-->pardon, aber ich habe nach Ihren letzten Beiträgen den Eindruck gewonnen, als gehören Sie zu der Berliner Führungsriege dieser Bewegung.
Habe ich recht, und kann man mal an einer Versammlung teilnehmen? Ich würde mir mal gerne ein Bild machen, wie verrostet oder nicht verrostet inzwischen die wahren Antriebsfedern dieser linkssozialistischen Idealisten sind, was noch keine automatische Abwertung sein soll. Vielleicht plaudern Sie noch mal. Danke
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<font size="5">Generation Rentenloch im Sozialstaat / Attac - d i e neue APO? </font></font>
Sie verteilen Flugis, sprechen über Lautis und halten Transpis hoch. Die jungen Protestler von Attac blasen zum Angriff auf den Parteienstaat. Nahezu unbemerkt werden die Globalisierungsgegner zu einer neuen Bewegung
von Ulrich Clauss
Wer macht den Leiter?" Mit dieser Frage beginnt jede Sitzungen der"Attacis" - so auch letzten Sonntag im Berliner"Haus der Demokratie"."Attacis", so nennen sich die Mitglieder der Anti-Globalisierungsinitiative"Attac". Das klingt nach Angriff und ist auch einer - und zwar auf alle: Die Grünen? Verkalkt. Die SPD? Ausgelaugt? Die PDS? Verknöchert. Die CDU? Neoliberal verseucht. Welten entfernt vom Parteienstaat wie ihn die Tagesschau zeigt, machen sich viele im Land ihr eigenes Bild von unserem Globus. Turnschuhe, Cargohosen, Baumwollpullover, Trekking-Jacken - so informell wie ihre Kleidung ist ihre Gesinnung.
"Attaci", das klingt aus dem Munde der Namensträger fast liebevoll und passt so gar nicht zu den Bildern von jenem feuerlöscherbewehrten Polit-Rambo, der im Juli 2001 beim Protest hunderttausender Globalisierungsgegner gegen das G-8-Treffen in Genua von einem Polizisten erschossen wurde.
"Attacis", dieses Wort begleiten die Aktivisten oft mit einem Lächeln, so als solle damit jeder aggressiven Assoziation vorgebeugt werden. Dabei steht"Attac" für reichlich abstrakte Theorie. Es ist die Abkürzung für"Association pour une Taxation des Transactions financières pour l'Aide aux Citoyens" (Vereinigung für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der BürgerInnen). In ganz Deutschland gibt es rund 13 000 Attacis, gut 1200 in Berlin. Tendenz in letzter Zeit stark steigend. Ihr Anliegen ist radikal: Mit einer weltweiten Steuer auf Finanztransaktionen, der so genannten Tobin-Steuer, sollen die Ungerechtigkeiten der wirtschaftlichen Globalisierung geheilt werden.
Jetzt will die Bewegung von den Schauplätzen der verarmten dritten Welt und der internationalen Konferenzdiplomatie zurückkehren ins eigene Land, in die eigene Stadt, dem"Sozialabbau" durch Schröders"Agenda 2010" und der Privatisierungswelle im öffentlichen Sektor entgegentreten, der"weltweiten Ã-konomisierung aller Lebensbereiche".
"Attacis" - dieses Wort gibt in der Tat der Attac einen bündischen, ja warmen Klang, und das ist auch so gemeint. Es sind die weicheren, etwas leiseren und nachdenklicheren Typen, die am Sonntagnachmittag im Berliner"Haus der Demokratie" beieinander sitzen und die Regularien einer Straßendemonstration durchdeklinieren.
"Wer macht den Leiter?" Drei von ihnen, die offenbar ungefragt in Frage kommen, tauschen zurückhaltende Blicke aus. Hier wird nicht um Wortführerschaft gekämpft."Entschleunigung" ist das Zauberwort, Konsens ist das Gesetz,"Mehrheitsherrschaft" verpönt. Jeder soll mitgenommen werden. Es dauert keine Minute, dann ist die Frage der Sitzungsleitung geklärt und ein legerer Mittzwanziger in sportiver Wetterkleidung führt aufmerksam Wollen und Können eines Dutzends Gleichaltriger zusammen. Attacis pfeifen auf Strukturen, verehren das Informelle und hegen ein abgrundtiefes Misstrauen gegen jedes Organisations- und Politverbandswesen. Die Hälfte der Anwesenden an diesem Abend sind Frauen.
