Aus der FTD vom 26.11.2001 www.ftd.de/kapital
Das Kapital: Auch der Westen ist von Deflation bedroht
Folgt die Deflation dem Lauf der Sonne? In der öffentlichen Wahrnehmung sind fallende Preise ein rein japanisches Problem. Am BIP-Deflator gemessen sinken sie dort seit 1994.
Aber Japan steht damit nicht alleine da. In Korea fällt der BIP-Deflator seit Anfang 1998, in Singapur seit 1995. Selbst in Deutschland ist der BIP-Deflator im dritten Quartal auf das Niveau des Frühjahrs 1999 zurückgegangen. Die um Energiekosten bereinigten Produzentenpreise stagnieren seit dem Frühjahr. In den USA haben die Produzentenpreise in der Kernrate - ohne Energie und Nahrungsmittel - im Oktober um ein halbes Prozent nachgegeben. Das ist der drittstärkste Rückgang seit 1970.
Wie kann es sein, dass die Preise selbst in den USA purzeln, wo die Wirtschaft ein Jahrzehnt regelrecht geboomt hat und die Konsumenten im dritten Quartal real immerhin noch 2,5 Prozent mehr ausgegeben haben als im Vorjahr, in dem die Steigerungsrate satte 4,9 Prozent betrug? Als die Kapazitätsauslastung 1983 zum letzten Mal auf dem jetzigen tiefen Niveau war, hatte die Wirtschaft - mit Unterbrechungen - bereits eine dreijährige Rezession hinter sich. Zwischen Ende 1979 und Anfang 1983 war die Nachfrage quasi unverändert geblieben. Jetzt stagniert die Wirtschaft gerade seit zwei Quartalen.
Die Erklärung liegt im massiven Kapazitätsaufbau seit Anfang der 90er Jahre. Zwischen 1991 und 2000 ist der Anteil der Investitionen am US-BIP kontinuierlich von 12,5 auf rund 18,5 Prozent gestiegen. Seit 1960 lag er im Schnitt bei rund 13,5 Prozent. Die Schwierigkeit liegt jetzt darin, dass die zusätzlichen Kapazitäten kaum genutzt werden können. Denn die US-Verbraucher haben schon mächtig zugelangt. Sie haben aufgehört zu sparen und so viele Kredite aufgenommen, dass sie nun ein Sechstel ihrer Einkommen für deren Bedienung aufwenden müssen, trotz der niedrigen Zinsen. In Japan ist die Kapazitätsauslastung unterdessen auf den tiefsten Stand seit 20 Jahren gefallen. Der Druck auf die Preise ist also enorm.
Die Zentralbanken scheinen zu reagieren, indem sie soviel Geld drucken, dass es bald nicht mehr unter die Matratze passt. In Japan steigt die monetäre Basis um gut 14 Prozent, in den USA wachsen die liquiden Mittel ("money of zero maturity") mit 20 Prozent, und selbst in Europa expandiert M3 mit knapp acht Prozent. Den Geldhütern bleibt im Moment auch nicht viel mehr übrig, um die Deflation zu bekämpfen beziehungsweise zu verhindern. Im besten Fall würde die US-Wirtschaft auf Jahre hin gerade so schnell wachsen, dass die Preise nicht fallen, während Haushalte und Firmen ihre Ausgaben dennoch so weit im Zaum halten, dass Schulden und Kapazitäten nicht noch weiter steigen (Exporte wären die beste Medizin, das muss Europa wissen). Sonst wären die Probleme nur verschoben. Doch selbst im diesem besten Fall bleibt die Frage, was mit dem Geld passiert, wenn die Ungleichgewichte sich tatsächlich mit der Zeit auflösen.
gruss mcmike
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