- Argentienien - kleine Fallstudie wie es dann praktisch abläuft - R.Deutsch, 20.01.2002, 16:55
- Re: Argentienien / Präsident räumt Verlust der Dollar-Guthaben ein - PuppetMaster, 20.01.2002, 17:27
- Re: Argentienien / Präsident räumt Verlust der Dollar-Guthaben ein - XERXES, 20.01.2002, 17:32
- Re: Argentienien / Präsident räumt Verlust der Dollar-Guthaben ein - Euklid, 20.01.2002, 18:58
- Re: Argentienien / Präsident räumt Verlust der Dollar-Guthaben ein - PuppetMaster, 20.01.2002, 17:27
Argentienien - kleine Fallstudie wie es dann praktisch abläuft
In Argentinien regiert das Chaos
[ Geldcrash-Retten Sie Ihr Vermögen ]
Geschrieben von Digo am 19. Januar 2002 22:55:14:
Und das ist wörtlich gemeint: die"Maßnahmen" der Regierung haben eine Halbwertszeit von wenigen Tagen. Und es
kommt durchaus vor, daß die Medien einen Gesetzesentwurf zugeschickt bekommt, der Stunden später schon wieder
Makulatur ist.
Ist auch kein Wunder, denn die Regierung versucht, die"Quadratur des Kreises" zu lösen. Auf der einen Seite die soziale
Krise und eine zunehmend an die Wand gedrängte Bevölkerung - und auf der anderen Seite die gesamte"Cleptokratie",
angefangen vom lokalen Parteienfilz bis hin zu internationalen Großbanken.
Natürlich steht das Volk als Verlierer in diesem ungleichen Tauziehen schon fest, nur hat bisher keiner den Mut
aufgebracht, das offen zuzugeben.
Als Cavallo am 3. Dezember Bargeldabhebungen"für 90 Tage" auf $1000 pro Monat begrenzte, wurde schnell klar, daß
sich die Probleme innerhalb von 3 Monaten nicht in Luft auflösen würden. Im Gegenteil: bis jetzt ist alles nur noch
schlimmer geworden. Überall fehlt das Geld. Folgerichtig brachen die Steuereinnahmen im letzten Monat um 22% ein.
Lenicov, der neue Finanzminister, hat nun die größeren Sparguthaben gleich ganz eingefroren. Wer mehr als $15.000 auf
dem Konto hat, kann nicht einen Centavo bewegen, nicht einmal innerhalb des Bankensystems. Freigabe der
Dollar-Guthaben ab 2003 - wenn überhaupt.
Das Einfrieren der Bankguthaben könnte der ohnehin schon gestörten Geldzirkulation den Rest gegeben. Das scheint sich
so langsam auch bis zur Regierung herumgesprochen zu haben, immerhin hat sie jetzt eine Ausnahme angekündigt:
Firmen dürfen auf ihre Guthaben zugreifen, und zwar ausschließlich, um Löhne (bankenintern) auf Gehaltskonten zu
transferieren.
Mit Rodriguez Saá war kurzzeitig ein bißchen Hoffnung aufgekommen, aber er ist (genau wie De la Rúa) an
"bestimmten" Interessengruppen gescheitert. Höchstwahrscheinlich, weil er das"1:1" (vorerst) beibehalten wollte.
Es hat nämlich den Anschein, als ob viele Firmen - und vielleicht sogar einige Provinzen - auf die Abwertung des Peso
spekuliert haben. So wurden seit Monaten viele Löhne nicht gezahlt, weil angeblich kein Geld da sei. Kaum glaubhaft
beispielsweise bei einer S-Bahn-Gesellschaft, schließlich haben sie ihre Tickets ja nicht verschenkt, und die Züge waren
voll.
Wer also seine Einnahmen rechtzeitig 1:1 in Dollar getauscht und (möglichst im Ausland) deponiert hatte, kann jetzt einen
ordentlichen Gewinn einstreichen, wenn er die ausstehenden Löhne mit abgewerteten Peso nachzahlt.
Nach"gängiger" Vorstellung sollte die Abwertung des Peso dem Land relativ rasch aus der Krise helfen. Inzwischen
zeigt sich, daß diese Milchmädchen-Rechnung nicht aufgeht. Die Wirtschaft ist praktisch paralysiert, u.a., weil kaum
jemand in der Lage ist, seine Kosten halbwegs richtig zu berechnen.
