- Maggie Thatcher: die Schwierigkeit von der Macht zu lassen - dira, 24.01.2002, 21:47
Maggie Thatcher: die Schwierigkeit von der Macht zu lassen
<h2>Maggie Thatcher: die Schwierigkeit von der Macht zu lassen </h2>
<b Donnerstag, 24. Januar 2002
Bei der Selbstdemontage der Tories führt die 75-jährige Eiserne Lady die Oberaufsicht
Von Thomas Kielinger[/b]
Es muss bedenklich um eine politische Gruppe stehen, dass sie die letzten Hüllen parteiinterner Loyalität fallen lässt und sich dem Publikum darbietet im ganzen Ausmaß ihrer Ärmlichkeit. Die Rede ist von den britischen Konservativen. Das Schauspiel, das sie aufführen, hat mit dem Skript, das man erwarten sollte -"Der Kampf um die Rückkehr an die Macht" -, nichts zu tun. Es handelt vielmehr von der Visite der Dämonen, einer beklemmenden Begegnung mit der Vergangenheit und ihren Furien, allesamt unbezwungen, unbeschworen. Rechnungen werden beglichen, Rache wird genommen. Eine Partei demontiert sich selbst.
Zu den prominentesten Opfern zählt die Eiserne Lady, politische Ikone des modernen Großbritannien, die 75-jährige Margaret Thatcher. Der Kampf um die Führung der Partei, Bühnenhintergrund für den gegenwärtigen Bürgerkrieg, ist auch ein Kampf um ihren Einfluss, ihre Präsenz im Ensemble der dramatis personae. Sie will sich ihre Prädominanz weiter attestieren lassen, ihr Starrsinn will es, ihre geradezu libidinöse Bindung an die Macht. Dass sie dieselbe abgeben musste, weil ein Aufstand in ihrer Fraktion sie im November 1990 stürzte, hat sie bis heute nicht verwunden. Bis heute hält sie sich für den Kernbrennstab des britischen Konservativismus.
Jeden, der nach ihr die Führung der Partei übernahm, hat sie mit einer Kombination aus dünnem Lächeln oder giftigem Flüstern aus den Faltenwürfen ihres Büros in Londons Nobelstadtteil Belgravia zu unterminieren verstanden, erst John Major, dann William Hague, obwohl beide ursprünglich ihr Votum erhalten hatten. Der Nächste, den sie unterminieren, nein, verhindern wollte als Anführer, war Michael Portillo, und nun hat sie es auf Kenneth Clarke abgesehen, den sie einst selber groß gemacht und an den Kabinettstisch geholt hatte. Seine proeuropäische Haltung ist ihr heute ein Gräuel, sie nennt ihn in ihrem berühmten Leserbrief an den"Daily Telegraph" vom 21. August einen"Mann von gestern" und kann sich"nicht vorstellen, wohin Ken die Partei führen soll, wenn nicht ins Desaster". Iain Duncan Smith dagegen, ihr Zögling und daher Wunschkandidat, würde"Credo und Kredit" der Tories erneuern und der Partei ihr Selbstbewusstsein und ihre Einheit zurückschenken. Wer das glaubt, muss mit Baronin Thatcher die Fähigkeit teilen, an Wunschdenken festzuhalten. Ihr Ruhm, in der Geschichte so unbestritten wie der Helmut Kohls, erstreckt sich nicht auf ihre Aktivitäten in der Gegenwart. Ihr Talent zu polarisieren, Ausweis einer doktrinären Grundausstattung, ist das Letzte, was die Konservativen benötigen, wollen sie sich vor dem Wahlvolk neu beglaubigen.
Wenn Frau Thatcher prophezeit, dass ein Anführer Clarke die Partei in der Europa-Frage tief gespalten zurücklassen werde, dann verdrängt sie bequem, dass gerade sie diese Spaltung, der sie bereits ihren Sturz verdankte, nach dem Verlust der Macht zielstrebig vorangetrieben hat. Ausgerechnet John Major, dieser letzte Gentleman der britischen Politik, wies vor wenigen Tagen in einem Ausbruch von Bitterkeit, wie man sie von ihm am wenigsten erwartet hätte, darauf hin, mit welcher Systematik Frau Thatcher in der Europa-Frage seine, Majors, Regierung aus dem Gleichgewicht zu bringen verstand. Die Circe von Belgravia verführte mit ihrem Prestige viele der im April 1992 frisch ins Unterhaus gewählten Tory-Abgeordneten, darunter auch Iain Duncan Smith, ihre harte EU-Feindschaft zu übernehmen. Das nennt Major"eine noch nie da gewesene, immense Parteischädigung". Fürwahr, elf Mal machten es sich Duncan Smith und andere Rebellen zwischen November 1992 und Juni 1993 zum Vergnügen, in der Ratifizierungsdebatte um den Maastricht-Vertrag gegen die eigene Regierung zu stimmen, von Frau Thatcher angestachelt. Major musste im Juli 1993 mit dem Misstrauensvotum und mit Neuwahlen drohen, ehe er die Frondeure zur Raison brachte. Illoyalitäten von solchem Ausmaß trugen mit dazu bei, die Tories unwählbar zu machen. 3,7 Millionen Wähler sind ihnen seit 1992 von der Stange gegangen.
Wenn der Konservativismus allgemein heute um seinen Status bangen muss, dann ist das britische Beispiel eine abschreckende Lehre, in Bezug auf die Personaldebatte und die dahinter liegende Frage der inneren Einheit. Das Vorbild, welches eine Margaret Thatcher abgeben könnte, das Vorbild von Loyalität und Disziplin, wird verhunzt, weil sie selber weiter nach der Macht greift und dies über ihre jeweiligen Zöglinge spielen lässt. So ruiniert sie erst das eigene Ansehen und dann die Chancen ihrer Partei, sich zu neuer Schlagkraft zu sammeln.
Quelle
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