- @Staatsschulden: Marx ĂŒber fiktives Kapital - Wal Buchenberg, 23.01.2002, 07:44
@Staatsschulden: Marx ĂŒber fiktives Kapital
Fiktives Kapital
1. Was ist fiktives Kapital?
âDie Form des zinstragenden Kapitals bringt es mit sich, dass jede bestimmte und regelmĂ€Ăige Geldrevenue als Zins eines Kapitals erscheint, sie mag aus einem Kapital entspringen oder nicht.
Erst wird das Geldeinkommen in Zins verwandelt, und mit dem Zins findet sich dann auch das Kapital, woraus es entspringt.
Ebenso erscheint mit dem zinstragenden Kapital jede Wertsumme als Kapital, sobald sie nicht als Revenue verausgabt wird; nĂ€mlich als Hauptsumme... im Gegensatz zum möglichen oder wirklichen Zins, den sie tragen kann.â K. Marx, Kapital III. MEW 25, 482.
âDie Sache ist einfach:
Gesetzt, der DurchschnittszinsfuĂ sei 5 % jĂ€hrlich. Eine Summe von 500000 Euro wĂŒrde also jĂ€hrlich, wenn in zinstragendes Kapital verwandelt, 25000 Euro einbringen.
Jede feste jÀhrliche Einnahme von 25000 Euro wird daher als Zins eines Kapitals von 500000 Euro betrachtet.
Dies ist und bleibt jedoch eine rein illusorische Vorstellung, auĂer in dem Fall, dass die Quelle der 25000 Euro... direkt ĂŒbertragbar ist oder eine Form erhĂ€lt, worin sie ĂŒbertragbar wird.â K. Marx, Kapital III. MEW 25, 482.
âDie Bildung des fiktiven Kapitals nennt man kapitalisieren. Man kapitalisiert jede regelmĂ€Ăig sich wiederholende Einnahme, indem man sie nach dem DurchschnittszinsfuĂ berechnet, als Ertrag, den ein Kapital zu diesem ZinsfuĂ ausgeliehen, abwerfen wĂŒrde...
Aller Zusammenhang mit dem wirklichen Verwertungsprozess des Kapitals geht hier bis auf die letzte Spur verloren, und die Vorstellung vom Kapital als einem sich durch sich selbst verwertenden Automaten befestigt sich.â K. Marx, Kapital III. MEW 25, 484.
2. Beispiele fĂŒr fiktives Kapital
âNehmen wir als Beispiele Staatsschuld und Arbeitslohn." K. Marx, Kapital III. MEW 25, 482.
2.1. Staatsanleihen
âDer Staat hat seinen GlĂ€ubigern jĂ€hrlich ein gewisses Quantum Zins fĂŒr das geborgte Kapital zu zahlen. Der GlĂ€ubiger kann hier nicht seinem Schuldner aufkĂŒndigen, sondern nur.... seinen Besitztitel darĂŒber verkaufen. Das Kapital selbst ist aufgegessen, verausgabt vom Staat. Es existiert nicht mehr.
Was der StaatsglÀubiger besitzt, ist
1. ein Schuldschein auf den Staat, sage von 100000 Euro;
2. gibt dieser Schuldschein ihm den Anspruch auf die jĂ€hrlichen Staatseinnahmen... fĂŒr einen gewissen Betrag, sage 5000 Euro oder 5 %;
3. kann er diesen Schuldschein von 100000 Euro beliebig an andere Personen verkaufen. Ist der ZinsfuĂ 5 %, und dazu die Sicherheit des Staats vorausgesetzt, so kann der Besitzer den Schuldschein in der Regel zu 100000 Euro an B verkaufen; denn fĂŒr B ist es dasselbe, ob er 100000 Euro zu 5 % jĂ€hrlich ausleiht, oder ob er durch Zahlung von 100000 Euro sich einen jĂ€hrlichen Tribut vom Staat zum Betrage von 5000 Euro sichert.
