- Warum kannte Adam Riese nicht den Zins? - dottore, 02.07.2002, 19:57
- Zustimm - von Zins ist keine Rede - Praxedis, 02.07.2002, 20:09
- Re: Bösewicht Staat - Wal Buchenberg, 02.07.2002, 20:15
- Re: Warum? - André, 02.07.2002, 21:14
- Re: Perfekt! Steuern wurden sogar (owT) - dottore, 04.07.2002, 12:07
- Re: Sorry! - dottore, 04.07.2002, 12:09
- Re: Warum kannte Adam Riese nicht den Zins? - Boyplunger, 02.07.2002, 21:15
- Re: Kirche gab selbst Zins (Abgaben-Vorfinanzierung) - dottore, 04.07.2002, 12:05
- Re: Warum kennt die Bibel den Zins? - Hirscherl, 02.07.2002, 21:26
- Re: Warum kennt die Bibel den Zins? - Jagg, 02.07.2002, 21:31
- Re: Warum kennt die Bibel den Zins? - monopoly, 02.07.2002, 21:49
- Re: Lange vor den Lombarden... - dottore, 04.07.2002, 11:32
- Re: Warum kennt die Bibel den Zins? - monopoly, 02.07.2002, 21:49
- Re: Warum kennt die Bibel den Zins? - pecunia, 02.07.2002, 22:56
- Re: Warum kennt die Bibel den Zins? - Jacques, 02.07.2002, 23:15
- Re: Warum kennt die Bibel den Zins? - Interessanter Aufsatz zu diesem Thema - Campo, 03.07.2002, 00:15
- Re: Bitte"Geldherrschaft" durch"Zwangsherrschaft" ersetzen! - dottore, 04.07.2002, 11:19
- Re: Vor dem Zins nennt sie Abgaben und"Opfer" - dottore, 04.07.2002, 11:11
- Re: Warum kennt die Bibel den Zins? - Jagg, 02.07.2002, 21:31
- Re: Adam Riese -Nirgends erscheint eine Zinsrechnung! - Popeye, 03.07.2002, 10:38
- Re: Adam Riese -Nirgends erscheint eine Zinsrechnung! - Popeye, 03.07.2002, 11:38
- Re: Bitte auch Adam Smith und Uni-Professoren beachten! - dottore, 04.07.2002, 11:02
- Re: Adam Riese -Nirgends erscheint eine Zinsrechnung! - Popeye, 03.07.2002, 11:38
- Re: Scheinloesung - Tassie Devil, 03.07.2002, 20:17
- Re: Scheinloesung - dottore, 04.07.2002, 10:45
- Re: Adam Riese? Vielleicht weil er selber Zinsen zahlen mußte. - netrader, 03.07.2002, 22:46
Warum kannte Adam Riese nicht den Zins?
Hi,
der Privatkredit soll vor dem Macht-Kredit und der Zins soll als"Privatzins" vor dem"Staatszins" gekommen sein, was ich beides inzwischen bestreite, wiewohl ich früher absolut der"anderen" Ansicht war, die bis jetzt als unantastbarer und m. W. noch nie zur Diskussion gestellter mainstream in Historiographie und Theorie gilt.
Meine These:
Erst die Macht zwingt den Zins überhaupt in die Welt (Abgabe = Zins (census) --> Optimierung der Abgabenform zum Zweck des Machterhalt --> Geld --> Abgabengeld-Leihe --> Ziehen der Macht auf später erwartete Abgaben in"Geld" -->
--> Staatskredit --> Geld- und Kapitalmärkte --> späteres Auftreten von"Privaten" (solventen aber illiquiden oder noch nicht liquiden Teilnehmern) auf diesen Märkten -->"allgemeine" Entwicklung bis heute, usw.).
Die mir zur Verfügung stehende Beweislage ist völlig eindeutig, jedenfalls für mich. Dazu bereits zahlreiche Postings und Antwort-Postings.
Ich stelle das auch nicht aus Daffke vor oder um mich wieder Mal mit einem Aberwitz interessant zu machen. Erstens ist es schwer, sich von eigenen früheren Vorstellungen zu lösen und zweitens ist dies auch ein schwerer Schlag ins eigene Comptoir.
