
Bei Interesse gerne mehr.
Gruß!
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dottore
17.09.2003, 13:55
@ Popeye
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Re: Vielen Dank! Plus Interpretation: |
-->Hi Popeye,
dass sich Bernbeck in seinem Schlusswort etwas windet ("sind also die Dorfgemeinschaften des Samarra-Bereichs noch nicht ganz zur tributären Produktionsweise zu rechnen") ist nicht verwunderlich, da er zur Beurteilung der damaligen Strukturen den klassisch-marxistischen Ansatz gewählt hat.
Nichstdestotrotz sieht er in seinen Befunden dieses:
"Denn Bewässerungswirtschaft und ihre Folgen sind nach der bisherigen archäologischen Dokumentation nicht vor dem Erscheinen von Großfamilienstrukturen belegt. Auf der anderen Seite lassen die schon erwähnten Strukturen in Bouqras vermuten, daß Großfamilien zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt aufkamen als die Bewässerungswirtschaft."
Diese kann in Verbindung zu seinen Ausführung S. 50 ff. nicht anders interpretiert werden als dass sich Bevölkerungsdruck entwickelt hat (Großfamilien! - die Zahl und Erreichbarkeit der jeweiligen Felder war, siehe 50 ff. begrenzt), der nicht durch neue Produktionsweisen (Bewässerungswirtschaft) gemildert werden konnte, sondern durch das Ausweichen in die Beschaffung entsprechender Subsistenzmittel aus benachbarten Orten (Tributsystem). Dabei bleibt offen, ob die Bewässerung nicht sogar in den Tributorten"erfunden" wurde, um dem Tributdruck zu entkommen.
Dass es sich nicht um eine Schalmeien-Veranstaltung gehandelt haben kann, beweist auch der von Bernbeck im Anhang wiedergegebene Dorfgrundriss (vielleicht kann das Bild dazu hier reingestellt werden): Es zeigt deutlich einen Mauer, die gewiss nicht den Zweck hatte, wilde Tiere abzuschrecken, sondern entweder Tributpflichtige, die zum Gegenschlag ausholen könnten, abzuhalten oder die Bewohner konkurrierender Alpha-Orte.
Dass sich machtausübungstypische Hierarchien bilden, schreibt er selbst:
"Ein Gebäude (Haus A) hebt sich in beiden Schichten dieses Ortes durch seine Größe, Anlage und äußere Gliederung von den anderen Gebäuden ab (Jasim 1985: Fig. 13 und 25). Hier schlägt sich der gehobene Status eines einzigen Haushaltes in den materiellen Hinterlassenschaften nieder."
Bernbecks schalmeientheoretischer Beurteilung ("Die ökonomisch bedingte größere Aggressivität [!] der Gemeinschaften untereinander führt dazu, daß die aufgrund der ökologischen Gegebenheiten bevorzugten Dörfer auf Bevölkerungsteile aus anderen Dörfern eine starke Anziehungskraft ausüben werden. Ein solcher Sog führt zur allmählichen Vergrößerung solcher günstig gelegenen Orte.") darf ich widersprechen: Hier wird Agressivität mit Attraktivität verwechselt.
Tributpflichtig (mit Hilfe von überlegener Aggressivität einer Gemeinschaft gegenüber einer anderen) wird nicht der jeweils einzelne (Bauer) in der unterlegenen Gemeinschaft, sondern diese insgesamt.
Bernbeck sieht das auch selbst, indem er diesem Absatz dies voranschickt:
"Andere Mechanismen führen zur regionalen [!] Hierarchisierung. Wie schon erwähnt, brechen auch die supralokalen [!] Koalitionen mit der Entstehung von Bewässerungswirtschaft und Großfamilienstrukturen auf."
Regional und supralokal bedeutet eben nicht personal und suprapersonal, sondern just, was er schreibt (und auch in der 50 ff.-Passage ableitet): Die regionale Hierarchisierung bedeutet die Hierarchisierung von Dörfern, die bisher in supralokalen (überdörflichen, nicht überpersonellen) Koalitionen welcher Art auch immer miteinander existierten.
Das"Aufbrechen" dieser"Koalitionen" heißt nicht ein hinfort koalitionsfreies Nebeneinander, sondern das Ausüben von Aggressivität der Gemeinschaften (= Dorfgemeinschaften, siehe Kontext oben) untereinander".
Entfernt man die marxistische Unterfütterung der Bernbeck'schen Arbeit, ist man genau dort, wo man hinkommt, wenn man die Entwicklung der Strukturen nach dem Eintritt von bewaffnetem Zwang Schritt für Schritt rekonstruiert.
Denn dass der Weg von der häuslichen zur tributären Produktionsweise führt, kann nicht bestritten werden, ebensowenig, dass Tribut Mehrprodukterzwingung bedeutet, ebensowenig, dass dies nur mit Hilfe von Gewalt ablaufen kann, ebensowenig, dass Tribute, einmal in der Welt, nicht wieder aus ihr verschwinden und auch nicht mehr aus ihr verschwunden sind.
Und dass der Tribut ein Macht- bzw. Staats-Attribut ist, wird auch kaum zu bestreiten sein.
Gruß!
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Popeye
17.09.2003, 15:52
@ dottore
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Re: Vielen Dank! Plus Interpretation: |
-->Der eigentliche Grund meines Postings von Berbecks Schlusswort war der nachstehende Absatz:
Antworten darauf, warum die häusliche Produktionsweise in eine neue Produktionsweise überging, sind nur schwer zu finden. Denn es handelt sich bei dieser wirtschaftlichen Organisationsform um Gebilde, die nicht so schnell aus dem Gleichgewicht zu bringen sind (s.S. 49-50). Die hier vorgenommene Interpretation der archäologischen Evidenz schließt monokausale Ansätze, bei denen etwa Bevölkerungsdruck oder Klimaverschlechterungen der Auslöser für Veränderungen sind, aus. Drei Gegebenheiten sind für die Auflösung der häuslichen Produktionsweise notwendig gewesen. Die erste ist eine natürliche Umgebung, in der Bewässerungsfeldbau gegenüber dem Regenfeldbau eine vorteilhaftere Anbaustrategie war. Dies ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung. Daraus folgt, daß solche Entwicklungen nur in den Gebieten Mesopotamiens zu erwarten waren, wo relativ geringe Niederschläge mit einer für Bewässerung günstigen Topographie und Hydrographie gekoppelt sind. Die"Erfindung" der Technologie des Bewässerungsfeldbaus selbst ist jedoch auch unter solchen Umständen keineswegs nur eine Frage der Zeit. Denn das Ausweichen auf ganz andere Subsistenzformen wie Jagen, Fischen und Sammeln ist eine verlockende Alternative zur arbeitsintensiven Bewässerung. Nur wenn auch eine dritte Voraussetzung erfüllt ist, nämlich eine aus Großfamilien bestehende Sozialstruktur, wird die Entwicklung einer neuen Technologie auch in bezug auf die Arbeitsleistungen vorteilhaft. Fehlt in einer Gesellschaft einer der drei Faktoren, finden die hier beschriebenen Prozesse nicht statt.