Aber in allen diesen FĂ€llen bleibt das Kapital, als dessen... Zins die Staatszahlung betrachtet wird, illusorisch, fiktives Kapital.
Nicht nur, dass die Summe, die dem Staat geliehen wurde, ĂŒberhaupt nicht mehr existiert. Sie war ĂŒberhaupt nie bestimmt, als Kapital verausgabt, angelegt zu werden, und nur durch ihre Anlage als Kapital hĂ€tte sie in einen sich erhaltenden Wert verwandelt werden können....
Das Kapital der Staatsschuld bleibt ein rein fiktives, und von dem Moment an, wo die Schuldscheine unverkaufbar wĂŒrden, fiele der Schein dieses Kapitals weg." K. Marx, Kapital III. MEW 25, 482f.
2.2. Arbeitslohn
âIm Gegensatz nun zum Kapital der Staatsschuld, wo ein Minus als Kapital erscheint... wollen wir nun die Arbeitskraft betrachten.
Der Arbeitslohn wird hier als Zins aufgefasst und daher die Arbeitskraft als Kapital, das diesen Zins abwirft.
Ist z.B. der Arbeitslohn eines Jahres = 50 000 Euro und steht der Zinsfuà auf 5 %, so gilt die jÀhrliche Arbeitskraft als gleich einem Kapital von 1000000 Euro.
Die VerrĂŒcktheit der kapitalistischen Vorstellungsweise erreicht hier ihre Spitze, indem statt die Verwertung des Kapitals aus der Ausbeutung der Arbeitskraft zu erklĂ€ren, umgekehrt die ProduktivitĂ€t der Arbeitskraft daraus erklĂ€rt wird, dass die Arbeitskraft selbst... zinstragendes Kapital ist...
Es treten hier leider zwei, diese gedankenlose Vorstellung unangenehm durchkreuzende UmstĂ€nde ein, erstens, dass der Arbeiter arbeiten muss, um diesen Zins zu erhalten, und zweitens, dass er den Kapitalwert seiner Arbeitskraft nicht durch Ăbertragung versilbern kann.â K. Marx, Kapital III. MEW 25, 483f.
2.3. Aktien
âAuch da, wo der Schuldschein oder das Wertpapier nicht wie bei den Staatsschulden rein illusorisches Kapital vorstellt, ist der Kapitalwert dieses Papiers rein illusorisch....
Die Aktien von Eisenbahn-, Bergwerks-, Schifffahrts- etc. Gesellschaften stellen wirkliches Kapital vor, nĂ€mlich das in diesen Unternehmungen angelegte und fungierende Kapital... Wobei keineswegs ausgeschlossen ist, dass sie auch bloĂen Schwindel vorstellen... und die Aktie ist nichts als ein Eigentumstitel... auf den durch jenes zu realisierenden Mehrwert.
A mag diesen Titel an B, und B an C verkaufen. Diese Transaktionen Àndern nichts an der Natur der Sache...
Die selbstĂ€ndige Bewegung des Werts dieser Eigentumstitel, nicht nur der Staatseffekten, sondern auch der Aktien, bestĂ€tigt den Schein, als bildeten sie wirkliches Kapital neben dem Kapital oder dem Anspruch, worauf sie möglicherweise Titel sind.â K. Marx, Kapital III. MEW 25, 484f.
âSie werden nĂ€mlich zu Waren, deren Preis eine eigentĂŒmliche Bewegung und Festsetzung hat. Ihr Marktwert erhĂ€lt eine von ihrem Nominalwert verschiedene Bestimmung, ohne dass sich der Wert... des wirklichen Kapitals Ă€nderte.
Einerseits schwankt ihr Marktwert mit der Höhe und Sicherheit der ErtrĂ€ge, worauf sie Rechtstitel geben. Ist der Nominalwert einer Aktie, d. h. die eingeschossene Summe, die die Aktie ursprĂŒnglich reprĂ€sentiert, 100000 Euro und wirft das Unternehmen statt 5 % 10 % ab (und damit eine jĂ€hrliche Dividende von 10000 statt 5000 Euro), so steigt ihr Marktwert bei sonst gleichbleibenden UmstĂ€nden und einem ZinsfuĂ von 5 % auf 200000 Euro, denn zu 5 % kapitalisiert, stellt sie jetzt ein fiktives Kapital von 200000 Euro vor.
