- Der nächste Dominostein - Brasilien - Popeye, 24.06.2002, 11:23
- Re: Der nächste Dominostein - Brasilien /Chart des Real - JüKü, 24.06.2002, 16:47
Der nächste Dominostein - Brasilien
Der Resignation folgt die
Kapitulation
Brasilien wird zum Brandherd / Der Bericht vom
internationalen Finanzmarkt / Von Folker Dries
NEW YORK, 23. Juni. Die Händler in den Banken sehen
auf ihren Bildschirmen fast nur noch rot. Rund um den
Globus scheinen die Kurse aller Wertpapiere, die nicht mit
der Rückzahlungsgarantie eines westlichen Industriestaates
versehen sind, auf Talfahrt zu sein. Die Risikoabneigung der
Anleger steuert damit auf einen neuen Höhepunkt zu. Selbst
Aktien und Anleihen aus aufstrebenden Märkten (Emerging
Markets), die bis vor einigen Wochen noch von vielen
Investmentbanken als eine der vielversprechendsten
Kapitalanlagen für 2002 angepriesen wurden, stehen plötzlich
unter Abgabedruck. Mit Brasilien, dem größten Schuldner
Lateinamerikas, gibt es einen neuen Brandherd, der auch auf
andere Schwellenländer übergreifen
könnte.<BR/><BR/>Brasiliens Währung ist am Freitag auf
ein Rekordtief gefallen. Investoren fürchten, daß sich bei den
Präsidentenwahlen im Oktober mit Luiz Inacio Lula da Silva
der Kandidat der linksgerichteten Arbeiterpartei durchsetzt.
In den Umfragen liegt er gegenüber dem Kandidaten der
Regierungspartei klar vorn. Ein Präsident Lula könnte trotz
gegenteiliger Beteuerungen die weitere Bedienung der
Staatsschuld in Frage stellen, fürchten Analysten. Doch auch
unabhängig vom Ausgang der Wahl wächst die Gefahr, daß
die Zahlungsunfähigkeit des lateinamerikanischen Landes zu
einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird. Denn
Brasilien, dessen öffentlicher Schuldenberg von 280
Milliarden Dollar eine ungewöhnlich kurzfristige
Laufzeitenstruktur hat, ist der Zugang zum privaten
Kapitalmarkt quasi verwehrt. Die Risikoprämien für
brasilianische Schuldentitel sind in den vergangenen Tagen
dramatisch angestiegen. Dies hat auch vielen europäischen
Privatanlegern herbe Kursverluste beschert, da Brasilien
regelmäßig D-Mark und später Euro aufgenommen hat. Die
Anleihen werden teilweise nur mehr für 50 bis 60 Prozent
ihres Nominalwertes gehandelt.<BR/><BR/>Nach einem
einschlägigen Index von J. P. Morgan weisen die
Schuldverschreibungen Brasiliens inzwischen einen
durchschnittlichen Renditeaufschlag (Spread) von 1730
Basispunkten gegenüber amerikanischen Staatsanleihen auf.
Noch vor einem Monat waren es lediglich 1000 Basispunkte,
also 10 Prozentpunkte. Nur mehr Fremdwährungsanleihen
Argentiniens bieten derzeit noch höhere Spreads. Und
Argentinien hat bekanntlich den Schuldendienst schon
eingestellt. Anders als noch während der Argentinien-Krise
haben auf Emerging Markets spezialisierte Investoren jetzt
nicht mehr die Nerven, über den neuen Brandherd
hinwegzuschauen. Selbst die Schuldverschreibungen
Rußlands und Mexikos, derzeit die beiden Vorzeigenationen
unter den aufstrebenden Volkswirtschaften, gerieten in der
vergangenen Woche unter Verkaufsdruck.<BR/><BR/>Die
Dünnhäutigkeit der Anleger hat freilich gute Gründe.
