rocca
27.11.2003, 10:51 |
"Schröder will den Starken gefallen, deshalb tritt er kräftig nach unten!"Thread gesperrt |
-->stern: Herr Hengsbach, Sie müssen schrecklich frustriert sein.
Friedhelm Hengsbach: Wieso? Weil ich immer noch gegen den neoliberalen Strom anschwimme, nicht glaube, dass Privatisierung, Deregulierung die Heilsbotschaften sind? Weil ich mich dem herrschenden Glaubenssatz widersetze, der mit missionarischem Eifer in die Bevölkerung gehämmert wird: Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten! Er ist zu teuer!
So sieht es doch jeder, von der"FAZ" bis zur"taz".
Das sehe ich anders, aber manchmal komme ich mir mit meiner Meinung fremd wie auf dem Mars vor. Zwischentöne sind selten geworden. Es gibt schon Momente, in denen ich zynisch werden möchte, an mir zweifle, mich frage, bin ich blöde?
Als Idiot müssen Sie sich vorkommen, Sie...
Es klingt vielleicht überheblich, wenn ich nun sage: Wer 24 Stunden eher Recht hat, steht 24 Stunden lang als Idiot da. Wir leben in merkwürdigen Zeiten. Es gibt so etwas wie einen kollektiven Wahn, eine kollektive Verengung des Denkens.
Was wollen Sie damit sagen?
Es hat Hunderte von Jahren gedauert, bis die Menschheit eingesehen hat, dass nicht die Sonne sich um die Erde dreht. Bestimmte Dogmen werden uns heute als Naturgesetze verkauft, das ist wie ein kollektiver blinder Fleck. Die modernen Dogmen lauten: Der schlanke Staat ist der beste aller möglichen Staaten! Vertraut auf die Selbstheilungskräfte des Marktes!
Der Moralist
Friedhelm Hengsbach, 1937 in Dortmund geboren, lehrt seit 18 Jahren Wirtschafts- und Gesellschaftsethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt und ist Leiter des dortigen Oswald von Nell-Breuning-Instituts. Als 20-Jähriger trat Hengsbach dem Jesuitenorden bei, heute ist er der führende Vertreter der christlichen Soziallehre. Der streitbare Jesuitenpater sieht sich als Anwalt der Schwachen; mit seinen kritischen Ansichten erregt der katholische Professor immer wieder den Unmut seiner Kirchenführer. 1998 erhielt er wegen seines sozialen Engagements den Gustav-Heinemann-Preis der SPD.Und was ist daran falsch?
Seit 25 Jahren läuft man diesen Verheißungen hinterher, demontiert den Sozialstaat, baut die solidarischen Sicherungen ab, nennt das wie der Christdemokrat Merz"Befreiungsschläge", tut das alles mit dem Versprechen, danach werde es uns besser gehen, es werde mehr Arbeit geben. Doch die Zahl der Arbeitslosen ist in dieser Zeit von einer auf fünf Millionen gestiegen. Durch Sparen und noch mehr Steuersenkungen lässt sich die Karre nicht aus dem Dreck ziehen.
Dann verraten Sie uns mal den wahren Weg aus der Krise.
Der Staat muss massiv investieren - in die ökologische Umsteuerung, in die Bildung, die Arbeitszeit muss verkürzt und nicht verlängert werden, wie es heute absurderweise immer heftiger gefordert und oft schon praktiziert wird, und das sogar noch ohne Lohnerhöhung.
Ihre Rezepte, werter Professor, sind von gestern!
Sind sie deswegen falsch? Ich meine nicht. Alles, was in den letzten Jahrzehnten versucht wurde und nun immer sturer und hartnäckiger durchgesetzt wird, hat doch nichts gebracht, im Gegenteil. Deutschland, das ein Drittel der europäischen Wirtschaftskraft stellt, wird nur zu mehr Beschäftigung finden, wenn die Kaufkraft endlich gestärkt, die Binnennachfrage angekurbelt wird. Aber anstatt über eine Kurskorrektur nachzudenken, wird mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen das Falsche noch verschärft. Es ist wie bei einem Junkie: Die Dosis wird erhöht. Der Sozialstaat wird eingerissen.
Zitat
"Es ist wie bei einem Junkie: Die Dosis wird erhöht, der Sozialstaat eingerissen"Diese Reformen, sagt Kanzler Schröder, sagt auch die Opposition, müssen so sein: Es geht nicht anders.
Das ist die Bankrotterklärung jeder Politik. Wenn es keine Alternativen mehr gibt, bin ich hilflos irgendwelchen Naturgesetzen ausgeliefert. Aber ökonomische Prozesse sind keine Naturgewalten, sondern sind immer eingebettet in gesellschaftliche Entscheidungen, politische Weichenstellungen.
