- Wow! 63 % weniger Sozialhilfeempfänger in Wisconsin. Demnächst auch hier? - marsch, 28.02.2002, 19:00
Wow! 63 % weniger Sozialhilfeempfänger in Wisconsin. Demnächst auch hier?
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<td><font size=5>Der Schwarze Peter aus Wisconsin
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Craig Morris 28.02.2002
Die Wirklichkeit des Programms gegen die Arbeitslosigkeit, dass der hessische Ministerpräsident Roland Koch in Deutschland einführen will
Überfüllte Obdachlosenheime, lange Schlangen vor Suppenküchen, und Notaufnahmestationen voller Patienten, die nicht versichert sind und auch nicht zahlen können ein aktueller Bericht aus Argentinien, oder vielleicht ein historischer über die Weltwirtschaftskrise von 1929? Weit gefehlt: Es geht um Milwaukee/ Wisconsin in den fünf Jahren, seitdem das W-2 Programm gegen die Arbeitslosigkeit eingeführt wurde. Ein Programm, das die Hessische CDU unter Ministerpräsidenten Roland Koch nun in Deutschland einführen möchte.
Eigentlich erlebte die US-Wirtschaft einen ungeahnt großen Boom zwischen 1996-2000. Umso erstaunlicher ist es, dass Caritasverbände in Milwaukee/Wisconsin nun alle Hände voll zu tun haben. Dass auch ihr Geschäft boomt, hat für manche handfeste Gründe: das W-2 Programm gegen die Arbeitslosigkeit.
Das Wisconsin Works (kurz: W-2) Programm machte in den letzten Jahren vor allem wegen der rasant sinkenden Zahl der Arbeits- und Sozialhilfeempfänger von sich reden: sagenhafte 63% in der angeschlagenen Stadt Milwaukee allein zwischen 1997 und 2000. Nachdem Präsident Clinton 1996 das über 60 Jahre alte Wohlfahrtsprogramm seines Vorgängers Roosevelt abschaffte und es den einzelnen Bundesstaaten ermöglichte, ihre eigenen Regeln für die Arbeitslosen- und Sozialhilfe aufzustellen, wollte Wisconsin den Vorreiter spielen. Das neue Bundesgesetz schrieb lediglich vor, dass kein US-Bürger länger als fünf Jahre in seinem ganzen Leben Sozialhilfe beziehen dürfe. Da preschte Wisconsin vor und begrenzte die Zeit auf 2 Jahre. Das Prinzip wird auf der Wisconsin Works (W-2) Program Resource Page zusammengefasst:
"Unter W-2 gibt es kein Recht auf Hilfe, sondern einen Platz für jeden, der bereit ist zu arbeiten, soweit es ihm möglich ist."
Soweit ist die CDU-Hessen nicht bereit zu gehen, zumindest nicht im Wortlaut. Ihre Parole wird im Titel eines Thesenpapiers vom 10.11.2001 formuliert: Pflicht zur Arbeit Recht auf Förderung. Was die Hessische CDU vor allem am W-2 gut findet, ist der Wechsel von"welfare" zu"workfare", wie man dem Text des Thesenpapiers entnehmen kann:
"Kann ein Arbeitsplatz oder eine Qualifizierung nicht angeboten werden, ist zumindest eine gemeinnützige Tätigkeit bzw. eine Tätigkeit für das Gemeinwohl zuzuweisen. Damit sollen Erwerbslose wieder an eine regelmäßige Beschäftigung gewöhnt und damit auf ein Arbeitsverhältnis vorbereitet werden."
Frei nach dem Motto"Leistung muss sich wieder lohnen" soll laut CDU"nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeit finanziert werden".
Aus dem Regen in die Traufe
Doch der am 23.12.2001 veröffentlichte Bericht Passing the Buck (zu deutsch: Den Schwarzen Peter weiterschieben) belegt, dass ehemalige Arbeits- und Sozialhilfeempfänger keineswegs den Einstieg in die Arbeitswelt geschafft haben, wie man von der sinkenden Zahl der Sozialhilfeempfänger annehmen könnte, sondern dass die meisten schlicht und ergreifend von der staatlichen Hilfe zur Caritas übergewechselt sind ( Pressemitteilung).
Aus"Passing the Buck": Wisconsin Works (W-2) hat die Zahl der Wohlfahrtshilfe-Empfänger dadurch drastisch reduziert, dass viele Familien daran gehindert wurden, die Hilfe überhaupt erst zu beantragen.
Der von drei politisch unabhängigen Instituten verfasste Bericht beschäftigt sich nicht mit den Statistiken über Sozialhilfeempfänger, sondern geht von der These aus, dass"die Zahl der sozialhilfebeziehenden Familien die tatsächlichen Bedürfnisse der Bevölkerung nicht präzise wiedergibt". Die neue Fragestellung lautet also: Was machen diese Menschen, wenn der Staat ihnen nicht mehr unter die Arme greift. Die Ergebnisse sind niederschmetternd. Einige Beispiele:
Die zwei größten Organisationen, die im Kreis Milwaukee Essen kostenlos verteilen, verzeichneten einen Anstieg um ganze 58% zwischen 1998 und 2000.
Bei den Notunterkünften in Milwaukee gingen im Jahre 2000 88% mehr Anfragen als im Vergleichsjahr 1998 ein.
Da Obdachlosenheime nunmehr chronisch überfüllt sind, beherbergten sogenannte"provisorische Ausweichheime" (overflow shelters) im Jahre 2000 dreimal so viele Menschen als 1997.
