- Exempel Jamal Karsli - Theo Stuss, 28.05.2002, 18:09
Exempel Jamal Karsli
"Ich bin wohl der willkommene Anlaß, ein Exempel zu statuieren" (Jamal Karsli)
In dem ganzen Mediengetöse um die angeblich"antisemitischen Äußerungen" des ehemaligen NRW-Landtagsabgeordneten der Grünen Jamal Karsli, den FDP-Vize Jürgen Möllemann in die FDP-Fraktion des Düsseldorfer Landtages aufnehmen wollte, ist - sicherlich nicht zufällig - der Inhalt der von Karsli (und Möllemann) geäußerten Kritik an der Kriegspolitik von Israels Ministerpräsident Scharon untergegangen. Auch der Inhalt von Karslis Brief an Möllemann, in dem sich der aus Syrien stammende Landtagsabgeordnete am 22. Mai zu den Vorgängen um seine Person geäußert hat, blieb von den deutschen Massenmedien unerwähnt. Die Neue Solidarität, die bereits zum Zeitpunkt des Massakers an den Palästinensern im Flüchtlingslager Dschenin - also noch bevor Karsli seinen Wechsel zur FDP ankündigte, der den ganzen Rummel um seine Person erst ausgelöst hat - ein bemerkenswertes Interview mit Karsli veröffentlicht hatte, hat jetzt die folgenden Auszüge aus diesem Brief abgedruckt:
"Mit tiefer Enttäuschung und großem Zorn erfüllt mich, was ich in diesen Tagen in den deutschen Medien an bewußten Entstellungen meiner Kritik an der Regierung Scharon aus dem Munde meiner ehemaligen grünen Parteifreunde und von allen anderen Parteien, leider auch von der FDP, hören mußte. Wie sollen junge Menschen in einem Land zu Gerechtigkeit und Toleranz erzogen werden, wenn in Wahrheit jedem jede Kritik an einer israelischen Regierung bei Strafe des Verlustes seiner öffentlichen Ehre und Würde verboten ist. Es wird gesagt, Kritik an Ariel Scharon sei erlaubt, aber in der richtigen Wortwahl. Welches ist die richtige Wortwahl? Damit ist offenkundig wohl gemeint, sich so schüchtern und zaghaft zu äußern, daß darüber kein deutsches Medium berichtet. Sich so Kritik vermeidend zu äußern, daß man letztlich stimmlos und ohne Gehör bleibt.
"Ich habe mich für Formulierungen öffentlich entschuldigt, die nicht in Ordnung waren und die es entgegen meiner Intention leider leicht machten, mich als Antisemiten hinzustellen. Allerdings ist mir längst klar geworden, daß es gar nicht mehr um mich geht, oder darum, was ich gesagt habe. Ich bin wohl nur der willkommene Anlaß, ein Exempel zu statuieren. Die politisch korrekte Klasse demonstriert wiederholt ihre Macht darüber, was man in Deutschland wie öffentlich zu formulieren und wozu man zu schweigen hat.
"Ich habe noch mehr gelernt. Es geht nicht nur darum, was man sagen darf, sondern wer es sagen darf. Wer Mitglied der politisch korrekten Klasse ist, nimmt für sich in Anspruch, mit den Begriffen und Wendungen des Nationalsozialismus jederzeit und bei jedem Anlaß um sich werfen zu dürfen. Wenn die Richtigen den Falschen Faschismus, Nazimethoden, 'Stürmer'-Manieren, Goebbels-Parolen, Antisemitismus zuschreien, ist das politisch korrekt. Nur wenn die Falschen den Mund öffnen, wird alles auf die politisch korrekte Goldwaage gelegt. Bei den Grünen war ich wohl im Urteil der politisch korrekten Klasse bei den Richtigen, auch wenn ich in ihren Augen das Falsche sagte.
"Die Reich- und Tragweite des Tabus Juden und Israel in Deutschland habe ich erst jetzt im wahren Umfang kennen lernen müssen. Während all der Jahre, in denen ich mit Menschen in meiner Nachbarschaft und in Deutschland persönlich gesprochen habe, ist mir nie wie jetzt begegnet, daß jeder zum Antisemiten gestempelt wird, der nicht alles gut findet, was israelische Regierungen in Palästina tun. Ich nehme mit Erstaunen und Befremden zur Kenntnis, wie man aus mir, der ich 18 Jahre lang aktive Politik gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus gemacht und mich immer für Integration, Gleichberechtigung und Menschenrechte eingesetzt habe, quasi einen antisemitisch und antijüdisch und antiisraelisch denkenden und handelnden Menschen macht.
"Ich frage Joschka Fischer öffentlich: Warum ist das Töten von Muslimen auf dem Balkan ein Verstoß gegen die Menschenrechte, in Palästina aber eine gerechtfertigte Vergeltungsmaßnahme und eine präventive Maßnahme der Selbstverteidigung? Natürlich stehe ich völlig auf der Seite der Palästinenser. Damit bin aber auch wohl einer der wenigen, die öffentlich nicht einseitig auf seiten Israels stehen. Das aber verlangt die politisch korrekte Klasse. Was das Volk denkt, kümmert sie nicht. Was den Nahost-Konflikt betrifft, so wiederhole ich meinen Standpunkt, der sich überhaupt nicht vom Parteitagsbeschluß der FDP in Mannheim unterscheidet. Ich bin für die Durchsetzung der UNO-Resolution, die neben dem Existenzrecht Israels in sicheren Grenzen auch einen lebensfähigen palästinensischen Staat vorsieht. Ich verurteile die Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen in der Region.
