- Roland Leuschel: Alan Greenspans Walpurgisnacht mvt - Günter, 15.03.2002, 12:58
Roland Leuschel: Alan Greenspans Walpurgisnacht mvt
Die irrationale Überschwenglichkeit - Zweiter Teil
So wie Goethe seinem Faust I einen Faust II folgen liess, hat sich der Hohepriester der Finanzblasen, Alan Greenspan, vorgenommen, der Welt noch vor seinem Rücktritt den Teil II der grössten Börsenblase aller Zeiten zu bescheren; dabei war Teil I nicht von schlechten Eltern: In der Zeit von den Iden des März 2000 bis zum Oktober 2001 wurden an den Weltbörsenmärkten rund 12.000 Milliarden Dollar Kapital vernichtet. Seit Oktober 2001 haben sich die Börsen zwischen 20 und 30% "erholt", und seit einer Woche schleicht sich bereits wieder Euphorie unter die Anleger. Ich warne Sie erneut, und stelle Ihnen eine lange, turbulente Walpurgisnacht in Aussicht, Sie wissen doch, in der Walpurgisnacht eilen die Hexen auf den Blocksberg auf dem Brocken, um dort ihr Fest zu feiern. Das geschieht in der Regel in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai. Aber die Börsenhexen stellen sich auf eine lange Nacht auf dem Börsenparkett der Welt ein.
Während Anleger und die Medien den "Aufschwung in Amerika" feiern (Beispiel FAZ vom 14.1., Schlagzeile "Amerikas Aktienmarkt steht auf festeren Beinen - die ewige Liebe zu Technologieaktien"), gibt es nur einen namhaften Volkswirt, der warnt, Martin Hüfner von der HypoVereinsbank in seiner Kolumne in Boerse Online: "Kein nachhaltiger Aufschwung, sondern lediglich ein Strohfeuer". Selbst Alan Greenspan, der Meister im Vertuschen seiner Gedanken bei Vorträgen, hat bei seiner Rede vom 7. März vor dem US-Senat klare optimistische Formulierungen über den Zustand der amerikanischen Wirtschaft verwendet. Er hat damit zusätzlich Feuer unter die Börsenrakete gelegt, und so den ohnehin schon exzessiven Börsenbewertungen eine neue Dimension der irrationalen Überschwenglichkeit gegeben. Der Anleger mag selbst nüchtern urteilen. Nach den sehr optimistischen Schätzungen der Analysten für die Gewinne des Jahres 2002 (+36%) wird der Gewinn der Unternehmen des S&P500 auf 53 Dollar Ende 2002 geschätzt. Die KGV beträgt damit 22 (!), bzw. die Aktienrendite liegt bei 4,5%. Gleichzeitig rentieren 10-jährige Treasuries 5,3%. Das heisst allein auf dieser rechnerischen Basis hat die Börse eine Überbewertung von 18%. Ähnlich ist die Überbewertung bei europäischen Aktien. Die Marketing Abteilungen der Grossbanken bleiben nicht untätig und versuchen, den Anlegern diese Überbewertung fundamental schmackhaft zu machen. Der letzte Schrei kommt von der UBS Warburg in Zürich. Während der phänomenale Anstieg der amerikanischen Wirtschaft und Börse in den 80er und 90er Jahren im sogenannten Babyboom der 50er Jahre seine Hauptursache hatte, lockt jetzt die Züricher Grossbank mit der These: "Die Bevölkerungsentwicklung in Europa wird das Wirtschaftswachstum und damit auch die Kapitalmärkte in den nächsten 20 Jahren beflügeln." Zum Teufel mit den Analysten oder Ã-konomen, die behaupten: "Die Alterung der Gesellschaft stelle eine langfristige Belastung für die Aktienentwicklung dar, auch unter der Annahme, dass aktuelle Einwanderungsniveau in Europa bleibt mehr oder weniger gleich, müsste man in den nächsten 50 Jahren einen deutlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung in Europa erwarten; denn der Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes der vergangenen 30 Jahre sei weitgehend einer höheren Erwerbsquote zu verdanken, die aus der vermehrten Berufstätigkeit der Frauen resultierte. Hinzu käme noch das Wachstum der Produktivität, das zwischen 1982 und 1999 durchschnittlich bei 1,5% lag." Aber auch in Amerika gibt es Investmentstrategen, wie Harry Dent, die ebenfalls eine rosige Zukunft vorhersagen. Dieser Analyst hat festgestellt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Entwicklung des Standard & Poors 500 und der amerikanischen Geburtenrate mit einer zeitlichen Verzögerung von 47 Jahren. Daher seine Prognose: Dow Jones bei 35.000 im Jahre 2008 (heute 10.500) und die Nasdaq (heute 1.800) dürfte sogar auf über 20.000 klettern. Ich erinnere mich, vor ein paar Jahren gab es einen Bestseller "Dow Jones 100.000"!
