Gesellschafts-Experiment
Strafe muss sein
Nicht Nettigkeit hält menschliche Gemeinschaften zusammen, sondern Wut: In einem ökonomischen Experiment kooperierten die Teilnehmer nur dann, wenn sie sich gegenseitig bestrafen durften.
Was bringt Menschen dazu, miteinander zu kooperieren?
Schweizer Wirtschaftswissenschaftler sind der Frage nachgegangen - und haben eine ungemütliche Antwort gefunden. Wie die Forscher in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins"Nature" berichten, spielt ausgerechnet die Bestrafung bei der Zusammenarbeit eine zentrale Rolle.
Der Gemeinschaftssinn ist Wissenschaftlern schon lange ein Rätsel: Menschen verbünden sich sogar mit Fremden, die sie später nie wieder treffen, und auch dann, wenn sie keinen direkten Profit erwarten können. Mit genetischer Verwandtschaft oder eigennützigen Motiven, die als sozialer Kitt in der Tierwelt gelten, lassen sich solche Kooperationen nicht erklären.
Profit ohne Risiko
Um eine derartige Zusammenarbeit zu simulieren, veranstalteten Ernst Fehr von der Universität Zürich und Simon Gächter von der Universität St. Gallen ein Wirtschaftsspiel. Dabei bekamen jeweils vier anonyme Freiwillige eine Anzahl von Zahlungseinheiten, die sie in jeder Runde entweder investieren oder für sich behalten konnten. Einsatz und Gewinn wurden zwischen allen aufgeteilt - so profitierten auch Teilnehmer, die ihr Geld nicht anrührten.
Dadurch entstand eine Situation, in der die Geldanlage zwar im Interesse der Gemeinschaft, aber nicht des Einzelnen lag. Denn der Investor profitierte nur, wenn auch mehrere andere mitzogen - und ging umgekehrt jederzeit das Risiko ein, durch die Untätigkeit nutznießender Mitspieler hohe Verluste zu machen. In einer ersten Versuchsreihe scheiterte die Zusammenarbeit daher schnell: Schon nach wenigen Runden gingen Investitionsbereitschaft und Gruppenprofit drastisch zurück.
Bestrafung verbessert das Geschäft
Bei einem zweiten Experiment erhielten die Teilnehmer dagegen die Gelegenheit, investitionsfaule Mitspieler zu bestrafen. Dazu zahlten sie selbst einen kleinen Betrag und zogen dem Trittbrettfahrer eine größere Summe ab. Sobald diese Option geschaffen war, scherten weniger Teilnehmer aus der Gemeinschaft aus, und das Geschäft florierte."Wenn man Bestrafungsmöglichkeiten eröffnet, lässt sich die Kooperation verbessern", erklärte Fehr gegenüber SPIEGEL ONLINE.
Weil Spieler nicht direkt davon profitierten, wenn sie sich an anderen abreagierten, sondern im Gegenteil dafür bezahlen mussten, bezeichnen Fehr und Gächter ein solches Verhalten als altruistische, also selbstlose Bestrafung. Diese Zurechtweisung, die aus der Wut auf den Abweichler entsteht, dient im Modell der Forscher dennoch dem Gemeinwohl.
Streikende gegen Streikbrecher
Ein solches Verhalten ist, so Ernst Fehr, in der Gesellschaft allgegenwärtig:"Es tritt zum Beispiel bei Streiks auf, wenn Streikende die Streikbrecher attackieren." Auch in diesem Fall ist die Bestrafung oft selbstloser Natur: Schließlich können Tätlichkeiten gegen die Streikbrecher von der Justiz geahndet werden.
Auch am Arbeitsplatz lässt sich Fehr zufolge eine ähnliche Gruppendynamik beobachten."Es kann sein, dass Mobbing eine Form von altruistischer Bestrafung ist." Das Phänomen könnten sich, wie der Ã-konom meint, auch Chefs zunutze machen:"Arbeitgeber könnten Teamanreize schaffen, bei denen die Angestellten nach Gruppenleistung bezahlt werden."
Allerdings warnt der Forscher vor zu drastischen Schlussfolgerungen aus der Studie. So könnten Bestrafungsaktionen der Gruppe gegen Abweichler nicht nur positive, sondern auch deutlich negative Auswirkungen haben. Fehr:"Ich kann mir Situationen vorstellen, in denen ein solches Verhalten in einen Rachekreislauf mündet."
Aus"Spiegel-Online"
Zardoz
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