- HANDWERKER - Herausbildung der Warengesellschaft 04 - Wal Buchenberg, 18.07.2002, 07:47
HANDWERKER - Herausbildung der Warengesellschaft 04
2.3. Das Handwerk. Innere und äußere Faktoren seiner Herausbildung.
Homer kannte zwar verschiedene handwerkliche Berufe, aber sie werden noch nicht als Gruppe der Handwerker den Bauern begrifflich gegenübergestellt. Der früheste Name, der solchen Spezialisten als Gruppe zukommt ist „Demiurgos“, „Arbeiter für die Gemeinschaft“, die auch von der Gemeinde bezahlt wurden. Da sie nicht wie der bäuerliche Produzent für sich selbst produzierten, standen sie in einem Zweck-Mittel-Verhältnis zur Landwirtschaft, aber das schadete ihrem Ansehen zunächst nicht. Ein Relikt dieses ursprünglichen Ansehens mag es gewesen sein, dass in Korinth noch in späterer Zeit die städtischen Oberbeamten auch"Demiurgos" genannt wurden, was Herodot besonders hervorhebt.
Dieses Ansehen ging später verloren. Bei Aristoteles lesen wir dann, dass es "vornehm ist, kein... Handwerk auszuüben, da es das Merkmal des freien Mannes ist, dass er nicht mit Rücksicht auf einen anderen lebt" (zit. n. Hopper, S. 74). Hieraus spricht keineswegs unsere moderne Sicht, dass alle Lohnarbeit unfreie Arbeit, letzten Endes Zwangsarbeit ist, auch wenn sie sich auf Vertragsfreiheit beruft. Aristoteles sprach nur die Praxis des griechischen Bürgerrechts aus, das die Bürgerfreiheit an Bodenbesitz gebunden hatte. Ein Handwerker ohne Bodenbesitz konnte kein Stadtbürger sein.
Aristoteles beim Wort genommen wäre jeder Warenproduzent unfrei, weil er für den Austausch und dadurch „mit Rücksicht auf andere“ arbeitet.
Die griechischen Handwerker selber hatten eine positivere Einstellung zu ihrer Arbeit als der Philosoph Aristoteles. Sie verewigten z. B. ihre Namen auf ihren Schöpfungen. Das war nicht nur der Stolz der Bildhauer, die durch ihre Werke bekannt und berühmt wurden. Sogar so scheinbar simple Gewerke wie die Töpfer hatten ihren Stolz. Der Keramikmaler Euthymides schrieb auf eine rotfigurige Amphore, die in München zu sehen ist: "So etwas hat Euphronios nie zustande gebracht." (vgl. Hopper, S. 159)
Die griechischen Handwerker entstanden aus der Bauernschaft und ihre handwerkliche Arbeit erbrachte Serviceleistungen für die Landwirtschaft bei der Geräteherstellung und für sonstige Gebrauchsgüter. So lebten die Handwerker auch zunächst unter den Bauern und da ihr Kundenkreis klein und unsicher war, waren sie, sobald sie sich vom Boden und der Landwirtschaft gelöst hatten, in ständiger Wanderschaft.
Wenn also bei Homer handwerkliche Erzeugnisse von besonderer Art und Qualität mit bestimmten Orten verbunden sind, wie z. B. Chalkidische Schwerter und Becher, Korinthische Bronze, Argivische Waffen u. a., dann heißt das in der frühen Zeit nicht unbedingt, dass diese fremden Produkte gewandert sind, zunächst wird ihr Produzent gereist sein und sie bei den Konsumenten an Ort und Stelle hergestellt haben.
Da Handwerker zunächst nicht für einen anonymen Markt, sondern auf Bestellung für einen bestimmten Bedarf produzierten, blieben technische Weiterentwicklungen ganz abhängig von den vorgefundenen Bedürfnissen. Der technische und handwerkliche Fortschritt war unter diesen Umständen langsam.
Neuartige Produkte aus fremden Ländern, ob sie nun durch Raub, Geschenk oder Handel nach Griechenland kamen, konnten nicht einfach von heimischen Handwerkern imitiert und nachgeschaffen werden. Techniken wie Filigranarbeit, Granulation beim Goldschmieden, Edelsteinschneiden oder das Wachsschmelzverfahren beim Bronzeguss waren nur durch persönlichen Kontakt mit erfahrenen Handwerkern zu erlernen. Aber auch ausländische Handwerker reisten auf der Suche nach Kunden und Arbeit umher, wie sich durch Vergleich der archäologischen Funde belegen lässt. Gegen Ende des neunten Jahrhunderts v. Chr. arbeiteten phönizische Goldschmiede in Knossos auf Kreta und wohl auch in Athen. Die dortige Elfenbeinschnitzerei muss ebenfalls durch orientalische Handwerker bekannt gemacht worden sein.
Bei Aristoteles heißt es: "Früher waren in einigen Staaten alle Handwerker Sklaven oder Fremde, und die meisten sind es auch jetzt noch." (Aristoteles Politik 1278a.). Indem die Griechen fremde Handwerker zu sich einluden, konnten sie importieren ohne zu exportieren, konnten fremdländische Produkte genießen, auch wenn sie den orientalischen Kulturnationen noch nichts außer Lebensmitteln anzubieten hatten. Aber sie erlernten auch die neuen Techniken.