Vor dem Hintergrund gerade des letzten hervorgehobenen Absatzes stehen wir doch bei der Entstehung von tributären Strukturen immer wieder vor dem Problem: Woher kommt der Vorteil, der Tribut erzwingen kann? Wenn wir freiwillige/religöse Unterwerfung ausschalten (Vertragstheorie) bleibt nur die Gewalt.
Wenn aber Gewalt ein Vorfinanzierungsproblem hat, wie wir dann aus einer egalitären Gesellschaft (häusliche Produktion) eine tributpflichtige Gesellschaft?
Das Beispiel Mesopotamien ist aus meiner Sicht für ein allgemeingültiges Modell wegen des Bewässerungsthemas untypisch.
Definitionsgemäß erlauben egalitäre Gesellschaften keine Akkumulation von Macht.
Damit sind wir wieder zurückgeworfen auf die Macht von außen - und bewegen uns im Kreise.
Ich reibe mich an diesem Thema, weil die Entwicklung - egalitäre >> tributäre Strukturen, wie einige wenige Stammesgesellschaften heute noch dokumentieren, eben nicht zwangsläufig ist.
Grüße
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dottore
17.09.2003, 16:47
@ Popeye
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Re: Das"Königs"-Phänomen |
-->>Der eigentliche Grund meines Postings von Berbecks Schlusswort war der nachstehende Absatz:
>Antworten darauf, warum die häusliche Produktionsweise in eine neue Produktionsweise überging, sind nur schwer zu finden. Denn es handelt sich bei dieser wirtschaftlichen Organisationsform um Gebilde, die nicht so schnell aus dem Gleichgewicht zu bringen sind (s.S. 49-50). Die hier vorgenommene Interpretation der archäologischen Evidenz schließt monokausale Ansätze, bei denen etwa Bevölkerungsdruck oder Klimaverschlechterungen der Auslöser für Veränderungen sind, aus. Drei Gegebenheiten sind für die Auflösung der häuslichen Produktionsweise notwendig gewesen. Die erste ist eine natürliche Umgebung, in der Bewässerungsfeldbau gegenüber dem Regenfeldbau eine vorteilhaftere Anbaustrategie war. Dies ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung. Daraus folgt, daß solche Entwicklungen nur in den Gebieten Mesopotamiens zu erwarten waren, wo relativ geringe Niederschläge mit einer für Bewässerung günstigen Topographie und Hydrographie gekoppelt sind. Die"Erfindung" der Technologie des Bewässerungsfeldbaus selbst ist jedoch auch unter solchen Umständen keineswegs nur eine Frage der Zeit. Denn das Ausweichen auf ganz andere Subsistenzformen wie Jagen, Fischen und Sammeln ist eine verlockende Alternative zur arbeitsintensiven Bewässerung. Nur wenn auch eine dritte Voraussetzung erfüllt ist, nämlich eine aus Großfamilien bestehende Sozialstruktur, wird die Entwicklung einer neuen Technologie auch in bezug auf die Arbeitsleistungen vorteilhaft. Fehlt in einer Gesellschaft einer der drei Faktoren, finden die hier beschriebenen Prozesse nicht statt.
Hi Popeye,
Bernbeck widerspricht sich leider selbst, da er sowohl die Großfamilien nimmt als auch die Bewässerung (die aber eindeutig später kommt).
Was ist nun für die Großfamilien ökonomisch sinnvoller? Zu Jagen, was nicht groß gelernt werden muss oder zu bewässern, was skill erfordert? Oder (meine Interpretation): Einen Teil der Großfamilie zum Einholen von Tributen zu nutzen. Wozu sind denn sonst die jungen Burschen, kräftig zumal, zu gebrauchen?
Bernbeck sieht das Tertium als"neue Sozialstruktur" an, womit dann kinderreichere Familien die weniger kinderreichen zur Arbeit / Abgabe zwingen. Damit wäre die Bewässerung wieder die Lösung (für die weniger Kinderreichen), aber die kommt ja wesentlich später. Dann hätten wir es mit innerdörflichen Abläufen zu tun, die aber überörtlich gewesen sein müssen.
Demnach halte ich (vor allem ausgehend von Bernbeck 50 ff.) dies für logisch: Es entstehen (ganz natürlich) Großfamilien. Diese finden in ihren (sehr kleinen Dörfern, siehe Bernbecks Ausmessungen) keine Subsistenzgrundlage bzw. müssen diese mit den anderen teilen. Also können sie entweder weiter weg neue Dörfer gründen (ähnlich die Rodungen im MA, Klöster usw.) oder, wenn die Dorfringe (siehe die Bernbeck-Grafiken dazu) bereits geschlossen sind, also die supralokale"Einheit" fertig vorliegt, bei anderen Dörfern einzufallen und dort abzuholen (Bernbeck:"Agressivität").
Die Abholer bilden dann in ihren Herkunftsdörfern diese"Sozialstrukturen" aus (Großfamilie hat mehr, weil sie mehr abholen kann), während in den Tributdürfern das Problem entsteht: Wie mehr produzieren ("Surplus"), woraufhin denen das Bewässern einfällt (vorher gings ja ohne). Je mehr von diesem Surplus dann im Alpha-Dort und dort bei den Alpha-Familien eingeht, desto mächtiger werden diese, sowohl Dorf als auch Familien in dem Dorf (Hierarchien).