Vermummungsverbot, Uniformierungsverbot - das deutsche Demonstrationsrecht kennt viele Klippen auf die fantasiereiche Protestformen auflaufen können. Jemand mit Schröder-Maske soll am Samstag eine Schar von"Lohnsklaven" an"Unternehmer" versteigern. Das ging schon einmal schief, weil eben auch Schröder-, Sklaven- und Unternehmer-Masken als"Vermummung" geahndet werden können."Transpis" (Transparente) und"Flugis" (Flugblätter) werden besprochen - die Verkleinkerungsform des i-Plurals legt etwas Spielerisches über die staubtrockene Tagesordnung, die immer wieder zur"Bündisfrage" führt. Das"Berliner Sozialforum" ein ebenso informeller Zusammenschluss linker und anderer Initiativen gegen die"Zerschlagung des Sozialstaates" und viele Gewerkschafter werden am Sonnabend mittun. Ganz zum bislang sprachlosen Ärger von Grünen und SPD, dem einzig die grüne Parteichefin Angelika Beer gestern Luft machte."Politikunfähigkeit", rief sie den Attacis hinterher oder voraus, wie man's nimmt. Die Nerven liegen blank bei Rot-Grün - Angst vor einer neuen Apo?
Und, ach ja - der"Lauti" (Lautsprecherwagen) muss noch organisiert werden. Die Wahl fällt auf den"Ex-Ex-Lauti". Der Ex-Ex-Lauti? Ja, das ist ein bewährtes Gerät des längst umgezogenen Kneipenkollektivs der ehemaligen Berliner Szenetankstelle"Ex" im Kreuzberger Mehringhof. So spendet Segen noch immer die Hand. Im Mehringhof - einer Gralsstätte der Berliner Alternativbewegung - wurde den heute ergrauten Grünen schon vor Jahrzehnten das Bier gezapft. Heute tagen dort jene, vor denen die Grünen sich immer wieder selbst gewarnt haben: Die Generation Rentenloch - junge umweltbewusste, entwicklungspolitisch ambitionierte, von den Kürzungen im Bildungsbereich verärgerte, zumeist undogmatische Menschen, denen grüne Ã-koverweser und rote Sozial-Patriarchen ein ebensolches Gräuel sind, wie es den wilden Grünen einmal die Dynastie der Kohlkabinette war.
Es sind jene, die wissen, dass sie nur mit Glück in den herunter gekommenen Unis der Hauptstadt und sonst wo Berufsreife erlangen werden und die völlig illusionslos ihre Rente soweit abgeschrieben haben, wie der Zahnarzt seine mallorquinische Ferienimmobilie.
Nicht weit vom Kreuzberger Mehringhof, wo altlinke Ã-ko-Kultur auf neuen und jungen Sozialprotest trifft, wohnt und arbeitet jemand, der mindestens schon soviel Bewegung gesehen hat, wie die Mauern des alternativ-ehrwürdigen Mehringhofs. Michael Prütz.(51) sitzt in seiner kleinen Versicherungsagentur im Herzen des Kreuzberger Kiezes und sagt:"Ich bin Marxist". Prütz ist einer der führenden Organisatoren des"Berliner Sozialforums" und die Apo in Person. Als ehemaliger Trotzkist, Anti-Vietnam-Aktivist, Politologie-Student und Ex-Grüner war er bald nach der Wende PDS-Sprecher in Kreuzberg. Bis er auch dort austrat - wegen der Sozialpolitik des rot-roten Senats.
Und weil er die PDS als dümpelndes Rettungsboot der untergegangen SED-Elite erlebt hat, von der er nichts mehr erwartet als konventionelle"Sozialklempnerei".
Prütz hat die linke politische Theorie so tief eingeatmet, dass sie nur wieder aus ihm herauskommt, wenn man ihm richtig nahe tritt. Ja, ja, der ehemalige Trotzkistengenosse und heutige Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolff, mit dem hat er studiert - und heute? Als roter Senator privatisiert er jetzt die Berliner Wasserbetriebe nach dem gleichen Schema, wie es bei der krachen gegangenen Berliner Bankgesellschaft geschah. 50 Milliarden Euro Schulden für den Steuerzahler. Danke, das ist nichts für Prütz. Organisation von unten, das ist seine Philosophie und die hat den agilen Kiezstrategen mit erfahrenem Blick für soziale Protestdynamik zu einer der Schaltstellen des neuen Sozialprotestes werden lassen - weit übers Linksmillieu hinaus.
