- Schuldenfalle - Aldibroker, 21.04.2002, 23:04
- Was daran kritisiert werden sollte - Aldibroker, 21.04.2002, 23:07
- Re: Was daran kritisiert werden sollte / Dein Ernst? mT - JĂĆKĂĆ, 21.04.2002, 23:11
- Re: Was daran kritisiert werden sollte - rodex, 21.04.2002, 23:28
- Vieles davon ist leider falsch - Turon, 22.04.2002, 03:07
- Re: Was daran kritisiert werden sollte - Euklid, 22.04.2002, 08:03
- Was daran kritisiert werden sollte - Aldibroker, 21.04.2002, 23:07
Schuldenfalle
PANORAMA Nr. 612 vom 18.4.2002
Wem gehört Deutschland?
Die Profiteure der Staatsverschuldung
Anmoderation Anja Reschke:
Beim Baukonzern Holzmann warâs im MĂ€rz so weit, das Luft- und Raumfahrtunternehmen Dornier, der Papierkonzern Herlitz und der Medienmogul Kirch folgten im April. Alle mussten Insolvenz anmelden. 2002 - das Jahr der Rekordpleiten. Wer betroffen ist, ist verzweifelt, wer nicht betroffen ist, ist froh, es nicht zu sein. Dabei sind wir eigentlich alle verschuldet, und zwar heillos, mit einer unvorstellbar hohen Summe von 1 Billion Euro - das sind ganz nebenbei bemerkt schon mal Tausend Milliarden. Dann noch weitere 226 Milliarden obendrauf und noch ein paar Millionen hinterher. Denn die Bundesrepublik Deutschland selbst steht am tiefsten in der Kreide. Aber bei wem eigentlich? Das ist ein wohlgehĂŒtetes Geheimnis. Wer wissen will, wem diese Republik eigentlich wirklich gehört, tut sich schwer. Meine Kollegen sind der deutschen Schuldenspur gefolgt.
Kommentar:
Hans Eichel hat es eilig: In zwei Jahren will er Schluss machen mit der Schuldenpolitik seiner VorgĂ€nger. Der Sparkommissar im Wettlauf gegen die rasende Staatsverschuldung. 10.000, 11.000, 12.000, 13.000 Euro. In den wenigen Sekunden, die Eichel morgens bis in sein BĂŒro braucht, hat Deutschland schon wieder 80.000 Euro Schulden mehr. Deutschlands Schulden, eine unvorstellbare Summe: 1.226 Milliarden und viele Millionen Euro. Und sie tickt unbarmherzig weiter, die Schuldenuhr, die der Steuerzahlerbund aufgestellt hat.
0-Ton Hans Eichel:
(Bundesfinanzminister)
âDa tickt eine Zeitbombe, und das heiĂt, wir haben durch Schulden in der Vergangenheit einen GroĂteil unserer Zukunft verfrĂŒhstĂŒckt. Und deswegen können wir so nicht weitermachen.â
Kommentar:
Eine Nobeladresse im Frankfurter Norden. Hier sitzen die Leute, die Deutschlands Schulden managen. So effizient wie möglich Geld fĂŒr den Bund beschaffen, die Aufgabe der Elitetruppe in der Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH. Ganze sieben HĂ€ndler jonglieren hier mit den Staatsmilliarden. Hat der Bund etwa am Morgen zu wenig Geld, um seine Rechnungen zu bezahlen, wird das kurzerhand besorgt: Schnellverschuldung.
0-Ton Thomas Weinberg:
(ChefhÀndler, Finanzagentur)
âHeute konkret war es zum Beispiel so, dass wir eine Summe von etwa vier Milliarden Euro im Markt aufnehmen mussten.
Interviewer:
âAlso, die Bundesrepublik Deutschland braucht heute vier Milliarden Euro.â
Thomas Weinberg:
âWir rufen an, und wenn der Kontrahent eben grade dieses Volumen zur VerfĂŒgung hat, dann versuchen wir uns auf einen Zinssatz zu einigen. Und dann ist das GeschĂ€ft gemacht, und das Geld flieĂt in unsere Kassen.â
Kommentar:
GerĂ€uschlos und diskret werden Milliarden fĂŒr Deutschland besorgt. Auch die schwindelerregenden Schuldensummen, die die Agentur auf dem Markt hin und her verschiebt, sind hier Alltag.