>Vor dem Hintergrund gerade des letzten hervorgehobenen Absatzes stehen wir doch bei der Entstehung von tributären Strukturen immer wieder vor dem Problem: Woher kommt der Vorteil, der Tribut erzwingen kann?
Der Tribut wird mit Hilfe von zusätzlichen Menschen erzwungen (Großfamilien). Es ist immer vorteilhafter, 100 als nur 10 Kinder zu haben.
>Wenn wir freiwillige/religöse Unterwerfung ausschalten (Vertragstheorie) bleibt nur die Gewalt.
Ja.
>Wenn aber Gewalt ein Vorfinanzierungsproblem hat, wie wir dann aus einer egalitären Gesellschaft (häusliche Produktion) eine tributpflichtige Gesellschaft?
Das Vorfinanzierungsproblem besteht zunächst nur im Herstellen genügender Subsistenzmittel für die größer werdenden Familien. Da, siehe wiederum Bernbeck, die Studien anhand diverser Dorfstrukturen, die Hälfte der Felder brach lag, gab es also genügend Spielraum, um den <b<Ersteinsatz[/b] von Gewalt zu finanzieren (= mit Subsistenzmitteln auszustatten).
>Das Beispiel Mesopotamien ist aus meiner Sicht für ein allgemeingültiges Modell wegen des Bewässerungsthemas untypisch.
Was haben die Großfamilien dort denn gemacht, bevor (entweder sie oder - wahrscheinlicher! - dann die Tributdörfler) mit Bewässerung daherkamen und sie nicht in Richtung Gründung neuer Dörfer ausweichen konnten? Ich nehme doch wohl an, dass die erste Dorfsiedlung just dort erfolgte (vorher Niemandsland und unbewohnt und unbeackert), wo ohnehin die besten Böden waren ---> Bildung von Großfamilien (einfachere Menschenvermehrung).
Sie sind zuerst auf neue Dorfgründungen ausgewichen (Dorfringe) und nachdem die voll waren und die Menschenproduktion weiter ging, mussten die Alpha-Dörfer andere Dörfer mit weniger schnellen oder starken Menschenvermehrung eben zur Abgabe zwingen und (eigentlich logisch, da diese nicht ihrerseits die nächsten Dörfer zwingen konnten, sonst wäre irgendwann ein Rand-Dorf in Sibirien der Letzt-Lieferant für alle Tribute geworden, bis hin zur"Zentrale") begannen, aufbauend auf den Tributen, die ihrerseits immer weitere Menschenvermehrung zuließ, Hierarchien zu entwickeln und zwangen die Tributdörfer, sich was einfallen zu lassen, um den Abgabenverpflichtungen nachzukommen (Bewässerung eben).
>Definitionsgemäß erlauben egalitäre Gesellschaften keine Akkumulation von Macht.
Nicht in sich zunächst, aber sehr wohl nach außen! Dorfgesellschaft A unterjocht Dorfgesellschaft B, was Bernbeck ja selbst verklausuliert beschreibt (siehe mein Posting).
>Damit sind wir wieder zurückgeworfen auf die Macht von außen - und bewegen uns im Kreise.
Natürlich kommt die Macht von außen. Nach diesem Erstdurchlauf dann später massiv mit dem Einfall der Gewaltwaffenvölker (Bronze! Siehe Hethiter, Luristan, usw.).
>Ich reibe mich an diesem Thema, weil die Entwicklung - egalitäre >> tributäre Strukturen, wie einige wenige Stammesgesellschaften heute noch dokumentieren, eben nicht zwangsläufig ist.
Egalitär ist eine Sozialstruktur, tributär eine ökonomische. Kann jemand Tribute einfordern, endet kurz oder lang die egalitäre Struktur (Hierarchie-Entstehung).
Wie sollten denn sonst diese unendlich vielen"Könige" wie sie dort genannt werden, zu erklären sein? Etwa dadurch, dass ein erstes Dorf einen König"wählt" (Gesellschaftsvertrag: Wir brauchen jetzt endlich mal einen"Herrscher") und dann schließen sich dem die anderen Dörfer freudig an?
Woher sollten die denn überhaupt das Phänomen Herrschen, Herrschaft, Herrscher kennen, wenn es ihnen nicht buchstäblich mit Gewalt beigebracht wurde?
Also für mich sind die Abläufe völlig klar und in jeder Phase nachvollziehbar. Irgendwann erscheint der Zwang und der muss Waffen tragen. Damit der Zwang erscheinen kann, braucht er Leute. Einer allein kann ja kein"Reich" bilden, nicht mal ein Dorf beherrschen.
Bevölkerungs- alias Subsistenzdruck plus Waffen - das sollte damals immer genügt haben, um Tributsysteme zu errichten. Und die gab's ja wohl ohne jede Frage.
Gruß!
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Popeye
17.09.2003, 17:17
@ dottore
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Re: Das"Königs"-Phänomen |
-->Hallo, @dottore,
Danke! Alles verständlich, aber mein Problem ist nicht gelöst:
M.a.W. - Man kann die Macht nach außen nicht erklären bevor man die Macht nach innen erklären kann! Permanente hierarchische Innenstrukturen sind für die Machtentfaltung nach außen erforderlich! Das alleine durch die Großfamilie zu erklären würde bedeuten, das solche Strukturen nur dort entstehen konnten wo Großfamilien genug Nahrung produzieren incl. Vorratshaltung etc.
Deshalb Zweifel an:
>Nicht in sich zunächst, aber sehr wohl nach außen! Dorfgesellschaft A unterjocht Dorfgesellschaft B, was Bernbeck ja selbst verklausuliert beschreibt (siehe mein Posting).
>>Damit sind wir wieder zurückgeworfen auf die Macht von außen - und bewegen uns im Kreise.
Grüße
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dottore
17.09.2003, 18:16
@ Popeye
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Re: Das"Königs"-Phänomen |
-->>Hallo, @dottore,
>Danke! Alles verständlich, aber mein Problem ist nicht gelöst:
>M.a.W. - Man kann die Macht nach außen nicht erklären bevor man die Macht nach innen erklären kann!
Warum nicht, wenn wir es nur ökonomisch sehen, da es um Tribute geht? Sicher gibt es immer Macht in Gestalt von Autoritäten, Eltern, Weisen, Könnern usw. Auch die Nomaden zogen ja nicht in wildem Haufen durch die Gegend, wo laufend ein anderer rumbrüllt: Das Reh jetzt, oder: Nein, den Hasen hier.