Denn das musste einem notorischen Obrigkeits-Kritiker passieren! Ich kann als Entschuldigung nur vorbringen, dass auch ich auf die "Gutstaats"-Idee herein gefallen bin: Wenn nicht dieser Staat, dann ist wenigstens ein anderer, besserer zu schnitzen, und sei es nur gedanklich. Also nur"reformieren" und dann geht's schon.
Leider gibt es aber nichts zu schnitzen oder basteln. Es ist die Macht, egal, wie stark und"spürbar", die selber das Desaster ist. Auch die"beste" Form der Macht-Ausübung ("Demokratie") entpuppt sich beim Genau-Hinschauen als ein Machtsystem, in dem nur das Instrument der Machtausübung (Zwang, Abgabenzwang, Steuerzahlung letztlich) elegant vertagt wurde, was natürlich keine Lösung ist.
Aber zurück zum Thema.
Auf der Suche nach der zeitlichen Priorität (Machtausübung, ergo Zins vs. Privatkredit, ergo Zins) habe ich mir die frühen kaufmännischen Rechenbücher angesehen, die im 15. und 16. Jh. gedruckt wurden, und die uns über sämtliche geschäftlichen Aktivitäten des "Frühkapitalismus" Auskunft geben. Beginn: die Treviso-Arithmetik 1478 und danach mehr als 100 Werke von Kaufmanns-Lehrern in allen Schattierungen (Basis-Literatur dazu übrigens Smith,"Rara Arithmetica" u.a.). Ergebnis:
Nirgends erscheint eine Zinsrechnung!
Selbst der Meister aller Meister, Adam Ries (Riese), der mit seinen Hauptwerken nach EA 1522 und 1550 Dutzende von Auflagen erlebte, die bis ins 18. Jh. reichen, verliert über Zins oder Zinsrechnung nirgends auch nur eine Zeile!
Wie das? Hunderttausende von angehenden privaten Kauf- und Geschäftsleuten wurden in seiner"Rechenkunst" unterwiesen. Wurden sie sämtlich ahnungslos ins wirkliche Leben entlassen?
Die Rechenkünste dieser Autoren-Masse (andere zum Thema"Geschäfte" oder"Kaufmannsrechnung" gibt es nicht!) waren auf Großartigste ausgefeilt, teilweise sogar mit Absicht verkompliziert, um den kaufmännischen Novizen zu trainieren. Da die Zinsrechnung - relativ zu Operationen wie Division in komplizierten Brüchen noch dazu in verworrenen Münzsystemen (10er / 12er / 15er / 20er / 60 er usw.) - einfach ist, hätte sie in diesen Lehrbüchern fürs Geschäftsleben fraglos Eingang finden müssen.
Alles, was wir aber über die Ertragsrechnung finden, ist die Gewinnverteilung nach der Regula Detri und weitere Ableitungen dazu. Der Geschäftserfolg wird auch nirgends in"Prozent" von etwas gerechnet, was nun aber das Merkmal des"Zinses" schlechthin ist.
Selbst in den ältesten Buchhaltungslehren (Paccioli, Grammateus) findet sich nirgends ein Zins oder ein Zins-Konto. Bei Grammateus (= Schreiber, Wien) wird zwar ein"Schuld-Buch" aufgeführt, aber darin sind die Verbindlichkeiten aus Lieferungen von und an verbucht, jedoch keinerlei Zinsforderungen, keinerlei Zinsverpflichtungen.
Auch in den ältesten erhaltenen tatsächlichen Geschäftsbüchern oder"Bilanzen" (Runtinger-Buch, Datini, Welser, Fugger) sind die Buchung der Forderungen stets netto, also ohne Zins. Es werden präzise Termine angegeben, z.B."zahlt" dann und dann das und das. Dabei ist natürlich der Verkaufspreis zu Grunde gelegt (bzw. passiv Einkaufspreis), der auch den Gewinn enthält, aber stets auf konkrete Lieferungen konkreter Güter bezogen, niemals auf die"Kreditierung" selbst.
Den"privaten Zins" gab's ganz einfach nicht.
Was es gibt, sind mit der Entwicklung der"Geldmärkte" zusammenhängende Ausführungen über Wechsel und Wechselkurse (so schon Chiarini 1481). Die Wechsel haben unterschiedliche Kurse (daher ja der Name), aber das ist nicht der"Zins". Ihr Ausnutzen ist die Arbitrage. Der Kurs wird ebenfalls nicht in"Prozent" von etwas angegeben, sondern als ganze Zahl (100 - 105 oder 100 - 110, usw.).