Wie erklären Sie sich, dass heute, anders als vor drei, vier Jahrzehnten, alles Soziale so peinlich ist wie Hämorriden?
Diese Stimmung kommt aus der US-amerikanischen Finanzwelt. Die USA sind seit langem das Vorbild. Als führende Wirtschaftsmacht können die USA militärisch und politisch durchsetzen, was sie wollen, weltweit. Das fasziniert die bürgerlichen Eliten, sie himmeln ihren Helden an. Die erschreckenden Schattenseiten des amerikanischen Modells ignorieren sie. Das Vorbild ist dieser Ellenbogenstarke, der seinen Willen durchsetzt. Und hier bei uns, klagen nun die Eliten, werde der Elan des Siegers auf allen Ebenen gebremst, gebe es zu viel Parlamentarismus, zu viel Spaßgesellschaft. Wenn schon in der Schule partizipatorisch gelernt wird - angeblich hemmt das Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit.
Anders ausgedrückt: Es tobt ein Kulturkampf um die Philosophie unseres Zusammenlebens?
Ja, sicher. Wie es um die mentale Verfasstheit unserer Eliten bestellt ist, zeigt sich auch an Erfolgsbüchern wie dem von Frau Höhler mit dem programmatischen Titel"Spielregeln für Sieger" oder Hans-Olaf Henkels"Ethik des Erfolgs". Das Moralische, der Respekt vor anderen, wird weggedrängt zugunsten des Olympiakämpfers, des Athleten, der auf jeden Fall die Spitze erreichen muss. Und sie als die Starken, die Arbeitslosigkeit nicht kennen, weigern sich, für die am Rande der Gesellschaft mitzuzahlen. Deswegen diese systematische Entsolidarisierung.
<ul> ~ Das ganze Interview gibts hier</ul>
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Euklid
27.11.2003, 11:16
@ rocca
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Re:"Schröder will den Starken gefallen, deshalb tritt er kräftig nach unten!" |
-->Du hast Recht.Ich nenne die Bücher von Henkel und Co ab heute literarische Euthanasie.
Gruß EUKLID
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Taktiker
27.11.2003, 11:41
@ rocca
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Klassetyp |
-->Natürlich hat er in seiner Diagnose so recht, wie man nur haben kann.
Er verkennt leider die Regeln des ganzen Spiels: Umgestaltung/Veränderung läuft folgt nicht den Grundsätzen der Vernunft, sondern ist Folge eines Zwangs. Solange die Eliten frei agieren und Spielregeln aufstellen können, wird sich nichts ändern, da kann der Herr Professor noch so flehend bitten.
Was passieren muß, ist das langsame (wichtig!) Zerreiben der Finanzeliten. Auf diese Art von Frontalangriff (Stichwort:"die bösen Kommunisten") sind die bestens vorbereitet. Dort steht die Verteidigung meterdick. Gegen ein langsames, unmerkliches Austrocknen aber sind sie nicht gefeit. Mit den Aktien lief es ja schon in diese Richtung: Fett rauf, fett runter, wieder fett rauf. Die"dummen kleinen Bagholder" waren viellicht gar nicht so dumm, ihr Zeugs zu halten. Währenddessen suchen andere Leute Anlagemöglichkeiten für 300.000€ und trauen sich nirgendwo mehr rein. Egal was sie machen, sie werden ebenso zerrieben werden.
Die Vola wird fein weiter hochgetrieben, so dass sich die Spekulationskosten für das Kapital sauber erhöhen. Beispiel Produktion: Nach ersten zaghaften Aufschwungsignalen wird es fahrlässig, massenhaft Personal zu schmeißen. Wie man als Kunde überall erkennen kann, wird in Sachen Personal vielerorts schon an der untersten Schwelle operiert. Da ist nichts mehr einzusparen, aber bei anziehender Konjunktur gibts massiv Personalprobleme. Also kann man nicht ungeniert weiter entlassen. Personalvorhaltung: die Risikoprämien werden also höher.
Anderes Beispiel: Defla/Infla-Streit hier. Tja wenn es nur so schön einfach wäre, würde man einfach Gold oder Cash horten. Je nach dem, was ansteht. Anstelle dessen sehen wir eine fiese Infla/Defla-Mischung, welche wiederum die Transakt.kosten hochtreibt, da die Schwankungen zwischen beiden Extremen immer größer werden. Am schlauesten ist derzeit, wer auf gar nichts spekuliert: kein Cash, kein Gold. Dies wird sich verschärfen.