Die Macht wird beim Abholen von Beute, danach Tributen (ich darf nochmals an Oppenheimers 6 Stufen der Staatsbildung erinnern) zunächst nur nach außen angewandt bzw. virulent, dazu muss man keine Binnenmachtentfaltung im Sinne eines Binneninkassos betreiben.
Nehmen wir eine Armee als Beispiel, etwa die Schweizer. Die hat im Inneren absolut keine Macht, kein Brigadier könnte jemals Genf mordbrennen oder dort Geld abholen. Aber im Kriegsfall (WK I, II) wird ein General ernannt, der auch im Inneren Macht hat, Vermögen beschlagnahmen, über Soldaten im Kampfeinsatz befehlen, usw. kann, also über Sachen und Menschen verfügen darf.
Das war auch das Problem der Römischen Republik. Die Armee durfte nicht den Rubikon überschreiten. Legionäre in der Hauptstadt? Unvorstellbar. Rom war gänzlich steuerfrei. Selbst bei Triumphzügen wurde gezickt: Soll der Feldherr die Beute behalten dürfen oder nicht, wann muss er entwaffnen, usw.
Nehmen wir Beutezüge (Oppenheimers Vikings usw.): Unbestreitbar ausgehend von egalitären Einzelhof-Siedlungen, dann aufs Schiff. Ab dann gibts halt einen Kapitän.
Bernbecks Dörfer waren im Inneren zweifellos zunächst egalitär, vielleicht gab's so was wie einen"weisen Alten" oder Dorf-Ältesten. Aus dem Dorf löst sich dann die Truppe, die ausrückt, um ökonomisch zu wirken.
Eine absolut egalitäre Binnenstruktur kann auch für bestimmte Aufgaben nach außen hierarchische Strukturen bestimmen. Wohlgemerkt: Macht dabei immer als Fremdinkasso-Macht.
>Permanente hierarchische Innenstrukturen sind für die Machtentfaltung nach außen erforderlich!
Worüber sollte die Macht im Inneren ökonomisch befinden? Jede Familie (siehe Bernbeck) produziert zunächst just, was sie braucht plus Vorräte und fertig.
>Das alleine durch die Großfamilie zu erklären würde bedeuten, das solche Strukturen nur dort entstehen konnten wo Großfamilien genug Nahrung produzieren incl. Vorratshaltung etc.
Erstens haben Großfamilien einen Chef wie alle Familien (Familien"oberhaupt") und zweitens wirds für die Großfamilien just dann kritisch, wenn sich die Subsistenzfrage stellt. Auf den eigenen Feldern können sie nicht mehr abholen (Bewässerung gab's eben noch nicht) - also geht man ein Dorf weiter. Hunger macht mobil und der Schlanke ist beweglicher als der träge und satt vor der Hütte Dösende Fremddörfler ein paar Kilometer weiter.
Letztlich geht's doch nur um die Frage, ob erst Binnensteuern oder Tribute (Abgaben von außen kommend) erhoben wurden. Nach allem, was die Finanzgeschichte hergibt, kann mit Sicherheit gesagt werden: Der Tribut kam zuerst, vgl. auch den vorzüglichen Tilly dazu.
Demnach war die Tributbeschaffungs-Vorfinanzierung per Eigenwirtschaft und ohne Binnensteuern zu bewältigen.
Das ist auch ganz logisch, da ich immer zuerst Fremde zu melken versuche und danach erst die eigenen Leute, jedenfalls, wenn ich mit Dorfstrukturen anfange und Dorf kommt bestimmt vor Stadt. Die großen Tributarmächte (Perser, Assyrer, Athen, Rom... Endlosliste) belegen das.
Als die Gewaltwaffenvölker daherkamen, wurde es noch klarer.
Wurden kleinere Strukturen zusammengeschlossen ("Großreichbildung"), wirds schwierig, denn dann werden Gesellschaften vereinnahmt, die bisher tributpflichtig waren und die jetzt binnensteuerpflichtig sind, sofern ihnen die Abgabe ("civis romanus") nicht erlassen wurde.
Wir beobachten auch das Steuererhebungsphänomen in erster Linie dann zu Kriegszwecken. Hoffnung: Die Beute reicht aus, um die"Vorfinanzierung" der Feldzüge zu bewältigen.
Wir müssen wohl noch weiter stöbern...
Herzlichen Dank jedenfalls + tüchtig nachdenklichen Gruß!
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Uwe
17.09.2003, 18:24
@ Popeye
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Re: Das"Königs"-Phänomen |
-->Quergedacht, ohne alle Beiträge zum Thema bereits vollständig studiert zu haben.
Angenommen, die Macht kam weder direkt nur von aussen noch direkt von innen, sondern entwicklete sich aus dem Nebeneinader von Jägern (Nomaden) und im Laufe der Zeit ortsgebundenen Gesellschaftsteilen, also aus einer Arbeitsteilung, in der es im Verband (Stamm, Sippe), die Arbeitsteilung der Jäger/Sammler und der bäuerlichen Arbeiten gab.
Während die bodenabhängige Arbeit, bei der man nicht ohne Mangel auf die Arbeit einer Zeitperiode verzichten konnte, wohl zu Verteidigung und Krieg führte, war das Jagen nur revierabhängig, welches wohl auch relativ kurzfristig aufgegeben werden konnte (Ausweichen). Erst die Verbindung beider Arbeitsteile in einer Sippe, hob die Revierverteidigung(-eroberung) auf einen hohen Lebenserhaltungswert.
Somit können Abgaben auch für die Nutzung von"Fremdrevieren" angefallen sein oder aber als gegenseitige Verpflichtung zwischen vorbeiziehenden Jägern und"Bauern", die nicht einer Sippe angehörten.
Da die Jäger flexibler in der Ortswahl sein konnten, so meine Annahme, war es ihnen wohl möglich, sich an mehreren Dorfgemeinschaften im Zuge ihrer Jagzüge"anzubinden" und so, ob nun über Verwandschaftsverpflechtungen oder aber durch Einsatz von Überlegenheit, Forderungen an die jeweiligen Gemeinschaften zustellen (Raub?), soweit sie nicht ihrerseits Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft nachkommen konnten.
