- USA: Es geht inzwischen zu wie auf dem Grabbeltisch - marsch, 18.03.2002, 13:06
USA: Es geht inzwischen zu wie auf dem Grabbeltisch
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<font size=5>"Amerikas Waffen sind aus Stahl"</font>
Wer in den USA Subventionen will, muss vor allem eines sein: Patriotisch
Von Thomas Kleine-Brockhoff
Die Stimmung ist heiter, das Wetter schön, und der Redner sagt, was die Demonstranten hören wollen. Es spricht, auf dem Podium nicht weit vom Zaun des Weißen Hauses stehend, ein leibhaftiger Senator."Amerikas Waffen sind aus Stahl", ruft Carl Levin Tausenden von Stahlarbeitern zu."Mit dem, was ihr herstellt, führen wir Krieg." Jubel bricht aus. Ein schönes Argument ist in der Welt. Nicht nur ihre Jobs wollen die Stahlarbeiter gerettet sehen, sondern ihr Vaterland. So tritt dann der Abgeordnete Levin hinab vom Podium und geht hinüber ins Weiße Haus, wo er dem Präsidenten rät, er möge Importstahl mit Strafzöllen belegen.
In den Gängen der Macht trifft Levin auf Menschen gleichen Sinnes. Eine Kollegin aus dem Senat bringt vor, der Zerstörer USS Cole, im Jemen von Terroristenhand beschädigt, sei durch Panzerplatten aus amerikanischer Produktion repariert worden. Und die Stahlindustrie trägt vor:"Soll Amerika in gefährlichen Zeiten abhängig werden von Russland, Japan, China, oder Brasilien?"
Wo es um die Sicherheit der Nation geht und überdies um Stimmen für die anstehenden Kongresswahlen, muss ein Präsident entscheidungsstark sein. Darum verhängte George Bush Mitte vergangener Woche Strafzölle und opferte seinen Ruf als überzeugter Freihändler. Macht nichts, Prinzipienfestigkeit dieser Art ist nach den Terroranschlägen vom 11. September nicht opportun. Seither muss der Staat seinen Bürgern bieten, wonach es sie am meisten dürstet: Sicherheit - oder wenigstens den Anschein davon.
Niemand hat das schneller begriffen als die Industrievertreter in Washington. 13 Tage nach dem Anschlag schreiben einige Agrokonzerne dem Senat, nun sei nicht mehr zu bestreiten, dass"Lebensmittelproduktion von überragendem nationalen Interesse" sei. Das sieht George Bush genauso. Als er kurz darauf zu den Ranchern in den Westen reist, sagt der Präsident, die Attentäter hätten Amerikas Stärke und Ausdauer unterschätzt, denn sie seien"noch nie bei einer Jahrestagung der amerikanischen Viehzüchter gewesen". Dann die entscheidende Sentenz:"Es ist in unserem nationalen Sicherheitsinteresse, dass wir uns selbst ernähren können." Diese Variante der Kriegswirtschaft braucht natürlich Hilfe. So passiert ein Subventionsgesetz in Höhe von 167 Milliarden Dollar mühelos den Kongress. Allerdings nicht, ohne vorher zeitgemäß umbenannt zu werden, von Agriculture Act in Farm Security Act.
Seit dem 11. September kann kaum jemand ein Gesetz durchbringen, ohne es in ein rhetorisches Gebinde aus nationaler Sicherheit einzupacken. Umgekehrt gelingen dreiste Lobbyisten-Coups, solange als Camouflage das edelste aller Ziele dient, nämlich die Abwehr des Terrors und die Überwindung seiner Folgen."Was jetzt geschieht", sagt Ronald Utt von der konservativen Heritage-Foundation,"ist schamloser als alles, was ich bisher in Washington gesehen habe."
Den Anfang machten die Airlines. Es gelang ihnen binnen Tagen, 5 Milliarden Dollar Hilfe aus Washington zu erhalten, dazu 10 Milliarden als Bürgschaft sowie staatlichen Schutz gegen Schadenersatzklagen. Dann pirschten sich die Versicherungen an. Zehn Tage nach den Anschlägen erklärten die Chefs der wichtigsten Konzerne bei einem Besuch im Weißen Haus, die Versicherungen brauchten keine Staatshilfen; sie könnten die Schäden aus dem Anschlag ausgleichen.
Was geschah, als die Kameras ausgingen, hat jetzt das Magazin Mother Jones recherchiert. Die Manager setzten George Bush unter Druck. Er solle ein Gesetz durchbringen, wonach künftig der Staat, nicht die Versicherungen, für den größten Teil der Schäden aus Terroranschlägen hafte. Handele das Weiße Haus nicht, würden sich die Versicherungen weigern zu zahlen. Bush werde dann eine Finanzkrise auslösen.
Der Präsident tat, wie ihm vorgeschlagen ward. Zwar blockte der Senat den Terrorism Risk Protection Act, aber die Wirtschaft hatte begriffen, dass etwas zu holen war."Es geht inzwischen zu wie auf dem Grabbeltisch", zitiert Mother Jones den Abgeordneten Jim Moran aus Virginia. Bitte zugreifen! So haben sie sich um Hilfe angestellt: die Flugschulen, die Flugplätze, die Taxi-Chauffeure, die Ethanolproduzenten und wer weiß noch wer.
Als die Kongressgebäude im Dezember wegen Anthraxgefahr für Lobbyisten und andere Besucher geschlossen waren, standen die Herrschaften in den dunklen Anzügen stundenlang vor den Ausgängen herum, passten die Abgeordneten ab und erklärten ihnen unter zugigen Arkaden, wie der Terrorgefahr zu begegnen sei. Erfolgreich waren die Vertreter der Seebäder, die Amerikas Küsten gegen Angriffe geschützt und, nebenbei, verschönert sehen wollten: Sie bekamen 135 Millionen Dollar für frischen Sand an den öffentlichen Stränden.
Wer Sicherheit zu verkaufen hat, ist am besten dran. Der Staat nimmt alles, denn er hat einen neuen Minister für Heimatschutz. Tom Ridge muss zwar erst noch ein Konzept für Amerikas Terrorabwehr vorlegen, kann aber vorher schon mal 38 Milliarden Dollar ausgeben. Und zeigt etwa nicht vaterländische Gesinnung, wer die Evakuierung aus Amerikas Städten verbessert? Industrievertreter haben herausgefunden, dass ein weiterer Flugzeugangriff in Washington ein Chaos ausgelöst hätte. Braucht da nicht das ganze Land neue Verkehrszeichen und ausgeschilderte Fluchtwege?
Hat Minister Ridge erst ein Sicherheitskonzept für das Land entwickelt, könnte sich sein Haushalt verdoppeln. Schon jetzt ist sein kleines Büro im Weißen Haus das Hauptangriffsziel der Washingtoner Lobbyisten."Der ganze Staatshaushalt", klagt der konservative Kolumnist George F. Will, wird langsam"zum Füllhorn von Subventionen".
http://www.zeit.de/2002/12/Wirtschaft/200212_strafzoellle.html
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