Hier gibts ja Extremisten in beide Richtungen: Gold/Immos/Sachwerte allgemein oder Cash-Hortung/Forderungen sammeln. Was hier nie diskutiert wird: Die Frage lautet nicht: WAS zu horten ist, sondern OB irgendwas zu horten ist. Wieder ein Beispiel für den dicken Verteidigungswall, den man aufbaut, obwohl die Gafahr von ganz woanders droht.
Allgemein: Dieses System hat sich prächtige Verteidigungsanlagen aufgebaut. Aktiencrash? Kein Problem! Spekublasen? Kein Problem! Überall hat man sich die passenden Instrument aufgebaut. Der Einsatz derer setzt aber eine saubere Diagnose voraus. Die zu stellen, ist man nicht in der Lage, denn Geschichte läuft nach den Gesetzen der größtmöglichen Ironie ab: Die Instrumente bleiben im Schrank, denn man kann nichts mehr eindeutig diagnostizieren. Es geht alles immer schneller, läuft immer divergenter. Der Prof soll sich gedulden, der Neoliberalismus ist das Abschaffungskommando des Liberalismus. Und das ist doch gut so.
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Taktiker
27.11.2003, 11:46
@ Euklid
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Gratulation! |
-->>Du hast Recht.Ich nenne die Bücher von Henkel und Co ab heute literarische Euthanasie.
Wie Du Dir denken kannst, erhälst Du dafür von mir Applaus. Aber ein wenig verwundern tut mich dieser Fortschritt schon. Er ist zumindest nicht wirklich konsequent eingedenk Deiner üblichen Linie. Im Prinzip setzt Du Dich da dem Verdacht des Neides aus, wenn Du die 'Erfolgsethiken für Siegertypen' der prominenten Autoren so brandmarkst. Wie kommts?
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Euklid
27.11.2003, 12:06
@ Taktiker
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Re: Gratulation! |
-->Du hast mich halt noch immer nicht richtig ausgemacht [img][/img]
Eigentlich schade daß du noch nicht gerissen hast wo ich stehe.
Werde immer in der Mitte bleiben,es sei denn die Ränder zerquetschen mich zwischen ihren Bordwänden.
Im Moment kommen beide mit Wucht auf mich zu.
Ich stehe zwar überall zwischen den Stühlen aber das ist schon auszuhalten.
Werde mich tapfer gegen Vereinnahme von beiden Seiten wehren,weil beide Seiten einen gewissen Herrschaftsanspruch stellen.Und das gefällt mir nicht.
Du bist mir aber noch deine Datumsberechnung schuldig.
Habe ich falsch gerechnet?
War nämlich ohne Strom und diese schröcklichen Hirnwindungen fangen ab und an halt auch mal an verwirrt zu spielen in dieser dusseligen Zeit.
Gruß EUKLID
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Taktiker
27.11.2003, 12:35
@ Euklid
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Datum |
-->Ja richtig,"das" Datum liegt natürlich schon knapp in 2004. Mit den"2 Monaten" ergibt sich ein Spielraum von 1-2 Tagen. Alles auf 9-11 gerechnet. Falls man das SpaceShuttle Downing als relevant sieht, dauerts noch ein wenig. Aber nun genug mit der Esoterik.
Von Deinen Mitte/Rechts/Links-Bildern halte ich überigens gar nichts. Das ist Herrschaftsphilosophie. Es gibt nur OBEN und UNTEN. Wer OBEN ist, dividiert das UNTEN in"Links" und"Rechts" auf und erklärt die"Mitte" als loyal. Die in der"Mitte" bekommen die Ideologie verabreicht, dass die von"Links" und"Rechts" ihnen an den Kragen wollen. Perfekte Dreiteilung der von da UNTEN! Bei dreien liegen mindestens zwei immer im Streit miteinander, womit die da OBEN ihre Ruhe haben.
Wie man sieht, funktioniert das Spiel. Auch Du wirst von denen da OBEN ausgenommen, aber Du hälst Dich damit auf,"Florida-Rolfs" zu jagen... oder"linke" Taktiker-Zecken wollen Dir ans Leder... oder...oder.
Nicht bös' gemeint, aber wenn Du dieses Links/Rechts/Mitte mal hinter Dir lassen würdest, wäre etwas gewonnen.
Gruß!
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Bärentöter
27.11.2003, 12:52
@ Taktiker
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Auch der Dümmste durchschaut das Spiel |
-->Ich kenne jedenfalls niemanden der an diesen Links/Rechts Blödsinn, bzw das"Wir" und"Die", glaubt.
Die Politiker selbst scheinen die einzigen zu sein die davon noch überzeugt sind.
MFG
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