Die einfache Lösung, einfach alle Preise auf Dollar-Niveau zu lassen, scheitert an der fehlenden Kaufkraft der
Bevölkerung und an der Ankündigung der Regierung, notfalls in den Markt einzugreifen und Maximalpreise zu
verhängen.
Auf der anderen Seite sind hier in den letzten zehn Jahren soviel Industriezweige den Bach runter gegangen, daß kaum
ein einheimisches Produkt ohne Importe auskommt, und wenn es nur für die Verpackung ist. Es gibt beispielsweise
keine Glasindustrie mehr in Argentinien.
Und die Firmen, die überlebt haben, haben das trotz Dollarbindung geschafft, sind also dem Weltmarkt gewachsen.
Verständlich, daß sie ihre Produkte auch im Inland zum Weltmarktpreis verkaufen. Als erstes ist Weizenmehl
entsprechend teurer geworden; im Moment geben die Bäcker diesen Preisanstieg allerdings noch nicht an die Kunden
weiter.
Es folgten Sonnenblumen- und Sojaöl. 80% der hiesigen Produktion gehen schon ins Ausland, und die Erzeuger hätten
kein Problem, die restlichen 20% ebenfalls dort zu verkaufen. Auch dieser Preisanstieg wird im Moment noch von den
Abnehmern (Handel und Nahrungsmittelindustrie) abgefangen.
Einige Supermarktketten und Lebensmittelhersteller haben ganz schnell versichert, daß sie"in diesem Monat" die Preise
nicht anheben, andere werben damit, daß sie"die Waren des Grundbedarfs" nicht verteuern würden.
Anders sieht es in den Apotheken aus. Hier tobt die pure Spekulation. Die Preise für importierte Medikamente haben sich
vielfach schon verdoppelt; es häufen sich Berichte, daß einheimische Arzneimittel nur"unter dem Ladentisch" und nur
gegen Cash (vorzugsweise in Dollar) abgegeben werden. In den Krankenhäusern fehlen inzwischen neben Medikamenten
auch wichtige Verbrauchsmaterialien, wie Gummihandschuhe und Kanülen.
Die Wasser-, Gas-, Strom- und Telefontarife wurden"pesifiziert", und auf Erdöl bzw. Kraftstoffe hat die Regierung eine
Exportsteuer verhängt, die dafür sorgen soll, daß deren Preis in Peso nicht steigt. Verständlich, daß das den
Gesellschaften nicht paßt. Mal sehen, wie lange Duhalde dem Druck standhält.
Angeblich hat die spanische Repsol im letzten Jahr zwei Drittel ihres Gewinnes aus der arg. Tochter YPF"herausgeholt".
Und auch die beiden Telefongesellschaften (Telefonica und Telecom) haben ein paar"dicke" Schecks an ihre
Muttergesellschaften überwiesen.
Auf der anderen Seite sind ausgerechnet diese Unternehmen hier mit die größten Schuldner. Die Gewinne wurden also
regelrecht"ausgeborgt"...
In den"Maßnahmen" der Regierung ticken gleich mehrere Zeitbomben.
Einmal in der Abwertung selbst. Damit sie volkswirtschaftlich überhaupt irgend einen Effekt hat, muß die Inflationsrate
unterhalb der Abwertungsrate bleiben, d.h., die Preise fallen in Bezug auf den Dollar. Damit haben wir aber eine
Deflationstendenz.
Es lohnt sich,"überschüssige" Peso in Dollar zu tauschen, weil sie (dank Abwertung) in einigen Wochen bzw. Monaten
mehr wert sind. Auf diese Weise entsteht eine permanente Dollarnachfrage - und solange der Dollar teurer wird, dürfte
kaum jemand (ohne Not) seine Dollar zurücktauschen, morgen würde er dafür ja schon wesentlich mehr Peso
bekommen.
Nach den Erfahrungen der letzten Wochen dürfte es außerdem sehr schwer werden, einen Argentinier zu überzeugen,
seine Ersparnisse einer Bank anzuvertrauen. Das wirkt sich nicht nur auf den Dollarkurs sondern auch auf das
inländische Kreditangebot aus. Pesokredite dürfte es gar nicht oder nur mit"Abwertungsausgleich" geben (der"Dollar
future" für Januar 2003 steht bei 3,50 Peso) und Dollarkredite bestenfalls im Rahmen der eingefrorenen Guthaben.