Diesen Gedanken weiter ausgesponnen, entwickelt sich eine"reisende Macht", die in der Lage ist, eine Gemeinde die im wesentlichen bereits seßhaft geworden ist und ohne ausreichende Verteidigungsmöglichkeit ist, zu ausgesuchten Abgabepflichtigen werden zu lassen. Aber auch die möglichkeit der parallel sich entwickelenden"Wegezollmacht" ist so m.E. denkbar.
Allen Ansätzen gleich ist wohl die Zunahme der Bevölkerung.
Gruß,
Uwe |
dottore
17.09.2003, 18:28
@ Uwe
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Re: Sehr gut - im MA das"Reisekönigtum" von Pfalz zu Pfalz |
-->Muss leider weg. Morgen mehr.
Gruß!
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Popeye
17.09.2003, 19:42
@ dottore
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Re: Das"Königs"-Phänomen |
-->Hallo, nochmals zu gleichen Thema, @dottore
Die Römer und Schweizer wußten schon sehr genau, warum sie keine Soldaten nach Rom ließen, bzw. kein stehendes Heer hatten. Ich erspar’ mir da jeden Kommentar. Auch die Wikinger können m.E. nicht als Modell dienen. Ähnlich wie die Bergstämme des Zagros-Gebirges in der mesopotamischen Geschichte, sind das ‚hit and run’-Modelle, ungeeignet zur permanenten Tributerhebung.
Auch @Uwes Modell-Vorschlag zeigt ja in diese Richtung - was nicht heißen soll, dass diese Modelle keine geschichtliche Bedeutung hatten.
So ein richtiger machthungriger ‚rent-seeker’ hat doch folgendes Problem:
Überfällt er das Nachbardorf und fordert regelmäßige Tributzahlungen fangen die geschundenen Zahler doch auch an zu überlegen: Was machen wir jetzt? Noch sind die Machtdifferenzen (technologisch/mengenmäßig) ja nicht so hoch, das Gegenwehr zwecklos ist (so wie hier und heute). Vielleicht ein Wall ums Dorf? Vielleicht Verbündung mit dem ebenfalls geschundenen Nachbardorf? Vielleicht eine Nacht- und Nebelaktion mit einer kleinen Brandschatzung?
Auf jeden Fall könnte den Tributzahlern viel einfallen, was die Tributsicherung für unseren ‚rent-seeker’ teuer und beschwerlicher macht und eine permanente Dominanz - sprich Rente - unmöglich macht.
Aber das ist nicht das einzige Problem, das unser ‚rent-seeker’ hat. Wenn nämlich sein ältester Sohn oder sein Bruder sieht, wie einfach es ist an arbeitsloses Einkommen ranzukommen (schlecht wie diese Spitzbuben nun mal sind), na da liegt der Vatermord doch in Greifweite.
M.a.W. zwei Dinge sind (aus meiner Sicht) Voraussetzung für Dein Modell:
1.Damit Macht permanent nach außen tributfähig werden kann muss ein deutliches Machtungleichgewicht zwischen Unterdrücker und Unterdrücktem bestehen. Aus der egalitären Phase unserer Geschichte heraus ist das m. E. nicht sauber zu erklären.
2. Ebenso wichtig: Die Machtstrukturen nach innen müssen stabil sein - entweder ebenfalls durch Macht, oder durch einen anderen Legitimationsprozess (Religion etc.). Ohne diese inneren Strukturen (z.B. Feudalsystem) ist Macht von innen her permanent gefährdet.
Auch dieses Problem ist aus eine egalitären Entwicklungsstufe heraus nicht sauber abzuleiten.
Für beide Punkte fehlen noch einige Bausteinchen. Ich hab’ sie nicht, helfe aber gerne suchen.
Popeye
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Bob
17.09.2003, 22:11
@ Popeye
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Re: Das"Königs"-Phänomen - Hallo Popeye, Hallo Uwe |
-->
Ihr stellt die richtigen Fragen. Eine mögliche Antwort findet ihr in einem kleinen Text, den ich hier vor ein paar Wochen geschrieben habe.
Leider kann ich ihn nicht nochmal schreiben, da er leider die Tendenz hat, sofort gelöscht zu werden.[img][/img]
Tja, tut mit leid...
bob
>Die Römer und Schweizer wußten schon sehr genau, warum sie keine Soldaten nach Rom ließen, bzw. kein stehendes Heer hatten. Ich erspar’ mir da jeden Kommentar. Auch die Wikinger können m.E. nicht als Modell dienen. Ähnlich wie die Bergstämme des Zagros-Gebirges in der mesopotamischen Geschichte, sind das ‚hit and run’-Modelle, ungeeignet zur permanenten Tributerhebung.
>Auch @Uwes Modell-Vorschlag zeigt ja in diese Richtung - was nicht heißen soll, dass diese Modelle keine geschichtliche Bedeutung hatten.
>So ein richtiger machthungriger ‚rent-seeker’ hat doch folgendes Problem:
>Überfällt er das Nachbardorf und fordert regelmäßige Tributzahlungen fangen die geschundenen Zahler doch auch an zu überlegen: Was machen wir jetzt? Noch sind die Machtdifferenzen (technologisch/mengenmäßig) ja nicht so hoch, das Gegenwehr zwecklos ist (so wie hier und heute). Vielleicht ein Wall ums Dorf? Vielleicht Verbündung mit dem ebenfalls geschundenen Nachbardorf? Vielleicht eine Nacht- und Nebelaktion mit einer kleinen Brandschatzung?
>Auf jeden Fall könnte den Tributzahlern viel einfallen, was die Tributsicherung für unseren ‚rent-seeker’ teuer und beschwerlicher macht und eine permanente Dominanz - sprich Rente - unmöglich macht.
>Aber das ist nicht das einzige Problem, das unser ‚rent-seeker’ hat. Wenn nämlich sein ältester Sohn oder sein Bruder sieht, wie einfach es ist an arbeitsloses Einkommen ranzukommen (schlecht wie diese Spitzbuben nun mal sind), na da liegt der Vatermord doch in Greifweite.