Lassen Sie sich nicht von solchen Scharlatanen beirren, sie wollen nur Ihr Geld verwalten, und wenn nach einem Kurssturz des Neuen Marktes von 8.000 auf unter 1.000 der Anleger beklagt, sein Geld wäre kaputt, bekommt er die klassische Antwort eines Rothschild "Herr Anleger, Ihr Geld ist nicht kaputt, es hat nur ein anderer." Nutzen Sie die augenblickliche Euphorie nach den starken Kurserholungen seit Herbst 2001 und machen Kasse. Mit dem Cash können Sie in aller Ruhe hervorragende Gelegenheiten abwarten. Trösten Sie sich damit, dass Sie nicht alleine sind. Der erfolgreichste Investor der letzten Jahre, Warren Buffett, hat kürzlich in einem Brief an seine Aktionäre von seinen "lauwarmen Gefühlen für Aktien" geschrieben. Wörtlich fügte er an, nachdem er erklärt hatte, dass ein Krieg gegen den Terrorismus nicht zu gewinnen sei: "Die Angst mag mit der Zeit verschwinden, die Gefahr bleibt".
Die Liquidität empfehle ich in der Mehrheit in Euro zu halten. Ich halte einen Kollaps des amerikanischen Dollars für nicht ausgeschlossen. Sie erinnern sich, in den 80er Jahren senkte der damalige republikanische US-Präsident Ronald Reagan die Steuern und fuhr gleichzeitig die Verteidigungsausgaben hoch, es entstand das sogenannte "riesige Zwillingsdefizit" des Staatshaushaltes und der Leistungsbilanz, und der Dollar erlebte einen Höhenflug. Unterschied zur heutigen Situation: Damals war die Leistungsbilanz der USA ausgeglichen und im letzten Jahr betrug das Defizit immerhin 4,5% des Bruttoinlandsproduktes. Bei dem Strohfeuer der amerikanischen Wirtschaft dürften die Importe überproportional ansteigen und das Defizit sogar auf -6,5 bis -7% bringen. Daher bezeichnet Greenspan in gestrigen Rede das wachsende Leistungsbilanzdefizit der USA als eine Gefahr für den Aufschwung. Wörtlich erklärte er: "Länder, die hohe Passivsalden in der Leistungsbilanz anhäufen, geraten unweigerlich in Schwierigkeiten."
So wie Greenspan 1996 vor der "irrationalen Überschwenglichkeit der Aktien" warnte und anschliessend alles, aber auch alles tat, um die Überbewertung der Aktien zu fördern, so warnt er jetzt vor dem Leistungsbilanzdefizit der USA und mahnt die Amerikaner, nur über eine Erhöhung der nationalen Sparneigung sei das Defizit zu reduzieren. Hoppla, höhere Sparneigung bedeutet doch niedrigere Konsumneigung. Die Zinsen hat Greenspan 11 mal gesenkt, um den Amerikanern gründlich das Sparen zu vermiesen und erreichte auch tatsächlich, dass im letzten Jahr die Sparquote negativ wurde. Jetzt soll der Konsument plötzlich wieder mehr sparen, aber gleichzeitig mit erhöhtem Konsum die Wirtschaft wieder auf Trab bringen. Auf jeden Fall, wenn der Dollar einbricht, ähnlich wie die Nasdaq, bei der über 4.000 Milliarden Dollar Kapital vernichtet wurden, kann Greenspan wie einst Pontius Pilatus seine Hände in Unschuld waschen, schliesslich hat er die Marktteilnehmer rechtzeitig gewarnt.
Aktien untergewichten mit 30% des Portefeuilles, 50% in kurzlaufende Triple A Anleihen und den Rest in Euro Cash, ganz Vorsichtige können auch 2 bis 3% in Gold anlegen.
Roland Leuschel
15.03.2002
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