- Gründe für die Probleme der arabischen Welt - Hirscherl, 15.07.2002, 18:28
- Re: Hier siehst Du, was die Macht zustande bringt dottore owT - R.Deutsch, 15.07.2002, 18:45
- Araber als Feinde der *zivilisierten Welt*? Kriegspropaganda! (owT) - Wal Buchenberg, 16.07.2002, 07:53
- Re: Araber als Feinde der *zivilisierten Welt*? Kriegspropaganda! (owT) - Euklid, 16.07.2002, 08:37
Gründe für die Probleme der arabischen Welt
aus Profil 29/02
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Wer ist daran schuld, dass die Globalisierung ohne die arabische Welt stattfindet? Und dass es den Menschen dort immer schlechter geht? Nicht der Westen, sagt eine neue UN-Studie. Sondern ihre eigenen Eliten.
Von Sibylle Hamann
Es hätte alles recht schön werden können. In den sechziger Jahren hatte sich die arabische Welt der Kolonialherren entledigt. Der große Aufklärer Gamal Abdel Nasser regierte in Ägypten. Fasziniert von den Möglichkeiten, die Selbstbestimmung und panarabische Einheit eröffnen würden, sah man allerorten der Moderne entgegen. Durchaus selbstbewusst? denn man konnte auf stolze Traditionen zurückblicken: Arabien hatte Europa immerhin das Rechnen näher gebracht, das Navigieren und die antike Philosophie und fühlte sich als Teil des Fortschritts.
Weil der Tüchtige oft Glück hat, stellte sich gerade rechtzeitig auch noch das Erdöl ein. Mit der Entdeckung der scheinbar unerschöpflichen Rohstoffquellen am Golf waren die Herrschenden alle Sorgen los: Was immer man sich würde leisten wollen? Bildungsprogramme oder Moscheen, Krankenhäuser oder dicke Autos, Sozialismus oder Prunkpaläste?, am Geld würde es nicht scheitern. Und würde ein ärmerer arabischer Bruder darben, dann könnten ja die reicheren in bestem Altruismus einspringen.
Heute, 40 Jahre später, hat sich der Traum vom Wohlstand als Märchen aus Tausendundeiner Nacht erwiesen. Trotz Ã-lboom lebt jeder fünfte Araber von weniger als zwei Euro am Tag. 65 von insgesamt 280 Millionen Arabern sind Analphabeten. Wirtschaftlich gibt es im besseren Fall Stagnation; im schlechteren internationale Sanktionen und totale Zusammenbrüche. Was an Wachstum da ist, wird vom Bevölkerungszuwachs aufgefressen oder von militärischen Konflikten. Von wissenschaftlichen Leistungen ist schon lang nicht mehr die Rede; Araber, die der Weltöffentlichkeit auffallen, sind heute entweder Terroristen, Diktatoren oder religiöse Fanatiker.
Noch trauriger schaut die Bilanz aus, wenn man sie mit der rasanten Entwicklung in anderen Weltregionen vergleicht: mit dem Wirtschaftswunder in Südostasien, der Wende im kommunistischen Ostblock, der Demokratisierung Lateinamerikas oder dem Erwachen Chinas. Alle, scheint es, sind davongezogen. Indien bringt heute, in Bezug auf die Einwohnerzahl, ein Vielfaches an Websites hervor, Korea ein Vielfaches an wissenschaftlichen Studien. Dafür ist die Müttersterblichkeit in der arabischen Welt doppelt so hoch wie in der Karibik.
Allenfalls mit Schwarzafrika kann man sich noch vergleichen, ohne allzu schlecht auszusteigen. Allerdings auch das nicht auf allen Gebieten: Die Demokratisierung beispielsweise haben viele afrikanische Länder besser hingekriegt.
Was ist da geschehen? Und wer ist daran bloß schuld? Ein neuer Bericht der UN-Entwicklungsorganisation (UNDP) ist dieser Frage nachgegangen, auf 180 Seiten, mit dutzenden Tabellen und tausenden von Daten. Es ist ein höflicher Report? geschrieben von arabischen Experten, die nicht anklagen wollen, sondern ihren Landsleuten weiterhelfen. Unter den Fittichen der UNO, die noch nie im Verdacht stand, besonders araberfeindlich zu sein? im Gegenteil: Hort des Bösen ist die Organisation eher in den Augen der amerikanischen Konservativen.