Wer sie zu 200000 Euro kauft, erhÀlt 5 % Revenue (bzw. 10000 Euro) von dieser Kapitalanlage.
Umgekehrt, wenn der Ertrag der Unternehmung abnimmt.
Der Marktwert dieser Papiere ist zum Teil spekulativ, da er nicht nur durch die wirkliche Einnahme, sondern durch die erwartete, vorweg berechnete bestimmt ist.â K. Marx, Kapital III. MEW 25, 485.
âAber die Verwertung des wirklichen Kapitals als konstant vorausgesetzt... steigt und fĂ€llt der Preis dieser Wertpapiere umgekehrt wie der ZinsfuĂ.
Steigt der ZinsfuĂ von 5 auf 10 %, so stellt ein Wertpapier, das einen Ertrag von 5000 Euro sichert, nur noch ein Kapital von 50000 Euro vor.
FĂ€llt der ZinsfuĂ auf 2,5 %, so stellt dasselbe Wertpapier ein Kapital von 200000 Euro vor.
Sein Wert ist stets nur der kapitalisierte Ertrag, d.h. der Ertrag, berechnet auf ein illusorisches Kapital nach dem bestehenden ZinsfuĂ.
In Zeiten der Klemme im Geldmarkt werden diese Wertpapiere also doppelt im Preis fallen; erstens, weil der ZinsfuĂ steigt, und zweitens, weil sie massenhaft auf den Markt geworfen werden, um sie in Geld zu realisieren.â K. Marx, Kapital III. MEW 25, 485.
âIhre Entwertung in der Krise wirkt als krĂ€ftiges Mittel zur Zentralisierung des Geldvermögens.
Soweit die Entwertung oder Wertsteigerung dieser Papiere unabhÀngig ist von der Wertbewegung des wirklichen Kapitals, das sie reprÀsentieren, ist der Reichtum einer Nation gerade so groà vor wie nach der Entwertung oder Wertsteigerung...
Soweit ihre Entwertung nicht wirklichen Stillstand der Produktion... oder Aufgeben von angefangenen Unternehmungen ausdrĂŒckte oder Wegwerfen von Kapital in positiv wertlosen Unternehmungen, wurde die Nation um keinen Heller Ă€rmer durch das Zerplatzen dieser Seifenblasen von nominellem Geldkapital.â K. Marx, Kapital III. MEW 25, 486.
âAlle diese Papiere stellen in der Tat nichts vor als akkumulierte AnsprĂŒche, Rechtstitel auf kĂŒnftige Produktion, deren Geld- oder Kapitalwert entweder gar kein Kapital reprĂ€sentiert, wie bei den Staatsschulden, oder von dem Wert des wirklichen Kapitals, das sie vorstellen, unabhĂ€ngig reguliert wird.â K. Marx, Kapital III. MEW 25, 486.
âMit der Entwicklung des zinstragenden Kapitals und des Kreditsystems scheint sich alles Kapital zu verdoppeln und stellenweise zu verdreifachen durch die verschiedene Weise, worin dasselbe Kapital oder auch nur dieselbe Schuldforderung in verschiedenen HĂ€nden unter verschiedenen Formen erscheint. Der gröĂte Teil dieses âGeldkapitalsâ ist rein fiktiv.â K. Marx, Kapital III. MEW 25, 488.
Wo es dem VerstĂ€ndnis dient, habe ich die Rechtschreibung, veraltete Fremdwörter, MaĂeinheiten und Zahlenangaben modernisiert. Diese und alle erklĂ€renden Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Wal Buchenberg, 11.10.2001
Aus: www.marx-forum.de Marx-Lexikon
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