- Die vielgelobte US-Wirtschaft ist lange nicht so stark wie ihr Ruf - Philipp Steinhauer, 11.03.2002, 14:43
- Re: Die vielgelobte US-Wirtschaft ist lange nicht so stark wie ihr Ruf - x Thomas, 11.03.2002, 15:44
- Wieso? Fällt doch schon wieder alles. - Taktiker, 11.03.2002, 15:53
- Re: Die vielgelobte US-Wirtschaft ist lange nicht so stark wie ihr Ruf - x Thomas, 11.03.2002, 15:44
Die vielgelobte US-Wirtschaft ist lange nicht so stark wie ihr Ruf
Falsches Wunder
FREDMUND MALIK
Die vielgelobte US-Wirtschaft ist lange nicht so stark wie ihr Ruf.
HANDELSBLATT, 8.3.2002
Wer an einer echten Karriere im Management interessiert ist, muss beizeiten
sein kritisches Denkvermögen schulen. Die hoch im Kurs stehenden
Analysefähigkeiten allein genügen nicht, wie man am Beispiel des allseits
bewunderten amerikanischen Wirtschaftsbooms illustrieren kann. Man muss die
Analysen auch noch hinterfragen.
Es ist bemerkenswert, mit welcher Naivität und Blindheit wir immer wieder
amerikanische Managementvorstellungen übernehmen. Dazu gehören unter anderem
die Ideen zur Corporate Governance. Das Argument ist immer gleich: Weil die
US-Wirtschaft so erfolgreich ist, muss auch das US-Management gut sein.
Managen wir also unsere Unternehmen wie die Amerikaner, dann wird es auch
unserer Wirtschaft gut gehen. Mit dieser Einstellung öffnen wir unsere Tore
für ein Trojanisches Pferd.
Wer skeptisch war, und geprüft hat, kam früh zum Ergebnis, dass das
vielgepriesene und naiv bestaunte amerikanische Wirtschaftswunder nie
stattgefunden hat. Es war ein Medienereignis - sonst nichts.
Die amerikanischen Wachstumsraten der 90er Jahre waren schon in ihrer
offiziellen Version keineswegs größer als in früheren Perioden, wie ein
Vergleich seit dem Zweiten Weltkrieg beweist. Dazu kommt aber, dass sie
durch zwei Effekte künstlich erhöht wurden: durch die Finanzblase und - noch
gravierender - durch den statistischen Effekt des sogenannten „Hedonic Price
Indexing“. Das ist eine Methode, durch die man die sinkenden Preise von
IT-Investitionen mit Hilfe ihrer gestiegenen Leistungskraft zu korrigieren
versucht - geniale Statistik, aber miserable Ã-konomie. Dadurch wurde der
Wachstumsanteil der IT am Sozialprodukt verzwanzigfacht. Niemand sonst
rechnet zwar so; aber alle bestaunten die US-Wachstumsraten.
Es gab nie ein Produktivitätswunder, außer in dem kleinen Segment der
Computerherstellung. Professor Robert Gordon von der Northwestern University
in Chicago, einer der wenigen klarsichtigen Analytiker der publizierten
Produktivitätszahlen, hat gezeigt, dass es nie quantitative Evidenz für die
Behauptungen steigender Produktivität gab. Nur gewisse Consultingfirmen, die
sich schon in anderen Fragen massiv getäuscht haben, glauben an das Märchen
von der Produktivitätssteigerung.
Die amerikanischen Gewinne waren keine Folge realer Wirtschaftsleistung,
sondern kreativer Buchhaltung - zum Schluss erreichte diese die Grenzen der
Bilanzfälschung. Darum brechen diese Gewinne jetzt auch zusammen. Sie sind
erstens durch falsche Verbuchung von Aktienoptionen entstanden,
einschließlich der Steuervorteile, die daraus resultieren, zweitens durch
Aktivierung statt Abschreibung der Aufwendungen für Software, drittens durch
die mit den Aktienoptionen verbundenen tiefen Löhne und viertens durch
Finanzmarktmanöver, wie etwa die Aktienrückkaufprogramme. Weitere, noch über
Kreativität hinausgehende Buchungskunststücke kommen jetzt täglich ans
Tageslicht. Der Markt hat Transparenz gefordert und Verschleierung bekommen.
Nicht nur, dass keine echten Gewinne erzielt wurden, die Unternehmen haben
auch keine echten Investitionen getätigt. Nur daraus hätte echte
Produktivitätssteigerung entstehen können. Der Kapitalstock Amerikas
befindet sich aber auf dem Niveau der 60er Jahre. Die Sparquote ist von rund
10 Prozent Ende der 80er auf unter Null Ende der 90er Jahre gesunken.
Die Börsenhausse war nie auf echte Wertschöpfung gestützt, sondern auf
Desinformation durch die Wallstreet-Industrie und die exorbitante
Verschuldung aller amerikanischen Wirtschaftssegmente, zuletzt mit einem
Faktor von eins zu drei. Im Klartext heißt das: Für jeden Dollar
zusätzliches Sozialprodukt waren rund drei Dollar zusätzliche Schulden
erforderlich.
Es gab auch nie das vielgepriesene amerikanische Haushaltswunder. Die
öffentliche Verschuldung Amerikas steigt nach wie vor und ist heute höher
als zu jedem früheren Zeitpunkt, was man täglich im Internet nachvollziehen
kann.
Die amerikanischen Wirtschaftszahlen der letzten fünf Jahre sind falsch oder
wurden falsch interpretiert und medienmäßig propagiert. Nur nebenbei: Sie
werden jetzt durch die Behörden rückwirkend korrigiert, aber wer nimmt das
schon zur Kenntnis? Das Handeln der Menschen ist damit in eine falsche
Richtung gesteuert worden. Die Folge ist ein massiver Fehleinsatz der
Resourcen. Dies führt jetzt, nachdem sich auch die Illusion des ewigen Booms
als falsch erweist, zu erheblichen Korrektur-Notwendigkeiten, deren Vollzug
viel Zeit beanspruchen wird.
Die Meinung, dass die amerikanische Wirtschaft so erfolgreich sei wegen
ihres besonders guten Managements und ihrer fortschrittlichen Corporate
Governance, ist falsch - und die naive Nachahmung amerikanischer Denkweisen
und Methoden in Europa und Asien ist gefährlich.
HANDELSBLATT, Freitag, 08. März 2002, 00:01 Uhr
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