>M.a.W. zwei Dinge sind (aus meiner Sicht) Voraussetzung für Dein Modell:
>1.Damit Macht permanent nach außen tributfähig werden kann muss ein deutliches Machtungleichgewicht zwischen Unterdrücker und Unterdrücktem bestehen. Aus der egalitären Phase unserer Geschichte heraus ist das m. E. nicht sauber zu erklären.
>2. Ebenso wichtig: Die Machtstrukturen nach innen müssen stabil sein - entweder ebenfalls durch Macht, oder durch einen anderen Legitimationsprozess (Religion etc.). Ohne diese inneren Strukturen (z.B. Feudalsystem) ist Macht von innen her permanent gefährdet.
>Auch dieses Problem ist aus eine egalitären Entwicklungsstufe heraus nicht sauber abzuleiten.
>Für beide Punkte fehlen noch einige Bausteinchen. Ich hab’ sie nicht, helfe aber gerne suchen.
>Popeye
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Uwe
17.09.2003, 22:24
@ Bob
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Re: @bob: Du scheinst m.E. schon ein Schritt weiter zu sein ;-) |
-->Hallo, Bob!
Noch kann ich mir nicht vorstellen, dass in diesem Zusammenhang besondere"Erkennungsmerkmale" ( [img][/img] ) der Beteiligten eine Rolle spielen, wo es um die Lebensbedingungen geht, in der sich Macht (zwangsläufig?) entwickelt.
Vorstaatlich Strukturen sind m.E. durch den"Zwang" zur (Dorf-/Sippen-)Gemeinschaft geprägt, in der der Einzeln ein funktionierendes Teil sein mußte, damit man den Kampf ums überleben gewinnen konnte.
Gruß,
Uwe
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Uwe
17.09.2003, 23:41
@ Popeye
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Re: Leider kann ich kein 'Bausteinlieferant' sein, Popeye |
-->Popey:[i] So ein richtiger machthungriger ‚rent-seeker’ hat doch folgendes Problem:
Überfällt er das Nachbardorf und fordert regelmäßige Tributzahlungen fangen die geschundenen Zahler doch auch an zu überlegen: Was machen wir jetzt?[/i]
Daraus einen"Western" stricken [img][/img].
Nein, Popeye,
ich kann mir die permanente"Einzelmacht" auch nur dort vorstellen, wo sie ihre Macht auch permanent demonstrieren kann und daher auch meine Gedanken zu den Anfängen.
Wie kann Einfluss entstehen und gesichert werden, wenn man (nicht unbedingt an Einzelperson festzumachen) nicht vor Ort sein kann?
Verwandtschaftliche Verflechtung fällt mir als natürliches"Instrument" ein. Deine beschriebene Ausgangssituation kann m.E. zeitlich erst dann auftreten, wenn die natürlichen Verbindungen keine Bedeutungen mehr haben, an Einfluss verlieren, und die"Kooperation" mit Gewalt erzwungen wird.
Dabei muss m.E. die Abgabeerzwingung in den Anfängen bestimmt nicht zum dauernden Zweck an ein und denselben Ort durchgeführt worden sein - wandernde Volksstämme (z.B. Kimber und Wikinger; 'hit and run'), und keinesfalls wird der Ausgang eines notwendigen Machtkampfes zwischen Dorfgemeinschaft und Angreifer immer vorbestimmt sein.
Jedoch stelle ich mir vor, dass mit jedem Kampf, die siegreichen Kämpfer - ob nun die des Dorfes oder der Angreifer - in der Sippe/Horde an Bedeutung und Ansehen gewannen.
Erst in einer weiteren Entwicklungsstufe kann sich nach meinen Vorstellungen ein"rent-seeker" etablieren, nämlich dann, wenn es ihm gelingt,"Herrschaftsstrukturen" zu errichten, die ihm gegenüber verpflichtet sind. Ob dieser von"innen" ("Mystik"/"geistlicher Zwang") oder von"außen" ("Gewaltmacht") erwächst, scheint mir wohl für beide Fälle möglich.
Die Arten der Verpflichtungen können unterschiedlicher Natur sein (über Verwandtschaftsbindung, Ausbau eines Verteidigungspaktes,"Zauber/Religion"). Für Macht von außen muss die Verpflichtung so angelegt sein, dass die Macht vorhanden ist, obwohl der Machtinhaber andernorts sich aufhält.
Eine egalitäre Gemeinschaft wird wohl dies nur akzeptieren, wenn dadurch Gefahren für die Gemeinschaft abgewendet oder zumindest abgemildert werden können. Das Fehlen von Hervorhebungen in den Dorfstrukturen für die Macht, ist m.E. aus dieser Sicht durchaus erklärbar, wenn es sich um eine Art"Schutzvertrag" handelt, bei die Schützenden nicht im Dorf ihren Lebensmittelpunkt haben.
Erst im Zeitablauf könnten sich, über die Verwandtschaftbeziehungen zu den"Beschützern", soziale Ungleichheiten herausbilden, die auch in"Verehrung" ihren Ursprung haben könnten.
Soweit meine Gedanken, die bestimmt nicht den Anspruch auf eine Belegbarkeit erheben. Hierarchien können m.E. also durchaus infolge äußerer Einflüsse als auch aus inneren Gegebenheiten (Naturereignisse und ihre"Beschwörung") in vermeintlich egalitären Gemeinschaften Einzug halten. Gewaltmacht wäre im Falle der inneren Entwicklung, der nächste Schritt, der Schritt zur Hierarchieerhaltung.
In welchen Rahmenbedingungen das Entstehen von Gewaltmacht zu erklären ist, ist für mich an dieser Stelle offen. Ob die Möglichkeit besteht, mit einem"Gesellschaftvertrag" diese Gewaltmacht in Schranken zu halten, wird jede Überlegung und Anstrengung wert sein.
Gruß,
Uwe
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Popeye
18.09.2003, 08:06
@ Uwe
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Re: Leider kann ich kein 'Bausteinlieferant' sein, Popeye |
-->Guten Morgen, @Uwe,
schöner Beitrag. Danke!
Jeder ist hier Bausteinlieferant. Wir brauchen uns doch nur auf unseren Schulhöfen umzusehen wie das von Charles Tilly beschriebene ‚racketeering-Modell' funktioniert. Oder in der Wirtschaft. Wie @R.Deutscht richtig bemerkt hat, ist das von mir vor einigen Tagen vorgestellt Glas-Syndikat prinzipiell nichts anderes. Wie komme ich möglichst mühelos an eine Rente - das ist das Thema.