0-Ton Gerhard Schleif:
(GeschĂ€ftsfĂŒhrer, Finanzagentur)
âAn diese Zahlen gewöhnt man sich, ob da drei Nullen mehr dranhĂ€ngen oder drei Nullen weniger, das geht in Fleisch und Blut ĂŒber, das lĂ€sst einen nicht mehr schlecht schlafen.â
Kommentar:
Auch nicht der Handel mit Schatzanweisungen, den langfristigen Schuldscheinen der Republik. Der Staat als Schuldner ist so begehrt, dass die Banken sich ĂŒberbieten, um ihm Geld zu leihen.
0-Ton Gerhard Schleif:
âWir haben heute zum Beispiel sechsmonatige Schatzanweisungen des Bundes verauktioniert. Das heiĂt. Wir bieten die einer bestimmten Bankengruppe an. Und wir wollten eigentlich fĂŒnf Milliarden aufnehmen, und die Banken haben uns Gebote fĂŒr 17,3 Milliarden eingereicht.â
Kommentar:
Denn fĂŒr sie kann der Staat nicht genug Schulden machen: Die Banken - Profiteure der Verschuldung. FĂŒr jeden Kredit kassieren sie Zinsen und Provisionen, jedes Jahr zig Milliarden Euro. Ein BombengeschĂ€ft und ganz diskret abgewickelt.
Kein Wunder, dass die Liste der GlĂ€ubigerbanken nicht unbedingt an die Ă-ffentlichkeit soll. Denn ihnen gehört Deutschland. Ganz oben die Deutsche Bank, dann Morgan Stanley, Dresdner Bank, Merrill Lynch - die CrĂšme de la CrĂšme der internationalen Hochfinanz. Kreditsummen und Zinsgewinne werden gehandelt wie Staatsgeheimnisse, Interviewanfragen zwecklos. Die Deutsche Bank: kein Kommentar. Die Dresdner Bank: kein Kommentar. Die Commerzbank: kein Kommentar. Die Banken kassieren, Eichel zahlt, der Steuerzahler haftet.
0-Ton Hans Eichel:
(Bundesfinanzminister)
âDas machen wir jetzt seit ĂŒber dreiĂig Jahren, zahlen auch nichts zurĂŒck. Wenn ein Kredit fĂ€llig wird, wird ein neuer aufgenommen, um den alten abzulösen.â
Kommentar:
Die Chronik der Schuldenmacher:
1971. Der letzte Aufstand der AnstĂ€ndigen. Bundesfinanzminister Möller tritt zurĂŒck. Der Grund: In zwei Amtsjahren ganze drei Milliarden Euro neue Schulden. Der Neue hĂ€lt es nur ein Jahr aus. Karl Schiller sagte damals, er könne keine Politik machen unter dem Motto âNach mir die Sintflutâ. RĂŒcktritt wegen zwei Milliarden Neuverschuldung.
1972. Der Nachfolger hatte weniger Skrupel: Finanzminister Helmut Schmidt machte fĂŒnf Milliarden Euro Schulden - und wurde Kanzler. Die Gesamtschulden von Bund, LĂ€ndern und Gemeinden damals: 91 Milliarden Euro.
1974. Mit ihm ging die Schuldenparty richtig los: Hans Apel. Sorglos und unbekĂŒmmert der Aufbruch in den Schuldenstaat. Finanzminister Apels Bilanz nach vier Jahren: 33,5 Milliarden Euro Neuverschuldung.
1978. Hans Matthöfer, der nĂ€chste Finanzminister, sorgt fĂŒr noch verrĂŒcktere Schuldenrekorde. 56 Milliarden Euro Miese. Sein Kanzler: Helmut Schmidt. Und die CDU versprach, alles besser zu machen
Wahlspot:
âLassen Sie uns den SPD-Staat stoppen.â
0-Ton Gerhard Stoltenberg:
âMit der hemmungslosen Schuldenmacherei der Regierung Schmidt/Genscher kann es so nicht weitergehen.â
Kommentar:
CDU-Wahlsieg: Stoltenberg war nun selbst Kassenwart. Vorher groĂe Worte und dann doch wieder neue Schulden: 75 Milliarden.
1989. Theo Waigel und die deutsche Einheit - natĂŒrlich kreditfinanziert. Die Schulden explodierten: Waigels Horrorbilanz: 428 Milliarden Euro neue Schulden.