Bei Produkten muss es uns heute fremd vorkommen, dass zunächst die Produzenten umherreisten und nicht die fertigen Produkte transportiert wurden. Aber bei allen Dienstleistungen ist auch heute noch offensichtlich, dass die Leistung nicht erbracht werden kann, ohne die Gegenwart dessen, der einen Dienst erbringt. Über solche Arbeiten im"tertiären Sektor" heißt es bei Homer:"Denn wer geht wohl aus und ladet selber den Fremdling, wo er nicht etwa im Volk durch nützliche Künste berühmt ist: Als den erleuchteten Seher, den Arzt, den Meister des Baues oder den göttlichen Sänger, der uns durch Lieder erfreut? Diese laden die Menschen aus allen Landen der Erde." (Odyssee 17, 382 ff.)
Für die alten Griechen gehörte gewissermaßen alle spezialisierte Arbeit außerhalb der Landwirtschaft zum Dienstleistungsbereich. Sie fassten auch später alle diese Spezialisten, vom Arzt und Architekten über den Sänger bis zum Schuhmacher oder Keramikmaler - ohne Rücksicht darauf, ob es sich um mehr geistige oder mehr körperliche Arbeit handelte, in den Begriff „Demiurgos“, was sich vielleicht am treffendsten als „Dienstleistender“ wiedergeben lässt.
Je mehr Bauern aus der Landwirtschaft ausschieden, um als dienstleistende Demiurgoi umherzureisen, desto mehr nahm auf der einen Seite die Zahl der landwirtschaftlichen Produzenten ab, auf der anderen Seite wuchs die Zahl der Konsumenten, die selber keine Lebensmittel produzierten. Die Entwicklung dieser Arbeitsteilung ist daher unmöglich ohne eine Revolution in der landwirtschaftlichen Produktion, die die Produktionsleistung je landwirtschaftlichen Beschäftigten hebt. Es reichte nicht mehr aus, dass jeder Bauer genug produzierte, dass er und seine Familie leben konnten. Eine zunehmende Zahl von Handwerkern produzierte keine Lebensmittel, also mussten die Bauern über ihren eigenen Bedarf hinaus einen Lebensmittelüberschuss erwirtschaften, mit dem sie die Handwerker ernähren konnten.
Dieser landwirtschaftliche Überschuss wird teilweise durch von den Handwerkern verbessertes Arbeitsgerät herrühren, teilweise durch Produktion auf vergrößerten Flächen, die die Bauern bei ihrem Übergang ins Handwerk frei gemacht haben, mit erweiterter landwirtschaftlicher Arbeitsteilung, teils auch durch verbesserte landwirtschaftliche Methoden. Das betraf keine grundlegenden Veränderungen, die Zweifelderwirtschaft blieb bestimmend, aber es gab viele landwirtschaftlichen Verbesserungen im Einzelnen, die zu einem intensivierten Anbau führten: ein Rückgang der Weidewirtschaft, wo sie intensiver nutzbare Flächen benötigte, eine Vervielfältigung der angebauten Pflanzen, Ausdehnung des Weinbaus und des Olivenanbaus u.ä.
Wo Plutarch sich mit der Wirtschaftsgesetzgebung des Atheners Solon befasst, schreibt er: „Da er sah, wie die Stadt sich mit Menschen füllte, die stets von allen Seiten in Attika zusammenströmten, weil man da nichts zu fürchten hatte, dass aber das Land größtenteils karg und unfruchtbar war... so hielt er die Bürger zu handwerklicher Tätigkeit an...“ (Plutarch, Solon 22.)
Auf den ersten Blick scheint das ganz vernünftig. Was Plutarch völlig außer Acht lässt, ist die Frage, wie werden diese vielen Menschen in einem kargen Gebiet ernährt? Gleich im folgenden verfällt er noch einmal in den Fehler zu denken, dass Handwerker von Luft leben oder Metall und Holz essen: „Und da er sah, dass der karge Boden mit Not denen, die ihnen bebauten, Unterhalt bot,... so gab er dem Handwerk Ehre....“. (Plutarch, Solon 22) Wie soll das Land denn Handwerker ernähren, wenn es nicht einmal genug Nahrungsmittel für die Bauern trägt? Diese Begründungen von Plutarch sind unsinnig und offenbar verstand er im Gegensatz zu Solon weder etwas von Landwirtschaft noch von Wirtschaft. Solon verbot nämlich als erste Maßnahme den Export aller Lebensmittel außer von Ã-l. „Von den Erzeugnissen des Landes gestattete er den Verkauf ins Ausland nur für Ã-l, anderes auszuführen verbot er... Die erste Gesetzestafel enthält dieses Gesetz.“ (Plutarch, Solon 24.) Das bewies erstens, dass Attika durchaus landwirtschaftliche Überschüsse hatte, und zweitens, dass Solon an die Ernährung der Handwerker dachte.
Unkenntnis ökonomischer Gesetzmäßigkeiten des Historikers Plutarch teilen die modernen Historiker, die von der griechischen Verstädterung behaupten: „Gleichzeitig zwingt die Landnot viele Menschen, sich von der Landwirtschaft ab- und anderen Erwerbsarten zuzuwenden.“ (Gschnitzer, S. 51.) Tatsächlich ermöglichten landwirtschaftliche Überschüsse erst, dass sich viele Menschen anderen Erwerbsarten zuwandten. Ohne diese Überschüsse wären sie verhungert.
Als Folge der wissenschaftlichen Arbeitsteilung scheint es keine Historiker zu geben, die ausreichende ökonomische Kenntnisse und ebenso keine Ã-konomen, die ausreichende Geschichtskenntnisse besitzen.
Herausbildung der Warengesellschaft in Griechenland (Bisheriger Text)
Wird fortgesetzt, Wal Buchenberg
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