- Malik: Von Japan lernen?! - Philipp Steinhauer, 03.02.2002, 17:36
- Re: Dem guten Fredmund ist nichts hinzuzufügen. Danke für den Hinweis! (owT) - dottore, 03.02.2002, 20:45
Malik: Von Japan lernen?!
Austieg und Fall des Nippon-Staates
Von Japan lernen?!
Von FREDMUND MALIK
Der Aufstieg und Fall der japanischen Wirtschaft gibt Führungskräften ein
gutes Beispiel für die Zuverlässigkeit von Management-Theorien.
Jüngere Führungskräfte können sich nicht daran erinnern, dass es kaum zehn
Jahre her ist, dass deutsche Manager in Scharen nach Japan pilgerten, um von
der dynamischsten Wirtschaftsnation der Welt zu lernen, wie man erfolgreich
ist. Und sie kennen die zahllosen Management-Bücher über Japan aus den
80er-Jahren nicht. Sachliche gab es wenige. In fast allen Büchern wurde der
japanische Wirtschaftserfolg mystifiziert, mit geheimnisvoller
Kulturüberlegenheit der Japaner begründet, oder mit
religiös-transzendentalen Elementen romantisch verbrämter fernöstlicher
Weisheit.
Die wenigsten Autoren dieser Bücher waren je selbst im Land, außer als
Touristen. Kaum einer hatte konkrete Erfahrung in japanischen Fabriken
gesammelt. Kaum einer sprach auch Japanisch und hatte somit direkten Zugang
zur Bevölkerung. Aber alle wussten, warum man Deutsche, Italiener, Franzosen
und Schweizer „japanisieren“ sollte. Die Gazetten waren voll von guten
Ratschlägen; es war das In-Thema par excellence. In vielen Unternehmen waren
die Personalleute und Trainer auf dem Japan-Trip und verabreichten
Mitarbeitern und Führungskräften Ausbildungsprogramme über japanisches
Management und insbesondere japanische Unternehmenskultur. Schon damals
konnte man den Unfug erkennen; heute ist die Blamage offenkundig.
Von Null zur wirtschaftlichen Weltmacht
Aber von Japan kann und soll man trotzdem lernen: erstens, wie man von Null
zu einer wirtschaftlichen Weltmacht wird; zweitens, wie man das alles wieder
kaputt machen kann, indem man ehern-langweilige Prinzipien des Wirtschaftens
aufgibt und sie dem modischen Glamour der Finanzwelt opfert; drittens, wie
wenig zu retten ist, wenn Unternehmen so gewirtschaftet haben, und viertens,
dass man nicht auf Gurus, und Wunderrezeptverkäufer hören darf. Japan spielt
etwas vor, was ein ansehnlicher Teil der Ã-konomen für unmöglich angesehen
hat: eine Deflation wie aus dem Lehrbuch. Die Lektion ist deshalb wichtig,
weil es durchgängige Parallelen in den USA gibt.
In der ersten Phase entstanden die soliden, weil aus harter Arbeit und
robusten Strategien resultierenden Nachkriegserfolge, die Japan zur anfangs
ignorierten, dann belächelten und zuletzt gefürchteten Weltmarktkonkurrenz
machten. Die Erfolgsursachen waren einfach und leicht zu erkennen, außer für
jene, die vor lauter fernöstlicher Infantil-Mystik die wirtschaftlichen
Tatsachen nicht sehen konnten: lange Arbeitszeiten, kompromisslose
Kundenorientierung, Maximierung der Marktstellung, hohe Ersparnisse für
produktive Investitionen und niedrige Zinsen. Anders hätten die Japaner aus
dem Debakel der totalen Kriegszerstörung nie herauskommen können.