Das Versagen
Trotz aller Höflichkeit ist der Bericht jedoch schonungslos. Die Ursachen des Niedergangs sind zum allergrößten Teil hausgemacht, sagt er:"Die traditionellen arabischen Werte können jenen der globalisierten Welt entgegenstehen". Und legt die drei fundamentalen Schwachstellen bloß:
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~ Der Mangel an politischer Freiheit. Nirgendwo in der arabischen Welt gibt es richtige Demokratie. Politisch reicht das Spektrum von autokratischen Clanherrschaften (in den Golf-Scheichtümern) über Länder im permanenten Kriegszustand (wie Algerien) bis hin zu brutalen Diktaturen (wie Libyen, Irak oder Syrien). Das kann man nicht nur als moralisches Problem definieren, sondern auch als handfestes Entwicklungshemmnis: Ein Regime, das zuvorderst auf seinen Machterhalt aus ist, verschwendet Ressourcen und hindert seine Untertanen daran, rational und effizient zu handeln.
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<SMALL>Der Gleichberechtigungs-Index (1=Gleichberechtigung)</SMALL>
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~ Die Bildungskrise. Überall in Arabien haben die Regierungen massiv in das Bildungssystem investiert. Es hat überraschend wenig gebracht: Was gelehrt und gelernt wird, ist von schlechter Qualität und geht am Arbeitsmarkt vorbei. Vom globalen Wissens- und Informationsfluss hat sich die arabische Welt ohnehin so gut wie ausgeklinkt. Die Forschungsausgaben von 0,4 Prozent des BNP betragen nur ein Drittel jener in Kuba. Für den gesamten arabischsprachigen Raum werden im Jahr bloß 330 Bücher übersetzt? ein Fünftel dessen, was das kleine Griechenland zustande bringt. Nur 0,6 Prozent der Araber haben einen Internet-Zugang.
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<SMALL>Anteil der unter 14-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in Prozent.</SMALL>
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In den Flüchtlingslagern des Gaza-Streifens etwa leben gleich viele Kinder wie Erwachsene. Der Völkermordforscher Gunnar Heinsohn sieht eine wichtige Ursache für Gewalt und Terror darin, dass"junge Männer keinen Platz in der Gesellschaft finden". Was bleibt, ist jedenfalls Frustration, die religiösen Fundamentalisten Zulauf verschafft.
Womit endlich die Frage nach der Religion im Raum steht. Seit dem 11. September lebt die westliche Ã-ffentlichkeit in der festen Gewissheit, der Islam trage die Hauptschuld an der Entfremdung der arabischen Welt. Der UNDP-Bericht weicht diesem brisanten Thema elegant aus. Islam-Experten wie Bassam Tibi verneinen sie hingegen vehement: Aus dem Koran, meinen sie, könne man genauso viel Widersprüchliches herauslesen wie aus der Bibel. Dass die Aufklärung, die im Christentum stattgefunden hat, im Islam bislang ausbleibt, liege somit nicht an Allah, sondern an der arabischen politischen Kultur.
Demütigung
Fest steht, dass diese arabische politische Kultur heute in der Defensive ist. Durch die ganze Region zieht sich, nicht erst seit dem Afghanistan-Krieg, das Gefühl tiefer Demütigung durch den Westen. Die Faszination durch amerikanische Konsumprodukte geht einher mit tiefer Verachtung für die amerikanische Konsumkultur. Eine allgegenwärtige"Lähmung" diagnostiziert Zakaria. Und auch im UNDP-Bericht finden sich Indizien für dieses selbstzerstörerische Ressentiment: das Misstrauen gegen das Internet etwa, weil es sich der feindlichen englischen Sprache bedient; die Angst vor Entwicklungshilfeorganisationen, weil sie sich ins Verhältnis der arabischen Geschlechter einmischen könnten; oder die Zensur, die in ihrem Bemühen, alle zersetzenden Viren fern zu halten, auch den Fortschritt aussperrt.
Der Palästinenserkonflikt, so glaubt die höfliche Studie der höflichen UN-Experten, ist der wichtigste Kleister, der die wackligen Konstrukte arabischer Wirklichkeit notdürftig noch zusammenhält. Die Okkupation Palästinas, mythisch überhöht von Casablanca bis Mekka, ist die Illustration der eigenen ewigen Opferrolle, sie"symbolisiert das andauernde Gefühl der Bedrohung von außen". Sie dient als Beweis dafür, dass Israel und die USA irgendwie die Schuld an der eigenen Misere tragen. Sie liefert den Vorwand für militärische Aufrüstung, permanenten Ausnahmezustand und nationalen Schulterschluss. Und sie ist die willkommene Ausrede dafür, dass bei Entwicklung und Demokratisierung bis auf weiteres, leider, nichts vorangehen kann.
Es gebe"eine Zukunft für alle", meint der UNDP-Bericht, brav und dezent in der Terminologie, die man sich von einer internationalen Organisation erwarten darf. Wer sich durch 180 Seiten und Tabellen gequält hat, weiß allerdings: so nicht.
<ul> ~ Quelle</ul>
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