- Amerikas Zahlen sind seit langem falsch - Philipp Steinhauer, 27.02.2002, 22:35
Amerikas Zahlen sind seit langem falsch
D I E M A L I K - K O L U M N E
Amerikas Zahlen sind seit langem falsch
Von Fredmund Malik
Das viel gepriesene und naiv bestaunte amerikanische Wirtschaftswunder der
90er Jahre hat nie stattgefunden. Es war ein Medienereignis - sonst nichts.
Wer das Wirtschaftsgeschehen in den USA, wo die meisten Irrungen der letzten
Jahre in Ã-konomie und Management ihren Ursprung haben, nüchtern analysierte,
kam früh zum Ergebnis, dass die US-Wirtschaftszahlen seit langem nicht
stimmen konnten und es heute noch immer nicht tun. Der sich über längere
Zeit allwissend gerierenden Analystenzunft hätte das eigentlich auffallen
müssen.
Man wäre damit allerdings gezwungen gewesen, die Schönrednerei und
Schönrechnerei einzustellen. Es hätte praktisch die gesamte Beurteilung und
Bewertung von Aktien in ein anderes Licht gerückt, den Überbewertungen die
Basis entzogen und viele Menschen, die sich in gutem Glauben an den
Analystenmeinungen orientierten, vor Schaden bewahrt.
Exzellente Statistik - miserable Ã-konomie
Das viel gepriesene und naiv bestaunte amerikanische Wirtschaftswunder der
90er Jahre hat nie stattgefunden. Es war ein Medienereignis - sonst nichts.
Insbesondere sind die amerikanischen Wachstumsraten schon in ihrer
offiziellen und veröffentlichten Form keineswegs größer als in früheren
Perioden, wie jeder Vergleich seit dem Zweiten Weltkrieg beweist.
Dazu kommt, dass sie durch den statistischen Effekt des sogenannten"Hedonic
Price Indexing" massiv aufgebläht waren. Das ist ein Paradebeispiel für
exzellente Statistik und miserable Ã-konomie, wie man das im zahlengläubigen
Amerika häufig beobachten kann, von wo es durch die Medien unkritisch
übernommen und rund um die Welt verbreitet wird.
Der dramatische Preiszerfall bei Computern und sonstigem IT-Equipment sollte
durch das"Hedonic Price Indexing" korrigiert und in Einklang gebracht
werden mit der ebenso dramatischen Verbesserung der Leistungskraft auf dem
IT-Sektor. Der Effekt dieses"New Paradigm"-Gedankens war, dass die
IT-Investitionen mit dem Zwanzigfachen ihres ökonomischen Wertes in die
Berechnung des US-Sozialproduktes eingingen, was die scheinbar
phantastischen Wachstumsraten kreierte.
Real wurde dadurch selbstverständlich kein einziger Dollar mehr
Volkseinkommen produziert, aber man hatte eine schöne Statistik. Hätte man
gleiches in Deutschland getan, und den wirtschaftlichen Wert der
Automobilproduktion mit der dramatisch gestiegenen Leistungskraft der
Motoren in PS gemessen nach oben korrigiert, wäre Deutschland mit Abstand an
der Spitze der weltwirtschaftlichen Entwicklung.
Deutsche Autobauer - das wahre Produktivitätswunder
Es gab nie ein Produktivitätswunder, außer in dem kleinen Segment der
Herstellung von Computern. Professor Robert Gordon von der Northwestern
University in Chicago ist einer der wenigen klarsichtigen Analytiker der
publizierten Produktivitätszahlen.
Wie Gordon immer wieder gezeigt hat, gab und gibt es keine quantitative
Evidenz für die Behauptungen steigender Produktivität in der US-Wirtschaft.
Einmal mehr glauben nur gewisse Consulting-Firmen, die sich schon in anderen
Fragen massiv getäuscht haben, an das Märchen von der
Produktivitätssteigerung und propagieren es weiterhin mit dem Eifer von
mittelalterlichen Dogmatikern.
Das wahre Produktivitätswunder der letzten zehn Jahre hat sich weitgehend
unbemerkt in der deutschen Automobilindustrie abgespielt, die Anfang 90er
Jahre weit zurück lag und heute weltführend ist.
Die amerikanischen Gewinne waren kreativer Buchhaltung, zum Schluss bis an
die Grenze der Fälschung von Bilanzen - und darüber hinaus - zu verdanken,
aber nicht realer Wirtschaftsleistung. Sie sind erstens durch falsche
Verbuchung von Stock Options einschließlich der daraus resultierenden
Steuervorteile entstanden, zweitens durch die Aktivierung von
Software-Ausgaben statt deren sofortige Abschreibung, drittens durch die mit
den Stockoptions verbundenen tiefen Löhne und viertens durch
Finanzmarktmanöver, wie etwa die Aktienrückkaufprogramme. Weitere Tricks
kommen täglich zum Vorschein.
Die Börsenhausse war nie auf echte Wertschöpfung gestützt, sondern auf die
exorbitante Verschuldung aller amerikanischen Wirtschaftssegmente, zuletzt
mit einem Faktor von eins zu drei. Das heißt, dass für jeden Dollar
zusätzliches Sozialprodukt rund drei Dollar zusätzliche Schulden
erforderlich waren, um die realwirtschaftlich eher lahme
US-Wirtschaftsmaschinerie nochmals zu bescheidenen Leistungssteigerungen zu
bringen. Die öffentliche Verschuldung Amerikas steigt nach wie vor und ist
heute höher als zu jedem früheren Zeitpunkt.
Erheblicher Korrekturbedarf
Die gesamten amerikanischen Wirtschaftszahlen der letzten fünf Jahre sind
falsch oder wurden falsch interpretiert und medienmäßig propagiert. Das
Handeln der Menschen ist damit in eine falsche Richtung gesteuert worden,
was wiederum eine massive Fehlallokation der Ressourcen zur Folge hatte.
Dies führt jetzt, nachdem die Illusion einer stetigen Aufwärtsentwicklung
der Konjunktur aufgegeben werden muss, zu massiven Korrekturnotwendigkeiten,
deren Vollzug viel Zeit beanspruchen wird, vielleicht so viel, wie in Japan.
Die Meinung, dass die amerikanische Wirtschaft so erfolgreich sei wegen
ihres besonders guten Managements und ihrer fortschrittlichen Corporate
Governance ist falsch - und die naive Nachahmung amerikanischer Denkweisen
und Methoden in Europa und Asien ist gefährlich. Es gäbe vieles von Amerika
zu lernen; Management und Wirtschaftspolitik gehören aber nicht dazu.
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