Ich unterstelle mal, dass Du inzwischen mal in Uwe Wesels „Frühformen... geschaut hast. Jedenfalls habe ich es gestern Abend noch mal getan. So wie er die segmentären Gesellschaften (mit vielen, vielen Beispielen ethnologischer Untersuchungen) beschreibt (S. 189 ff) sehe ich keinen Ansatzpunkt, der modellhaft, aber eben mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in @dottores Modell münden könnte.
Das „hit and run“- Modell hat einen gewissen Charme, auch weil es nur einigermaßen gefestigte Strukturen nach innen braucht (Anführer, Beuteverteilung - siehe Tillys racketeering) und es mag durchaus sein, dass segmentäre Gruppen, denen, aus welchen Gründen auch immer, die Subsistenzmöglichkeit fehlte oder genommen wurde auf dieses Modell ausgewichen sind. (Ich erinnere hier nur an die berühmten Räuberbanden des ausgehenden Mittelalters incl. Robin Hood).
Aber das Ausgangsmodell, das zu erklären ist sieht eben so aus: Sammler und Jägergesellschaft (egalitär) wird sesshaft, betreibt Landwirtschaft (hier ein Literatur-Hinweis auf Colin Tudge, Neanderthals, Bandits and Farmers 1998, der den Beginn der Landwirtschaft um einige 10.000 Jahre vorverlegt), und lebt permanent in Siedlungen ohne, dass dabei die egalitäre Struktur der Gemeinschaft aufgegeben wird. (Bernbeck, Wesel).
Natürlich hast Du Recht, das die Verwandtschaft nun eine sehr viel größere Rolle spielt. Aber wenn man den Ethnologen Glauben schenkt, eben ohne mit Macht ausgestatteten Führungsstrukturen, sondern eher als Produktions- und Versorgungsgemeinschaft. Wie Wesel an diversen Beispielen erläutert, hatte der Clan- oder Sippenchef (Familienoberhaupt) durchaus Ansehen und funktionale Autorität (Streitschlichtung etc.), aber eben keine physische Macht. Darüber hinaus, war er regelmäßig alt und hatte nicht genügend Zeit interne Machtstrukturen aufzubauen.
Trotzdem ist Deine Bemerkung: „Erst im Zeitablauf könnten sich, über die Verwandtschaftsbeziehungen zu den"Beschützern", soziale Ungleichheiten herausbilden, die auch in"Verehrung" ihren Ursprung haben könnten.“, aus meiner Sicht richtig. In diese Richtung muss weitergebohrt werden. Vielleicht in Kombination - mit dem Thema Besitzvererbung/Funktionsvererbung.
Die Fälle Mesopotamien/Ägypten sind für mich jedenfalls eher untypisch. Denn über die Kontrolle der Bewässerung ist die Möglichkeit der Entfaltung von internen Machtstrukturen natürlich unmittelbar gegeben. Aber wenn ein dominanter Produktionsfaktor nicht so einfach kontrolliert werden kann, bricht das Modell aus meiner Sicht schnell zusammen.
Letztlich möchte ich in diesem Zusammenhang nochmals auf die Diskussion zwischen Ralf Dahrendorf und Christian Sigrist, die Anfang der 60iger Jahre unter dem heading ‚Universalität der Herrschaft’ (Wesel, S. 25) geführt wurde. Einen Einstieg bildet der nachstehende Link .
Popeye
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dottore
18.09.2003, 11:37
@ Popeye
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Re: Warum war das egalitäre Tell es-Sawwan befestigt? |
-->>Hallo, nochmals zu gleichen Thema, @dottore
>Die Römer und Schweizer wußten schon sehr genau, warum sie keine Soldaten nach Rom ließen, bzw. kein stehendes Heer hatten. Ich erspar’ mir da jeden Kommentar. Auch die Wikinger können m.E. nicht als Modell dienen. Ähnlich wie die Bergstämme des Zagros-Gebirges in der mesopotamischen Geschichte, sind das ‚hit and run’-Modelle, ungeeignet zur permanenten Tributerhebung.
Hi Popeye,
ganz im Gegenteil. Aus dem Hit & Run-Modell wird das Tribut-Modell (bestes Beispiel, auf das hier schon hingeweisen wurde: das Danegeld. Es war der relativ größte Tributtransfer des MA, mehrere Tonnen Silber p.a.) Dazu die EB:
"A tax levied in Anglo-Saxon England to buy off Danish invaders in the reign of Ethelred
II (978-1016); it also designates the recurrent gelds, or taxes, collected by the
Anglo-Norman kings. The word is not recorded before the Norman Conquest, the usual
earlier (Old English) term being gafol (“gavel,” or “tribute”). Though the Danes were
sometimes bought off in the 9th century, the word Danegeld is usually applied to the
payments that began in 991 and continued at intervals until 1016. Danegeld is
distinct from heregeld, an annual tax levied between 1012 and 1051 to pay Danish
mercenaries. The Anglo-Norman and Angevin kings continued the geld until 1162."
Tilly dazu:"Over the centuries, tribute-taking empires have dominated the world history of states. Empires appeared mainly under conditions of relatively low accumulation of coercive means with high concentration of available means...." (21).
>Auch @Uwes Modell-Vorschlag zeigt ja in diese Richtung - was nicht heißen soll, dass diese Modelle keine geschichtliche Bedeutung hatten.
>So ein richtiger machthungriger ‚rent-seeker’ hat doch folgendes Problem:
Das"rent-seeking" ist die nächste Stufe (siehe Tilly, 88: Alternative forms of taxation).
>Überfällt er das Nachbardorf und fordert regelmäßige Tributzahlungen fangen die geschundenen Zahler doch auch an zu überlegen: Was machen wir jetzt? Noch sind die Machtdifferenzen (technologisch/mengenmäßig) ja nicht so hoch, das Gegenwehr zwecklos ist (so wie hier und heute).