"Ich möchte nicht weiter als willkommener Anlaß Ihrer politischen Gegner herhalten. Denen komme ich sehr zupaß, in großer Selbstgerechtigkeit und voller Scheinheiligkeit über Sie und Ihre Mitstreiter herzufallen. Wenn es um wirkliche Friedenslösungen im Nahen Osten geht, rühren diese Leute keinen Finger, sondern machen nur Show. Wo bleibt die empörte öffentliche Kritik an den Beschlüssen der Likud-Partei, einen palästinensischen Staat abzulehnen sowie die illegale Siedlungspolitik auf palästinensischem Boden weiter zu forcieren?
"Hiermit ziehe ich meinen Antrag zur Aufnahme in die FDP zurück...
Jamal Karsli"
"Israelische Elite ist auf Druck aus Westeuropa angewiesen"
In der aktuellen Auseinandersetzung um Karslis Kritik an Scharons Kriegspolitik ist eines von den deutschen Medien völlig ausgeblendet worden: die Wahrheit über die Lage im Nahen Osten. Und da hat gerade Deutschland eine besondere Verantwortung, vor allem für Israel. Deshalb hat die BüSo an dieser Stelle immer wieder die Stimmen zu Wort kommen lassen, die Scharons Politik in Israel selbst kritisieren. Da auch jetzt - wo diese Stimmen immer lauter werden und die israelische Oppositionsbewegung gegen Scharons (und Netanjahus) Kriegskurs täglich wächst - den meisten Medien und Politikern in Deutschland anscheinend der Mut fehlt, diese oppositionellen Stimmen aus Israel zu Wort kommen zu lassen, stellen wir noch einmal einige der wichtigsten dieser kritischen Äußerungen zusammen:
Jossi Beilin, der führende Friedensbefürworter in Israels Arbeitspartei und Unterhändler des Oslo-Abkommens, sagte bei der großen Friedenskundgebung am 11. Mai 2002, zu der sich 100 000 Israelis auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv versammelt hatten, über Präsident Bushs Haltung gegenüber Scharon:"Uns wurde gesagt, Scharon sei ein Mann des Friedens, aber das ist nicht wahr: Er will nicht an den Verhandlungstisch, weil er nichts zu sagen hat. Scharon zieht uns in eine Katastrophe."
Roman Bronfman, Mitglied der Knesset und Vorsitzender der neuen liberalen Partei Demokratische Wahl, warnte Anfang des Jahres - so die in Tel Aviv erscheinende Tageszeitung Ha'aretz am 28. Januar - vor einem"Abgleiten Israels in ganz gewöhnlichen Faschismus... Ich sage, daß der falsche Konsens, der heute in Israel herrscht, und die täglich begangenen Greueltaten diese Art Faschismus über uns bringen werden. Ich glaube, daß alles getan werden muß, um dieses Abgleiten aufzuhalten, und wenn ich dafür meine politische Karriere opfern muß, dann werde ich es tun."
Prof. Baruch Kimmerling schrieb im März 2002 (Kol Hair vom 22. März) über die israelische Besatzungspolitik:"Seit 1967 herrscht Israel direkt - und seit 1964 indirekt - über Millionen arabische Bewohner, denen alle Bürger- und elementarsten Grundrechte vorenthalten werden. Einerseits hat Israel die besetzten Gebiete und deren Bewohner nicht annektiert, um ihnen Bürgerrechte wie z.B. das Wahlrecht zu verweigern. Andererseits bedient sich Israel freizügig aller materiellen und menschlichen Ressourcen, als wären sie Eigentum des jüdischen Staates. Mit der Zeit hat sich dieser Zustand verfestigt, Israel hat aufgehört, ein demokratischer Staat zu sein, und ist zu einer Herrenvolk-Demokratie geworden. Das ist ein Regime, unter dem ein Teil der Untertanen (die Bürger) alle Rechte genießt, und ein anderer Teil (die Nicht-Bürger) keine Rechte hat... Befehle, die in Israel ein Regime von Herrenmenschen fortdauern lassen, haben nichts mit einem Rechtsstaat zu tun".
Jitzak Laor schrieb im London Review of Books online vom 23. März 2002:"Worum ging es im Krieg zwischen uns und den Palästinensern? Um den israelischen Versuch, die Überreste Palästinas in vier Kantone aufzuspalten, indem trennende Straßen, neue Siedlungen und Kontrollposten errichtet werden. Das übrige ist Mord, Terror, Ausgangssperren, Häuserdemolierungen und Propaganda. Palästinensische Kinder leben in Angst und Verzweiflung, ihre Eltern werden vor ihnen gedemütigt, und die öffentliche Meinung im Westen gibt den Opfern die Schuld - das war schon immer der einfachste Weg, mit Horror umzugehen. Ich weiß das: Mein Vater war ein deutscher Jude... Zweifellos hat die israelische Politik der gezielten Liquidierungen - die Tötung altgedienter Politiker (Dr. Thabet aus Tulkarem, Abu Ali Mustafa aus Ramallah) oder Terroristen (manchmal erst nach ihrer Eliminierung als solche etikettiert) - Ã-l ins Feuer gegossen... Bitte zucken Sie nicht mit den Achseln. Es gibt eine Sache, die dazu beitragen könnte, den Konsens in Israel zu brechen, und das ist Druck aus Westeuropa, auf das die israelische Elite in vieler Hinsicht angewiesen ist."
Ähnlich wie die hier zitierten Israelis dachte auch Ministerpräsident Jitzhak Rabin, der wußte, daß Israels Selbstinteresse den Frieden mit den Palästinensern verlangt. Man darf nicht vergessen, daß die gegenwärtige Politik der israelischen Armee erst möglich wurde, nachdem Rabin ermordet wurde.
Quelle: Büso
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