Denn wenn es selbst für Villenbesitzer in Berlin einen Grund gibt radikal und"Attaci" zu werden, dann ist es das Thema Privatisierungspolitik und der Berliner Bankenskandal. Der Bürgerzorn über die jahrzehntelang verfehlte Kommunalpolitik in Berlin und anderswo ist alters- und schichtenübergreifend. Das kann sich jeder Interessierte einmal im Monat im randvollen Berliner Grips-Theater anschauen und -hören. Dort trifft sich lose, aber flexibel von Attac und anderen organisiert, seit einem runden Jahr jeden letzten Sonntag im Monat der zivile Ungehorsam aller Altersschichten
Mit dem Irak-Krieg fing es an. Thema letzten Sonntag: Globalisierung und Privatisierung als zwei Seiten der gleichen Medaille. Qualifizierte Attac-Referenten erläutern die Not der öffentlichen Kassen und ihre Folgen in Ã-sterreich, der Schweiz und Berlin. Parteienfrust, von links bis rechts, eine bürgerrechtliche Stimmung weht durch den Bühnensaal des berühmten Kinder- und Jugendtheaters. Viele Lehrer sind im Publikum, und alle wollen zur Demonstration am Sonnabend auf den Alexanderplatz.
Ein paar Transparentlängen vom"Alex" entfernt tagt am Vorabend der"großen Demonstration" die Attac-Hochschulgruppe der Berliner Humboldt-Universität. Wieder das gleich Bild, die gleichen ruhigen, wachen Gesichter, die nicht verstehen wollen, wieso"immer mehr Reichtum angehäuft wird", während ihre Uni regelrecht verkommt.
Das Seminargebäude gleicht einem explodierten Papierkorb, ganze Institute sollen geschlossen werden. Mitten drin sitzen 40 Studenten, einer hält ein Referat über globale Wirtschaftspolitik. Die Stimmung ist freundlich, wieder geht es um"Flugis" und"Transpis" einmal fällt das Wort"Arbeiterklasse" und viele grinsen unwillkürlich. Weil das nicht ihre Terminologie ist, es ist für sie ein Wort aus einer Zeit, in der genau die Versprechen gemacht wurden, die in diesen Monaten und Jahren gebrochen werden. Sie sind ernüchtert, allesamt, über die Bedingungen, unter denen sie studieren, arbeiten, zum Arzt und irgendwann einmal auf Rente gehen werden. Sie erwarten von diesem Sozialstaat und seinen Parteien nichts mehr, wollen sich davon aber nicht die Laune verderben lassen.
Sie wollen eine Bewegung sein, die"eine andere Welt" denkt, eine gerechtere, finanziert mit der Tobin-Steuer, finanziert von"den Reichen". Und das werden sie sich nicht so schnell ausreden lassen - von Schröder nicht und von den Grünen gleich gar nicht. Und auch von sonst niemandem
[i]Wer ist Attac?
Spätestens seit den Protesten von Genua ist Attac den meisten Menschen ein Begriff. Bei den gewalttätigen Demonstrationen gegen den WTO-Gipfel wurde 2001 ein Demonstrant von Polizisten erschossen. Politische Gegner machten damals auch die Mitglieder von Attac für die Unruhen verantwortlich, was dem Ruf der Gruppe nachhaltig schadete. Dabei waren die Attac-Anhänger unversehens selbst zwischen die Fronten geraten: Auf der einen Seite bewaffnete Hundertschaften der Carabinieri, auf der anderen Seite der so genannte"Schwarze Block", Gruppen von Randalierern, die damals die Innenstadt von Genua in Schutt und Asche legten.
Niemand hatte je mit solchem öffentlichen Interesse gerechnet, als sich Attac 1998 als französische"Vereinigung zur Besteuerung von Finanz-Transaktionen im Interesse der Bürger/Innen" gründete.
Die Finanzmärkte, meinen die Attac-Mitglieder, seien mit ihrer Konzentration von Kapital für die Verarmung weiter Teile der Weltbevölkerung verantwortlich. Bald schon weitete sich das Betätigungsfeld von Attac auch auf andere Gebiete globaler Sozial- und Umweltpolitik aus. Heute umfasst Attac ein Netzwerk von 90 000 Mitgliedern in 50 Ländern, die mit"Bildungsaktionen gegen die Globalisierung" auf sich aufmerksam machen.
In Deutschland etwa"besuchten" die Attac-Mitglieder SPD-Büros in 40 Städten, verhüllten in Nürnberg das"S" eines großen SPD-Logos, um auf den Sozialabbau im Land aufmerksam zu machen. Attac wird dabei nach eigenen Angaben von vielen Seiten unterstützt, zum Beispiel der Gewerkschaft Verdi, dem BUND für Naturschutz oder der Pax Christi. DW
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