Ein Kapitalmarkt für privates Kapital im Sinne von"Geldkapital" existierte nirgends. An keiner Stelle Europas gab es so etwas wie die Möglichkeit, Kredit für private Unternehmungen aufzunehmen. Es gab nur einen Kapitalmarkt für öffentliche Anleihen, z.B. die spanischen"Juros", deren Kursbewegungen überhaupt erst (über die Rendite) Zins, bzw. Zinsbewegungen verursachte, wie bei den schon erwähnten venezianischen Staatsanleihen.
Am Staat als Zinsverursacher und Zinsbeweger führt einfach kein Weg vorbei.
Wie sieht es heute aus?
Dazu nur ein Beispiel:
Bei einem Grundstücks-Kaufvertrag schuldet der Verkäufer das Haus, der Käufer die Geldsumme. Es wird notariell ein Vertrag geschlossen, der auch eine"Schuldklausel" enthält, aber keine"Eigentumsklausel". Der Eigentümer kann die Herausgabe seines Eigentums letztlich verweigern, so lange es noch nicht"umgeschrieben" ist.
Der Käufer müsste dann über eine Klage auf Schadensersatz zu"irgendetwas" kommen, z.B. Differenz zwischen Kaufpreis und möglicherweise schon vereinbarten Weiterverkaufspreis. Das Eigentum selbst kann er nicht einklagen, auch nicht nach der Auflassung, denn die soll nur eine Belastung des Hauses durch den Eigentümer bis zum Zeitpunkt des grundbuchlichen Eigentumswechsels verhindern.
Der Verkäufer kann zwar auf die Kaufsumme klagen, aber er kann letztlich nicht in sie vollstrecken, da er für die Kaufsumme kein Pfand hält, sondern letztlich nur eine Bankbestätigung o.ä., dass der Käufer für die Summe"gut" ist.
Nun könnte es ewig so weiter gehen. Das Haus bleibt beim Eigentümer, der prima facie nichts verliert, die Geldsumme bleibt beim Käufer. Termin um Termin würde verstreichen...
Nun wie den Käufer zwingen?
Dazu hat sich der Staat etwas sehr Schlaues ausgedacht. Er schreibt einen Verzugszins vor, der 5 % plus den aktuellen"Basiszinssatz" beträgt (laufend von der Bundesbank mitgeteilt, derzeit 2,47 %). Dieser Zinssatz ist nicht etwas von den Parteien freiwillig vereinbart, sondern Vorschrift, der sich der Notar zu beugen hat.
Dieser Zinssatz soll den Schuldner der Kaufsumme zwingen, zu bezahlen, denn dann erst geht der Prozess der"Umschreibung" im Grundbuch los.
Der Staat hat den Parteien nicht nur die Möglichkeit genommen, einen anderen (höheren oder niedrigeren oder gar keinen) Zinssatz für den Verzögerungsfall zu vereinbaren, er hat auch den Weg versperrt, der so gelaufen wäre:
Käufer zahlt die Summe nicht, Verkäufer muss sie einklagen und zwar aus einfachem (allerdings unbesicherten) Vertrag.
Man kann einwenden, dass auch das Gericht im Klagfall dann einen Verzugszins verhängt hätte, bezogen auf den Termin. Der wäre indes in jedem Fall geringer als der in diesem Fall im Voraus zwangsweise vereinbarte.
Übertragen auf die Geschäftswelt insgesamt würde das bedeuten, dass jeder, der eine Rechnung stellt darunter setzen müsste: Bei Zahlungsverzug ab... werden x Prozent Zinsen auf den Rechnungsbetrag fällig. Bei Grundstückstransaktionen von Unternehmen gilt sogar ein vom Staat vorgeschriebener Zinssatz, der nochmals um 3 Prozent höher liegt (wenn ich das korrekt in Erinnerung habe).
Wir haben also das uralte Lied: Eine Forderung muss entweder mit Pfand unterlegt sein, wobei zum Termin ein Switch möglich ist (Vollstreckung mit Hilfe der Macht), oder es wird von der Macht ein Verzugszins verordnet, der als"Zwangsersatz" auftritt.
Gruß!
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