Aber auch die Ankündigung, die Sparguthaben"in der jeweiligen Währung" (mehrheitlich Dollar) zu belassen, sorgt für
reichlich Sprengstoff. Denn das funktioniert natürlich nur, wenn auch die Kredite auf Dollarbasis bleiben.
Aus"sozialen Gründen" gibt es einige wenige Ausnahmen: Privatkredite bis $10.000 wurden"pesifiziert", ebenso
Hypotheken bis $100.000 - allerdings nur, falls sie von einer Bank stammen. Pech für all die, die beim Hauskauf einen
Hypothekenvertrag direkt mit dem Vorbesitzer abgeschlossen haben - es bleibt beim Dollar. Nach Medienberichten sind
etwa 3 Mio. Menschen betroffen.
"Normalerweise" hätte man alle Guthaben und Kredite vor der Abwertung komplett auf Peso umstellen müssen, das wäre
ehrlich und gerecht gewesen. Denn eigentlich hat die Bevölkerung ja Pesos eingezahlt. Daß sie auf dem Kontoauszug als
"Dollar" auftauchten, war ein einfacher Etikettenschwindel. Logisch, daß die Banken"aus bilanztechnischen Gründen"
ihre Kredite formal in Dollar gewährten - auch wenn am Ende dieselben Pesoscheine wieder über den Schalter
wanderten.
Aber offensichtlich ist Eigennutz mal wieder vor Gemeinwohl gegangen, denn die"Cleptokraten""da oben" gehören zu
jenen 2% aller Sparer mit mehr als $50.000 Guthaben. Sie besitzen immerhin 62% der gesamten Spareinlagen.
Allerdings haben sie nur bis zur Nasenspitze gedacht. Auf dem freien Markt steht der Dollar schon bei 2 Peso - wer kann
da noch seine Schulden tilgen?
Eine weitere, richtig große Zeitbombe tickt bei Mieten u.ä. (Raten-)Zahlungen, die häufig ebenfalls auf dem Dollar
basieren. Sie wurden für 180 Tage an den Peso gebunden. Innerhalb dieser Zeitspanne sollten sich, so die Meinung der
Regierung, beide Parteien auf einen neuen Vertrag geeinigt haben. Wenn nicht, bleibt es beim alten, und die Zahlungen
werden in Dollar fällig. Man kann nur hoffen, daß sich der Gesetzgebers auch noch der juristischen"Randprobleme"
annimmt und beispielsweise ein Sonderkündigungsrecht einräumt, wenn der Vermieter auf dem alten Vertrag beharrt. Ob
es viel nützt, steht auf einem anderen Blatt. Denn bei den Mietangeboten ist bis jetzt nur eine Änderung zu beobachten:
das"$" wurde durch"U$S" ersetzt - die Zahlen sind gleich geblieben...
Die 180-Tage-Frist gilt auch für die Versorgungsunternehmen (Strom, Wasser, Gas, Telefon etc.). Danach können die
Tarife"an die Marktgegebenheiten" angepaßt werden.
Wie heißt es so schön: aufgeschoben ist nicht aufgehoben...
Ansonsten brodelt fleißig die Gerüchteküche. Die Bevölkerung traut"denen da oben" inzwischen jede Schandtat zu - so
verrückt sie auch klingen mag.
Ist auch kein Wunder: die Regierung arbeitet"wirklich sehr hart" - hinter verschlossenen Türen. Ab und zu sickert die
Meinung eines Ministers oder eine Pressemitteilung nach draußen. Meist ohne Begründungen. Die Interpretation bleibt
den Journalisten überlassen.
Der Eindruck, daß hinter den Kulissen heftig um die größten Brocken gestritten wird, ist sicher nicht aus der Luft
gegriffen. Insofern (siehe oben), der Verlierer steht schon fest...
Viele Grüße,
Digo
Antworten:
Fragen zu Argentinien G.Hannich 20.1.2002 12:18 (0)
Re: Initiative Argentinien-Gläubiger Faultier 20.1.2002 11:09 (1)
Re: Initiative Argentinien-Gläubiger -Skandal des Monats Frank 20.1.2002 11:41 (0)
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