Dazu Oppenheimer (38 f.):"Die reisige Expedition kommt nach wie vor, waffnestarrend, aber nicht mehr eigentlich in Erwartung von Krieg und gewaltsamer Aneignung. Sie brennt und mordet nur so viel, wie erforderlich ist, um den heilsamen Respekt zu erhalten oder vereinzelten Trotz zu brechen... der blutsfremde Mensch (= anderer Dörfler)... hat einen Wert erhalten, wird als Reichtumsquelle erkannt; das ist zwar der Anfang aller Knechtschaft, Unterdrückung und Ausbeutung, aber auch ein Anfang zu einer über die Verwandtschaftsfamilie hinausgreifenden höheren Gesellschaftsbildung..."
Verwandtschaft ist nicht Gesellschaft!
>Vielleicht ein Wall ums Dorf? Vielleicht Verbündung mit dem ebenfalls geschundenen Nachbardorf? Vielleicht eine Nacht- und Nebelaktion mit einer kleinen Brandschatzung?
Der Wall ums Dorf ist ein ganz wichtiger Punkt. ELLI wird, sofern ihn meine mail erreicht hat, Tell es-Sawwan reinstellen. Der Grundriss zeigt egalitäre Bebauung, ergo Sozialstruktur, just worauf auch Bernbeck abhebt. Aber warum gibt es den Wall ums Dorf?
Ist es ein Angriffs- oder ein Verteidigungsdorf? Es kann kein Verteidigungsdorf sein, denn sonst wäre der Wall längst geschleift worden. Wälle, Burgen, Mauern, Schutzanlagen sind through the ages typisch für Angreifer, Tribut und Steuererheber. <b<Die[/b] wollen nicht von Nacht- und Nebelaktionen plus Brandschatzung überrascht werden, wie Du sie ja selbst als Gefahr für den Angreifer darstellst.
Nicht der Bürger geht mit Personenschützern durch die Straßen, sondern der"Staatsmann". Zum Bauernhaus und ins Bauerndorf hat jeder Zutritt, aber man versuche mal"gewaltfrei" ins Bundeskanzleramt zu kommen.
>Auf jeden Fall könnte den Tributzahlern viel einfallen, was die Tributsicherung für unseren ‚rent-seeker’ teuer und beschwerlicher macht und eine permanente Dominanz - sprich Rente - unmöglich macht.
Nochmals Oppenheimer (38):"Allmählich entsteht aus diesem ersten Stadium (hit & run) das zweite, namentlich dann, wenn der Bauer, durch tausend Misserfolge gekirrt, sich in sein Schicksal ergeben, auf jeden Widerstand verzichtet."
>Aber das ist nicht das einzige Problem, das unser ‚rent-seeker’ hat. Wenn nämlich sein ältester Sohn oder sein Bruder sieht, wie einfach es ist an arbeitsloses Einkommen ranzukommen (schlecht wie diese Spitzbuben nun mal sind), na da liegt der Vatermord doch in Greifweite.
Perfekt. Genau das beschreibt war das Schicksal der griechischen Tyrannen (die berühmten Dramen, Tragödien usw. dazu, zieht sich bis Shakespeare), wie bereits ausführlichst dargestellt, siehe auch Vortrag Friedrichsroda. Geradezu der klassische Ablauf von Bruder-, Vater-, usw.-Mord.
>M.a.W. zwei Dinge sind (aus meiner Sicht) Voraussetzung für Dein Modell:
>1.Damit Macht permanent nach außen tributfähig werden kann muss ein deutliches Machtungleichgewicht zwischen Unterdrücker und Unterdrücktem bestehen. Aus der egalitären Phase unserer Geschichte heraus ist das m. E. nicht sauber zu erklären.
Egalitär waren sie innerhalb des Dorfes, siehe Tell es-Sawwan. Aber doch nicht egalitär den anderen Siedlern, Bauern usw. gegenüber.[/b]
>2. Ebenso wichtig: Die Machtstrukturen nach innen müssen stabil sein - entweder ebenfalls durch Macht, oder durch einen anderen Legitimationsprozess (Religion etc.).
Die Machstrukturen nach innen sind Folge der Machtausübung nach außen. Diese können nicht alle Familien in gleicher Weise ausüben, sondern eben die Großfamilien, die aus sich heraus rekrutieren können. Wer dann mit Beute kommt, später laufende Tribute abholen kann, wird innerhalb des Dorfes eine hervorragende Stellung einnehmen.
>Ohne diese inneren Strukturen (z.B. Feudalsystem) ist Macht von innen her permanent gefährdet.
Ja, siehe die Tyrannen, die sämtlich nach dem selben Muster abgegangen sind. Die
im weiteren Beritt nicht minder. Wen haben die Perserkönige, die Pharaonen, die römischen Clans (!) nicht alles aus ihren Reihen, von ihrem"Blut" meucheln lassen.
>Auch dieses Problem ist aus eine egalitären Entwicklungsstufe heraus nicht sauber abzuleiten.
Im Feudalsystem (entwickelt aus Beute- und Tributsystem) ist die egalitäre Stufe längst vergangen.
>Für beide Punkte fehlen noch einige Bausteinchen. Ich hab’ sie nicht, helfe aber gerne suchen.
Schönen Dank. Ich denke schon, es geht voran.
Gruß!
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Popeye
18.09.2003, 12:14
@ dottore
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Re: Warum war das egalitäre Tell es-Sawwan befestigt? Link mit Zeichnungen |
-->da @ELLI in Urlaub - dieser Link mit den meisten einschlägigen Skizzen (siehe letzten Link):
<ul> ~ http://www.mediasense.com/athena/Tell%20es-Sawwan.htm</ul>
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dottore
18.09.2003, 14:35
@ Popeye
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Re: Danke - aber Frage bleibt: Warum war das Kaff befestigt? |
-->Bernbeck selbst:
"Die Entwicklung des wirtschaftlichen Systems... wird zunächst nicht begleitet von Tendenzen politischer Hierarchisierung. Keines der Häuser in Tell es-Sawwan III A ist beispielsweise durch irgendwelche Merkmale besonders hervorgehoben." (344)
Dass es eine Mauer hatte, kann nicht bestritten werden.
Wozu hatten die
[img][/img]
denn eine Mauer seit der Gründung (die gestrichelten Linien sind die früheren, die ganz rechts von Septimius Severus 193-211 und da der seine Legionen an der Donau hatte, wehte nach Byzanz wohl kaum ein böser fremder Wind)?
Gruß!
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