1998 standen Bund, LĂ€nder und Gemeinden mit ĂŒber 1,1 Billionen Euro in der Kreide. Heute sind es schon wieder 100 Milliarden mehr. Und auch in diesem Jahr macht Hans Eichel wieder neue Schulden: rund 21 Milliarden Euro nur fĂŒr den Bundeshaushalt.
Bad Homburg, eine Idylle. Hier wird ĂŒber Eichels Schulden Buch gefĂŒhrt, in der Bundeswertpapierverwaltung. Schuldenverwaltung hieĂ die Behörde bis vor kurzem, doch das klang zu negativ. Ăberhaupt war frĂŒher vieles anders: Die Schulden wurden noch mit Tinte in dicke Folianten eingetragen. Das Schuldbuch aus einer Zeit, als die Staatsverschuldung noch zwischen zwei Buchdeckel passte. Heute ist der horrenden Schuldensumme nur noch mit GroĂrechnern beizukommen. Das Schuldbuch 2002 - eine Computerdatei. Und die Post an die GlĂ€ubiger muss schneller produziert werden, um mit der Verschuldung Schritt zu halten. Schuldscheinquittungen im Sekundentakt. Auch in Bad Homburg sind Deutschlands Schulden grauer Alltag.
0-Ton Knut Kage:
(PrÀsident, Bundeswertpapier-Verwaltung)
âWir streben keine höhere Bundesschuld an, etwa um ArbeitsplĂ€tze hier zu halten. Wir haben genug andere Aufgaben. Wir wollen ordentlich und flexibel weiterarbeiten.â
Kommentar:
Ordentlich und flexibel in die Pleite. Viel Zeit bleibt Eichel nicht, um die Wende noch zu schaffen. Denn so bankrott ist der Staat: 752 Milliarden Euro hat sich allein der Bund seit 1980 geliehen. Das Geld wurde komplett gefressen von den 903 Milliarden Euro Zinsen, die er fĂŒr diese Kredite zahlen musste.
0-Ton Wolfgang Kitterer:
(Schuldenexperte UniversitÀt Köln)
âDie Schulden werden immer höher sein, auf Dauer, als das, was man sich durch Kredite erkauft hat. Das heiĂt, es ist ja jetzt auch schon festzustellen, dass die Defizite, die man macht, auf Dauer nicht ausreichen können, um die Zinslast abzudecken. Was bedeutet das wiederum? Dass man zusĂ€tzliche Zinslasten wiederum ĂŒber Steuern finanzieren muss. Also resultiert aus der Staatsverschuldung letztlich nur eine höhere Steuerlast. Man hat niemandem etwas Gutes getan, es sei denn den Wertpapierhaltern.â
Kommentar:
Eichel, der Schuldenkiller? TatsÀchlich ist sein Sparprogramm nur ein ganz bescheidener Anfang. Denn das ist Deutschlands Schuldenberg: 1.200 Milliarden Euro. Was Eichel einsparen will, ist lediglich die Neuverschuldung - derzeit ganze 42 Milliarden. Vom Abbau des gigantischen Schuldenberges ist noch gar nicht die Rede.
Jetzt hat Eichel versprochen, spĂ€testens 2006 keinen Cent neue Schulden mehr zu machen. Doch ein HintertĂŒrchen hĂ€lt auch er sich noch offen.
0-Ton Interviewer:
âSie legen Ihre Hand dafĂŒr ins Feuer, dass es 2006 eine Null gibt?â
Hans Eichel:
âWir setzen alles daran. Alles, was wir tun können, tun wir. Was Sie nie im Griff haben, ist die Weltkonjunkturentwicklung. Wenn es eine groĂe Rezession gibt, sieht natĂŒrlich die Welt anders aus.â
Kommentar.
Der Schuldenuhr ist die Konjunktur egal, sie tickt unerbittlich weiter.
0-Ton Friedrich Halstenberg:
(ehem. Finanzminister NRW)
âEs ist auch durchaus möglich, dass wir unsere Staatsfinanzen ganz zu Grund richten. Noch ein, zwei Jahrzehnte weiter in dieser Musik, dann gibt es einen anderen Staat.â
Bericht: Jochen Graebert, Max von Klitzing, Stephan Stuchlik
Schnitt: Stefanie Blasch, Charlotte Steiner
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