- FAZ: In London geraten Finanzwetten in ein schiefes Licht - rodex, 23.03.2002, 00:09
FAZ: In London geraten Finanzwetten in ein schiefes Licht
In London geraten Finanzwetten in ein schiefes Licht
Ermittlungen wegen des Verdachts auf Kursmanipulation / Wachstumsmarkt"Spread betting"
chs. LONDON, 22. März. Zweifelhafte Praktiken haben den wachsenden Markt für Finanzwetten in London in ein schiefes Licht gerückt. Die Aufsichtsbehörde Financial Services Authority (FSA) ermittelt, ob bei Aktiengeschäften die Märkte manipuliert wurden. Dabei geht es um die Frage, ob große Wetten auf Kursbewegungen die zugrundeliegende Kursbildung verzerren können.
"Financial spread betting" bezeichnet in Großbritannien einen Wirtschaftszweig, in dem sieben Unternehmen inzwischen schätzungsweise 50 000 Kunden betreuen. Darunter sind viele Händler aus der Londoner City, die sich aufgrund ihrer Einblicke in die Märkte die richtigen Kursprognosen zutrauen. Neben ihrer Arbeit wetten sie ähnlich wie bei Termingeschäften beispielsweise auf den Stand des FTSE-100 in zwei Monaten, auf die Kursentwicklung einzelner Aktien oder auf die Bewegung des Goldpreises. Während in den Vereinigten Staaten und Deutschland solche Praktiken verboten sind, hat das wettbegeisterte Großbritannien keine Probleme damit. Die Gewinne sind sogar von der Kapitalgewinn- und der Stempelsteuer auf Aktien befreit.
Bei den Finanzwetten setzt der Kunde beispielsweise 100 Pfund auf jeden Punkt Abweichung des FTSE-100 von einer vereinbarten Spanne ("Spread"). Durch diese Hebelwirkung können die Profite, aber auch die Verluste in die Höhe schießen. Als Sicherheit muß der Kunde eine Depotzahlung leisten, die oft nur 10 Prozent des Kursrisikos beträgt. Zudem kann der Kunde bei den Finanzwetten ähnlich einem Hedgefonds auch bei fallenden Märkten Profit erzielen, denn er setzt alleine auf die Kursbewegung."Im zurückliegenden Abschwung hat dies einige Leute angezogen", sagt Angus McCrone vom Beratungsdienst"Onewaybet.com".
In dieser Woche kam freilich ein Fall ans Licht, bei dem so viel Geld auf dem Spiel stand, daß der Verdacht von unerlaubter Kursverzerrung entstand. Der englische Erfinder und Unternehmer Paul Davidson setzte bei der Londoner Wettfirma City Index 6 Millionen Pfund (knapp 10 Millionen Euro) auf den Kursanstieg jener Aktien, die das Biotechnologieunternehmen Cyprotex im Februar zu 29 Pence an der Börse einführte. Weil City Index damit ein hohes Risiko einging, versuchte sich die Wettfirma im Rahmen eines sogenannten"Contract For Difference (CFD)" mit der Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein (DKW) abzusichern, der dazu führte, daß wiederum DKW zur eigenen Sicherheit fast 80 Prozent der neu emittierten Cyprotex-Aktien kaufte.
Damit enthielt die Wette von Davidson"ein Element einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung", wie Wettexperte McCrone sagt. Angesichts des Cyprotex-Marktwertes von nur 27 Millionen Pfund führte die Wettsumme von 6 Millionen Pfund letztlich dazu, daß DKW die Aktien kaufte, auf deren Anstieg Davidson hoffte. Der Engländer erklärt, nichts vom Aktienkauf durch DKW gewußt zu haben. Die deutsche Investmentbank lehnt jede Stellungnahme ab. Doch die ersten Opfer gibt es bereits: Ein Mitarbeiter bei der Londoner Brokerfirma Gilbert Elliott wurde bis zum Ausgang der FSA-Untersuchung vom Dienst suspendiert. Der Vorsitzende von City Index, Michael Spencer, hat inzwischen eingeräumt, man sollte für das"Spread betting" ähnliche Transparenzregeln einführen wie beim regulären Aktienhandel, damit die Marktteilnehmer über vollständige Informationen verfügten.
Bei der Konkurrenz von City Index heißt es, die Wettfirma hätte keine derart hohe Wette für so ein kleines Unternehmen annehmen dürfen."Bei uns gibt es einen Deckel von 3 Prozent der Marktkapitalisierung", sagt Stacey Ash, Vertriebsdirektor beim Marktführer IG Index, der nach eigenen Angaben seinen Kundenkreis im vergangenen Jahr um 20 Prozent auf 15 000 erhöht hat. Dennoch hat die Aktie des Unternehmens seit November 50 Prozent an Wert verloren.
Belastend wirkte für die Branche in der vergangenen Woche zudem die Ausweitung einer polizeilichen Ermittlung gegen einen mutmaßlichen Insiderring. Fünf Personen, darunter ein Händler von Credit Suisse First Boston, sind verhaftet und später gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt worden. Es besteht der Verdacht, daß Insiderinformationen für Finanzwetten genutzt wurden. Freilich ist den Wettunternehmen dabei, soweit abzusehen, kein Vorwurf zu machen.
Einige britische Anbieter prüfen inzwischen die Expansion im Ausland. IG Index will demnächst ein Büro in Australien eröffnen."Es gibt in Deutschland zwei Millionen Online-Aktienhändler, während es in Großbritannien nur 350 000 sind", sagt Lewis Findlay, Managing Director bei Cantor Index, der Nummer zwei in Großbritannien. Dabei verweisen die britischen Wettfirmen auf Sicherheitsvorkehrungen, daß sie etwa ihre Kunden über die Gefahren aufklären und deren finanzielle Lage prüfen, um sie und sich selbst vor hohen Verlusten zu schützen. Doch die kulturellen Unterschiede sind groß:"In Großbritannien wettet jeder. Doch wenn wir in Frankfurt sagen, hey, wettet doch auf den Dax, dann würde dies bestimmt zu großem Stirnrunzeln führen", sagt ein Sprecher des Marktführers IG-Index. Das Unternehmen überlegt aber, auf dem Kontinent demnächst CFDs anzubieten; das sind Aktienderivate, die keine Wetten sind und leichter den Segen der Aufsichtsbehörden bekommen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.03.2002, Nr. 70 / Seite 25
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