Ausgehend von Amerika, dessen Konjunkturdaten zuletzt
weniger überzeugend ausfielen, wachsen die Zweifel an der
Nachhaltigkeit des Aufschwungs der Weltwirtschaft. Kein
anderes Phänomen spiegelt die Vertrauenskrise der Anleger
so gut wider wie die Entwicklung der Weltwährung Dollar.
Gegenüber dem Euro ist der Greenback in der vergangenen
Woche auf das tiefste Niveau seit mehr als zwei Jahren
gefallen. Ein Euro wurde am Freitag für etwas mehr als 97
Cent gehandelt. Und viele Händler sind sich inzwischen
sicher, daß sich die letztmals im Februar 2000 gesehene
Parität von Dollar und Euro binnen weniger Wochen
einstellen wird.<BR/><BR/>Amerikas Leistungsbilanzdefizit
ist im ersten Quartal auf den Rekordwert von 112,5
Milliarden Dollar angestiegen. Nie zuvor war Amerika damit
so sehr auf den Import ausländischer Ersparnisse
angewiesen. Doch wenn die ausländischen Anleger das
Gefühl bekommen, daß Amerikas Wirtschaft ihren
strukturellen Vorsprung gegenüber dem Rest der Welt
eingebüßt hat, ebben diese langfristigen Kapitalzuflüsse ab.
Und genau dies scheint derzeit der Fall zu sein, wobei die
plötzliche Dynamik der Dollar-Abwertung schon überrascht.
Zur Genugtuung besteht in Europa freilich kein Anlaß. Die
Hoffnung, daß der europäische Aktienmarkt von diesem
Exodus aus der Wall Street profitiert, erweist sich bisher als
Illusion. Die Investmentstrategen der Banken raten ihrer
Klientel zwar schon seit Monaten, amerikanische Aktien
unterzugewichten und sich dafür stärker in Europa und Asien
zu engagieren. Zumindest die kontinentaleuropäischen
Börsen haben davon aber noch nicht profitieren können. Der
Deutsche Aktienindex und der französische CAC-40-Index
sind seit Jahresbeginn sogar schon um 18 Prozent gefallen.
Die Einbuße des S&P 500, des Leitindexes der Wall Street,
stellt sich dagegen auf 14 Prozent. Und der
Dow-Jones-Index schmolz sogar nur um knapp 8 Prozent
ab.<BR/><BR/>In Anbetracht der
Wechselkursveränderungen haben europäische Anleger
zuletzt gleichwohl gut daran getan, amerikanische
Wertpapiere zu meiden. Zu einer Stabilisierung des Dollar
wird es nach Meinung vieler Experten erst kommen, wenn
auch die Wall Street ihr Tief überwunden hat. Und dieses
Tief wird sich vielleicht schon in den nächsten Tagen
einstellen. Marktveteranen wittern eine regelrechte
Kapitulation der Anleger, eine Ausverkaufswelle mit
außergewöhnlich hohen Umsätzen. Selbst Anlageguru
Barton Biggs von Morgan Stanley, sonst ein notorischer
Skeptiker, rechnet inzwischen mit einer Rally, die die großen
Aktienindizes in Europa und Amerika um 15 bis 20 Prozent
klettern lassen wird. Die zuletzt so sehr gebeutelte
TMT-Gruppe (Technologie, Medien und Telekommunikation)
werde dabei überdurchschnittlich zulegen.<BR/><BR/>Biggs
erinnert daran, daß der Nasdaq inzwischen stärker gefallen
ist als der Dow-Jones-Index von 1929 bis 1932 und auch
stärker als der japanische Aktienmarkt seit seinem Hoch von
1989. Beiderseits des Atlantiks seien Aktien inzwischen
deutlich unterbewertet. Die angebliche Unterbewertung der
Aktienmärkte beruht freilich auf Gewinnprognosen, denen
Anleger mit wachsender Skepsis begegnen. Ob Nokia,
Apple, Advanced Micro Devices oder Oracle - die jüngsten
Zwischenrufe aus den Unternehmen sind noch nicht dazu
angetan, den nächsten Bullenmarkt einzuläuten.
Quelle FAZ von heute, S. 27
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