Das böse Ende war unvermeidbar
In der zweiten Phase wurde die Realwirtschaft zuerst durch die
Geldwirtschaft ergänzt - und dann verdrängt. Mittel wurden zu Zwecken -
Kredit um des Kredites willen; Akquisition um der Akquisition willen; Sparen
nicht für Investitionen sondern für Spekulationen. Dazu kamen
außerwirtschaftliche Zwecke: Größen, Werte, Summen für die Ego-Trips
imperialistischer Manager und Politiker - bestaunt, heroisiert, mystifiziert
und als vorbildlich hingestellt durch eine wachsende Zahl serviler, meist
westlicher Hofberichterstatter, gebenedeit durch wallfahrende Manager aus
dem Westen; und endend in der zweitgrößten Casino-Wirtschaft der Geschichte.
Bewertungsexzesse, Hyperspekulation in Aktien, Immobilien, Kunst und was man
sonst noch handeln kann, scheinbar endlose Bull-Markets - in Wahrheit war
alles nichts anderes als eine auf dem Kopf stehende Pyramide fauler Kredite,
die unvermeidbar selbst die beste Realwirtschaft in den Strudel der
Deflation reißt.
Der Anfang vom Ende und die dritte Phase begann - ohne Vorwarnung,
unspektakulär, scheinbar ohne Ursache und daher völlig unbemerkt und bis
heute nicht richtig verstanden - am 30. Dezember 1989 bei einem Nikkei-Stand
von rund 39 000 Punkten, der selbstredend nur als Vorstufe für Nikkei 40
000, 60 000 und 100 000 angesehen wurde. Was danach kam, waren „milde
Korrekturen...“, „gesunde Verschnaufpausen...“, „die letzten günstigen
Kaufgelegenheiten...“, „ein Markt für langfristig denkende Investoren...“,
„sit and wait...“. Wie lange kann man sitzen und warten, wenn man bei
Kurs-Gewinn-Verhältnissen von 30, 50 und 70 zwar gekauft („it’s a new
economy“), aber nicht bezahlt („it’s an new paradigm“), sondern per Kredit
finanziert hatte...?
Japan versinkt im deflationären Morast
Heute versinkt Japan, egal welchen Maßstab man nimmt, in einem deflationären
Morast. Die Wirtschaft ist in desolatem Zustand. Die Abwicklung der
geplatzten Immobilien- und Aktienblase schleppt sich seit zehn Jahren hin,
trotz oder wegen zahlreicher Regierungsprogramme. Die wahren Ursachen, die
Schulden, will niemand erkennen oder wahrhaben.
Der Nikkei-Index ist von fast 40 000 auf rund 9 000 gefallen. Die
Arbeitslosigkeit ist mit 5,5 Prozent die höchste seit einem halben
Jahrhundert, wobei die Ziffer massiv geschönt ist. Die Industrieproduktion
ist auf einem 14-Jahre-Tief; vor zehn Jahren waren acht der weltgrößten zehn
Banken japanische, heute sind es noch zwei, und diese sind technisch
praktisch bankrott; die Versicherungsunternehmen stehen in einem Sumpf von
Wertberichtigungsbedarf; die Firmenbankrotte stehen auf einem
Siebzehn-Jahre-Hoch; der Yen verzeichnet seine größten Verluste seit 1989;
das Finanzgeschäft ist praktisch zum Erliegen gekommen. Merrill Lynch, der
größte Retail-Broker - nachdem die japanischen, vormals die weltgrößten,
untergegangen sind - entlässt in Japan 75 Prozent seines Personals und
schließt die meisten seiner Niederlassungen.
Und was tun heute eigentlich die Autoren der Erfolgsbücher über japanisches
Managen und Wirtschaften? Sie schreiben Erfolgsbücher über amerikanisches
Managen und Wirtschaften.
______________
Unter dem Titel „Malik on Management“ gibt der Autor auch einen
Management-Letter heraus. Nähere Informationen: www.mom.ch oder
Angela.Stupp@mzsg.ch.
HANDELSBLATT, Samstag, 02. Februar 2002, 08:09 Uhr
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