Die Zahl der ausstehenden Rechnungen von Notaufnahmestationen sind von 1995 bis 1999 um 82% gestiegen.
In"Pflicht zur Arbeit Recht auf Förderung" wirbt die CDU aber trotzdem mit dem"Projekt 'Wisconsin works' des hessischen US-Partnerstaates [...], das seit mehreren Jahren mit überragendem Erfolg frühere erwerbslose Sozialhilfeempfänger in den Arbeitsmarkt integriert hat."
Doch selbst eine Studie der konservativen Denkfabrik Hudson Institute stellte 1999 fest, dass nur 41% derer, die seit der Einführung von W-2 von der Sozialhilfe ausgeschlossen wurden, Arbeit gefunden hätten - mit einem durchschnittlichen Stundensatz: $7.45.
Die von der Regierung in Auftrag gegebene Wisconsin Works Leavers Survey kommt zu leicht besseren Ergebnissen für den gleichen Zeitrahmen: 58% hätten Arbeit gefunden, und zwar mit einem durchschnittlichen Stundensatz von $7.95. Da wundert sich der freie Journalist Phil Wilayto in seinem Bericht Don?t Look to Wisconsin as a Model for Welfare Reform vor allem darüber, dass letztere Studie per Telefon durchgeführt wurde, denn damit sei"garantiert, dass die, die am meisten unter W-2 gelitten haben, nicht kontaktiert werden konnten".
Diese beiden Studien, betont"Passing the Buck", verschweigen nämlich, dass ein Drittel dieser Menschen"verschwunden" ist:"Sie arbeiten nicht, und der Staat kann ihren Verbleib und Ihr Wohlergehen nicht ermitteln."
Zuckerbrot für die Bürokraten, Peitschen für die Notleidenden
Was in Deutschland lange Tabu war, hat die SPD im Mai 2001 salonfähig gemacht: Man spricht offen über die Faulheit mancher Arbeitslosen."Es gibt kein Recht auf Faulheit", ließ Kanzler Schröder damals verlauten. Niemand möchte offenbar genau sagen, wie viele Schnorrer es im System gibt, aber die Hessische CDU weist auf ihrer Webseite auf das hohe"Potenzial an Menschen [hin], die in Arbeit vermittelt werden könnten", denn schließlich seien"1,62 Millionen Empfänger (60,5 Prozent)... zwischen 15 und 65 Jahren und damit im erwerbsfähigen Alter". Also Zuckerbrot für die Arbeitswilligen und Peitschen für die Faulenzer?
Roland Koch fasst den Zweck des OFFENSIV Gesetz (Optimal Fordern und Förden ENgagierter Service I n Vermittlungsagenturen der Hessischen CDU ( Kurzfassung zusammen:
"Die Zahl derer, die zur Zeit als nicht arbeitsmarktfähig gelten, muss verringert werden. Und die Zahl derer, die sich im jetzigen System drücken, obwohl sie offensichtlich arbeitsfähig sind, muss auf Null gebracht werden."
Doch wenn das OFFENSIV Gesetz sich an W-2 anlehnt, bleibt das Zuckerbrot nur den Beamten der Arbeits- und Sozialämter vorbehalten. Das 1996 in Wisconsin eingeführte Programm"Pay for Performance" machte Gehaltserhöhungen für die Beamten von Verbesserungen in den Statistiken abhängig. Nach den Angaben von Bryan G. Pfeifer von der Organisation A Job is a Right? bekam manch ein hoher Beamter eine 6-stellige Gehaltserhöhung in US-Dollar aufgrund des 63-prozentigen Rückgangs in Transferleistungen. Man hat nämlich herausgefunden, wie die Zahl der Hilfeempfänger gesenkt werden könnte, ohne gut bezahlte Arbeit für die Menschen überhaupt finden zu müssen.
So muss ein Antragsteller in Wisconsin neuerdings zuerst Hilfe bei Familienmitgliedern und Nachbarn suchen und mindestens 60 Tage schon Arbeit gesucht haben, um Hilfe vom Staat zu bekommen. Und wenn man irgendeine Arbeit vermittelt bekommt und sie ablehnt, wird man als"arbeitsfähig" eingestuft und die finanzielle Hilfe wird glatt gestrichen (bei der CDU dagegen soll sie lediglich"spürbar gekürzt" werden). Behördliche Schikanen sind als Abschreckungsmaßnahmen auf der Tagesordnung. Das sahen sogar die Verfasser der Wisconsin Works Leavers Survey ein:"Die Reform des Wohlfahrtssystems war für viele Empfänger in Milwaukee verwirrend.".Laut"Passing the Buck" belohne W-2 ausgerechnet"die Ämter, die am wenigsten helfen".
Während das Winconsiner Modell in Deutschland seine Fortführung finden soll, sieht Marcus White, Mitverfasser von"Passing the Buck", die Zukunft von W-2 schwarz:
"Wir befinden uns nun in einer Rezession, und die Caritasverbände werden immer mehr an ihre Grenzen stoßen. Wir müssen uns wirklich fragen, ob wir eine Gesellschaft wollen, in der man den ganzen Tag für wenig Geld schuften und am Abend zur Kirche gehen muss, um Essen für seine Kinder zu bekommen."
Bleibt noch zu erwähnen, dass sich die Zahl der Gefängnisinsassen in Wisconsin zwischen 1996-2000 verdoppelte. Nur weil die Presse ständig über eine einzige Zahl berichtet, die Zahl der Arbeits- und Sozialhilfeempfänger, und sich nicht für größere Zusammenhänge interessiert, ist es möglich, dass das W-2 Modell als Erfolg durchgeht.
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